Humor in Geschichten: Defi­ni­tion und Tipps für humor­volles Schreiben

Humor in Geschichten: Defi­ni­tion und Tipps für humor­volles Schreiben

Eine gute Prise Humor ist immer sym­pa­thisch. Auch in Geschichten. Denn Humor macht einen Roman / eine Erzäh­lung / was auch immer nicht nur witzig, son­dern trägt auch zum World-Buil­ding und zur Cha­rak­te­ri­sie­rung der Figuren bei und ver­leiht der Geschichte ins­ge­samt mehr Emo­tionen und Dra­matik. Widmen wir uns also diesem doch so span­nenden und wich­tigen Thema.

Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abon­nenten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Down­load.

Wer mag es nicht, wenn eine Geschichte einem ein Lächeln ins Gesicht zau­bert? Oder wenn man herz­lich auf­lacht? Man emp­findet posi­tive Gefühle, die Sym­pa­thie für die Figuren wächst und das Geschehen wirkt ins­ge­samt leben­diger.

Humor in Geschichten ist eine tolle Sache. Bei fast allen Geschichten. In allen Genres. Aber was ist Humor eigent­lich? Wie funk­tio­niert er? Und wie baut man ihn ein? - Darum geht es in diesem Artikel.

Der Sinn und Zweck von Humor in Geschichten

Wenn ich sage, dass Humor für fast alle Geschichten eine Berei­che­rung dar­stellt, dann meine ich das wört­lich. Zu dieser Über­zeu­gung gelangte ich vor allem durch Remar­ques Im Westen nichts Neues – und da magst Du Dich auch schon fragen: Was? Durch den berühmten Kriegs­roman mit all dem Töten, Durch­drehen und hoff­nungs­losen Dahin­sie­chen im Laza­rett? – Ja, genau durch den Kriegs­roman.

Nachdem ich Im Westen nichts Neues damals beendet und erstmal eine Vier­tel­stunde geheult habe, wurde mir klar, dass die Ver­bun­den­heit und die Iden­ti­fi­ka­tion mit dem Prot­ago­nisten und seinen Kame­raden unter anderem dadurch zustande gekommen ist, dass ich mit ihnen nicht nur ange­spannt in den Schüt­zen­gräben und Trich­tern aus­ge­harrt, son­dern auch gelacht habe: In dem Roman finden sich neben grau­sigen Szenen näm­lich auch äußerst wit­zige Situa­tionen. Oder Stellen, die ein­fach witzig geschrieben sind. Oft aber auch „unbe­hag­liche Witze“ sei­tens der Figuren selbst, die vor allem tra­gisch sind, weil sie sich eben um Dinge wie das Sterben drehen. Denn wor­über soll man denn sonst Witze machen, wenn man in schlam­migen Schüt­zen­gräben hockt, umgeben von Ratten, Lei­chen­teilen, Fäka­lien, Gas­ge­ruch und Trom­mel­feuer? – Da neckt man seinen Kame­raden eben damit, dass er mit seiner „Schieß­bu­den­figur“ keinen Sarg abkriegt.

Im Westen nichts Neues ist an vielen Stellen witzig, aber nicht lustig. Und das an sich zeigt, wie viel­seitig Humor sein kann:

  • Humor lockert die Stim­mung auf und ver­hilft damit einem Auf und Ab der Gefühle – und das wie­derum ist laut dem Bes­teseller-Code von Archer und Jockers wichtig, um den Leser in den Bann zu ziehen.
  • Damit hängt auch zusammen, dass hei­tere Stellen einen Kon­trast zu düs­teren Szenen bilden und sie dadurch umso düs­terer wirken lassen. Ein schmerz­hafter Twist ist eben umso schmerz­hafter, wenn man eben erst sorglos gelacht hat. Bei­spiels­weise wenn man – wie in Dis­neys Zei­chen­trick Mulan – ein fröh­li­ches Lied singt und das Publikum zum Lachen bringt und dann plötz­lich vor einem zer­störten Dorf steht.
  • Humor stärkt auch die Bin­dung zu den Figuren und unter­stützt das World-Buil­ding. Wenn Men­schen, mit denen wir zusammen lachen und/oder die uns erst zum Lachen bringen, uns im realen Leben schnell sym­pa­thisch sind, dann gilt das auch für fik­tive Figuren. Es gibt einen Grund, warum die Weasley-Zwil­linge in den Harry Potter-Romanen unter den Lesern so beliebt sind. Und gleich­zeitig kann eine bestimmte Art von Humor auch sehr viel über eine Person oder eine bestimmte Gruppe sagen: Wenn die Sol­daten in Im Westen nichts Neues sich gegen­seitig necken und über den Tod Witze machen, dann zeigt das nicht nur ihre tes­to­ste­ro­nige Kame­rad­schaft, son­dern auch den Stress, dem sie tag­täg­lich aus­ge­setzt sind und den sie mit Humor zu bewäl­tigen ver­su­chen.

