Eine gute Prise Humor ist immer sympathisch. Auch in Geschichten. Denn Humor macht einen Roman / eine Erzählung / was auch immer nicht nur witzig, sondern trägt auch zum World-Building und zur Charakterisierung der Figuren bei und verleiht der Geschichte insgesamt mehr Emotionen und Dramatik. Widmen wir uns also diesem doch so spannenden und wichtigen Thema.
Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abonnenten und Kanalmitglieder auf YouTube als PDF zum Download.
Wer mag es nicht, wenn eine Geschichte einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert? Oder wenn man herzlich auflacht? Man empfindet positive Gefühle, die Sympathie für die Figuren wächst und das Geschehen wirkt insgesamt lebendiger.
Humor in Geschichten ist eine tolle Sache. Bei fast allen Geschichten. In allen Genres. Aber was ist Humor eigentlich? Wie funktioniert er? Und wie baut man ihn ein? - Darum geht es in diesem Artikel.
Der Sinn und Zweck von Humor in Geschichten
Wenn ich sage, dass Humor für fast alle Geschichten eine Bereicherung darstellt, dann meine ich das wörtlich. Zu dieser Überzeugung gelangte ich vor allem durch Remarques Im Westen nichts Neues – und da magst Du Dich auch schon fragen: Was? Durch den berühmten Kriegsroman mit all dem Töten, Durchdrehen und hoffnungslosen Dahinsiechen im Lazarett? – Ja, genau durch den Kriegsroman.
Nachdem ich Im Westen nichts Neues damals beendet und erstmal eine Viertelstunde geheult habe, wurde mir klar, dass die Verbundenheit und die Identifikation mit dem Protagonisten und seinen Kameraden unter anderem dadurch zustande gekommen ist, dass ich mit ihnen nicht nur angespannt in den Schützengräben und Trichtern ausgeharrt, sondern auch gelacht habe: In dem Roman finden sich neben grausigen Szenen nämlich auch äußerst witzige Situationen. Oder Stellen, die einfach witzig geschrieben sind. Oft aber auch „unbehagliche Witze“ seitens der Figuren selbst, die vor allem tragisch sind, weil sie sich eben um Dinge wie das Sterben drehen. Denn worüber soll man denn sonst Witze machen, wenn man in schlammigen Schützengräben hockt, umgeben von Ratten, Leichenteilen, Fäkalien, Gasgeruch und Trommelfeuer? – Da neckt man seinen Kameraden eben damit, dass er mit seiner „Schießbudenfigur“ keinen Sarg abkriegt.
Im Westen nichts Neues ist an vielen Stellen witzig, aber nicht lustig. Und das an sich zeigt, wie vielseitig Humor sein kann:
- Humor lockert die Stimmung auf und verhilft damit einem Auf und Ab der Gefühle – und das wiederum ist laut dem Besteseller-Code von Archer und Jockers wichtig, um den Leser in den Bann zu ziehen.
- Damit hängt auch zusammen, dass heitere Stellen einen Kontrast zu düsteren Szenen bilden und sie dadurch umso düsterer wirken lassen. Ein schmerzhafter Twist ist eben umso schmerzhafter, wenn man eben erst sorglos gelacht hat. Beispielsweise wenn man – wie in Disneys Zeichentrick Mulan – ein fröhliches Lied singt und das Publikum zum Lachen bringt und dann plötzlich vor einem zerstörten Dorf steht.
- Humor stärkt auch die Bindung zu den Figuren und unterstützt das World-Building. Wenn Menschen, mit denen wir zusammen lachen und/oder die uns erst zum Lachen bringen, uns im realen Leben schnell sympathisch sind, dann gilt das auch für fiktive Figuren. Es gibt einen Grund, warum die Weasley-Zwillinge in den Harry Potter-Romanen unter den Lesern so beliebt sind. Und gleichzeitig kann eine bestimmte Art von Humor auch sehr viel über eine Person oder eine bestimmte Gruppe sagen: Wenn die Soldaten in Im Westen nichts Neues sich gegenseitig necken und über den Tod Witze machen, dann zeigt das nicht nur ihre testosteronige Kameradschaft, sondern auch den Stress, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind und den sie mit Humor zu bewältigen versuchen.
