„Sansibar oder der letzte Grund“ von Alfred Andersch

„Sansibar oder der letzte Grund“ von Alfred Andersch

Der Roman San­si­bar oder der letz­te Grund von Alfred Andersch ist als Schul­lek­tü­re sehr beliebt. Nicht nur beleuch­tet er die vie­len Facet­ten des äußerst wich­ti­gen The­mas Frei­heit, son­dern er tut es durch eine äußerst ori­gi­nel­le Erzähl­wei­se. Die­se wol­len wir uns in die­sem Arti­kel genau­er anschauen.

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Was ist Frei­heit und wie erlangt man sie? Die­se Fra­ge beherrscht Alfred Anderschs Roman San­si­bar oder der letz­te Grund - und ist einer der Fak­to­ren, war­um es eins mei­ner liebs­ten Wer­ke ist, die ich für die Schu­le lesen musste.

Ein ande­rer wesent­li­cher Fak­tor ist die Art, wie die Geschich­te erzählt wird: Der Erzäh­ler springt zwi­schen fünf Prot­ago­nis­ten umher, es gibt vie­le Per­spek­tiv­wech­sel und das an einer Stel­le sogar mit­ten im Satz.

Es war also nur eine Fra­ge der Zeit, bis ich mir die­ses Werk für eine Erzähl­ana­ly­se vor­knöpf­te. Und die­ser Moment ist nun end­lich gekommen.

Handlung: Worum geht’s?

Im Jahr 1937 fin­den sich in Rerik fünf sehr unter­schied­li­che Men­schen zusammen:

  • Gre­gor, ein intel­lek­tu­el­ler, jun­ger Kom­mu­nist, kommt im Auf­trag der Par­tei in die Stadt. In Wirk­lich­keit ist er aber bereits des­il­lu­sio­niert und will fliehen.
  • Der Fischer Knud­sen ist das letz­te, ent­täusch­te Über­bleib­sel der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in Rerik. Zwar kann er auf sei­nem Fisch­kut­ter jeder­zeit Deutsch­land ver­las­sen, aber er fürch­tet um sei­ne Frau, der das Irren­haus droht.
  • Der Pfar­rer Hel­an­der ist ein kon­ser­va­ti­ver Vete­ran des Ers­ten Welt­krie­ges und als sein ampu­tier­tes Bein zuneh­mend Pro­ble­me macht, gerät auch eine Holz­skulp­tur in sei­ner Kir­che in Gefahr: Der „Lesen­de Klos­ter­schü­ler“ soll als ent­ar­te­te Kunst beschlag­nahmt wer­den. Ver­geb­lich ver­sucht Hel­an­der, der sich mitt­ler­wei­le in einer Glau­bens­kri­se befin­det, den athe­is­ti­schen Knud­sen zu über­re­den, den „Klos­ter­schü­ler“ nach Schwe­den zu schmuggeln.
  • Die schö­ne, jun­ge Judith ist Jüdin. Sie ist ver­wöhnt auf­ge­wach­sen, hat kaum Ahnung vom Leben und sucht ver­zwei­felt nach einer Fluchtmöglichkeit.
  • Knud­sens fünf­zehn­jäh­ri­ger Schiffs­jun­ge beob­ach­tet die ande­ren Figu­ren und träumt wäh­rend­des­sen von einer Flucht aus dem Kaff Rerik, von Aben­teu­ern und von fer­nen Län­dern wie Sansibar.

Gemein­sam betei­li­gen sich alle fünf an einer Schmug­gel­ak­ti­on: Als Gre­gor auf den „Klos­ter­schü­ler“ auf­merk­sam wird, fühlt er sich von der Skulp­tur berührt und übt Druck auf Knud­sen aus, damit der das Kunst­werk ret­tet. Kurz bevor die Geheim­ope­ra­ti­on beginnt, gabelt Gre­gor auch noch Judith auf. Knud­sen und sein Jun­ge brin­gen die Skulp­tur und die jun­ge Frau schließ­lich sicher nach Schwe­den. Gre­gor hat dabei auf sei­ne eige­ne Flucht ver­zich­tet, der Jun­ge, der, in Schwe­den ange­kom­men, eigent­lich weg­lau­fen woll­te, kehrt zu Knud­sen zurück und Hel­an­der wird erschos­sen, als er sich gegen sei­ne Ver­haf­tung wehrt.

