„My Immortal“ von Tara Gilesbie

„My Immortal“ von Tara Gilesbie

My Immor­tal ist ein berühmt-berüch­tig­ter Klas­si­ker der Trash-Lite­ra­tur. Im Prin­zip macht die Autorin Tara Giles­bie hier alles falsch, was man nur falsch machen kann. Ist es also über­haupt mög­lich, die­ses Fest der Absur­di­tät lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lich zu ana­ly­sie­ren? – In die­sem Arti­kel wage ich mich an eine Erzähl­ana­ly­se und ent­de­cke die psy­che­de­li­schen Untie­fen die­ses Meisterwerks …

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Es gibt lite­ra­ri­sche Wer­ke, die gut sind. Es gibt lite­ra­ri­sche Wer­ke, die schlecht sind. Es gibt lite­ra­ri­sche Wer­ke, die so schlecht sind, dass sie schon wie­der gut sind. Und es gibt My Immor­tal von Tara Giles­bie – den Trash-Klas­si­ker schlecht­hin, der so grot­ten­schlecht ist, dass er nicht ein­fach nur gut, son­dern geni­al ist.

Vor allem aber: Wenn man da als nerdi­ge klei­ne Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin her­an­geht und die Erzähl­per­spek­ti­ve die­ses berüch­tig­ten Mach­werks ana­ly­sie­ren will, explo­diert einem sehr schnell das Gehirn. Denn die nahe­zu psy­che­de­li­sche Ver­schmel­zung von Autor, Erzäh­ler und Reflek­tor­fi­gur sowie der sich dar­aus erge­ben­de stark meta­lep­ti­sche Cha­rak­ter der extra- und int­ra­die­ge­ti­schen Erzähl­ebe­ne spren­gen die Gren­zen einer jeden Literaturtheorie.

Neh­men wir also die Her­aus­for­de­rung an und ana­ly­sie­ren die Erzähl­per­spek­ti­ve in My Immor­tal. Kennt­nis des Werks wird dabei nicht vor­aus­ge­setzt, denn ers­tens fas­se ich die Hand­lung – wie immer – kurz zusam­men und zwei­tens ist die Hand­lung ohne­hin nicht wirk­lich exis­tent. Von daher: Lehn dich zurück und hal­te eine Kotz­tü­te bereit sowie einen Lap­pen zum Auf­wi­schen der blu­ti­gen Über­res­te Dei­nes Gehirns.

My Immortal: Eine Legende

My Immor­tal ist eine Har­ry Pot­ter-Fan­fic­tion, die von 2006 bis 2007 auf Fan​Fic​tion​.net ver­öf­fent­licht wur­de und aus ins­ge­samt 44 Kapi­teln besteht. Sie gilt als eine der schlech­tes­ten Fan­fic­tions, die je geschrie­ben wur­den, und gera­de das ver­leiht ihr ihren Kult­sta­tus. Vie­le „Fans“ füh­len sich sogar so sehr inspi­riert, dass sie das Werk in ande­re Spra­chen über­set­zen, Fan Art anfer­ti­gen, Lese­insze­nie­run­gen auf You­Tube hoch­la­den und sich an Ver­fil­mun­gen wagen.

Ein wich­ti­ger Bestand­teil der Legen­de My Immor­tal ist die Dis­kus­si­on um die Iden­ti­tät des Autors und die Absicht, die mit die­sem Mach­werk ver­folgt wur­de. Fest steht nur, dass My Immor­tal von einer gewis­sen Tara Giles­bie unter dem User­na­men XXXbloodyrists666XXX geschrie­ben wur­de. Bis an den heu­ti­gen Tag schei­den sich jedoch die Geis­ter, ob Tara ein­fach nur ein Troll war und My Immor­tal somit als Sati­re zu ver­ste­hen ist oder ob Tara tat­säch­lich eine Teen­age­rin war, die ihren wil­den Fan­ta­sien einen viel zu frei­en Lauf gelas­sen hat. Hin und wie­der mel­det sich jemand und behaup­tet, der Autor von My Immor­tal zu sein, doch ein­deu­tig bewie­sen wur­de bis­her nichts. Daher wird Tara wohl für immer ein Mys­te­ri­um bleiben.

Das ver­leiht der Lek­tü­re von My Immor­tal aber auch eine kom­pli­zier­te mora­li­sche Dimen­si­on. Denn wenn es von einem Troll geschrie­ben wur­de – Dann kann man lachen. Wenn aber ein jun­ges Mäd­chen dahin­ter steckt, das die Geschich­te durch­aus ernst mein­te – Dann habe ich mora­li­sche Beden­ken und habe auch ein wenig Sor­ge. Daher an die­ser Stel­le ein klei­ner Hinweis:

