„Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien

„Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien

War­um fühlt sich Tol­ki­ens Herr der Rin­ge wie eine rich­ti­ge Legen­de an? Die Erzähl­per­spek­ti­ve spielt hier eine wich­ti­ge Rol­le. In die­sem Arti­kel ana­ly­sie­re ich die Mut­ter aller High-Fan­ta­sy-Sagas unter Zuhil­fe­nah­me der Model­le von Stan­zel und Genet­te. Der geneig­te Leser ist herz­lich ein­ge­la­den, die­se Ana­ly­se zu nut­zen, um das Erzäh­len zu ler­nen und sein eige­nes Buch bes­ser zu schreiben.

(In der Video-Ver­si­on die­ses Arti­kels hat sich bei Genet­tes Kate­go­rie der Ebe­ne lei­der ein Feh­ler ein­ge­schli­chen. Ich kann ihn lei­der nicht mehr kor­ri­gie­ren. Des­we­gen emp­feh­le ich, sich bei die­sem Punkt an die Text-Ver­si­on zu hal­ten. Ich bit­te um Ent­schul­di­gung für die Umstände.)

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Der Herr der Rin­ge ist die Mut­ter aller High-Fan­ta­sy-Sagas. Mehr noch, damit hat Tol­ki­en im Prin­zip das High-Fan­ta­sy-Gen­re, wie wir es heu­te ken­nen, begründet.

Dabei ist Der Herr der Rin­ge Teil einer regel­rech­ten Mytho­lo­gie aus meh­re­ren Wer­ken. Das sind unter ande­rem der Roman Der Hob­bit und die Legen­den­samm­lung Das Sil­ma­ril­li­on. All die Geschich­ten die­ser Mytho­lo­gie wer­den unter dem Begriff „Legen­da­ri­um“ zusam­men­ge­fasst. Hand­lungs­ort all die­ser „Legen­den“ ist eine pseu­do-mit­tel­al­ter­li­che Fan­ta­sy-Welt, und die meis­ten Geschich­ten spie­len auf dem Kon­ti­nent Mittelerde.

Worum geht es im Herrn der Ringe?

Vom Plot her geht es im Herrn der Rin­ge um die Ret­tung der Welt: Mit­tel­er­de wird vom dunk­len Herr­scher Sau­ron bedroht. Die­ser kann nur besiegt wer­den, wenn der Eine Ring im Schick­sals­berg ver­nich­tet wird. Dazu wer­den der Halb­ling Fro­do und meh­re­re Gefähr­ten auf eine Quest geschickt.

Par­al­lel zur Haupt­hand­lung wird mas­si­ves World-Buil­ding betrie­ben. Es gibt zahl­rei­che Ras­sen, Völ­ker, Kul­tu­ren, Spra­chen und Krea­tu­ren. Aller­dings ist die­se Welt von einem klas­si­schen Gut-Böse-Sche­ma geprägt mit Sau­ron, sei­nen Orks und den bösen Men­schen auf der einen Sei­te und den frei­en Völ­kern wie den Elben, den guten Men­schen, den Hob­bits und den Zwer­gen auf der ande­ren. Die­se „guten“ Figu­ren haben oft aber auch Schwä­chen: Zum Bei­spiel las­sen sie sich durch­aus vom Einen Ring kor­rum­pie­ren und machen dann weni­ger gute Din­ge. Das ist mit­un­ter ein Grund, war­um die Gemein­schaft um Fro­do schließ­lich aus­ein­an­der­bricht und die ein­zel­nen Mit­glie­der der Gemein­schaft ihren Weg eigen­stän­dig fort­set­zen. Sie alle erle­ben ihre eige­nen Aben­teu­er und die Hand­lung fin­det somit par­al­lel an meh­re­ren Orten statt.