Besonderheit der Erzählperspektive

Auf­fäl­lig dabei ist, dass es kei­nen zen­tra­len Prot­ago­nis­ten gibt. Es ist wie im Lied von Eis und Feu­er von Geor­ge R. R. Mar­tin: Jede der fünf Figu­ren ist das Zen­trum ihrer eige­nen Geschich­te, der Erzäh­ler hüpft zwi­schen ihren Per­spek­ti­ven umher und nur der Leser hat einen Über­blick über das Gesamt­ge­sche­hen. Im Unter­schied zum Lied von Eis und Feu­er jedoch gibt es oft nicht nur eine, son­dern meh­re­re Reflek­tor­fi­gu­ren pro Kapi­tel. Die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven sind also weni­ger strikt getrennt und das hat zur Fol­ge, dass der Blick auf eine Figur manch­mal inner­halb eines Kapi­tels zwi­schen Innen- und Außen­sicht wechselt:

So gibt es in Kapi­tel 22 (Judith – Gre­gor – Knud­sen) die Situa­ti­on, dass Judith die Ankunft eines schwe­di­schen Schiffs beob­ach­tet und mit­ge­nom­men wer­den möch­te, und dabei von Gre­gor beob­ach­tet wird, der sich sei­nen Teil dazu denkt und dabei wie­der­um von Knud­sen beob­ach­tet wird.

Wenn es span­nend und/​oder dra­ma­tisch wer­den soll, wird die Außen­sicht durch die ande­ren Figu­ren aber ger­ne auch weggelassen:

Bei­spiels­wei­se in Kapi­tel 24 (Judith), das nur aus Judiths Sicht geschrie­ben ist. Hier sieht sie zum ers­ten Mal Gre­gor und als Leser kann man ihn iden­ti­fi­zie­ren und weiß, dass er sie beob­ach­tet, aber Judith kann ihn nicht ein­schät­zen und als die Situa­ti­on sich hoch­schau­kelt, bleibt durch das Feh­len sei­ner Per­spek­ti­ve noch offen, ob er ihr nun hel­fen wird oder nicht.

Zu einer regel­rech­ten Ver­schmel­zung der Per­spek­ti­ven, der Innen- und der Außen­sicht, kommt es aber beson­ders in Kapi­tel 32 (Judith – Gre­gor), als der Per­spek­tiv­wech­sel sogar mit­ten im Satz passiert:

„Er bemerk­te, daß Judith ihren Kopf ganz leicht wen­de­te und ihn ansah, er war ver­sucht, sei­nen Blick zu sen­ken, aber in der glei­chen Sekun­de bezwang er das Gefühl, von dem er nun wuß­te, daß es Furcht war, und sie sahen sich an, noch immer spie­gel­te sich das Leucht­feu­er in ihren Augen, es glänz­te auf und erlosch, ich kann die Far­be sei­ner Augen nicht erken­nen, dach­te Judith, ich stel­le mir vor, daß sie grau sind, viel­leicht von etwas hel­le­rem Grau als sein Anzug, ich möch­te ihn gern ein­mal bei Tag sehen, ich ken­ne nicht ein­mal sei­nen Namen, und Gre­gor frag­te: Wie hei­ßen Sie eigentlich?“
Alfred Andersch: San­si­bar oder der letz­te Grund, Kapi­tel 32: Judith – Gregor.