Humor macht eine Geschichte also ins­ge­samt leben­diger. – Egal, wel­ches Genre.

Natür­lich ist die Humor-Dosis in hei­teren Genres wie Komö­dien oder fröh­lich-sorg­losen Lie­bes­ge­schichten höher. Doch wie wir gesehen haben, tut Humor auch einem Kata­stro­phen-Sze­nario ganz gut.

Es kommt viel­mehr auf die Art von Humor an: Diese sollte stets zur jewei­ligen Figur und zur Situa­tion passen.

Das ergibt sich jedoch meis­tens von selbst, wenn Du als Autor genau weißt, was im Inneren Deiner Figuren vor­geht: Denn Witze macht man aus einer hei­teren Situa­tion heraus und auch wenn man Ner­vo­sität über­spielen möchte; man scherzt, wenn man Spaß zusammen hat, und man scherzt auch, wenn man jemanden auf­mun­tern will. Kurzum: Man lacht beim Essen, beim Ein­kaufen, beim Feiern, beim Sex und eben auch im Knast, im Krieg oder auch in einer Selbst­hil­fe­gruppe. Und fik­tive Figuren sollten da nicht anders sein als reale Men­schen.

Was ist Humor?

Doch warum finden wir bestimmte Dinge witzig? Warum lachen die einen über Dinge, die die anderen über­haupt nicht lustig finden? Was sind die Bau­steine eines Witzes?

Der Ver­hal­tens­for­scher Peter McGraw erklärt, dass wir etwas witzig finden, wenn zwei Bedin­gungen zur selben Zeit erfüllt sind:

  • Es findet ein Ver­stoß statt.
  • Dieser Ver­stoß ist harmlos.

Ein Ver­stoß kann dabei alles Mög­liche sein: die Miss­ach­tung bestimmter gesell­schaft­li­cher Normen, irgend­wel­cher Regeln, eine Über­schrei­tung von Grenzen oder der Bruch von eta­blierten Ver­hal­tens­weisen. Denn witzig sind immer nur Dinge, die auf­fallen:

Über den 0815-Alltag der Kas­sie­rerin Lies­chen Müller lacht keiner. Aber wenn Lies­chen Müller von ihren skur­rilsten Kunden, also Abwei­chungen von der 0815-Norm, erzählt, kann es unheim­lich lustig werden.

Harmlos ist der Ver­stoß dann, wenn die Norm, gegen die ver­stoßen wird, einen nicht allzu sehr betrifft: wenn der Ver­stoß in der Ver­gan­gen­heit liegt (und einem in der Gegen­wart nicht mehr schadet), wenn der Ver­stoß in der Zukunft liegt (und einem noch nicht schadet), wenn jemand anderes zu Schaden kommt (und nicht man selbst), wenn der Schaden fik­tiven Per­sonen zustößt (und keinen realen) oder wenn ein­fach grund­sätz­lich nie­mand Schaden erleidet. Alter­nativ kann ein Ver­stoß auch als harmlos gewertet werden, wenn es eine akzep­table Recht­fer­ti­gung für diesen Ver­stoß gibt: wenn man sich bei­spiels­weise spie­le­risch prü­gelt oder neckt, also wenn klar ist, dass es – bei­spiels­weise – ein Spiel ist und nicht ernst gemeint ist.

Lies­chen Mül­lers Erzäh­lungen aus dem Super­markt sind eben nicht witzig, wenn es um Über­griffe durch Kunden geht, die sie sehr ver­letzt haben. Wenn sie eine Blöd­heit begangen hat und um ein Haar gefeuert worden wäre, ist das wahr­schein­lich erst auch im Nach­hinein lustig, wenn die Wogen sich geglättet haben und ihr keine Kün­di­gung mehr droht. Wenn Lies­chen und ihre Kol­legen im Zuge einer Wirt­schafts­krise über ihre even­tu­elle zukünf­tige Arbeits­lo­sig­keit Scherze machen, dann kann man nur so lange dar­über lachen, bis die Arbeits­lo­sig­keit tat­säch­lich ein­tritt. Und wenn Lies­chen über die Miss­ge­schicke eines Kol­legen scherzt, können nur sie und ihre Freunde dar­über lachen, der Kol­lege und seine Freunde wahr­schein­lich weniger.