Wenn ich in die­ser Ana­ly­se von Tara spre­che, dann rede ich von dem Bild, das ihre Geschich­te und Autoren­kom­men­ta­re ver­mit­teln. My Immor­tal ist objek­tiv grot­ten­schlecht und trebt einem Lach­trä­nen in die Augen, ob man es will oder nicht. Und genau dar­um geht es mir. Nicht um die rea­le Per­son Tara Giles­bie, die vom „Erfolg“ ihrer Fan­fic­tion mög­li­cher­wei­se einen Scha­den davon­ge­tra­gen hat. Ich will sie nicht per­sön­lich angrei­fen und vor allem nicht ihre Intel­li­genz anzwei­feln. Ich genie­ße ein­fach nur ihre legen­dä­re Fan­fic­tion, die ich ehr­lich und auf­rich­tig lie­be. – Ja, die mich in vie­ler­lei Hin­sicht sogar geprägt hat! My Immor­tal ist – wie man so schön sagt – ohne Scheiß eins der wich­tigs­ten lite­ra­ri­schen Wer­ke mei­nes Lebens und dafür bin ich Tara Giles­bie ohne Scheiß dankbar.

Handlung

Wie bereits gesagt, exis­tiert sie nicht wirk­lich. Theo­re­tisch gibt es sie zwar, doch Logik und Kon­ti­nui­tät sucht man hier ver­geb­lich. Das­sel­be gilt auch für die Anknüp­fung an das Ursprungs­ma­te­ri­al von J. K. Row­ling bzw. eher das dar­auf basie­ren­de Film­fran­chise: Die Figu­ren und Orte sind da, aber kaum wiederzuerkennen.

Mit­tel­punkt der Geschich­te ist die Prot­ago­nis­tin Ebo­ny Dark’ness Demen­tia Raven Way. Sie iden­ti­fi­ziert sich mit der Gothic-Kul­tur – oder wie sie es nennt: „gof­fik“ -, kauft am liebs­ten Klei­dung in einer Hot Topic-Filia­le in Hogs­mea­de, ist Vam­pi­rin und Sata­nis­tin und ist im sieb­ten Jahr in Hog­warts, Haus Slytherin.

Die Geschich­te dreht sich um ihre Bezie­hun­gen zu den ver­un­stal­te­ten Ver­sio­nen der Figu­ren aus dem Har­ry Pot­ter-Uni­ver­sum, beson­ders zu ihrem pri­mä­ren Love-Inte­rest Dra­co Mal­foy, der eben­falls ein „Goff“ ist. Ihre Freun­de sind Dra­cos hei­ßer Ex-Freund Har­ry „Vam­pi­re“ Pot­ter, B’loo­dy Mary Smith (ursprüng­lich Her­mi­ne Gran­ger), Ron „Dia­bo­lo“ Weas­ley und ande­re „Goffs“, Vam­pi­re und Sata­nis­ten, die von Gryffin­dor nach Sly­the­rin gewech­selt sind. Außer­dem zählt auch Wil­low, das fik­ti­ve Alter Ego von Taras Beta-Lese­rin Raven, zu Ebo­nys Freund­schafts­kreis. Ebo­nys Gegen­spie­ler sind der Bark Lord Vol­xe­mort und sei­ne Death Deelers, die Gryffin­dor-Schü­le­rin Brit­ney mit ihrem Hil­la­ry Duff-T-Shirt und ande­re soge­nann­te „Preps“, d.h. Nicht-„Goffs“. Außer­dem spie­len auch Figu­ren wie Dum­bel­dork, Pro­fes­sor McGoog­le, Pro­fes­sor Slut­born, Cor­ne­lia Fuck, Hair­grid und Serious Blak, Vam­pi­re Pot­ters „dog­fa­ther“, eine Rolle.

Die Geschich­te besteht im Grun­de aus einer Abfol­ge von sehr detail­lier­ten Beschrei­bun­gen von Out­fits und Make-up, Kon­zert­be­su­chen von „Goffik“-Bands wie My Che­mi­cal Romance in Hogs­mea­de, kin­disch geschrie­be­nen Sex­sze­nen, selbst­ver­let­zen­dem Ver­hal­ten und Sui­zid, sehr abwechs­lungs­rei­chen Belei­di­gun­gen, Mit­tel­fin­gern in Rich­tung der „Preps“ sowie Schie­ße­rei­en mit Pis­to­len. Immer wie­der mischt auch Vol­xe­mort mit und ver­langt, dass Ebo­ny Vam­pi­re Pot­ter tötet, denn sonst wür­de er ihren Freund Dra­co umbrin­gen. Spä­ter stellt sich her­aus, dass Vol­xe­mort nur des­halb so böse ist, weil ein „sexi gof­fik bi guy“ namens Hed­wig ihm wäh­rend sei­ner Schul­zeit das Herz gebro­chen hat. Daher reist Ebo­ny in die 80er Jah­re, um den zukünf­ti­gen Bark Lord Tom Satan Bom­bo­dil zu ver­füh­ren, der damals noch einer der „sexiest goth guyz“ war. Das Epos gip­felt in einer Orgie in der Gro­ßen Hal­le, wäh­rend der der pädo­phi­le „Prep“ Loo­pin gefol­tert wird. Als plötz­lich Vol­xe­mort auf­taucht und alle töten will, schießt Ebo­ny auf ihn mit „ABRA KEDABRA!!!!!!!!!!!11111“.

