Eine interessante Handlung für Dein Buch

Eine interessante Handlung für Dein Buch

Gibt es einen Best­sel­ler-Code? Kann man vor­her­sa­gen, ob ein Buch ein Erfolg wird oder nicht? Jodie Archer und Matthew L. Jockers mei­nen: „Ja.“ Und eins der Kri­tie­ri­en, um einen Best­sel­ler zu lan­den, ist ein inter­es­san­ter Plot, der den Leser emo­tio­nal mit­nimmt und „süch­tig“ macht. In die­sem Arti­kel fas­se ich kurz zusam­men, was nach Archer und Jockers einen best­sel­ler­taug­li­chen Buch-Plot ausmacht.

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Es waren ein­mal zwei Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler. Sie ent­wi­ckel­ten einen Com­pu­ter-Algo­rith­mus, der 5000 Best­sel­ler und Nicht-Best­sel­ler las und ana­ly­sier­te. Dadurch ent­deck­ten sie den soge­nann­ten „Best­sel­ler-Code“: ein Set von Merk­ma­len, die ein Roman auf­wei­sen muss, um sich gut zu verkaufen.

Und eines Tages fan­den sie Ffif­ty Shades of Grey auf ihren Schreib­ti­schen: ein Buch von grau­si­ger Qua­li­tät, das aber trotz­dem zu einem welt­wei­ten Phä­no­men wur­de. Dar­auf war eine Notiz: „Erklä­ren Sie das!“

Und die Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler erklär­ten es: Denn bei all sei­ner Grau­sig­keit hat­te Fif­ty Shades of Grey einen per­fek­ten, „süch­tig“ machen­den Plot. Man kann also sehr viel davon ler­nen – für sei­nen eige­nen, qua­li­ta­tiv hof­fent­lich bes­se­ren Roman.

Im ersten Teil der „Bestseller“-Reihe …

Im ers­ten Teil die­ser Rei­he ging es um eine best­sel­ler­taug­li­che The­men­wahl. Und wir sahen unter ande­rem, dass Sex die Best­sel­ler­wahr­schein­lich­keit eines Buches eher nach unten drückt.

Wie ver­trägt sich das also mit dem welt­wei­ten Erfolg von Fif­ty Shades of Grey?

Nun, zunächst erst­mal ist Sex bei genau­er Betrach­tung tat­säch­lich nur ein unter­ge­ord­ne­tes The­ma im Roman. Zumin­dest pro­zen­tu­al gese­hen stehen

  • das abso­lu­te Top-The­ma mensch­li­che Nähe,
  • ver­trau­te Gesprä­che und
  • non­ver­ba­le Konversation

auf den ers­ten drei Plät­zen. Dabei bil­den Nähe und Inti­mi­tät den zen­tra­len Kon­flikt des Romans, weil Chris­ti­an Grey in Bezug auf fes­te Bezie­hun­gen ein recht pro­ble­ma­ti­scher Herr ist.

Damit hat Fif­ty Shades of Grey trotz hohen Sex-Gehalts the­ma­tisch bereits sehr gute Bestseller-Voraussetzungen.

Und vom Plot her sind sie noch besser …

Ein „guter“ Roman: Kopf vs. Gefühl

Wenn es um die Beur­tei­lung von Qua­li­tät geht, schau­en vie­le Leser und Kri­ti­ker vor­ran­gig auf den intel­lek­tu­el­len Wert von Roma­nen: Sie erwar­ten das Auf­grei­fen rele­van­ter gesell­schaft­li­cher The­men und vir­tuo­sen Sprachgebrauch.

Vie­le Bücher – vor allem sol­che, die sich gut ver­kau­fen – bril­lie­ren aber auf der emo­tio­na­len Ebe­ne.

Hier kann der Leser in ein völ­lig ande­res Leben oder sogar eine ande­re Welt ein­tau­chen. Er kann sei­nen all­täg­li­chen Sor­gen ent­flie­hen und Gefüh­le durch­le­ben, die ihm even­tu­ell sonst feh­len. Vie­le sol­cher Roma­ne bie­ten viel­leicht nicht viel Intel­lek­tu­el­les, aber sie bie­ten Eska­pis­mus. Und das ist es, was vie­le Leser von einem Buch erwarten.