Humor macht eine Geschichte also insgesamt lebendiger. – Egal, welches Genre.
Natürlich ist die Humor-Dosis in heiteren Genres wie Komödien oder fröhlich-sorglosen Liebesgeschichten höher. Doch wie wir gesehen haben, tut Humor auch einem Katastrophen-Szenario ganz gut.
Es kommt vielmehr auf die Art von Humor an: Diese sollte stets zur jeweiligen Figur und zur Situation passen.
Das ergibt sich jedoch meistens von selbst, wenn Du als Autor genau weißt, was im Inneren Deiner Figuren vorgeht: Denn Witze macht man aus einer heiteren Situation heraus und auch wenn man Nervosität überspielen möchte; man scherzt, wenn man Spaß zusammen hat, und man scherzt auch, wenn man jemanden aufmuntern will. Kurzum: Man lacht beim Essen, beim Einkaufen, beim Feiern, beim Sex und eben auch im Knast, im Krieg oder auch in einer Selbsthilfegruppe. Und fiktive Figuren sollten da nicht anders sein als reale Menschen.
Was ist Humor?
Doch warum finden wir bestimmte Dinge witzig? Warum lachen die einen über Dinge, die die anderen überhaupt nicht lustig finden? Was sind die Bausteine eines Witzes?
Der Verhaltensforscher Peter McGraw erklärt, dass wir etwas witzig finden, wenn zwei Bedingungen zur selben Zeit erfüllt sind:
- Es findet ein Verstoß statt.
- Dieser Verstoß ist harmlos.
Ein Verstoß kann dabei alles Mögliche sein: die Missachtung bestimmter gesellschaftlicher Normen, irgendwelcher Regeln, eine Überschreitung von Grenzen oder der Bruch von etablierten Verhaltensweisen. Denn witzig sind immer nur Dinge, die auffallen:
Über den 0815-Alltag der Kassiererin Lieschen Müller lacht keiner. Aber wenn Lieschen Müller von ihren skurrilsten Kunden, also Abweichungen von der 0815-Norm, erzählt, kann es unheimlich lustig werden.
Harmlos ist der Verstoß dann, wenn die Norm, gegen die verstoßen wird, einen nicht allzu sehr betrifft: wenn der Verstoß in der Vergangenheit liegt (und einem in der Gegenwart nicht mehr schadet), wenn der Verstoß in der Zukunft liegt (und einem noch nicht schadet), wenn jemand anderes zu Schaden kommt (und nicht man selbst), wenn der Schaden fiktiven Personen zustößt (und keinen realen) oder wenn einfach grundsätzlich niemand Schaden erleidet. Alternativ kann ein Verstoß auch als harmlos gewertet werden, wenn es eine akzeptable Rechtfertigung für diesen Verstoß gibt: wenn man sich beispielsweise spielerisch prügelt oder neckt, also wenn klar ist, dass es – beispielsweise – ein Spiel ist und nicht ernst gemeint ist.
Lieschen Müllers Erzählungen aus dem Supermarkt sind eben nicht witzig, wenn es um Übergriffe durch Kunden geht, die sie sehr verletzt haben. Wenn sie eine Blödheit begangen hat und um ein Haar gefeuert worden wäre, ist das wahrscheinlich erst auch im Nachhinein lustig, wenn die Wogen sich geglättet haben und ihr keine Kündigung mehr droht. Wenn Lieschen und ihre Kollegen im Zuge einer Wirtschaftskrise über ihre eventuelle zukünftige Arbeitslosigkeit Scherze machen, dann kann man nur so lange darüber lachen, bis die Arbeitslosigkeit tatsächlich eintritt. Und wenn Lieschen über die Missgeschicke eines Kollegen scherzt, können nur sie und ihre Freunde darüber lachen, der Kollege und seine Freunde wahrscheinlich weniger.