Die Ein­schät­zung, was ein harm­loser Ver­stoß ist, ist also oft sehr sub­jektiv: Was der eine witzig findet, ist dem anderen pein­lich oder er findet das Thema viel zu ernst bzw. den Witz nicht ange­bracht oder sein Trauma wird getrig­gert oder er hat zu viel Empa­thie mit dem, der zu Schaden gekommen ist, oder oder oder …

Uner­war­tetes, Unge­wöhn­li­ches und Über­ra­schungen

Ich finde, diese Theorie erklärt Humor ganz gut und vor allem auch, warum Humor meis­tens an Uner­war­tetes, Unge­wöhn­li­ches und Über­ra­schungen gekop­pelt ist:

  • So sind Wort­spiele oft des­wegen witzig, weil ein Wort von einem Kon­text uner­wartet in einen anderen Kon­text über­tragen wird:

Was sagt der große Schorn­stein zum kleinen Schorn­stein? – Du bist zu jung zum Rau­chen!

(Hier wech­seln wir durch das dop­pel­deu­tige Wort rau­chen von Schorn­steinen uner­wartet zu einem Erwach­senen und einem Kind.)

  • Doch auch in anderen Fällen kann der uner­war­tete Kon­text- oder Gegen­stands­wechsel witzig sein:

Warum hat der Ele­fant rote Socken an? – Weil seine grünen nass sind!

(Hier ver­la­gern wir den Schwer­punkt uner­wartet vom Tragen der Socken an sich zur Farbe der Socken.)

  • Bei anderen Witzen wird die Norm, gegen die ver­stoßen wird, im Witz selbst auf­ge­baut. Das ist oft bei Witzen der Fall, in denen drei Prot­ago­nisten han­deln, zwei die Regel auf­stellen und der dritte auf über­ra­schende Wiese von dieser Regel abweicht:

Ein Phi­lo­soph, ein Phy­siker und ein Mathe­ma­tiker stehen auf dem Dach eines bren­nenden Hoch­hauses. Vor dem Hoch­haus ist ein Pool, die ein­zige Ret­tungs­mög­lich­keit. Der Phi­lo­soph denkt: „Wenn es einen Gott gibt, dann wird er mir helfen.“ Er nimmt Anlauf, springt und landet weit vom Pool ent­fernt. Der Phy­siker krit­zelt im Notiz­block herum, rechnet, nimmt Anlauf und landet genau in der Mitte des Pools. Dann ist der Mathe­ma­tiker dran. Auch er krit­zelt im Notiz­block herum, rechnet, nimmt Anlauf, springt und fliegt nach oben. – Was ist pas­siert? Vor­zei­chen­fehler!

(Hier stellen der Phi­lo­soph und der Phy­siker die Norm auf, dass die all­ge­meinen Gesetze der Schwer­kraft gelten, und der Mathe­ma­tiker bricht sie durch einen banalen Fehler, den wohl jeder aus dem Mathe­un­ter­richt kennt.)

  • Wie­derum andere Witze über­ra­schen durch kom­plett unvor­her­seh­bare Absur­dität:

Die legen­däre Badfic My Immortal von Tara Gilesbie ist des­wegen so witzig, weil sie völlig sys­tem­frei gegen so ziem­lich alle Prin­zi­pien der Logik, Gram­matik und des guten lite­ra­ri­schen Geschmacks ver­stößt. Aus einem ähn­li­chen Grund konnte ich mich zwei Wochen lang nicht vor Lachen ein­kriegen, nachdem ich den Trailer für den Film Robo Geisha gesehen habe: Bei vielen Skur­ri­li­täten darin fragt man sich ein­fach, was die Macher wohl geraucht haben. Ich sag‘ nur: Steiß­bein­ka­tana.