Gefühlsrhythmus

Wie nimmt man sei­ne Leser also emo­tio­nal mit? Wie macht man sie „süch­tig“ nach der Geschich­te? Wie ist ein sol­cher Plot aufgebaut?

Wor­auf es laut Archer und Jockers ankommt, sind Wel­len. Hier wie der Com­pu­ter sie darstellt:

  • Die x‑Achse die­ses Koor­di­na­ten­sys­tems ist die erzähl­te Zeit: die Hand­lung vom Anfang bis zum Ende.
  • Die y‑Achse ist die Stim­mung. 0 ist dabei die unauf­ge­reg­te Stim­mung des nor­ma­len All­tags, ober­halb der Nul­li­nie sind die posi­ti­ven Gefüh­le ange­sie­delt, unter­halb die negativen.

Zeich­net man also das Auf und Ab der Gefüh­le im Ver­lauf einer Geschich­te ein, ergibt sich zum Bei­spiel fol­gen­der Graph:

Eine interessante Handlung für Dein Buch

Die­ser Graph gehört zu Fif­ty Shades of Grey. Was die For­scher hier beob­ach­te­ten, ist ein über­durch­schnitt­lich regel­mä­ßi­ger Rhyth­mus: Es gibt vie­le Ber­ge und Täler, der Graph wech­selt in regel­mä­ßi­gen Abstän­den vom Posi­ti­ven zum Nega­ti­ven (und umge­kehrt) und die­ses ste­ti­ge Anstei­gen und Fal­len ist sehr steil.

Tat­säch­lich beob­ach­te­ten Archer und Jockers einen solch regel­mä­ßi­gen Gefühls­rhyth­mus nur bei einem wei­te­ren Roman: Sakri­leg von Dan Brown – eben­falls ein Best­sel­ler unter Bestsellern.

Die sieben Handlungsgruppen

„Glät­tet“ man den Gra­phen von Fif­ty Shades of Grey ein wenig, wird eine klas­si­sche Drei-Akt-Struk­tur sichtbar:

  • Expo­si­ti­on: Ana lernt Chris­ti­an ken­nen, ist mit sei­nen sexu­el­len Vor­lie­ben jedoch überfordert
    → die Stim­mung nimmt ab
  • Kon­fron­ta­ti­on: Ana freun­det sich mit Chris­ti­ans sexu­el­len Vor­lie­ben all­mäh­lich an und fin­det Gefal­len daran
    → die Stim­mung nimmt zu
  • Auf­lö­sung: Ana kommt mit Chris­ti­ans Bedürf­nis­sen doch nicht klar und ver­lässt ihn
    → die Stim­mung ver­sinkt im Keller

Archer und Jockers stell­ten bei der Ana­ly­se ihrer gesam­ten Stich­pro­be fest, dass es ins­ge­samt sie­ben grund­le­gen­de Hand­lungs­ver­läu­fe gibt:

  • vom Schlech­ten zum Guten,
  • vom Guten zum Schlechten,
  • von einer glück­li­chen Wen­dung ins Unglück und dann wie­der zu einer posi­ti­ven Auflösung,
  • von einer unglück­li­chen Wen­dung ins Glück und dann wie­der ein Absturz,
  • vom Guten zum Guten mit einem wei­te­ren Höhe­punkt in der Mit­te und zwei Tief­punk­ten dazwischen,
  • vom Schlech­ten zum Schlech­ten mit einem Tief­punkt in der Mit­te und zwei Höhe­punk­ten dazwi­schen und
  • vom Guten zum Schlech­ten und dann wie­der zum Guten.

So. Und wel­cher Hand­lungs­ver­lauf ist jetzt der bestsellertauglichste?

Nun, die Wahr­heit ist, dass sich in allen die­sen Hand­lungs­grup­pen Best­sel­ler fin­den.