Die Einschätzung, was ein harmloser Verstoß ist, ist also oft sehr subjektiv: Was der eine witzig findet, ist dem anderen peinlich oder er findet das Thema viel zu ernst bzw. den Witz nicht angebracht oder sein Trauma wird getriggert oder er hat zu viel Empathie mit dem, der zu Schaden gekommen ist, oder oder oder …
Unerwartetes, Ungewöhnliches und Überraschungen
Ich finde, diese Theorie erklärt Humor ganz gut und vor allem auch, warum Humor meistens an Unerwartetes, Ungewöhnliches und Überraschungen gekoppelt ist:
- So sind Wortspiele oft deswegen witzig, weil ein Wort von einem Kontext unerwartet in einen anderen Kontext übertragen wird:
Was sagt der große Schornstein zum kleinen Schornstein? – Du bist zu jung zum Rauchen!
(Hier wechseln wir durch das doppeldeutige Wort rauchen von Schornsteinen unerwartet zu einem Erwachsenen und einem Kind.)
- Doch auch in anderen Fällen kann der unerwartete Kontext- oder Gegenstandswechsel witzig sein:
Warum hat der Elefant rote Socken an? – Weil seine grünen nass sind!
(Hier verlagern wir den Schwerpunkt unerwartet vom Tragen der Socken an sich zur Farbe der Socken.)
- Bei anderen Witzen wird die Norm, gegen die verstoßen wird, im Witz selbst aufgebaut. Das ist oft bei Witzen der Fall, in denen drei Protagonisten handeln, zwei die Regel aufstellen und der dritte auf überraschende Wiese von dieser Regel abweicht:
Ein Philosoph, ein Physiker und ein Mathematiker stehen auf dem Dach eines brennenden Hochhauses. Vor dem Hochhaus ist ein Pool, die einzige Rettungsmöglichkeit. Der Philosoph denkt: „Wenn es einen Gott gibt, dann wird er mir helfen.“ Er nimmt Anlauf, springt und landet weit vom Pool entfernt. Der Physiker kritzelt im Notizblock herum, rechnet, nimmt Anlauf und landet genau in der Mitte des Pools. Dann ist der Mathematiker dran. Auch er kritzelt im Notizblock herum, rechnet, nimmt Anlauf, springt und fliegt nach oben. – Was ist passiert? Vorzeichenfehler!
(Hier stellen der Philosoph und der Physiker die Norm auf, dass die allgemeinen Gesetze der Schwerkraft gelten, und der Mathematiker bricht sie durch einen banalen Fehler, den wohl jeder aus dem Matheunterricht kennt.)
- Wiederum andere Witze überraschen durch komplett unvorhersehbare Absurdität:
Die legendäre Badfic My Immortal von Tara Gilesbie ist deswegen so witzig, weil sie völlig systemfrei gegen so ziemlich alle Prinzipien der Logik, Grammatik und des guten literarischen Geschmacks verstößt. Aus einem ähnlichen Grund konnte ich mich zwei Wochen lang nicht vor Lachen einkriegen, nachdem ich den Trailer für den Film Robo Geisha gesehen habe: Bei vielen Skurrilitäten darin fragt man sich einfach, was die Macher wohl geraucht haben. Ich sag‘ nur: Steißbeinkatana.
- Und schließlich muss nicht unbedingt etwas plötzlich passieren oder präsentiert werden, um witzig zu sein. Manchmal sind ungewöhnliche Situationen einfach an sich witzig:
Wenn in den Medien 2016 beispielsweise von Raufereien im britischen Regierungsviertel berichtet wurde, bei denen es sogar ein zerfetztes Ohr gab, und es dabei um die Kater der Downing Street und des Außenministeriums ging, die sich das Territorium nicht aufteilen konnten, dann ist auch das witzig. – Vor allem deswegen, weil Larry als Chief Mouser to the Cabinet Office und Palmerston als Chief Mouser of the Foreign & Commonwealth Office formell Beamte waren bzw. im Fall von Larry immer noch sind. Es ist eben ungewöhnlich, dass Regierungsbeamte sich gegenseitig die Ohren zerfetzen und dass Tiere Ämter innehaben. (Und übrigens auch twittern.)