An die­sem Punkt wur­de die Geschich­te lei­der abge­bro­chen. Den Kom­men­ta­ren der Autorin ist zu ent­neh­men, dass noch ein wei­te­res Kapi­tel geplant war. Doch lei­der wird die Welt wohl nie erfah­ren, ob Ebo­ny Vol­xe­mort besiegt hat oder nicht.

Und wo wir gera­de bei Autoren­kom­men­ta­ren sind …

Autorenkommentare

Jedem Kapi­tel geht ein mit „AN“ (d.h. „Author’s Note“) gekenn­zeich­ne­ter Autoren­kom­men­tar vor­aus, in dem die Autorin sich direkt an die Leser wen­det. Stel­len­wei­se tau­chen die­se Autoren­kom­men­ta­re aber auch im Geschich­ten­text selbst auf. Man erkennt sie meis­tens an einer vor­aus­ge­hen­den Kenn­zeich­nung und/​oder Kursivschift:

„[…] a lot of peo­p­le tell me I look like Amy Lee (AN: if u don’t know who she is get da hell out of here!).“
Kapi­tel 1.

Dar­auf scheint jedoch nicht immer Ver­lass zu sein, denn die Mar­kie­rung mit „AN“ wird oft auch weg­ge­las­sen, eben­so die Kur­siv­schrift, und manch­mal wird die Kur­siv­schrift auch ver­wen­det, wenn ein­deu­tig Ebo­ny spricht:

„B’loody Mary was stan­ding the­re. “Haji­me­mas­hi­te gurl.” she said hap­pi­ly (she spex Japa­ne­se so do i. dat menz ‘how do u do’ in japa­ne­se).“
Kapi­tel 16.

Eine Kenn­zeich­nung durch Klam­mern ist erst recht nicht zuver­läs­sig, da Klam­mern sowohl für Autoren­kom­men­ta­re als auch für zusätz­li­che Details und Erklä­run­gen bei bei­spiels­wei­se Beschrei­bun­gen genutzt werden:

„[…] I go to a magic school cal­led Hog­warts in Eng­land whe­re I’m in the seventh year (I’m seventeen).“
Kapi­tel 1.

In den Anspra­chen vor den Kapi­teln bedankt Tara sich bei ihrer Beta-Lese­rin Raven, ihrem Freund Jus­tin, schwärmt für My Che­mi­cal Romance, berich­tet von ihren Urlau­ben, erpresst die Leser, damit sie ihr gute Reviews hin­ter­las­sen, wehrt sich aggres­siv gegen Kri­tik, gibt ver­tie­fen­de Erläu­te­run­gen zu ein­zel­nen Hand­lungs­ele­men­ten und belei­digt ihre Kri­ti­ker als „Preps“.

Vor allem aber spielt sich hier ein Dra­ma ab: Offen­bar hat Raven Tara ihren Swea­ter nicht wie­der­ge­ge­ben und Tara wie­der­um hat anschei­nend Ravens Pos­ter von Gerard Way von My Che­mi­cal Romance geklaut. Ab Kapi­tel 16 ver­wei­gert Raven Tara ihre Hil­fe bei der Geschich­te und Tara bet­telt sie an, doch bit­te wie­der beta­zu­le­sen. Spä­ter schei­nen das Pos­ter und der Swea­ter wie­der zu ihren recht­mä­ßi­gen Besit­ze­rin­nen zurück­ge­kehrt zu sein und Tara dankt Raven wie­der regel­mä­ßig „4 da help!1“. Ob Raven jedoch wirk­lich wie­der beta­liest, ist frag­lich, weil die unter dem Streit lei­den­de Recht­schrei­bung sich selbst nach der Ver­söh­nung nicht wie­der erholt hat.

Bei Kapi­tel 39 wird Taras Fanfiction.net-Account außer­dem gehackt und der Ein­bre­cher pos­tet sein höchst eige­nes Kapi­tel, in dem Ebo­ny stirbt: Die ver­un­stal­te­ten Figu­ren der ursprüng­li­chen Har­ry Pot­ter-Saga wer­den „ent­g­of­fi­ziert“ und freu­en sich, wäh­rend Ebo­ny in der Höl­le lan­det und bis in alle Ewig­keit „prep­pi­ge“ Out­fits tra­gen muss. Danach pos­te­te der Hacker zwei Kapi­tel, die Tara im Vor­aus hoch­ge­la­den, aber noch nicht ver­öf­fent­licht hat­te. Ab Kapi­tel 41 geht es wie­der mit Tara weiter.

Doch so inter­es­sant der Vor­fall mit dem Hacker-Kapi­tel auch ist, ich wer­de in die­sem Arti­kel nicht wei­ter dar­auf ein­ge­hen, weil es, wenn Tara echt und kein Troll ist, eher eine Fan­fic­tion von My Immor­tal dar­stellt, kei­nen ech­ten Teil des Werkes.