  • Und schließ­lich muss nicht unbe­dingt etwas plötz­lich pas­sieren oder prä­sen­tiert werden, um witzig zu sein. Manchmal sind unge­wöhn­liche Situa­tionen ein­fach an sich witzig:

Wenn in den Medien 2016 bei­spiels­weise von Rau­fe­reien im bri­ti­schen Regie­rungs­viertel berichtet wurde, bei denen es sogar ein zer­fetztes Ohr gab, und es dabei um die Kater der Dow­ning Street und des Außen­mi­nis­te­riums ging, die sich das Ter­ri­to­rium nicht auf­teilen konnten, dann ist auch das witzig. – Vor allem des­wegen, weil Larry als Chief Mouser to the Cabinet Office und Pal­mer­ston als Chief Mouser of the For­eign & Com­mon­wealth Office for­mell Beamte waren bzw. im Fall von Larry immer noch sind. Es ist eben unge­wöhn­lich, dass Regie­rungs­be­amte sich gegen­seitig die Ohren zer­fetzen und dass Tiere Ämter inne­haben. (Und übri­gens auch twit­tern.)

Schwarzer Humor

Die Theorie vom harm­losen Ver­stoß erklärt auch die kon­tro­verse Natur von schwarzem Humor: Denn Witze über Krank­heit, Tod, Ver­bre­chen und andere trau­ma­ti­sche Dinge und/oder sen­sible Themen wie Reli­gion sind in der Regel mas­sive Ver­stöße, über deren Harm­lo­sig­keit sich debat­tieren lässt. Zwar geht nicht sofort die Welt unter, wenn jemand über den Tod von jemand anderem wit­zelt, aber häufig gibt es zumin­dest emo­tional Ver­letzte.

Das gilt umso mehr, wenn ein Witz sich um aktu­elle Themen dreht: Wenn man Witze reißt über Men­schen, die wäh­rend des Drei­ßig­jäh­rigen Krieges ums Leben gekommen sind, ist das deut­lich harm­loser als Scherze über die Kriege von heute. In ein paar hun­dert Jahren kann es aber sein, dass Witze dar­über völlig unpro­ble­ma­tisch sind, weil die Kata­stro­phen von heute die Men­schen dann nicht mehr allzu sehr betreffen.

Schwarzer Humor geht eben oft mit einer Ver­harm­lo­sung äußerst ernster Themen einher. Daher ist er beson­ders ris­kant und genau des­wegen oft auch beson­ders inter­es­sant.

Formen von Humor in Geschichten

So viel­fältig Humor ist, so viel­fältig sind auch seine Erschei­nungs­formen in Geschichten. Schauen wir uns sechs davon mal genauer an:

Sprüche in Dia­logen

Hier geht es um Witze, die die Figuren machen. Wie nor­male Men­schen eben auch.

Bei­spiel:

»Also die Spit­zen­note ist ›O‹ für ›Ohne­glei­chen‹«, sagte [Her­mine], »und danach kommt ›A‹ -«
»Nein, ›E‹«, kor­ri­gierte George sie, »›E‹ für ›Erwar­tungen über­troffen‹. Ich hab immer gedacht, Fred und ich sollten ein ›E‹ in allem kriegen, weil wir die Erwar­tungen schon über­troffen haben, als wir zu den Prü­fungen auf­ge­taucht sind.«
Joanne K. Row­ling: Harry Potter und der Orden des Phönix, Kapitel: Die Groß­in­qui­si­torin von Hog­warts.

Wäh­rend manche Witze aus dem Mund von Figuren auch ohne Kon­text witzig sein können, ist bei sehr vielen der Kon­text essen­tiell: So ist das Sprach­spiel im Bei­spiel­zitat nur witzig, wenn man weiß, dass es um Schul­noten geht, und mit den Figuren Fred und George Weasley ver­traut ist.

Comic Relief

Hierbei han­delt es sich um eine Figur, die für einen guten Teil der wit­zigen Sprüche oder Hand­lungen in einer Geschichte ver­ant­wort­lich ist. Ein Bei­spiel sind die eben erwähnten Weasley-Zwil­linge. Weil der Comic Relief aber einen eigenen Artikel in der Arche­typen-und-Kli­schees-Reihe ver­dient, würde ich Dich an dieser Stelle erstmal ver­trösten.

Run­ning Gag

Das ist ein „lau­fender“ Witz, der sich im Ver­lauf der Hand­lung ständig wie­der­holt. Dabei muss der Witz am Anfang nicht einmal witzig sein, denn den Groß­teil seiner „Wit­zig­keit“ erhält der Run­ning Gag, wenn er pene­trant auf­taucht. Oft „wit­tern“ die Leser den Run­ning Gag schon von Weitem und können sich im Voraus auf ihn freuen bzw. das Sie­ges­ge­fühl genießen, wenn sie ihn erfolg­reich vor­her­ge­sehen haben. Oder sie werden vom Run­ning Gag immer wieder über­rascht.