Schwarzer Humor
Die Theorie vom harmlosen Verstoß erklärt auch die kontroverse Natur von schwarzem Humor: Denn Witze über Krankheit, Tod, Verbrechen und andere traumatische Dinge und/oder sensible Themen wie Religion sind in der Regel massive Verstöße, über deren Harmlosigkeit sich debattieren lässt. Zwar geht nicht sofort die Welt unter, wenn jemand über den Tod von jemand anderem witzelt, aber häufig gibt es zumindest emotional Verletzte.
Das gilt umso mehr, wenn ein Witz sich um aktuelle Themen dreht: Wenn man Witze reißt über Menschen, die während des Dreißigjährigen Krieges ums Leben gekommen sind, ist das deutlich harmloser als Scherze über die Kriege von heute. In ein paar hundert Jahren kann es aber sein, dass Witze darüber völlig unproblematisch sind, weil die Katastrophen von heute die Menschen dann nicht mehr allzu sehr betreffen.
Schwarzer Humor geht eben oft mit einer Verharmlosung äußerst ernster Themen einher. Daher ist er besonders riskant und genau deswegen oft auch besonders interessant.
Formen von Humor in Geschichten
So vielfältig Humor ist, so vielfältig sind auch seine Erscheinungsformen in Geschichten. Schauen wir uns sechs davon mal genauer an:
Sprüche in Dialogen
Hier geht es um Witze, die die Figuren machen. Wie normale Menschen eben auch.
Beispiel:
»Also die Spitzennote ist ›O‹ für ›Ohnegleichen‹«, sagte [Hermine], »und danach kommt ›A‹ -«
»Nein, ›E‹«, korrigierte George sie, »›E‹ für ›Erwartungen übertroffen‹. Ich hab immer gedacht, Fred und ich sollten ein ›E‹ in allem kriegen, weil wir die Erwartungen schon übertroffen haben, als wir zu den Prüfungen aufgetaucht sind.«
Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Orden des Phönix, Kapitel: Die Großinquisitorin von Hogwarts.
Während manche Witze aus dem Mund von Figuren auch ohne Kontext witzig sein können, ist bei sehr vielen der Kontext essentiell: So ist das Sprachspiel im Beispielzitat nur witzig, wenn man weiß, dass es um Schulnoten geht, und mit den Figuren Fred und George Weasley vertraut ist.
Comic Relief
Hierbei handelt es sich um eine Figur, die für einen guten Teil der witzigen Sprüche oder Handlungen in einer Geschichte verantwortlich ist. Ein Beispiel sind die eben erwähnten Weasley-Zwillinge. Weil der Comic Relief aber einen eigenen Artikel in der Archetypen-und-Klischees-Reihe verdient, würde ich Dich an dieser Stelle erstmal vertrösten.
Running Gag
Das ist ein „laufender“ Witz, der sich im Verlauf der Handlung ständig wiederholt. Dabei muss der Witz am Anfang nicht einmal witzig sein, denn den Großteil seiner „Witzigkeit“ erhält der Running Gag, wenn er penetrant auftaucht. Oft „wittern“ die Leser den Running Gag schon von Weitem und können sich im Voraus auf ihn freuen bzw. das Siegesgefühl genießen, wenn sie ihn erfolgreich vorhergesehen haben. Oder sie werden vom Running Gag immer wieder überrascht.
Ein Beispiel ist das Baby in der Serie Die Dinos, das seinen Vater partout nicht „Papa“ nennen will und ihm stattdessen mit der Pfanne auf den Kopf haut und „Nicht die Mama!“ ruft.