My Immortal: Erzählanalyse

Was nun die Erzählna­ly­se die­ses Meis­ter­wer­kes betrifft, so wird sie durch die Ver­schmel­zung von Autor, Erzäh­ler und Reflek­tor­fi­gur mas­siv erschwert.

Es han­delt sich dabei um einen ganz beson­de­ren Fall eines Self-Insert:

Klas­si­scher­wei­se ist ein soge­nann­ter Self-Insert ein Alter Ego des Autors inner­halb einer Geschich­te. – Also eine Figur, die den Autor reprä­sen­tiert, oft in idea­li­sier­ter Form.

Nichts­des­to­trotz ist ein Self-Insert immer noch nur eine Figur. Nicht ganz so bei Ebo­ny: Natür­lich ist sie eine offen­sicht­li­che Selbst-Idea­li­sie­rung der Autorin, doch die Gren­ze zwi­schen der fik­ti­ven Ebo­ny und der rea­len Tara wird sehr stark ver­wischt:

  • Obwohl sie laut Kapi­tel 1 Ebo­ny Dark’ness Demen­tia Raven Way heißt, sor­gen die häu­fi­gen Tipp­feh­ler nicht nur für eine brei­te Varia­ti­on der Schrei­bung von „Ebo­ny“, son­dern auch für meh­re­re Vari­an­ten ihres Dritt­na­mens: So stellt sie sich in Kapi­tel 16 als „ebon­dy dark’ness demen­tia TARA way“ vor, wird in Kapi­tel 27 und 42 mit „Tara“ ange­spro­chen, in Kapi­tel 37 mit „Tata“ und in Kapi­tel 33 sogar ganz krea­tiv mit „TaE­bo­ry“.
  • Außer­dem ist bei den Kom­men­ta­ren inner­halb des Geschich­ten­tex­tes nicht immer klar, ob sie von Tara oder Ebo­ny kom­men. An fol­gen­der Text­stel­le bleibt zum Bei­spiel offen, wer das Wort „cross“ nicht schrei­ben will: Tara, die die Geschich­te schreibt, oder Ebo­ny, die inner­halb der fik­ti­ven Welt viel­leicht ihre eige­ne Geschich­te auf­schreibt. Eine Kenn­zeich­nung mit „AN“ fehlt und der Text ist auch nicht kur­siv gesetzt:

„I knew Dra­co was pro­ba­b­ly slit­ting his wrists (he wouldn’t die becau­se he was a vam­pi­re too and the only way you can kill a vam­pi­re is with a c‑r-o-s‑s (there’s no way I’m wri­ting that) or a steak) and Vam­pi­re was pro­ba­b­ly wat­ching a depres­sing movie like The Corp­se Bride.“
Kapi­tel 10.

  • Aus der manch­mal feh­len­den Mar­kie­rung der Autoren­kom­men­ta­re erge­ben sich zuwei­len para­do­xe Situa­tio­nen, in denen Ebo­ny bei­spiel­wei­se auf die Har­ry Pot­ter-Fil­me verweist:

„He didn’t have a nose (basi­cal­ly like Vol­de­mort in the movie) and he was wea­ring all black but it was obvious he wasn’t gothic. It was…… Voldemort!“
Kapi­tel 9.

Es liegt also der Schluss nahe, dass Ebo­ny Tara nicht ein­fach reprä­sen­tiert, son­dern Tara ist. Und das mit allem, was dazu­ge­hört: Mit Namen, ihrem Sta­tus als Autorin der Geschich­te und ihrem Wis­sen über Din­ge, die außer­halb der fik­ti­ven Welt liegen.

Mit ande­ren Worten:

My Immor­tal ist nicht ein­fach eine Geschich­te, die Tara um ein idea­li­sier­tes Alter Ego her­um gespon­nen hat, son­dern ver­mut­lich eine direk­te Auf­zeich­nung von Taras rea­len Hor­mon­fan­ta­sien mit all den psy­che­de­li­schen Para­do­xa, die Träu­me und Fan­ta­sien so mit sich bringen.

Wer ist „Ich“?

Dem Gan­zen ste­hen aller­dings zwei Stel­len gegen­über, die theo­re­tisch aus Dra­cos Per­spek­ti­ve geschrie­ben sind:

  • Das ers­te Mal, dass die Reflek­tor­fi­gur wech­selt, ist über­haupt nicht gekenn­zeich­net und man kann das nur aus dem Kon­text schließen:

„“Vam­pi­re, I can’t belie­ve you chea­ted on me with Dra­co!” I shou­ted at him.

Ever­yo­ne gasped.

I don’t know why Ebo­ny was so mad at me. I had went out with Vam­pi­re (I’m bi and so is Ebo­ny) for a while but then he bro­ke my heart. He dum­ped me becau­se he lik­ed Brit­ney, a stu­pid prep­py fucker. We were just good fri­ends now. He had gone through hor­ri­ble pro­blems, and now he was gothic. (Haha, like I would hang out with a prep.)

“But I’m not going out with Dra­co any­mo­re!” said Vampire.