Die­se Per­spek­tiv­hüp­fe­rei, die flie­ßen­den Über­gän­ge und das Feh­len eines rich­ti­gen Prot­ago­nis­ten sor­gen für etwas wie eine Ver­schmel­zung der fünf Figu­ren zu einem Prot­ago­nis­ten mit fünf Köpfen.

Analyse von Sansibar mit dem Typenkreis von Stanzel

Wenn wir das typo­lo­gi­sche Modell der Erzähl­si­tua­tio­nen von Stan­zel her­an­zie­hen, beob­ach­ten wir Folgendes:

  • Auf der Ach­se des Modus ste­hen die Reflek­tor­fi­gu­ren im Vor­der­grund.
  • Auf der Ach­se der Per­son liegt eine Nicht­iden­ti­tät der Seins­be­rei­che von Erzäh­ler und Figuren
  • Auf der Ach­se der Per­spek­ti­ve haben wir es mit der Innen­per­spek­ti­ve zu tun.

Die Erzähl­si­tua­ti­on ist also personal.

Analyse von Sansibar mit der Erzähltheorie von Genette

Betrach­ten wir die Erzäh­lung durch das Pris­ma von Genet­te, stel­len wir fest:

  • Wir haben einen ext­ra­die­ge­tisch-hete­ro­die­ge­ti­schen Erzäh­ler, der die Hand­lung auf der int­ra­die­ge­ti­schen Ebe­ne wie­der­gibt, sowie den Fall einer spä­te­ren Nar­ra­ti­on.
  • Die Foka­li­sie­rung ist intern, d. h. der Erzäh­ler weiß in der Regel so viel wie die Figu­ren. Zwar hüpft er zwi­schen den Reflek­tor­fi­gu­ren, aber in den ein­zel­nen Abschnit­ten bleibt die Erzähl­per­spek­ti­ve auf den Wis­sens­ho­ri­zont der jewei­li­gen Figur beschränkt.

Dynamik bzw. variable Fokalisierung

Doch halt! So ein­fach ist es nun doch wie­der nicht. Denn es gibt es klei­ne Abwei­chun­gen von der per­so­na­len Erzähl­si­tua­ti­on bzw. der inter­nen Foka­li­sie­rung. Bei­spie­le:

  • In Kapi­tel 14 (Judith) wer­den in einem Absatz die Gedan­ken des Wirts vom „Wap­pen von Wis­mar“ wie­der­ge­ge­ben, obwohl er nur eine Neben­fi­gur ist und das Kapi­tel sonst aus­schließ­lich aus Judiths Per­spek­ti­ve erzählt wird. Der Erzäh­ler macht hier also ohne ersicht­li­chen Grund einen Abste­cher in eine völ­lig irrele­van­te Gedan­ken­welt: Er weiß an die­ser Stel­le mehr als die Figur Judith, deren Innen­le­ben er will­kür­lich ver­lässt, was grund­sätz­lich auf einen aukt­oria­len Erzäh­ler bzw. eine Null­fo­ka­li­sie­rung hindeutet.
  • In Kapi­tel 22 (Judith – Gre­gor – Knud­sen) fragt sich Gre­gor, ob das, was Knud­sen da auf­rollt, die Anker­tros­se ist, ver­wirft die­sen Gedan­ken jedoch. Der nächs­te Absatz beginnt aber mit den Wor­ten: „Es war doch das Ankers­pill, an dem Knud­sen arbei­te­te“. Die­ser Satz ist ein kla­rer Ver­weis auf Gre­gors Gedan­ken und kann somit nur von jeman­dem kom­men, der sowohl Gre­gors als auch Knud­sens Per­spek­ti­ve kennt.
  • In Kapi­tel 34 (Knud­sen – Gre­gor – Judith) tritt der Erzäh­ler sehr deut­lich her­vor: „[Knud­sen] fühl­te wie­der die Wut, die er auf Gre­gor hat­te. Er wuß­te nicht, daß es die Wut auf die Par­tei war, die er an Gre­gor aus­ließ.“ Hier spricht klar ein Erzäh­ler, der Knud­sens Innen­le­ben bes­ser kennt als er selbst.