Ansonsten haben wir den Running Gag – und übrigens auch die manchmal daran gekoppelte Catchphrase – schon im Artikel über die Repetitio und Wiederholungen allgemein angesprochen. Daher empfehle ich ihn an dieser Stelle für vertiefende Informationen.
Witzige Situationen
Manchmal müssen Witze nicht erst gemacht werden. Denn wie im realen Leben auch, kommt es in fiktiven Werken gerne mal zu Situationen, die schon an sich witzig sind.
Zum Beispiel:
Als Paul, der Protagonist von Im Westen nichts Neues, auf Heimaturlaub ist und Mittelstaedt, einen seiner ehemaligen Mitschüler, in der Kaserne besucht, erwartet ihn eine amüsante Überraschung: Kantorek, der Klassenlehrer, der Paul und seine Mitschüler indoktriniert hat, damit sie sich freiwillig zum Kriegsdienst melden, und damit eine Mitschuld am tragischen Schicksal seiner Schüler trägt, wurde von seinem Karma eingeholt und selbst zum Kriegsdienst eingezogen. Sein befehlshabender Unteroffizier ist kein anderer als Mittelstaedt, einer der Schüler, die er in den Krieg gepredigt hat. Und der nutzt das auf den Kopf gestellte Hierarchieverhältnis aus für süße Rache. Er schikaniert ihn, lässt ihn schlecht sitzende Uniformteile anziehen, sodass er aussieht wie eine Witzfigur, und tadelt ihn:
„Landsturmmann Kantorek, ist das Knopfputz? Sie scheinen es nie zu lernen. Ungenügend, Kantorek, ungenügend.“
Ich brülle innerlich vor Vergnügen. Genauso hat Kantorek in der Schule Mittelstaedt getadelt, mit demselben Tonfall: „Ungenügend, Mittelstaedt, ungenügend.“
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues, Kapitel 7.
Es liegt auf der Hand, dass solche Situationen in der Regel einen Kontext haben, den der Leser kennen muss: Das Beispiel von eben ist nur lustig, wenn man weiß, wer Kantorek und Mittelstaedt sind und dass Kantorek die Strafe durchaus verdient hat. Und auch die Erzählperspektive muss hier stimmen, denn aus Kantoreks Sicht wäre die Szene viel ernster, weil es sich ja um Mobbing durch einen Vorgesetzten handelt.
Themen und Motive
Eine lustige Szene oder eine lustige Situation kann sich durchaus als zentrales Thema oder Motiv durch das gesamte Werk ziehen und in unterschiedlichen Formen zum Ausdruck kommen.
Hier zum Beispiel der Anfang von Remarques Der schwarze Obelisk:
Die Sonne scheint in das Büro der Grabdenkmalsfirma Heinrich Kroll & Söhne. Es ist April 1923, und das Geschäft geht gut. Das Frühjahr hat uns nicht im Stich gelassen, wir verkaufen glänzend und werden arm dadurch, aber was können wir machen – der Tod ist unerbittlich und nicht abzuweisen, und menschliche Trauer verlangt nun einmal nach Monumenten in Sandstein, Marmor und, wenn das Schuldgefühl oder die Erbschaft beträchtlich sind, sogar nach dem kostbaren, schwarzen, schwedischen Granit, allseitig poliert. Herbst und Frühjahr sind die besten Jahreszeiten für die Händler mit den Utensilien der Trauer – dann sterben mehr Menschen als im Sommer und im Winter -; im Herbst, weil die Säfte schwinden, und im Frühjahr, weil sie erwachen und den geschwächten Körper verzehren wie ein zu dicker Docht eine zu dünne Kerze. Das wenigstens behauptet unser rührigster Agent, der Totengräber Liebermann vom Stadtfriedhof, und der muss es wissen; er ist achtzig Jahre alt, hat über zehntausend Leichen eingegraben, sich von seiner Provision an Grabdenkmälern ein Haus am Fluss mit einem Garten und einer Forellenzucht gekauft und ist durch seinen Beruf ein abgeklärter Schnapstrinker geworden. Das einzige, was er hasst, ist das Krematorium der Stadt. Es ist unlautere Konkurrenz. Wir mögen es auch nicht. An Urnen ist nichts zu verdienen.