Besonderheiten des Herrn der Ringe

Es fällt schnell auf, dass Der Herr der Rin­ge als Frag­ment eines fik­ti­ven Buches (des Roten Buches der West­mark) sti­li­siert ist: Die Figu­ren haben in der Ver­gan­gen­heit Aben­teu­er bestan­den und die­se Aben­teu­er wur­den spä­ter auf­ge­schrie­ben. Damit rutscht der Erzäh­ler gewis­ser­ma­ßen in die Rol­le des Her­aus­ge­bers bzw. Über­set­zers (ins Eng­li­sche bzw. Deutsche).

Wie bereits ange­deu­tet, hat der Roman vie­le Reflek­tor­fi­gu­ren. Dazu zählt natür­lich der Prot­ago­nist Fro­do, aber auch sei­ne Freun­de Sam, Mer­ry und Pip­pin, Ara­gorn, Gim­li … Sie alle haben ihre Geschich­ten, die im Herrn der Rin­ge erzählt wer­den.

Beson­ders auf­fäl­lig sind die vie­len Bin­nen­er­zäh­lun­gen im Roman. Aber auch vie­le für den Plot völ­lig irrele­van­te Abschwei­fun­gen wie Land­schafts­be­schrei­bun­gen fal­len ins Auge sowie Aben­teu­er, die für die spä­te­ren Ereig­nis­se eigent­lich kei­ne Rol­le spielen.

Der Herr der Ringe in Stanzels Typenkreis

Im Herrn der Rin­ge herrscht eine aukt­oria­le Erzähl­si­tua­ti­on. Der Erzäh­ler weiß bei­spiels­wei­se Din­ge, die die Figu­ren nicht wis­sen kön­nen, und gibt Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen. Zwei Beispiele:

„Er frag­te sich, wo Fro­do wohl sei, ob er schon in Mordor oder tot sei; und er wuss­te nicht, daß Fro­do von fer­ne den­sel­ben Mond betrach­te­te, der hin­ter Gon­dor unter­ging, ehe der Tag anbrach.“
5. Buch, 1. Kapi­tel: Minas Tirith.

„Weder er noch Fro­do wuß­ten etwas von den gro­ßen Fel­dern weit im Süden des aus­ge­dehn­ten Reichs, die von Höri­gen bestellt wur­den, jen­seits des qual­men­den Bergs an den dunk­len, trau­ri­gen Gewäs­sern des Núrnen-Meers […]“
6. Buch, 2. Kapi­tel: Das Land des Schat­tens.

Neutralität und Subjektivität

Der Herr der Rin­ge wird zum gro­ßen Teil berich­tend-neu­tral erzählt. So auch im ers­ten Kapitel:

„Als Herr Bil­bo Beut­lin von Beu­tel­send ankün­dig­te, daß er dem­nächst zur Fei­er sei­nes ein­un­delf­zigs­ten Geburts­ta­ges ein beson­ders präch­ti­ges Fest geben wol­le, war des Gere­des und der Auf­re­gung in Hob­bin­gen kein Ende.“
1. Buch, 1. Kapi­tel: Ein lang­erwar­te­tes Fest.

Wir haben hier All­wis­sen und einen berich­tend-neu­tra­len Stil, aber es gibt auch Stel­len wie die­se hier:

„Hin­auf und immer wei­ter hin­auf stieg er. Es war dun­kel bis auf eine Fackel dann und wann, die an einer Keh­re fla­cker­te oder neben irgend­ei­ner Öff­nung, die zu den obe­ren Stock­wer­ken des Turms führ­te. Sam ver­such­te, die Stu­fen zu zäh­len, aber als er bei zwei­hun­dert ange­langt war, kam er durch­ein­an­der. Er ging jetzt ganz lei­se; denn er glaub­te Stim­men zu hören, die irgend­wo oben spra­chen. Offen­bar ist doch mehr als eine Rat­te am Leben geblieben.“
6. Buch, 1. Kapi­tel: Der Turm von Cirith Ungol.