In Anbe­tracht die­ser Abste­cher in die aukt­oria­le Erzähl­si­tua­ti­on bzw. Null­fo­ka­li­sie­rung müs­sen wir von einer Dyna­mik bzw. einer varia­blen Foka­li­sie­rung spre­chen. Denn stel­len­wei­se bekom­men wir eben doch mehr als das Innen­le­ben der Figu­ren prä­sen­tiert. Das ist neben der Ver­schmel­zung der Figu­ren ein wei­te­rer Unter­schied zum Lied von Eis und Feu­er, des­sen ers­ten Band wir bereits in einem frü­he­ren Arti­kel einer Erzähl­ana­ly­se unter­zo­gen haben. Dort erge­ben sich durch die sorg­fäl­tig aus­ge­wähl­ten und säu­ber­lich getrenn­ten Moment­auf­nah­men zahl­rei­cher Frosch­per­spek­ti­ven wesent­li­che Lücken, die zur Span­nung und zum Rät­sel­cha­rak­ter der Erzäh­lung bei­tra­gen. In San­si­bar hin­ge­gen wer­den die Frosch­per­spek­ti­ven stel­len­wei­se durch zusätz­li­che Infor­ma­tio­nen ergänzt, sodass ein stark auf das Innen­le­ben der Figu­ren fokus­sier­ter Gesamt­über­blick ent­steht.

Der Sinn der gewählten Erzählperspektive

Also noch ein­mal zur Wiederholung:

  • Die Figu­ren ver­schmel­zen zu einem viel­ge­sich­ti­gen Protagonisten.
  • Die Innen­welt die­ses viel­ge­sich­ti­gen Prot­ago­nis­ten wird durch einen Gesamt­über­blick über das Gesche­hen und die Ent­wick­lung der Bezie­hun­gen ergänzt.

Das bedeu­tet:

Andersch gibt umfas­sen­de Infor­ma­tio­nen, damit man den psy­cho­lo­gi­schen gemein­sa­men Nen­ner der so unter­schied­li­chen Figu­ren fin­det. Denn wenn sie alle zu einem Prot­ago­nis­ten ver­schmel­zen, des­sen Innen­le­ben klein­ka­riert dar­ge­legt wird, dann muss man auch einen gemein­sa­men zen­tra­len Kon­flikt benen­nen können.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Figuren

Auf den ers­ten Blick stam­men die Figu­ren natür­lich aus den unter­schied­lichs­ten Tei­len der Gesell­schaft und aus unter­schied­li­chen Gene­ra­tio­nen, sie haben unter­schied­li­che Pro­ble­me und sogar eine unter­schied­li­che Art zu spre­chen, die sich auch im Text wie­der­spie­gelt. Doch gemein­sam bil­den sie auch einen Quer­schnitt der Gesell­schaft, reprä­sen­tie­ren ihre unter­schied­li­chen Facet­ten, und jeder fühlt sich auf die ein oder ande­re Wei­se ver­folgt:

Gre­gor fühlt sich von sei­ner Par­tei beengt, Knud­sen fürch­tet um sei­ne Frau, Hel­an­der sieht sei­nen „Klos­ter­schü­ler“ bedroht und die Welt von Gott ver­las­sen, Judith wird als Jüdin natür­lich ver­folgt und der Jun­ge hat das Gefühl, in Rerik ver­sau­ern zu müssen.

Oder anders formuliert:

Alle fünf Figu­ren seh­nen sich nach Freiheit.