Erich Maria Remarque: Der schwarze Obelisk, Kapitel 1.
Hier werden gleich zwei der wichtigsten Elemente des Settings eingeführt: Der Protagonist arbeitet in einer Grabdenkmalsfirma und es ist das Inflationsjahr 1923. Beide Umstände bilden das Grundrauschen des Romans und sorgen immer wieder für paradoxe oder einfach nur ungewöhnliche Situationen und eine gute Portion von schwarzem Humor, Ironie und Sarkasmus: Als „Händler mit den Utensilien der Trauer“ haben der Protagonist und seine Mitstreiter nämlich einen recht abgebrühten Blick auf den Tod und was für andere eine tragische Ausnahmesituation darstellt, ist für sie Geschäft. Sie nutzen schlaue Strategien, um gute Preise auszuhandeln, bewerben die Vorzüge von diesem oder jenem Grabstein und machen soziologische Beobachtungen über das Kaufverhalten der Hinterbliebenen und über die heuchlerische Natur von Todesanzeigen. Außerdem schläft ihr verbündeter Sargtischler gemütlich in den Särgen, die er zimmert, und die Ausstellung ihrer Grabsteine im Innenhof ist bei gutem Wetter ein Magnet für Liebespärchen auf der Suche nach einem stillen Ort für ihre nächtlichen Aktivitäten. Der Tod verliert hier all seine Sakralität. Und die Inflation, die rasende Entwertung des Geldes, tut ihr Übriges, indem sie immer wieder skurrile Situationen und Sachverhalte mitverursacht.
Somit erscheint im Schwarzen Obelisken kaum noch etwas heilig. Doch so witzig viele der beschriebenen Situationen auch sind, stehen sie dennoch im Kontrast zur Sehnsucht des Protagonisten nach seiner im Krieg verlorenen Jugend und der „himmlischen Liebe“. Somit sorgen diese Motive nicht einfach aus Spaß an der Freude für Humor, sondern leisten einen entscheidenden Beitrag für die Gesamtaussage des Buches.
Rhetorische Mittel
Damit eine witzige Situation aber wirklich witzig ist, sollte sie auch witzig geschrieben sein. Mehr noch, humorvolle Sprache und Details können auch an sich neutrale Dinge witzig machen.
So sind heuchlerische Todesanzeigen an sich zunächst nicht witzig, sondern eine Tatsache. Verpasst man dem Ganzen aber eine Portion Ironie, Sarkasmus und Hyperbeln, also einen Verstoß, muss der Leser schmunzeln:
Es ist später Nachmittag. Ich lese die Familiennachrichten der Zeitungen und schneide die Todesanzeigen aus. Das gibt mir immer den Glauben an die Menschheit zurück – besonders nach Abenden, an denen wir unsere Lieferanten oder Agenten bewirten mussten. Wenn es nach den Todesanzeigen ginge, wäre der Mensch nämlich absolut vollkommen. Es gibt da nur perfekte Väter, makellose Ehemänner, vorbildliche Kinder, uneigennützige, sich aufopfernde Mütter, allerseits betrauerte Großeltern, Geschäftsleute, gegen die Franziskus von Assisi ein hemmungsloser Egoist gewesen sein muss, gütetriefende Generäle, menschliche Staatsanwälte, fast heilige Munitionsfabrikanten – kurz, die Erde scheint, wenn man den Todesanzeigen glaubt, von einer Horde Engel ohne Flügel bewohnt gewesen zu sein, von denen man nichts gewusst hat. Liebe, die im Leben wahrhaftig nur selten rein vorkommt, leuchtet im Tode von allen Seiten und ist das häufigste, was es gibt. Es wimmelt nur so von erstklassigen Tugenden, von treuer Sorge, von tiefer Frömmigkeit, von selbstloser Hingabe, und auch die Hinterbliebenen wissen, was sich gehört – sie sind von Kummer gebeugt, der Verlust ist unersetzlich, sie werden den Verstorbenen nie vergessen – es ist erhebend, das zu lesen, und man könnte stolz sein, zu einer Rasse zu gehören, die so noble Gefühle hat.