Damit ist der gro­be Hand­lungs­ver­lauf für die Best­sel­ler­taug­lich­keit eines Buches eher wenig relevant.

Wor­auf es vor allem ankommt, ist, dass die gro­be Drei-Akt-Struk­tur deut­lich ist und bei einem genaue­ren Blick ein regel­mä­ßi­ger emo­tio­na­ler Rhyth­mus rüber­kommt. Und ein der­ma­ßen regel­mä­ßi­ges Auf und Ab der Gefüh­le wie bei Fif­ty Shades of Grey ist tat­säch­lich eher sel­ten anzutreffen.

(Hin­zu kommt noch, dass die Erzähl­per­spek­ti­ve in Fif­ty Shades of Grey per­fekt gewählt ist, um den Fokus auf Anas Gefüh­len zu hal­ten. Mehr dazu in mei­ner Erzähl­ana­ly­se des Romans.)

Eine Achterbahnfahrt

Wir hal­ten also fest: Leser wol­len weder ein „waa­ge­rech­tes“ Vor-sich-hin-Tuckern der Hand­lung noch Geschich­ten mit zu viel Nega­ti­vi­tät oder Posi­ti­vi­tät. Ein idea­ler Plot ist ein regel­mä­ßi­ges Auf und Ab, eine Ach­ter­bahn­fahrt der Gefüh­le. Stei­le Auf- und Abstie­ge sor­gen näm­lich dafür, dass Kon­flik­te immer prä­sent blei­ben und der Leser in stän­di­ger Span­nung gehal­ten wird.

Doch nun stellt sich eine letz­te Frage:

Wie zeich­net man einen sol­chen Hand­lungs­gra­phen selbst?

Handlungsgraph selbst gemacht

Die von Archer und Jockers ent­wi­ckel­te Soft­ware ist nicht die Ein­zi­ge, die Stim­mung mes­sen kann. Soft­ware für Sen­ti­ment Detec­tion bzw. Sen­ti­ment­ana­ly­sen kommt z.B. im Online-Mar­ke­ting zum Ein­satz, um unter ande­rem die Stim­mung in den sozia­len Medi­en zu mes­sen. Manch­mal fin­det man aber auch Tools, die statt einem Social-Media-Kanal oder einem The­ma einen Text auswerten.

Mei­ne Erfah­rung zumin­dest mit kos­ten­lo­sen Tools war jedoch eher ernüchternd:

  • Ers­tens sind sie in der Regel eng­lisch­spra­chig und
  • zwei­tens hat eines der Tools bei einer Sze­ne, die ich dort ein­ge­ge­ben habe, etwas völ­lig Ver­kehr­tes angezeigt:
    In der besag­ten Sze­ne ent­deck­te der Prot­ago­nist die Lei­che sei­ner Gelieb­ten – und das Tool hat­te mir da 100% posi­ti­ve Stim­mung angezeigt.

Aus die­sen Grün­den kann ich an die­ser Stel­le lei­der kei­ne Emp­feh­lun­gen geben. Wenn jemand von euch aber einen Tipp für ein gutes Tool hat: Bit­te, bit­te teilt den Link unten in den Kommentaren!

Kos­ten­pflich­ti­ge Tools dürf­ten ver­läss­li­che­re Ergeb­nis­se lie­fern, aber ich woll­te bis­her noch kein Geld aus­ge­ben. Des­we­gen mache ich die Ana­ly­sen mei­ner Geschich­ten von Hand und schät­ze die Stim­mung Sze­ne für Sze­ne auf einer Ska­la von +100 bis ‑100 ein.

Natür­lich ist auch die­se Metho­de nicht sehr ver­läss­lich, weil die Ergeb­nis­se hier mei­ner Sub­jek­ti­vi­tät aus­ge­lie­fert sind, aber zumin­dest ich selbst konn­te damit bis­her sehr gut arbei­ten. So sub­jek­tiv mei­ne eige­nen Stim­mung­ein­drü­cke auch sein mögen: Pro­ble­ma­ti­sche Stel­len im Gra­phen wer­den trotz­dem sichtbar.

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