Was an die­ser Pas­sa­ge auf­fällt, sind zum Bei­spiel sehr unge­fäh­re Anga­ben wie: „bis auf eine Fackel dann und wann“. Wir erfah­ren auch, dass Sam ver­sucht die Stu­fen zu zäh­len. Die­se Infor­ma­ti­on ist für den Plot irrele­vant, aber sie bie­tet einen Ein­blick in das Inne­re der Reflek­tor­fi­gur. Wir erfah­ren außer­dem, dass Sam glaubt Stim­men zu hören. Hier schraubt der Erzäh­ler sein Wis­sen zurück, denn wir erfah­ren nicht, ob die Stim­men tat­säch­lich zu hören sind. Und schließ­lich bli­cken wir sogar direkt in Sams Gedan­ken­welt: Das Wort „offen­bar“ bezeich­net eine sub­jek­ti­ve Ver­mu­tung und „Rat­ten“ als Umschrei­bung für Orks ist auch sehr sub­jek­tiv eingefärbt.

Die­se Pas­sa­ge ist ein Bei­spiel dafür, wie ein­zel­ne Figu­ren regel­mä­ßig in den Vor­der­grund tre­ten. Der Erzäh­ler rutscht immer wie­der in den Bereich des per­so­na­len Erzäh­lers. Ja, über­wie­gend haben wir einen Erzäh­ler, der „Ich“ sagt und sich als Her­aus­ge­ber bzw. Über­set­zer einer Legen­de aus­gibt, aber der Erzäh­ler ist auch dyna­misch und wird bei Bedarf personal.

Der Typenkreis

Wenn man die­se Beob­ach­tun­gen nun in den Typen­kreis ein­trägt, ergibt sich fol­gen­des Bild:

  • Wir haben einer­seits das aukt­oria­le Herausgeber-Ich,
  • ande­rer­seits haben wir die gele­gent­li­che Ten­denz zum per­so­na­len Erzähler.

"Der Herr der Ringe" von J. R. R. Tolkien

Mit ande­ren Worten:

  • Auf der Ach­se des Modus steht der Erzäh­ler im Vor­der­grund, aber bei Bedarf schwingt der Fokus über zur Reflektorfigur.
  • Auf der Ach­se der Per­son haben wir eher eine Nicht­iden­ti­tät der Seins­be­rei­che von Erzäh­ler und Figuren.
  • Auf der Ach­se der Per­spek­ti­ve haben wir eine Ten­denz zur Außenperspektive.

Analyse des Herrn der Ringe nach Genette

In Bezug auf die Stim­me lässt sich feststellen:

  • Wir haben eine spä­te­re Nar­ra­ti­on, d.h. eine Erzäh­lung in der Vergangenheitsform.
  • Wir haben wech­seln­de Ebe­nen:
    Wie bereits erwähnt, erfolgt die Expo­si­ti­on sehr stark durch meta­die­ge­ti­sche Pas­sa­gen bzw. Binnenerzählungen.

Ein Bei­spiel dafür ist das Kapi­tel „Der Rat von Elrond“, ein regel­rech­tes Bio­top von Bin­nen­er­zäh­lun­gen. Ein Bei­spiel daraus:

„Es ist jetzt vie­le Jah­re her“, sag­te Glóin, „daß ein Schat­ten der Unru­he auf unser Volk fiel. Woher er kam, haben wir zuerst nicht erkannt. […]“
Buch, 2. Kapi­tel: Der Rat von Elrond.

Und der letz­te Punkt zur Stimme:

  • Der Erzäh­ler ist hete­ro­die­ge­tisch. Er lebt zwar in der­sel­ben Welt wie die Figu­ren, aber zu einem spä­te­ren Zeitpunkt.

In Bezug auf den Modus stellt man fest, dass die Erzäh­lung eine varia­ble Foka­li­sie­rung auf­weist. Sie beginnt mit einer berich­tend-neu­tra­len Null­fo­ka­li­sie­rung, wech­selt aber spä­ter immer mehr und immer öfter in die inter­ne Foka­li­sie­rung, zum Bei­spiel dann, wenn Span­nung erzeugt wer­den soll. Eine Distanz zur Figur wird aber immer noch gewahrt: Der Her­aus­ge­ber-Erzäh­ler bleibt nach wie vor sehr präsent.