“Yeah fuck­ing right! Fuck off, you bas­tard!” I screa­med. I ran out of the room and into the For­bidden Forest whe­re I had lost my viri­li­ty to Dra­co and then I star­ted to bust into tears.“

Kapi­tel 8.

  • Das zwei­te Mal ist Dra­cos Per­spek­ti­ve gekenn­zeich­net, doch sie geht flie­ßend wie­der in die von Ebo­ny über und zwi­schen­zeit­lich taucht auch ein „Ich“ auf, das weder Dra­co noch Ebo­ny ist:

„DARKO’S PONT OF VIEW LOL

Vam­pi­re and I chaind Hair­grid 2 da floor.

“Oh mi fuck­ing satan!11” Eno­by said. She wuz so hot. “May­be I cud uze Amne­sia poti­on 2 make Satan foll in love wif me faster!1”

“But u r so sexy and won­derful ane­way Tata,” said Vam­pi­re. “Why would u need it?”

“To make ever­y­fing go fas­ter lol.” said Enoby.

“But you wont have to do it wif him or any­fing, will u?” I asked jelosly.

“OMFG u guyz r so scary!11” said Brit­ney, a fuck­ing prep.

“Shut the fuk up!1” said Willow.

“Ok well any­way lets go 2 Pro­fe­sor Trevolry’s room.”

Dra­co, Ebo­ry and I went to Pro­fe­sor Siniater’s room. But Pro­fe­sor Sinis­ter wasn’t the­re. Ins­tead Tom Rid was.

Oh hi fuckers he said. Liz­zen, I got u sum kewl new clovez.

I took out da cloves from da bag. It was a gof­fik blak lea­ther mini­s­kirt that said ‘666’ on da bak, black stil­ton bootz, blood red fish­netz and a blak corset.

“OMG fangz!” I said hug­ging him in a gothic way. I took da clo­thes in da bag.

“OK Pro­fe­sor Sinis­ter isnt hr what the fuk should we do?” asked Dra­co. Sud­den­ly he loked at a sign on da blak wall.“

Kapi­tel 37.

Die­se Stel­len wer­fen die Fra­ge auf:

Wer ist „Ich“ eigent­lich wirk­lich? Wer ist der Erzäh­ler, der so leicht und ohne Ankün­di­gung zwi­schen den Figu­ren umher­hüpft? Steckt die­ses geheim­nis­vol­le „Ich“, viel­leicht sogar hin­ter den Kom­men­ta­ren, die logisch betrach­tet nicht von Ebo­ny kom­men dürf­ten? Oder ist das „Ich“ nur das Bin­de­glied zwi­schen der Autorin und der Protagonistin?

Wir behal­ten die­se Fra­gen im Hin­ter­kopf und ver­su­chen uns an den erzähl­theo­re­ti­schen Model­len von Stan­zel und Genet­te, um uns etwas Klar­heit zu verschaffen.

Analyse nach Stanzel

Begin­nen wir mit Stan­zels Typen­kreis

Grund­sätz­lich liegt in My Immor­tal eine Ich-Erzähl­si­tua­ti­on vor, doch ganz ein­deu­tig ist die Zuord­nung nicht:

  • Bei der Ach­se des Modus, also der Fra­ge, ob eher der Erzäh­ler oder die Reflek­tor­fi­gur im Vor­der­grund steht, implo­diert der Typen­kreis bereits:
    Im Vor­der­grund steht zwar die Reflek­tor­fi­gur Ebo­ny (und an zwei Stel­len Dra­co), doch bei para­do­xen Kom­men­ta­ren, wie dem Ver­weis auf die Har­ry Pot­ter-Fil­me macht sich der Erzäh­ler äußerst sicht­bar und drängt sich damit in den Vordergrund.
  • Bei der Ach­se der Per­son, wo man nach der Iden­ti­tät bzw. Nicht­iden­ti­tät der Seins­be­rei­che von Erzäh­ler und Figu­ren fragt, ist es auch nicht ganz klar:
    Sicher­lich liegt bei Ebo­ny, die eine Figur in der fik­ti­ven Welt und über­wie­gend die Erzäh­le­rin ihrer eige­nen Geschich­te ist, eine Iden­ti­tät der Seins­be­rei­che vor. Bedenkt man aber, dass Ebo­ny wahr­schein­lich Tara ist, liegt auch eine gleich­zei­ti­ge Nicht­iden­ti­tät vor. Also auch hier eine Implosion.
  • Bei der Per­spek­ti­ve fra­gen wir, ob eine Innen- oder Außen­per­spek­ti­ve vor­liegt. Immer­hin ist hier bei My Immor­tal ein kla­rer Fall von Ebo­nys rei­cher Innen­per­spek­ti­ve. Und selbst die bei­den Stel­len aus Dra­cos Per­spek­ti­ve zei­gen sein Innenleben.

Analyse nach Genette

Da Stan­zels Modell zu zwei Drit­teln implo­diert ist, legen wir unse­re Hoff­nun­gen in Genet­te.