Ein Bei­spiel ist das Baby in der Serie Die Dinos, das seinen Vater par­tout nicht „Papa“ nennen will und ihm statt­dessen mit der Pfanne auf den Kopf haut und „Nicht die Mama!“ ruft.

Ansonsten haben wir den Run­ning Gag – und übri­gens auch die manchmal daran gekop­pelte Catch­phrase – schon im Artikel über die Repe­titio und Wie­der­ho­lungen all­ge­mein ange­spro­chen. Daher emp­fehle ich ihn an dieser Stelle für ver­tie­fende Infor­ma­tionen.

Wit­zige Situa­tionen

Manchmal müssen Witze nicht erst gemacht werden. Denn wie im realen Leben auch, kommt es in fik­tiven Werken gerne mal zu Situa­tionen, die schon an sich witzig sind.

Zum Bei­spiel:

Als Paul, der Prot­ago­nist von Im Westen nichts Neues, auf Hei­mat­ur­laub ist und Mit­tel­staedt, einen seiner ehe­ma­ligen Mit­schüler, in der Kaserne besucht, erwartet ihn eine amü­sante Über­ra­schung: Kan­torek, der Klas­sen­lehrer, der Paul und seine Mit­schüler indok­tri­niert hat, damit sie sich frei­willig zum Kriegs­dienst melden, und damit eine Mit­schuld am tra­gi­schen Schicksal seiner Schüler trägt, wurde von seinem Karma ein­ge­holt und selbst zum Kriegs­dienst ein­ge­zogen. Sein befehls­ha­bender Unter­of­fi­zier ist kein anderer als Mit­tel­staedt, einer der Schüler, die er in den Krieg gepre­digt hat. Und der nutzt das auf den Kopf gestellte Hier­ar­chie­ver­hältnis aus für süße Rache. Er schi­ka­niert ihn, lässt ihn schlecht sit­zende Uni­form­teile anziehen, sodass er aus­sieht wie eine Witz­figur, und tadelt ihn:

„Land­sturm­mann Kan­torek, ist das Knopf­putz? Sie scheinen es nie zu lernen. Unge­nü­gend, Kan­torek, unge­nü­gend.“
Ich brülle inner­lich vor Ver­gnügen. Genauso hat Kan­torek in der Schule Mit­tel­staedt geta­delt, mit dem­selben Ton­fall: „Unge­nü­gend, Mit­tel­staedt, unge­nü­gend.“
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues, Kapitel 7.

Es liegt auf der Hand, dass solche Situa­tionen in der Regel einen Kon­text haben, den der Leser kennen muss: Das Bei­spiel von eben ist nur lustig, wenn man weiß, wer Kan­torek und Mit­tel­staedt sind und dass Kan­torek die Strafe durchaus ver­dient hat. Und auch die Erzähl­per­spek­tive muss hier stimmen, denn aus Kan­to­reks Sicht wäre die Szene viel ernster, weil es sich ja um Mob­bing durch einen Vor­ge­setzten han­delt.

Themen und Motive

Eine lus­tige Szene oder eine lus­tige Situa­tion kann sich durchaus als zen­trales Thema oder Motiv durch das gesamte Werk ziehen und in unter­schied­li­chen Formen zum Aus­druck kommen.

Hier zum Bei­spiel der Anfang von Remar­ques Der schwarze Obe­lisk:

Die Sonne scheint in das Büro der Grab­denk­mals­firma Hein­rich Kroll & Söhne. Es ist April 1923, und das Geschäft geht gut. Das Früh­jahr hat uns nicht im Stich gelassen, wir ver­kaufen glän­zend und werden arm dadurch, aber was können wir machen – der Tod ist uner­bitt­lich und nicht abzu­weisen, und mensch­liche Trauer ver­langt nun einmal nach Monu­menten in Sand­stein, Marmor und, wenn das Schuld­ge­fühl oder die Erb­schaft beträcht­lich sind, sogar nach dem kost­baren, schwarzen, schwe­di­schen Granit, all­seitig poliert. Herbst und Früh­jahr sind die besten Jah­res­zeiten für die Händler mit den Uten­si­lien der Trauer – dann sterben mehr Men­schen als im Sommer und im Winter -; im Herbst, weil die Säfte schwinden, und im Früh­jahr, weil sie erwa­chen und den geschwächten Körper ver­zehren wie ein zu dicker Docht eine zu dünne Kerze. Das wenigs­tens behauptet unser rüh­rigster Agent, der Toten­gräber Lie­ber­mann vom Stadt­friedhof, und der muss es wissen; er ist achtzig Jahre alt, hat über zehn­tau­send Lei­chen ein­ge­graben, sich von seiner Pro­vi­sion an Grab­denk­mä­lern ein Haus am Fluss mit einem Garten und einer Forel­len­zucht gekauft und ist durch seinen Beruf ein abge­klärter Schnaps­t­rinker geworden. Das ein­zige, was er hasst, ist das Kre­ma­to­rium der Stadt. Es ist unlau­tere Kon­kur­renz. Wir mögen es auch nicht. An Urnen ist nichts zu ver­dienen.
Erich Maria Remarque: Der schwarze Obe­lisk, Kapitel 1.