Erich Maria Remarque: Der schwarze Obelisk, Kapitel 5.
Du solltest auch bedenken, dass viele Situationen nur dann witzig sind, wenn man sie sehen kann. Wenn Du mit dem Medium Text arbeitest, musst Du daher auf bildliche Sprache achten, damit das Kopfkino des Lesers witzige Bilder produziert. Ein gutes Mittel dafür sind unter anderem Metaphern und Vergleiche.
Eine witzige bildliche Szene findet sich in Der Weg zurück, der Fortsetzung von Im Westen nichts Neues:
Der Protagonist und seine Kameraden suchen nach den Traumata des Ersten Weltkrieges und inmitten der Schwierigkeiten der Rückkehr ins Zivilleben Zerstreuung und weibliche Bekanntschaften in einem Tanzlokal. Dort findet ein Tanzwettbewerb statt, unter anderem auch für den Foxtrott, den die Freunde aber gerade erst kennengelernt haben. Willy und seine Tanzpartnerin wollen sich der Herausforderung aber trotzdem stellen:
Gerade ruft der Mann mit der Chrysantheme zur Foxtrottkonkurrenz aus. Es melden sich nur wenige Paare. Willy geht nicht, er schreitet zum Parkett.
»Er hat doch keine Ahnung davon«, prustet Karl.
Gespannt hängen wir über unseren Stühlen, um zu sehen, was das gibt. Die Löwenbändigerin kommt Willy entgegen. Er reicht ihr mit großer Gebärde den Arm. Die Musik beginnt.
In diesem Moment verwandelt Willy sich in ein wildgewordenes Kamel. Er springt in die Luft und hinkt, hüpft, kreiselt, er schmeißt die Beine und wirft die Dame hin und her, dann rast er im kurzen Schweinsgalopp durch den Saal, die Zirkusreiterin nicht vor sich, sondern neben sich, so daß sie an seinem ausgestreckten rechten Arm Klimmzüge macht, während er volle Freiheit nach der andern Seite hat, ohne Sorge, ihr die Füße zu zertrampeln. Gleich darauf imitiert er ein Karussell auf der Stelle, so daß seine Cutschöße waagrecht abstehen, startet im nächsten Moment mit zierlichen Hupfschritten quer übers Parkett wie ein Ziegenbock, der Pfeffer unter dem Schwanz hat, donnert und wirbelt und tost und schließt endlich mit einer unheimlichen Pirouette, bei der er seine Dame hoch durch die Luft schwenkt.
Kein Mensch im Saal zweifelt daran, einen bisher unbekannten Meister des Überfoxtrotts vor sich zu sehen. Willy hat seine Chance erkannt und ausgenützt. Er siegt so überlegen, daß nach ihm eine Zeitlang erst gar nichts kommt und dann der zweite Preis.
Erich Maria Remarque: Der Weg zurück, Vierter Teil, III.
Wie Du sicherlich gemerkt hast, spielen rhetorische Stilmittel bei humorvollen Szenen oft eine wichtige Rolle. Deswegen verweise ich an dieser Stille auf meine Artikel-Reihe zu dem Thema, denn darin gehe ich detaillierter auf Dinge wie Metaphern, Ironie und verschiedene Arten von Wiederholungen und Aufzählungen ein. Auch ein guter, idealerweise knackiger Schreibstil ist wichtig. Dazu habe ich ebenfalls schon mehrere Artikel geschrieben. An dieser Stelle daher nur eine Erwähnung.