Die Foka­li­sie­rung ist intern, weil der Erzäh­ler und Ebo­ny den­sel­ben Wis­sens­stand haben. Selbst wenn der Erzäh­ler in Dra­cos Haut schlüpft, hat der Erzäh­ler den Wis­sens­stand der Reflek­tor­fi­gur, nur dies­mal den von Draco.

Wir haben außer­dem einen kla­ren Fall von einer spä­te­ren Nar­ra­ti­on und einen eben­so kla­ren Fall eines auto­die­ge­ti­schen Erzäh­lers.

Kom­pli­ziert wird es erst bei der Fra­ge nach der Ebe­ne:

  • Ers­tens durch­bricht Tara in den para­do­xen Kom­men­ta­ren, in denen Din­ge ange­spro­chen wer­den, von denen Ebo­ny als Figur der fik­tio­na­len Welt nichts wis­sen dürf­te, die Gren­ze zwi­schen der extra- und der int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne. Sie inji­ziert Din­ge aus der ext­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne wie die Fil­me, auf denen My Immor­tal basiert, in die int­ra­die­ge­ti­sche Ebene.
  • Zwei­tens durch­bricht Ebo­ny in Kom­men­ta­ren, die nicht mit „AN“ gekenn­zeich­net sind, eben­falls die Gren­ze zwi­schen der extra- und der int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne, indem sie die Leser auf der ext­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne von der int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne aus anspricht:

„“OMFG I can get u bak 2gether!” I said fin­ge­ring some­thing I didn’t know wuz in my pocket- a blak Kute is What we Aim 4 cideo ipod that I could take vide­os wif (duz ne1 elze no about dem??? dey kik azz!!!!).“
Kapi­tel 41.

  • Drit­tens wird die­ser Bruch noch sicht­ba­rer bei sol­chen Autoren­kom­men­ta­ren, in denen Tara expli­zit auf die Kri­tik ihrer Leser ein­geht und die durch die unein­deu­ti­ge Kenn­zeich­nung zumin­dest rein tech­nisch betrach­tet weder der intra- noch der ext­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne zuge­ord­net wer­den können:

„“Why didn’t you fuck­ing tell me!” he shou­ted. “How could you- you- you fuck­ing poser mugg­le bitch!” (c is dat out of cha­rac­ter?)
Kapi­tel 10.

  • Vier­tens ent­hält die ext­ra­die­ge­ti­sche Ebe­ne hin und wie­der wich­ti­ge Ergän­zun­gen zur int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne, ohne dass sie Teil der Erzäh­lung sind:

Da only reson Dum­ble­de­or swor is coz he had a heda­che ok an on tup of dat he wuz mad at dem 4 having sexx!
„AN“ zu Kapi­tel 5.

  • Fünf­tens beein­flus­sen die Dra­men auf der ext­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne die Hand­lung auf der int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne, beson­ders auf­fäl­lig wäh­rend des Streits mit Raven.

Im Kom­men­tar zu Kapi­tel 16 wird bereits deut­lich, dass Tara und Raven sich im Kriegs­mo­dus befinden:

raven u suk u fuken bich gim­me bak mah fuki­jn swteet ur supsd 2 rit dis! Raven wtf u bich ur suposd to dodis!
„AN“ zu Kapi­tel 16.

Im eigent­li­chen Kapi­tel wird Ravens fik­ti­ves Alter Ego Wil­low von der Schu­le ver­wie­sen, von B’loody Mary ermor­det und ihre Lei­che von Loo­pin vergewaltigt:

„B’loody Mary was stan­ding the­re. “Haji­me­mas­hi­te gurl.” she said hap­pi­ly (she spex Japa­ne­se so do i. dat menz ‘how do u do’ in japa­ne­se). “BTW Wil­low that fuck­ing poser got expuld. she fai­led al her klas­ses and she skep­ped math.” (an: RAVEN U FUKIN SUK! FUK U!)

“It ser­ves that fuking bich right.” I laug­hed angrily.

Well any­way we whe­re felling all deprez­zed. We wut­sched some gof­fic movies like Das nite­MA­RE b4 xmas. “May­be Wil­low will die too.” I said.

“Kawai.” B’loody Mair shook her head enrg­tical­ly leth­rig­cly. “Oh yeah o have a con­fes­si­on after she got expuld I mur­de­red her and den loo­pin did it with her cau­se he’s a necphilak.”

“Kawai.” I commnted hap­pi­ly . We tal­ked to each other in silence for da rest uv da movie.“

Kapi­tel 16.

Als Tara im Kom­men­tar zu Kapi­tel 17 sich mit Raven wie­der ver­söh­nen will, taucht Wil­low ohne Erklä­rung plötz­lich wie­der in der Geschich­te auf, als wäre nichts geschehen.

Was haben wir durch Genet­tes Modell also erkannt?

My Immor­tal ist sehr stark metaleptisch.

Und damit wis­sen wir jetzt, wo wir hin­schau­en müs­sen, um die Natur des Ich-Erzäh­lers von My Immor­tal zu begrei­fen:

Das Geheim­nis liegt in den Erzählebenen.