Hier werden gleich zwei der wich­tigsten Ele­mente des Set­tings ein­ge­führt: Der Prot­ago­nist arbeitet in einer Grab­denk­mals­firma und es ist das Infla­ti­ons­jahr 1923. Beide Umstände bilden das Grund­rau­schen des Romans und sorgen immer wieder für para­doxe oder ein­fach nur unge­wöhn­liche Situa­tionen und eine gute Por­tion von schwarzem Humor, Ironie und Sar­kasmus: Als „Händler mit den Uten­si­lien der Trauer“ haben der Prot­ago­nist und seine Mit­streiter näm­lich einen recht abge­brühten Blick auf den Tod und was für andere eine tra­gi­sche Aus­nah­me­si­tua­tion dar­stellt, ist für sie Geschäft. Sie nutzen schlaue Stra­te­gien, um gute Preise aus­zu­han­deln, bewerben die Vor­züge von diesem oder jenem Grab­stein und machen sozio­lo­gi­sche Beob­ach­tungen über das Kauf­ver­halten der Hin­ter­blie­benen und über die heuch­le­ri­sche Natur von Todes­an­zeigen. Außerdem schläft ihr ver­bün­deter Sarg­tischler gemüt­lich in den Särgen, die er zim­mert, und die Aus­stel­lung ihrer Grab­steine im Innenhof ist bei gutem Wetter ein Magnet für Lie­bes­pär­chen auf der Suche nach einem stillen Ort für ihre nächt­li­chen Akti­vi­täten. Der Tod ver­liert hier all seine Sakra­lität. Und die Infla­tion, die rasende Ent­wer­tung des Geldes, tut ihr Übriges, indem sie immer wieder skur­rile Situa­tionen und Sach­ver­halte mit­ver­ur­sacht.

Somit erscheint im Schwarzen Obe­lisken kaum noch etwas heilig. Doch so witzig viele der beschrie­benen Situa­tionen auch sind, stehen sie den­noch im Kon­trast zur Sehn­sucht des Prot­ago­nisten nach seiner im Krieg ver­lo­renen Jugend und der „himm­li­schen Liebe“. Somit sorgen diese Motive nicht ein­fach aus Spaß an der Freude für Humor, son­dern leisten einen ent­schei­denden Bei­trag für die Gesamt­aus­sage des Buches.

Rhe­to­ri­sche Mittel

Damit eine wit­zige Situa­tion aber wirk­lich witzig ist, sollte sie auch witzig geschrieben sein. Mehr noch, humor­volle Sprache und Details können auch an sich neu­trale Dinge witzig machen.

So sind heuch­le­ri­sche Todes­an­zeigen an sich zunächst nicht witzig, son­dern eine Tat­sache. Ver­passt man dem Ganzen aber eine Por­tion Ironie, Sar­kasmus und Hyper­beln, also einen Ver­stoß, muss der Leser schmun­zeln:

Es ist später Nach­mittag. Ich lese die Fami­li­en­nach­richten der Zei­tungen und schneide die Todes­an­zeigen aus. Das gibt mir immer den Glauben an die Mensch­heit zurück – beson­ders nach Abenden, an denen wir unsere Lie­fe­ranten oder Agenten bewirten mussten. Wenn es nach den Todes­an­zeigen ginge, wäre der Mensch näm­lich absolut voll­kommen. Es gibt da nur per­fekte Väter, makel­lose Ehe­männer, vor­bild­liche Kinder, unei­gen­nüt­zige, sich auf­op­fernde Mütter, aller­seits betrau­erte Groß­el­tern, Geschäfts­leute, gegen die Fran­ziskus von Assisi ein hem­mungs­loser Egoist gewesen sein muss, güte­trie­fende Gene­räle, mensch­liche Staats­an­wälte, fast hei­lige Muni­ti­ons­fa­bri­kanten – kurz, die Erde scheint, wenn man den Todes­an­zeigen glaubt, von einer Horde Engel ohne Flügel bewohnt gewesen zu sein, von denen man nichts gewusst hat. Liebe, die im Leben wahr­haftig nur selten rein vor­kommt, leuchtet im Tode von allen Seiten und ist das häu­figste, was es gibt. Es wim­melt nur so von erst­klas­sigen Tugenden, von treuer Sorge, von tiefer Fröm­mig­keit, von selbst­loser Hin­gabe, und auch die Hin­ter­blie­benen wissen, was sich gehört – sie sind von Kummer gebeugt, der Ver­lust ist uner­setz­lich, sie werden den Ver­stor­benen nie ver­gessen – es ist erhe­bend, das zu lesen, und man könnte stolz sein, zu einer Rasse zu gehören, die so noble Gefühle hat.
Erich Maria Remarque: Der schwarze Obe­lisk, Kapitel 5.