Befreiung von Zwängen

Und sie erlan­gen die­se Frei­heit. Nicht nur betei­li­gen sie alle sich an einer gemein­sa­men Hel­den­tat, einem gemein­sa­men Akt des Wider­stands, son­dern jeder fin­det auch einen Aus­weg aus sei­ner ganz per­sön­li­chen Unfrei­heit:

  • Gre­gor ver­zich­tet auf sei­ne Flucht und durch die selbst­auf­er­leg­te Mis­si­on, die Ret­tung von Judith und der Sta­tue, deren wich­tigs­te Trieb­fe­der er ist, löst er sich inner­lich von sei­ner Par­tei und erlangt inne­re Freiheit.
  • Knud­sen über­win­det sei­ne Angst und auch wenn er nicht mehr an die Par­tei glaubt, hat er durch die Ret­tungs­ak­ti­on eine alter­na­ti­ve Art von Wider­stand gefunden.
  • Hel­an­der hat die Ret­tung des „Lesen­den Klos­ter­schü­lers“, der in die­sem Roman die Frei­heit reprä­sen­tiert, weil er – in Gre­gors Inter­pre­ta­ti­on – jeder­zeit sein Buch zuklap­pen und weg­ge­hen kann, über­haupt erst initi­iert. Die Ret­tungs­ak­ti­on wird – nicht nur durch die Bedro­hung durch die Nazis, son­dern auch durch sei­nen Gesund­heits­zu­stand – zu einem immer grö­ße­ren Risi­ko für ihn und er fin­det sei­nen Glau­ben an Gott wie­der, als er sich von ihm abwen­det und das Schick­sal durch den Akt des Wider­stands in sei­ne eige­nen Hän­de nimmt.
  • Judith ist die Ein­zi­ge unter den Figu­ren, die nicht vor eine Wahl gestellt wird. Denn als Jüdin bleibt ihr ein­fach nichts ande­res übrig, als den sich erge­ben­den Umstän­den zu ver­trau­en. Und sie hat das Glück, in die Kon­stel­la­ti­on der ande­ren Figu­ren hin­ein­zu­ge­ra­ten und nach Schwe­den geschmug­gelt zu werden.
  • Der Jun­ge bekommt am Ende eine Flucht­mög­lich­keit und läuft in Schwe­den zunächst weg. Doch wäh­rend der Schmug­gel­ak­ti­on ist er mit dem Kon­zept der inne­ren Frei­heit in Berüh­rung gekom­men, ist Teil eines Net­zes von Figu­ren gewor­den und Judith hat ihn auch noch gewarnt, dass Knud­sen in Schwie­rig­kei­ten gerät, wenn er ohne den Jun­gen zurück­kommt. Daher ent­schließt sich der Jun­ge am Ende doch, ver­ant­wort­lich zu han­deln und zu Knud­sen zurück­zu­keh­ren: Aus einer kind­lich-ego­is­ti­schen Flucht wur­de eine freie, erwach­se­ne Entscheidung.

Sansibar oder die Bedeutung des Titels

Reprä­sen­tiert der „Klos­ter­schü­ler“, der die Figu­ren zusam­men­bringt und zu einer gemein­sa­men Hel­den­tat bewegt, die Frei­heit, dann reprä­sen­tiert San­si­bar das Stre­ben nach Frei­heit: Ein­ge­führt wird die­ses Motiv in Kapi­tel 25 (Der Jun­ge) als Tag­traum des Jun­gen, als letz­ter von drei Grün­den, war­um er Rerik ver­las­sen will. Auch wenn nur der Jun­ge von San­si­bar träumt, haben, wie gesagt, alle Figu­ren, die ja mit­ein­an­der ver­schmel­zen, die­ses Stre­ben nach Frei­heit und jeder erlangt, wie gesagt, sei­ne ganz per­sön­li­che Art davon. Ins­ge­samt aber geht es vor allem um inne­re Frei­heit, um eigen­ver­ant­wort­li­ches Han­deln und Ver­trau­en. Die gemein­sa­me Hel­den­tat bleibt dabei unauf­fäl­lig – im Gegen­satz zu spek­ta­ku­lä­ren Hol­ly­wood-Block­bus­tern. Denn wirk­li­che Frei­heit ist vor allem eine inne­re Ent­schei­dung, die einem kei­ner weg­neh­men kann: Selbst Judith, die ja nicht wirk­lich vor eine Wahl gestellt wird, hat sich bewusst zur Flucht ent­schie­den und sucht nach Mög­lich­kei­ten, bis sich eben eine bietet.