Das ist auch der Grund, war­um Stan­zels Typen­kreis bei My Immor­tal so spek­ta­ku­lär implo­diert: Erzähl­ebe­nen sind ein­fach kein geson­der­ter Teil des Modells, son­dern sind in den Erzähl­si­tua­tio­nen impli­zit ent­hal­ten. Der Typen­kreis wur­de ein­fach nicht erschaf­fen, um sol­che Absur­di­tä­ten zu handhaben.

Autor, Erzähler, Leser

Grund­sätz­lich ver­die­nen die Erzähl­ebe­nen einen eigen­stän­di­gen Arti­kel. – Und wenn ich von Erzähl­ebe­nen spre­che, mei­ne ich nicht nur die Ebe­nen nach Genet­tes Modell, son­dern ein tie­fer­ge­hen­des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dell, näm­lich das von Wolf Schmid. Da die­ser Arti­kel sich aber noch in der Pla­nung befin­det, hier ein klei­ner Crashkurs:

"My Immortal" von Tara Gilesbie
Schmids Modell der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ebe­nen, ver­ein­facht von Fea­el Sil­ma­ri­en | Wolf Schmid: Ele­men­te der Nar­ra­to­lo­gie, 2. Auf­la­ge von 2008, Kapi­tel: II. Die Instan­zen des Erzählwerks.

Wenn ein kon­kre­ter Mensch ein lite­ra­ri­sches Werk schreibt, gibt er – oft unwill­kür­lich – Din­ge über sich selbst preis. Das so ent­stan­de­ne Abbild des Autors ist aber natür­lich frag­men­ta­risch. Des­we­gen ist der Autor, den wir durch sein Werk wahr­zu­neh­men glau­ben, nicht die kon­kre­te Per­son hin­ter dem Werk, son­dern der abs­trak­te Autor.

Der Autor erschafft also nun ein lite­ra­ri­sches Werk und hat dabei in der Regel irgend­ei­ne Vor­stel­lung vom Leser. Wie auch beim kon­kre­ten und abs­trak­ten Autor, deckt sich die­se Vor­stel­lung nicht immer mit dem rea­len kon­kre­ten Leser. Somit kom­mu­ni­zie­ren Autoren und Leser lite­ra­ri­scher Wer­ke mit abs­trak­ten Vor­stel­lun­gen voneinander.

Inner­halb des lite­ra­ri­schen Werks befin­det sich die dar­ge­stell­te Welt. Hier bewe­gen sich der fik­ti­ve Erzäh­ler und der fik­ti­ve Leser. Wenn es im Herrn der Rin­ge bei­spiels­wei­se heißt:

„Selbst in den alten Zei­ten emp­fan­den sie in der Regel Scheu vor dem „Gro­ßen Volk“, wie sie uns nen­nen, und heu­te mei­den sie uns voll Schre­cken und sind nur noch schwer zu finden.“
J. R. R. Tol­ki­en: Der Herr der Rin­ge: Die Gefähr­ten, Ein­füh­rung: Über Hobbits.

Dann sind mit „uns“ sowohl der fik­ti­ve Erzäh­ler als auch der fik­ti­ve Leser gemeint, die bei­de in einer Welt leben, in der die Hob­bits tat­säch­lich exis­tie­ren. Der rea­le Autor und der rea­le Leser leben natür­lich nicht in die­ser Welt.

Der fik­ti­ve Erzäh­ler erzählt dem fik­ti­ven Leser also nun die Geschich­te und die­se spielt in der erzähl­ten Welt. Es ist die int­ra­die­ge­ti­sche Ebe­ne – also die Ebe­ne, auf der in Ebo­ny Dark’ness Demen­tia Raven Way den gof­fi­zier­ten Figu­ren des Har­ry Pot­ter-Uni­ver­sums die Köp­fe verdreht.

Die ext­ra­die­ge­ti­sche Ebe­ne hin­ge­gen ist die des fik­ti­ven Erzäh­lers und fik­ti­ven Lesers, also die dar­ge­stell­te Welt. – Doch als ob es nicht genü­gen wür­de, dass in My Immor­tal die Gren­ze zwi­schen der extra- und int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne durch­bro­chen wird, geht die­ses Meis­ter­werk sogar noch einen Schritt wei­ter und durch­bricht die Gren­ze zwi­schen der dar­ge­stell­ten Welt und der rea­len Welt, in der das lite­ra­ri­sche Werk existiert.