„Aber jetzt merk­te er, daß sei­ne Knie zit­ter­ten, und er wag­te nicht, nah genug zu dem Zau­be­rer hin­zu­ge­hen, um das Bün­del zu erreichen.
[…]
Pip­pin hat­te die Knie ange­zo­gen und hielt den Ball zwi­schen ihnen. Er beug­te sich tief dar­über und sah aus wie ein nasch­haf­tes Kind, das sich in einem Win­kel fern von den ande­ren über eine Schüs­sel mit Essen hermacht.“
Buch, 11. Kapi­tel: Der Palan­tír.

Ja, wir haben hier die sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung von Pip­pin und wir bekom­men einen Ein­blick in sein Innen­le­ben, aber gleich­zei­tig sehen wir ihn auch von außen. Damit ist und bleibt der Erzäh­ler eher null­fo­ka­li­siert trotz eini­ger Abschwei­fun­gen in die inter­ne Fokalisierung.

Starke Präsenz des Erzählers

Noch mehr zeigt sich die Prä­senz des Erzäh­lers, wenn er aus­drück­lich Pas­sa­gen aus der Erzäh­lung weg­lässt, zum Bei­spiel hier:

„Dann spür­te er in all den Jah­ren, die folg­ten, dem Ring nach, aber da die­se Geschich­te anders­wo erzählt ist und Elrond sie selbst in sei­nen Geschichts­bü­chern auf­ge­zeich­net hat­te, soll sie hier nicht wie­der­holt werden.“
Buch, 2. Kapi­tel: Der Rat von Elrond.

Beson­ders auf­fäl­lig wird der Her­aus­ge­ber-Erzäh­ler aber in der Ein­füh­rung. Denn hier gibt es die­sen Satz:

„Selbst in den alten Zei­ten emp­fan­den sie in der Regel Scheu vor dem „Gro­ßen Volk“, wie sie uns nen­nen, und heu­te mei­den sie uns voll Schre­cken und sind nur noch schwer zu finden.“
Ein­füh­rung: Über Hob­bits.

Hier beschreibt der Erzäh­ler die Ras­se der Hob­bits und ist dabei gewis­ser­ma­ßen ein Ich-Erzäh­ler bzw. ein homo­die­ge­ti­scher Erzäh­ler. Er zählt sich und den Leser offen­bar zur Ras­se der Men­schen. Der Erzäh­ler ist tech­nisch gese­hen natür­lich Teil der erzähl­ten Welt, aber er erschafft die Illu­si­on, er und der Leser wür­den sich in der­sel­ben Welt befin­den. Damit arbei­tet der Roman mit einer Meta­lep­se, also der Ver­mi­schung der nar­ra­ti­ven Ebenen.

Tat­säch­lich ist Tol­ki­ens fik­ti­ve Welt als Mytho­lo­gie für unse­re Welt kon­zi­piert. Das heißt: Wir leben in der­sel­ben Welt, in der die Ereig­nis­se im Herrn der Rin­ge statt­fin­den – nur, dass wir uns in der Zukunft befin­den. Damit wird das Legen­da­ri­um Teil unse­rer Welt und wir Leser wer­den Teil des Legendariums.

Die Wirkung des Erzählers im Herrn der Ringe

Der Effekt, den Tol­ki­en mit sei­ner Erzähl­wei­se erreicht, ist, dass der Plot klar und line­ar ver­läuft. Durch die aukt­oria­len Abschwei­fun­gen und die vie­len Bin­nen­er­zäh­lun­gen wird mas­si­ves World-Buil­ding betrie­ben. Span­nung wird erzeugt, indem der Leser gele­gent­lich in den Hin­ter­grund tritt. Dadurch, dass der Erzäh­ler sich als Her­aus­ge­ber aus­gibt, ent­steht das Gefühl, in eine ech­te Legen­de aus der rea­len Welt ein­zu­tau­chen. Durch die vie­len Per­spek­ti­ven und die par­al­le­len Hand­lungs­strän­ge ergibt sich ein gro­ßes Epos.