Fazit

Was bleibt am Ende also zu sagen?

Durch das Feh­len eines zen­tra­len Prot­ago­nis­ten bzw. das Ver­schmel­zen der fünf Prot­ago­nis­ten und einen umfas­sen­den Blick auf sie wer­den unter­schied­li­che Facet­ten des Kon­zepts Frei­heit und der Sehn­sucht nach ihr beleuch­tet. Jede Gesell­schafts­schicht und jede Gene­ra­ti­on bekommt in San­si­bar oder der letz­te Grund die Chan­ce auf eine Hel­den­tat und Erlösung.

Das sowie die durch­gän­gi­ge Bezeich­nung der Natio­nal­so­zia­lis­ten als „die Ande­ren“ löst den Roman ein Stück weit aus sei­nem his­to­ri­schen Set­ting her­aus, sodass sei­ne Prin­zi­pi­en auch auf jede ande­re Zeit bezo­gen wer­den kön­nen. So kann man in ihm auch eine Kri­tik am Nach­kriegs­deutsch­land von Kon­rad Ade­nau­er sehen: Schließ­lich wur­de der Roman 1957 ver­öf­fent­licht – kurz nach der Grün­dung der Bun­des­wehr im Jahr 1955, also der Wie­der­be­waff­nung Deutsch­lands, sowie nach dem Ver­bot der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Deutsch­lands (KPD) im Jahr 1956, und das alles in einem Sys­tem, in dem nur die Spit­ze des Natio­nal­so­zia­lis­mus bestraft wur­de, der Rest jedoch sei­ne Kar­rie­re fort­füh­ren durf­te. Andersch selbst bezeich­ne­te den Ade­nau­er-Staat als „Demo­kra­tie der schmut­zi­gen Hän­de“ und wan­der­te 1958 in die Schweiz aus. Es ist daher durch­aus wahr­schein­lich, dass er sei­ne Leser­schaft, die im Erschei­nungs­jahr über­wie­gend aus stil­len Mit­läu­fern des Nazi­re­gimes bestand, zu selbst­stän­di­gem Den­ken und eigen­ver­ant­wort­li­chem Han­deln ermun­tern wollte.

5 Kommentare

  1. Hal­lo Katerina,
    die­ser Kom­men­tar wird etwas unpro­fes­sio­nell, über­le­ge, ob Du ihn ste­hen­las­sen willst.
    Also:
    1. Judith ist etwa auf dem Stand einer 17jährigen, weil sie sehr behü­tet auf­ge­wach­sen ist. Ihre behin­der­te Mut­ter hat Selbst­mord began­gen, um ihr die Flucht zu erleichtern/​ermöglichen. Judiths Welt ist zusam­men­ge­bro­chen, und dann ‚ver­liert‘ sie auch noch ihren Koffer.
    2. Hel­and­ers gro­ßer Show­down führt dazu, daß nie­man­dem auf­fällt, daß Knud­sen ohne Fang zurück­kehrt. Allein dadurch flie­gen er und der Jun­ge nicht auf.
    3. Ich habe auf Wiki­pe­dia mal Alfred Anderschs Bio­gra­fie nach­ge­le­sen. Das Buch ist eska­pis­ti­sche Wunsch­er­fül­lung. Der hät­te sich mal frü­her etwas zusam­men­rei­ßen kön­nen. Hat er aber nicht.
    Vie­len herz­li­chen Dank für Dei­ne inter­es­san­te und lehr­rei­che Webseite,
    maja

    maja

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