Du soll­test auch bedenken, dass viele Situa­tionen nur dann witzig sind, wenn man sie sehen kann. Wenn Du mit dem Medium Text arbei­test, musst Du daher auf bild­liche Sprache achten, damit das Kopf­kino des Lesers wit­zige Bilder pro­du­ziert. Ein gutes Mittel dafür sind unter anderem Meta­phern und Ver­gleiche.

Eine wit­zige bild­liche Szene findet sich in Der Weg zurück, der Fort­set­zung von Im Westen nichts Neues:

Der Prot­ago­nist und seine Kame­raden suchen nach den Trau­mata des Ersten Welt­krieges und inmitten der Schwie­rig­keiten der Rück­kehr ins Zivil­leben Zer­streuung und weib­liche Bekannt­schaften in einem Tanz­lokal. Dort findet ein Tanz­wett­be­werb statt, unter anderem auch für den Fox­trott, den die Freunde aber gerade erst ken­nen­ge­lernt haben. Willy und seine Tanz­part­nerin wollen sich der Her­aus­for­de­rung aber trotzdem stellen:

Gerade ruft der Mann mit der Chry­san­theme zur Fox­trott­kon­kur­renz aus. Es melden sich nur wenige Paare. Willy geht nicht, er schreitet zum Par­kett.
»Er hat doch keine Ahnung davon«, prustet Karl.
Gespannt hängen wir über unseren Stühlen, um zu sehen, was das gibt. Die Löwen­bän­di­gerin kommt Willy ent­gegen. Er reicht ihr mit großer Gebärde den Arm. Die Musik beginnt.
In diesem Moment ver­wan­delt Willy sich in ein wild­ge­wor­denes Kamel. Er springt in die Luft und hinkt, hüpft, krei­selt, er schmeißt die Beine und wirft die Dame hin und her, dann rast er im kurzen Schweins­ga­lopp durch den Saal, die Zir­kus­rei­terin nicht vor sich, son­dern neben sich, so daß sie an seinem aus­ge­streckten rechten Arm Klimm­züge macht, wäh­rend er volle Frei­heit nach der andern Seite hat, ohne Sorge, ihr die Füße zu zer­tram­peln. Gleich darauf imi­tiert er ein Karus­sell auf der Stelle, so daß seine Cutschöße waag­recht abstehen, startet im nächsten Moment mit zier­li­chen Hupf­schritten quer übers Par­kett wie ein Zie­gen­bock, der Pfeffer unter dem Schwanz hat, don­nert und wir­belt und tost und schließt end­lich mit einer unheim­li­chen Pirou­ette, bei der er seine Dame hoch durch die Luft schwenkt.
Kein Mensch im Saal zwei­felt daran, einen bisher unbe­kannten Meister des Über­fox­trotts vor sich zu sehen. Willy hat seine Chance erkannt und aus­ge­nützt. Er siegt so über­legen, daß nach ihm eine Zeit­lang erst gar nichts kommt und dann der zweite Preis.
Erich Maria Remarque: Der Weg zurück, Vierter Teil, III.

Wie Du sicher­lich gemerkt hast, spielen rhe­to­ri­sche Stil­mittel bei humor­vollen Szenen oft eine wich­tige Rolle. Des­wegen ver­weise ich an dieser Stille auf meine Artikel-Reihe zu dem Thema, denn darin gehe ich detail­lierter auf Dinge wie Meta­phern, Ironie und ver­schie­dene Arten von Wie­der­ho­lungen und Auf­zäh­lungen ein. Auch ein guter, idea­ler­weise kna­ckiger Schreib­stil ist wichtig. Dazu habe ich eben­falls schon meh­rere Artikel geschrieben. An dieser Stelle daher nur eine Erwäh­nung.