Damit ist die Erzähl­per­spek­ti­ve in Der Herr der Rin­ge klar auf World-Buil­ding und Mytho­poe­sie aus­ge­rich­tet und erzeugt die Illu­si­on einer rich­ti­gen Legen­de bzw. einer ech­ten Mytho­lo­gie. Durch die Dyna­mik der Erzähl­per­spek­ti­ve und den Fokus auf bestimm­ten Reflek­tor­fi­gu­ren ent­steht aber auch die Illu­si­on, am Gesche­hen teil­zu­ha­ben. Die­se Ver­schmel­zung zwei­er Illu­sio­nen mag mit­ver­ant­wort­lich sein für den mas­si­ven Erfolg des Romans.

2 Kommentare

  1. Hal­lo Schreibtechnikerin!
    Ich glau­be, dass Ihre prak­ti­sche Anwen­dung der Theo­rien von Stan­zel und Genet­te sehr erhel­lend ist, und zwar sowohl für erzähl­theo­re­ti­sche Anfän­ger in Schu­le und Uni als auch für krea­tiv Schrei­ben­de. Sie zei­gen auch, dass sich Stan­zels und Genet­tes Ansät­ze sehr gut ergän­zen (die­ses Jahr ist Stan­zel übri­gens 100 Jah­re alt gewor­den). Ein oder zwei „Ver­bes­se­rungs­bor­schlä­ge“ hät­te ich schon. Ein aukt­oria­ler Erzäh­ler ist eher nicht Teil der erzähl­ten Welt – sonst müss­te er in die­ser Welt vor­kom­men, ein “erle­ben­des Ich” haben oder gehabt haben, was nicht der Fall ist. Umge­kehrt: Gera­de weil er nicht Teil der erzähl­ten Welt ist, „über“ die­ser Welt steht, kann er sei­nen rie­si­gen Infor­ma­ti­ons­vor­sprung gel­tend machen. Ein aukt­oria­ler Erzäh­ler ver­wan­delt sich auch nie in einen „per­so­na­len Erzäh­ler” – die­sen Begriff gibt es bei Stan­zel gar nicht, da bin ich mir sicher. Es bleibt der aukt­oria­le Erzäh­ler, die­ser „tritt gele­gent­lich “zurück” und „dele­giert“ die Foka­li­sie­rung an eine Reflek­tor­fi­gur. (Auch homo­die­ge­ti­sche Erzäh­ler kön­nen das (hier unwe­sent­lich, aber gene­rell nicht).) Zu über­le­gen ist auch, ob der Begriff Null­fo­ka­li­sie­rung wirk­lich tref­fend ist. Eine aukt­oria­le Vogel­per­spek­ti­ve bei­spiels­wei­se ist alles ande­re als kei­ne Per­spek­ti­ve (für Genet­te ist zero foca­liza­ti­on syn­onym mit non-foca­liza­ti­on). Ich glau­be wirk­lich, dass die Berück­sich­ti­gung sol­cher ter­mi­no­lo­gi­schen Unstim­mig­kei­ten eini­ge Unklar­hei­ten und Rück­fra­gen aus­räu­men könn­ten. Aber zuge­ge­ben: so, dass alle neue­ren Nar­ra­to­lo­gen in die­sen Punk­ten heu­te einer Mei­nung wären, ist es nun auch wie­der nicht.