Zuge­ge­ben, die­ser zwei­te Ebe­nen­bruch ist nur teil­wei­se Taras Ver­dienst. Der Haupt­übel­tä­ter ist hier das Inter­net. Denn die gan­zen aka­de­mi­schen Model­le, wur­den erschaf­fen, um Bücher zu ana­ly­sie­ren. Das heißt: Zumin­dest dem vor­lie­gen­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dell liegt die Annah­me zugrun­de, dass der kon­kre­te Autor und der kon­kre­te Leser mit­ein­an­der nicht in direk­ten Kon­takt tre­ten. Nun wur­de My Immor­tal aber – in tra­di­tio­nel­ler Fan­fic­tion-Manier – nach und nach und Kapi­tel für Kapi­tel ver­öf­fent­licht, wäh­rend all die kon­kre­ten Leser das bereits ver­öf­fent­lich­te Mate­ri­al kom­men­tiert haben. Die kon­kre­te Autorin Tara ant­wor­tet den kon­kre­ten Lesern in den Autoren­kom­men­ta­ren, die ja teil­wei­se im Geschich­ten­text selbst ste­hen und nicht immer als sol­che gekenn­zeich­net sind. Davon, dass der Streit zwi­schen der rea­len Tara und der rea­len Raven und die Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den Kri­ti­kern der Geschich­te den Ver­lauf der Geschich­te in der erzähl­ten Welt beein­flus­sen, ganz zu schweigen.

"My Immortal" von Tara Gilesbie
In My Immor­tal wird nicht ein­fach nur eine vier­te Wand auf­ge­bro­chen: Es wer­den alle Wän­de niedergerissen.

Fast scheint es, als wür­de die dar­ge­stell­te Welt hier tat­säch­lich ent­fal­len: Es gibt nicht wirk­lich einen fik­ti­ven Leser, denn Tara wen­det sich ja stets an die kon­kre­ten Leser, und einen fik­ti­ven Erzäh­ler gibt es auch nicht, denn der wur­de ja von der kon­kre­ten Autorin absor­biert. Somit ist My Immor­tal ein fik­tio­na­les Werk und eine rea­le Kor­re­spon­denz zugleich. Hier wird nicht ein­fach nur eine vier­te Wand auf­ge­bro­chen: Es wer­den alle Wän­de niedergerissen.

Und das geheim­nis­vol­le „Ich“? – Das ist Tara. Denn, wie bereits fest­ge­stellt, My Immor­tal ist eine direk­te Auf­zeich­nung von Taras rea­len Hor­mon­fan­ta­sien. Und inner­halb die­ser Fan­ta­sien ist sie nicht ein­fach nur Ebo­ny. Sie ist die fik­ti­ve Welt selbst, ihre Göt­tin, die will­kür­lich ins Inne­re der Figu­ren ein­drin­gen kann und sich an einer Stel­le sogar selbst neben Ebo­ny und Dra­co als drit­te Per­son mani­fes­tiert. Weil sie ja den fik­ti­ven Erzäh­ler absor­biert hat, gibt es sonst nie­man­den, der für das „Ich“ infra­ge käme.

Damit schafft Tara Giles­bie etwas, das ich lan­ge Zeit für undenk­bar und auch unmög­lich hielt. Dabei ist es wenig rele­vant, ob Tara My Immor­tal tat­säch­lich ernst gemeint oder die Inter­net­ge­mein­de ein­fach nur getrollt hat: Die direk­te Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Lesern und der Ein­fluss der Leser auf die Geschich­te ist so oder so da. Bloß gäbe es im Fal­le des Trolls tat­säch­lich eine klar sicht­ba­re Tren­nung zwi­schen dem kon­kre­ten Autor (Troll) und dem abs­trak­ten Autor (Tara) und nur der abs­trak­te Autor wür­de den fik­ti­ven Erzäh­ler absorbieren.

Fazit und Ausblick

Für mich theo­rie­ver­lieb­te Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin stellt My Immor­tal im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes eine bewusst­seins­er­wei­tern­de Erfah­rung dar und ich bin mir sicher, dass die Tech­ni­ken, die Tara ver­mut­lich unwis­sent­lich anwen­det, in den Hän­den eines fähi­ge­ren Autors ein mäch­ti­ges Werk­zeug sein könn­ten.

Fas­zi­nie­rend ist My Immor­tal auch als authen­ti­sche Auf­zeich­nung von mensch­li­chen Fan­ta­sien. Denn ehr­lich: Wir alle haben skur­ri­le Fan­ta­sien, die wir aus guten Grün­den für uns behal­ten. Das bedeu­tet aber auch, dass sie nur bedingt erforscht wer­den kön­nen. My Immor­tal hin­ge­hen ist, sofern es sich nicht um das Werk eines Trolls han­delt, ein unge­fil­ter­ter Ein­blick in die Tag­träu­me eines ver­mut­lich 13- bis 14-jäh­ri­gen Mäd­chens. – Und ganz ehr­lich, mei­ne Fan­ta­sien in dem Alter waren auch nicht viel bes­ser, nur etwas jugend­frei­er und mono­ga­mer, weil ich trotz schwar­zer Klei­dung und Nie­ten­arm­bän­dern eine eher roman­ti­sche Natur war. Kurzum:

Es wür­de mich bren­nend inter­es­sie­ren, wel­che Erkennt­nis­se die Kol­le­gen aus der Psy­cho­lo­gie, Psy­cho­ana­ly­se und der phi­lo­so­phi­schen Anthro­po­lo­gie aus My Immor­tal gewin­nen würden.

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