Abschließende Tipps
Wenn wir das Bisherige also kurz zusammenfassen bzw. weiterdenken, kommen für das Thema Humor in Geschichten folgende Punkte zusammen:
- Humor ist ein harmloser Verstoß gegen eine oder mehrere Normen.
- Damit hängt zusammen, dass der Kontext dieser Normen vorhanden sein bzw. schon vorher eingeführt werden muss: Der Leser sollte die Figuren und ihre Welt kennen.
- Auch muss die richtige Erzählperspektive gewählt sein, damit ein Verstoß tatsächlich „harmlos“ erscheint, bzw. die Lesersympathien gegenüber bestimmten Figuren müssen entsprechend gelenkt werden.
- Verwandt damit ist, dass auch das Zielpublikum selbst einen Verstoß als „harmlos“ empfinden sollte, wobei unter anderem Kultur, Subkultur, Alter, Geschlecht, Sexualität, Religion und Gesellschaftsschicht eine Rolle spielen.
- Und nicht zuletzt gehört eine humorvolle Stelle in einem Text auch angemessen sprachlich verpackt.
Doch bevor ein „harmloser Verstoß“ überhaupt erst eingebaut werden kann, muss man sich ihn natürlich ausdenken. Und das ist – so bitter das auch klingt – ein Talent für sich. Ich kann nur empfehlen, sich vom realen Leben inspirieren zu lassen und vor allem seine Beobachtungsfähigkeit zu schärfen:
Denn ungewöhnliche Details, die man zu „harmlosen Verstößen“ verarbeiten kann, lauern an jeder Ecke.
- Manchmal reicht es schon, eine Sache aus einer anderen Perspektive zu betrachten: Ein Krematorium mag ein Krematorium sein, aber aus der Sicht eines Totengräbers ist das „unlautere Konkurrenz“.
- Oder man kann Dinge übertreiben und aus einem alltäglichen Charaktermangel eine witzige Macke machen wie beispielweise im Roman Quo vadis? von Henryk Sienkiewicz, in dem die Figur Chilon Chilonides mit kreativen Schleimereien um sich wirft.
Mit wie viel Humor Du Dein Werk fütterst und an welchen Stellen Du Witze einbringst, ist aber allein Dir überlassen:
Wie wir schon am Anfang dieses Artikels gesehen haben, kann Humor auch an entsetzlichen Stellen eingebunden werden, um die Dramatik zu steigern.
Auch welche Art von Witzen Du einbringst, ist Dir überlassen:
Zwar wurde ich seitens der KreativCrew darauf aufmerksam gemacht, dass ein Kinderbuch zum Beispiel „nicht zu derbe sein“ darf, und ich würde dem grundsätzlich auch zustimmen. Aber andererseits gibt es in Kindergeschichten hin und wieder doch Dinge, die man erst als Erwachsener versteht: Man denke beispielsweise an den Mulan-Zeichentrick, in dem die Beleidigung „schlappe Nudel“ fällt. Als Kind habe ich mir nichts dabei gedacht. Dabei geht diese Beleidigung durchaus unter die Gürtellinie.
Bei allem, was es zu bedenken und zu entscheiden gilt, hast Du als Schreiberling aber einen gravierenden Vorteil:
Du hast alle Zeit der Welt, um Deine Witze zu „polieren“ – besonders, wenn Du selbst hurmortechnisch etwas untertalentiert bist oder einer Figur eine andere Art von Humor geben willst als Deine. Du hast alle Zeit der Welt, um die Art von Humor zu recherchieren, die zu Deinen Figuren passt. Du hast alle Zeit der Welt, um Dich vom realen Leben und den Erzählungen anderer Leute inspirieren zu lassen. Und Du hast alle Zeit der Welt, um Testleser über Deinen Text zu jagen und Feedback einzuholen.