    1. Moin und dan­ke für die Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge! Was die Ter­mi­no­lo­gie betrifft, so sind salop­pe Umschrei­bun­gen durch­aus beab­sich­tigt, weil ich die von Natur aus sper­ri­gen theo­re­ti­schen Model­le in eine für den Otto Nor­mal­ver­brau­cher ver­ständ­li­che Spra­che zu über­set­zen ver­su­che und die deut­lich prä­zi­se­re Fach­ter­mi­no­lo­gie („der Erzäh­ler tritt zurück“, „dele­giert“ etc.) zurück­zu­schrau­ben und etwas bild­li­cher zu umschrei­ben ver­su­che. Denn die etwas abs­trak­te Ter­mi­no­lo­gie ist einer der vie­len Grün­de, war­um theo­re­ti­sche Model­le oft so schwer zu ver­ste­hen sind, und „zurück­tre­ten“ und „dele­gie­ren“ kön­nen auch falsch ver­stan­den wer­den, näm­lich als Erzäh­ler­wech­sel (ich sehe ein­fach zu oft, wie Reflek­tor­fi­gu­ren als Erzäh­ler beti­telt wer­den). Ich neh­me es aber abso­lut nie­man­dem übel, wenn er sich ange­sichts von mei­nen Erklä­run­gen die Hän­de überm Kopf zusam­men­schlägt. Von Leu­ten, die sich ernst­haft mit Erzähl­theo­rie befas­sen, erwar­te ich das sogar.

      Was den aukt­oria­len Erzäh­ler betrifft, so stim­me ich abso­lut zu, dass er nicht Teil der erzähl­ten Welt ist, son­dern der dar­ge­stell­ten. Aller­dings darf ich immer wie­der fest­stel­len, dass die Erzäh­ler von fik­tio­na­len Wer­ken ein sehr viel­fäl­ti­ges Volk sind. Gera­de der Erzäh­ler im Herrn der Rin­ge ist ein Para­de­bei­spiel dafür: Er wäre ein gera­de­zu ide­al­ty­pi­scher aukt­oria­ler Erzäh­ler – wenn er nur nicht so tun wür­de, als wür­de er in der­sel­ben Welt leben wie die Hob­bits, nur vie­le Jah­re spä­ter. Und damit reißt er die Gren­ze zwi­schen der erzähl­ten und dar­ge­stell­ten Welt gewis­ser­ma­ßen ein, weil er ja so tut, als wäre die dar­ge­stell­te Welt die Fort­set­zung der erzähl­ten. Eigent­lich ein recht klas­si­scher Her­aus­ge­ber-Erzäh­ler also, nur dass die Schrif­ten, die er her­aus­gibt, nicht ein­mal den lei­ses­ten Ver­such dar­stel­len, so zu tun, als wür­den sie in die Rea­li­tät pas­sen (im Gegen­satz zu den Her­aus­ge­ber-Erzäh­lern der frü­he­ren Jahr­hun­der­te, die ihre Erzäh­lung ja mög­lichst rea­lis­tisch machen soll­ten). Aber ja, ich habe das in die­sem Artikel/​Video sehr stark ver­ein­facht, in die­sem Punkt sicher­lich zu stark.

      Der Begriff der Null­fo­ka­li­sie­rung wird ja schon so lan­ge dis­ku­tiert und kri­ti­siert, wie es ihn gibt. Nicht zuletzt ja auch, weil man nicht erzäh­len kann, ohne Schwer­punk­te zu set­zen. Des­we­gen ist ja auch der „neu­tra­le Erzäh­ler“ aus Stan­zels Modell raus­ge­flo­gen. Der Begriff „Null­fo­ka­li­sie­rung“ zum Beschrei­ben der Erzähl­per­spek­ti­ve erscheint bei die­ser Betrach­tungs­wei­se somit als ein Wider­spruch in sich. Aber wenn Genet­te die Null­fo­ka­li­sie­rung beschreibt als: „Der Erzäh­ler weiß mehr als die Figur“, dann kann ich das so akzep­tie­ren und betrach­te „Null­fo­ka­li­sie­rung“ ein­fach als einen gewis­ser­ma­ßen will­kür­li­chen Namen.

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