Abschlie­ßende Tipps

Wenn wir das Bis­he­rige also kurz zusam­men­fassen bzw. wei­ter­denken, kommen für das Thema Humor in Geschichten fol­gende Punkte zusammen:

  • Humor ist ein harm­loser Ver­stoß gegen eine oder meh­rere Normen.
  • Damit hängt zusammen, dass der Kon­text dieser Normen vor­handen sein bzw. schon vorher ein­ge­führt werden muss: Der Leser sollte die Figuren und ihre Welt kennen.
  • Auch muss die rich­tige Erzähl­per­spek­tive gewählt sein, damit ein Ver­stoß tat­säch­lich „harmlos“ erscheint, bzw. die Leser­sym­pa­thien gegen­über bestimmten Figuren müssen ent­spre­chend gelenkt werden.
  • Ver­wandt damit ist, dass auch das Ziel­pu­blikum selbst einen Ver­stoß als „harmlos“ emp­finden sollte, wobei unter anderem Kultur, Sub­kultur, Alter, Geschlecht, Sexua­lität, Reli­gion und Gesell­schafts­schicht eine Rolle spielen.
  • Und nicht zuletzt gehört eine humor­volle Stelle in einem Text auch ange­messen sprach­lich ver­packt.

Doch bevor ein „harm­loser Ver­stoß“ über­haupt erst ein­ge­baut werden kann, muss man sich ihn natür­lich aus­denken. Und das ist – so bitter das auch klingt – ein Talent für sich. Ich kann nur emp­fehlen, sich vom realen Leben inspi­rieren zu lassen und vor allem seine Beob­ach­tungs­fä­hig­keit zu schärfen:

Denn unge­wöhn­liche Details, die man zu „harm­losen Ver­stößen“ ver­ar­beiten kann, lauern an jeder Ecke.

  • Manchmal reicht es schon, eine Sache aus einer anderen Per­spek­tive zu betrachten: Ein Kre­ma­to­rium mag ein Kre­ma­to­rium sein, aber aus der Sicht eines Toten­grä­bers ist das „unlau­tere Kon­kur­renz“.
  • Oder man kann Dinge über­treiben und aus einem all­täg­li­chen Cha­rak­ter­mangel eine wit­zige Macke machen wie bei­spiel­weise im Roman Quo vadis? von Henryk Sien­kie­wicz, in dem die Figur Chilon Chi­lo­nides mit krea­tiven Schlei­me­reien um sich wirft.

Mit wie viel Humor Du Dein Werk füt­terst und an wel­chen Stellen Du Witze ein­bringst, ist aber allein Dir über­lassen:

Wie wir schon am Anfang dieses Arti­kels gesehen haben, kann Humor auch an ent­setz­li­chen Stellen ein­ge­bunden werden, um die Dra­matik zu stei­gern.

Auch welche Art von Witzen Du ein­bringst, ist Dir über­lassen:

Zwar wurde ich sei­tens der Krea­tiv­Crew darauf auf­merksam gemacht, dass ein Kin­der­buch zum Bei­spiel „nicht zu derbe sein“ darf, und ich würde dem grund­sätz­lich auch zustimmen. Aber ande­rer­seits gibt es in Kin­der­ge­schichten hin und wieder doch Dinge, die man erst als Erwach­sener ver­steht: Man denke bei­spiels­weise an den Mulan-Zei­chen­trick, in dem die Belei­di­gung „schlappe Nudel“ fällt. Als Kind habe ich mir nichts dabei gedacht. Dabei geht diese Belei­di­gung durchaus unter die Gür­tel­linie.

Bei allem, was es zu bedenken und zu ent­scheiden gilt, hast Du als Schrei­ber­ling aber einen gra­vie­renden Vor­teil:

Du hast alle Zeit der Welt, um Deine Witze zu „polieren“ – beson­ders, wenn Du selbst hur­mor­tech­nisch etwas unter­ta­len­tiert bist oder einer Figur eine andere Art von Humor geben willst als Deine. Du hast alle Zeit der Welt, um die Art von Humor zu recher­chieren, die zu Deinen Figuren passt. Du hast alle Zeit der Welt, um Dich vom realen Leben und den Erzäh­lungen anderer Leute inspi­rieren zu lassen. Und Du hast alle Zeit der Welt, um Test­leser über Deinen Text zu jagen und Feed­back ein­zu­holen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert