Emotionen und Gefühle beschreiben

Emotionen und Gefühle beschreiben

Wenn wir eine Geschich­te lesen, wol­len wir dabei etwas emp­fin­den. Wir wol­len mit den Figu­ren mit­fie­bern, wir wol­len ihre Freu­de und ihren Schmerz tei­len und ihre Bezie­hun­gen unter­ein­an­der spü­ren, eine emo­tio­na­le Ach­ter­bahn. Wie beschreibt man also Emo­tio­nen und Gefüh­le und wie weckt man sie beim Leser? In die­sem Arti­kel reden wir über eini­ge Techniken …

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Gefüh­le sind viel­leicht das Wich­tigs­te an einer Geschich­te. Denn wir wol­len Bezie­hun­gen zu den fik­ti­ven Figu­ren knüp­fen, in frem­de Leben ein­tau­chen und mitfiebern.

Wie geben wir also die Gefüh­le der Figu­ren so wie­der, dass der Leser sie nach­emp­fin­den kann?

Schau­en wir uns das an!

Erzählperspektive und Introspektion

Bevor man irgend­et­was beschrei­ben kann, muss man erst mal wis­sen, durch wes­sen Pris­ma und aus wel­cher Per­spek­ti­ve das Etwas wahr­ge­nom­men wird. Ein Erwach­se­ner nimmt anders wahr als ein Kind, ein Unfall­op­fer anders als ein Zeu­ge, ein Anwalt anders als ein Auto­me­cha­ni­ker, ein Stadt­be­woh­ner anders als jemand vom Land und ein Mann anders als eine Frau. – Und das gilt eben auch für das Beschrei­ben von Gefühlen.

Der viel­leicht bes­te Rat­schlag zu die­sem The­ma, über den ich je gestol­pert bin, stammt von Ellen Brock:

Es gibt zwar den häu­fi­gen Schreib­tipp „Show, don’t tell!“, aber sie emp­fiehlt, sich weder auf „Show“ noch auf „Tell“ wirk­lich sys­te­ma­tisch zu ver­las­sen. Denn man kann bei bei­dem über­trei­ben – zum Bei­spiel, wenn man „show­en“ will und immer wie­der die­sel­ben Ges­ten beschreibt oder beim „Tel­len“ immer wie­der die­sel­ben Emo­tio­nen benennt, sei es auch mit vari­ie­ren­der Formulierung.

Ellen ist viel­mehr der Mei­nung, dass die meis­ten Autoren nicht das Beschrei­ben von Gefüh­len ver­bes­sern müs­sen, son­dern Intro­spek­ti­on: die Denk­wei­se der Figu­ren, ihre sub­jek­ti­ve Welt­wahr­neh­mung, ihre Inter­pre­ta­ti­on der eige­nen Gefühle …

Es geht also nicht dar­um, wel­che Emo­tio­nen und Gefüh­le eine Figur hat, son­dern um ihre sub­jek­ti­ve Ver­si­on davon.

Stel­len wir uns zum Bei­spiel vor, wie ver­schie­de­ne Figu­ren dar­auf reagie­ren, wäh­rend einer Stra­ßen­schlacht zwi­schen zwei Ban­den ange­schos­sen zu werden:

  • Für ein erfah­re­nes, mit Nar­ben über­sä­tes Ban­den­mit­glied, im frü­he­ren Leben Berufs­sol­dat, ist die Ver­wun­dung zwar schmerz­haft, aber nichts Neu­es. Bestimmt kann er rea­lis­tisch ein­schät­zen, wie ernst die Wun­de ist, und sich unter Umstän­den sogar selbst Ers­te Hil­fe leisten.
  • Ein uner­fah­re­nes Ban­den­mit­glied, ein Teen­ager, der Stra­ßen­schlach­ten bis­her nur aus Fil­men kann­te, ist über­wäl­tigt von dem Schmerz, der viel hef­ti­ger ist, als er je geglaubt hät­te, und er hat Panik und schreit sich die See­le aus dem Leib.
  • Ein Arzt, der unglück­li­cher­wei­se gera­de im Moment des Aus­bruchs der Schlacht vor­bei­lief und nur zufäl­lig erwischt wur­de, hat einer­seits Angst und höl­li­sche Schmer­zen, ande­rer­seits beob­ach­tet er auch sei­nen Zustand und weiß ziem­lich genau, was in sei­nem Kör­per gera­de vor sich geht und was er tun muss, wenn er über­le­ben will. Wenn sei­ne Wun­de nicht zu schlimm ist, ver­sucht er viel­leicht sogar, ande­ren Ver­letz­ten zu hel­fen. Außer­dem denkt er an sei­ne Fami­lie und bedau­ert, dass sei­ne Ver­spä­tung zum Abend­essen und sei­ne Ver­wun­dung ihr gro­ße Sor­gen berei­ten werden.
  • Und so wei­ter geht es mit jeder ande­ren erdenk­li­chen Figur …

Merkst Du also, was da pas­siert? Ich bin noch gar nicht dazu gekom­men, wie man beschreibt, aber wir haben bereits beim Was eine direk­te Bezie­hung zur Figur selbst, wir bekom­men ein Fens­ter in ihre Welt und kön­nen des­we­gen mit ihr mit­füh­len. Und dann müs­sen wir „nur noch“ das rein Hand­werk­li­che hinbekommen.

Mit ande­ren Worten:

Lass Dei­ne Figu­ren reden! Sie wis­sen am bes­ten, wie ihre sub­jek­ti­ven Emo­tio­nen und Gefüh­le aus­ge­drückt gehören.

Figuralisierte Erzählerrede

Dazu steht Dir ein brei­tes Arse­nal an Tech­ni­ken zur Ver­fü­gung, nämlich:

  • die direk­te Rede,
  • die indi­rek­te Rede,
  • die erleb­te Rede,
  • der inne­re Mono­log und
  • der Bewusst­seins­strom.

Über sie alle haben wir jedoch bereits in einem frü­he­ren Arti­kel gespro­chen; daher wer­de ich das The­ma an die­ser Stel­le nicht wei­ter ver­tie­fen. Außer dass ich beto­nen möchte,

dass je figu­ra­li­sier­ter die Erzäh­ler­re­de ist, also je stär­ker der Erzäh­ler die Per­spek­ti­ve der Figur über­nimmt und somit selbst in den Hin­ter­grund rückt, des­to mehr Nähe ent­steht zwi­schen Leser und Figur und des­to stär­ker wer­den dem­entspre­chend Emo­tio­nen übertragen.

Pass dabei aber auf, dass Du die gewähl­te Per­spek­ti­ve ein­hältst. Doch weil ich auch dazu schon einen Arti­kel geschrie­ben habe, wer­de ich es bei die­sem The­ma eben­falls bei einer Erwäh­nung belassen.

Herausforderungen bei der Introspektion

Nun hat man aber, wenn man sich auf das Innen­le­ben einer Figur fokus­siert, manch­mal trotz­dem ein Problem:

Zum Bei­spiel dürf­te jeder, der schon mal ver­sucht hat, aus der Per­spek­ti­ve eines Kin­des zu schrei­ben, fest­ge­stellt haben, dass es ver­dammt schwie­rig ist. Die Wahr­neh­mung und die Art, Gefüh­le zu ver­ar­bei­ten und zu äußern, sind in dem Alter ist nun mal ganz anders als bei Erwach­se­nen. Und je jün­ger das Kind, des­to schwie­ri­ger ist die Per­spek­ti­ve. Wir sind alle zwar irgend­wann mal Kind gewe­sen, aber mit den Jah­ren haben wir ver­ges­sen, wie das war.

Natür­lich kön­nen wir hier rück­bli­ckend aus der erwach­se­nen Per­spek­ti­ve schrei­ben, aber dann ent­steht ja wie­der Distanz zur erle­ben­den und füh­len­den kind­li­chen Figur. Die erwach­se­ne Per­spek­ti­ve kann an sich natür­lich auch emo­tio­nal und ergrei­fend sein, aber es ist eben kein Fens­ter in die Innen­welt des Kin­des. Obwohl wir alle also selbst mal Kin­der waren, haben wir hier die­sel­ben Pro­ble­me, wie wenn wir über etwas zu schrei­ben ver­su­chen, womit wir kei­ne eige­ne Erfah­rung haben. Und das wie­der­um ist ein The­ma, das bereits für die ers­te Hälf­te 2022 geplant ist. Des­we­gen bit­te ich an die­ser Stel­le um ein paar Mona­te Geduld.

Ein ande­res Pro­blem wäre, wenn die Figur, deren Innen­le­ben beleuch­tet wird, sich etwas ein­re­det oder ihre eige­nen Gefüh­le nicht rich­tig wahr­nimmt. Mit ande­ren Wor­ten: Figu­ren, auf deren Intro­spek­ti­on man sich nicht ver­las­sen kann. Bei sol­chen Reflek­to­ren kann es leicht pas­sie­ren, dass nur die Irr­tü­mer der Figur beim Leser ankom­men, nicht ihr wah­rer Zustand. Hier muss man also wohl oder übel aus­schließ­lich mit Beschrei­bun­gen und „Show, don’t tell“ die wah­ren Gefüh­le andeu­ten, Test­le­ser drü­ber­ja­gen und not­falls am Ende eine ein­deu­ti­ge Auf­lö­sung lie­fern. In einem ande­ren Arti­kel gehen wir aber geson­dert auf das unzu­ver­läs­si­ge Erzäh­len ein; des­we­gen will ich auch die­ses The­ma hier nicht wei­ter ausführen.

Beschreibungen

Nun haben wir aber genug über das Was gespro­chen und kön­nen uns dem ver­spro­che­nen Hand­werk­li­chen zuwen­den. Und wenn wir über das Beschrei­ben von Emo­tio­nen und Gefüh­len reden, dann ist die ers­te hand­werk­li­che Tech­nik eben das buch­stäb­li­che Beschreiben.

Über das Beschrei­ben gene­rell haben wir bereits in einem frü­he­ren Arti­kel gespro­chen. – Und alle Tipps dort sind natür­lich auch auf Emo­tio­nen und Gefüh­le anwend­bar. Nur, dass hier die Per­spek­ti­ve noch­mal wich­ti­ger ist: Denn im Grun­de kann jeder ein gel­bes Auto beschrei­ben. – Klar, ver­schie­de­ne Men­schen haben da ver­schie­de­ne Schwer­punk­te, aber Emo­tio­nen und Gefüh­le sind gene­rell per­sön­li­cher und des­we­gen ste­hen die Per­sön­lich­keit der Figur und die Situa­ti­on, in der sie sich gera­de befin­det, noch mehr im Vor­der­grund.

So wird der Bewusst­seins­strom eines Sol­da­ten, der ohne Deckung in eine schwe­re Beschie­ßung gera­ten ist, sehr emo­tio­nal sein. Anders sieht es aus, wenn die­ser Sol­dat nach dem Krieg ein Buch über sei­ne Kriegs­er­leb­nis­se schreibt, in dem er sei­ne dama­li­ge Per­spek­ti­ve für Zivi­lis­ten, qua­si für „Extra­doo­fe“, erläu­tert und dabei – viel­leicht auf­grund einer PTBS – bemer­kens­wert sach­lich und gefühls­kalt ist:

„Ich glau­be einen Ver­gleich gefun­den zu haben, der das beson­de­re Gefühl die­ser Lage, in der ich wie jeder ande­re Sol­dat die­ses Krie­ges so oft gewe­sen bin, recht gut trifft: Man stel­le sich vor, ganz fest an einen Pfahl gebun­den und dabei von einem Kerl, der einen schwe­ren Ham­mer schwingt, stän­dig bedroht zu sein. Bald ist der Ham­mer zum Schwung zurück­ge­zo­gen, bald saust er vor, daß er fast den Schä­del berührt, dann wie­der trifft er den Pfahl, daß die Split­ter flie­gen – genau die­ser Lage ent­spricht das, was man deckungs­los inmit­ten einer schwe­ren Beschie­ßung erlebt.“
Ernst Jün­ger: In Stahl­ge­wit­tern, Kapi­tel: Der Auf­takt zur Somme-Schlacht.

Was das Beschrei­ben an sich angeht, so greift der Autor hier auf einen Ver­gleich zurück und benutzt dabei eine Ana­pher („Bald … bald …“), um den Wech­sel zwi­schen dem War­ten und den Schlä­gen auch durch die Spra­che zu veranschaulichen.

Anders sieht die Beschrei­bung aus, wenn ein frisch ver­lieb­tes fünf­zehn­jäh­ri­ges Mäd­chen sei­ne Gefüh­le in einem Tage­buch niederschreibt:

„Wenn ich mor­gens auf­wa­che und an ihn den­ke und mit geschlos­se­nen Augen dalie­ge, damit Julie glaubt, dass ich noch schla­fe, liegt mein Herz wie ein schwe­rer Klum­pen in mei­ner Brust. Vor lau­ter Lieb­ha­ben. Ich habe nicht gewusst, dass man Lie­be wirk­lich spü­ren kann – ich mei­ne, kör­per­lich. Bei mir ist es wie eine Art von Zie­hen in der Herzgegend.“
Anne­ma­rie Selin­ko: Dési­rée, Kapi­tel: Mar­seil­le, Anfang Prai­ri­al. (Der Won­ne­mo­nat Mai geht zu Ende, sagt Mama).

Die­se Beschrei­bung ist mehr auf das Mit­fie­bern aus­ge­rich­tet: Wir bekom­men sie durch die fünf­zehn­jäh­ri­ge Dési­rée Cla­ry selbst – und zwar mit allem, was dazu­ge­hört. Sie beschreibt ihre Emp­fin­dun­gen im Detail, fast mit einer Art kind­lich-wis­sen­schaft­li­chem Inter­es­se, weil es für sie ein völ­lig neu­es Erleb­nis ist. Auch sie ope­riert mit Ver­glei­chen, aber ihr Satz­bau ist abge­hack­ter, emotionaler.

„Show, don’t tell!“

Nun sind Beschrei­bun­gen im buch­stäb­li­chen Sin­ne hin und wie­der ange­bracht – doch wenn etwas beschrie­ben wird, pau­siert die Geschich­te, und das kann ihr die Span­nung neh­men. Des­we­gen ver­su­chen wir meis­tens zu Recht, die Emo­tio­nen und Gefüh­le direkt im Gesche­hen selbst unter­zu­brin­gen.

Und das geht mit „Show“ und „Tell“. Grund­sätz­lich haben wir aber schon in einem frü­he­ren Arti­kel dar­über gespro­chen, und daher stei­gen wir hier ohne wei­te­res Vor­ge­plän­kel direkt in die Emo­tio­nen ein …

„Tell“, „Show“ und Introspektion

Ich klaue und ver­un­stal­te mal ein Bei­spiel aus der KreativCrew:

Als Fritz­chen die Nach­richt hör­te, begann Zorn in ihm zu bro­deln wie in einem Vulkan.

Hier haben wir zwar einen bild­li­chen, wenn auch etwas kit­schi­gen Ver­gleich mit einem Vul­kan und das Bro­deln des Zorns ist eine Meta­pher, aber wir bekom­men immer noch gesagt, dass Fritz­chen zor­nig ist. Es ist also klas­si­sches „Tell“, gekop­pelt an eine Beschrei­bung.

Nächs­te Vari­an­te, eben­falls geklaut und verunstaltet:

Als Fritz­chen die Nach­richt hör­te, schmet­ter­te er in sei­nem Zorn den Becher gegen die Wand.

Hier ent­fällt die Beschrei­bung des Zorns, aber die Emo­ti­on an sich wird den­noch benannt. Wir bekom­men also immer noch gesagt, was Fritz­chen fühlt. Doch gleich­zei­tig haben wir auch eine neue Kom­po­nen­te: Fritz­chens Zorn wird durch eine kon­kre­te Hand­lung unter­malt, die sei­ne Emo­ti­on zeigt. Hier haben wir also eine Mischung aus „Tell“ und „Show“.

Betrach­ten wir schließ­lich noch eine Version:

Das konn­te doch nicht wahr sein! Er pack­te sei­nen Becher und schmet­ter­te ihn gegen die Wand.

Hier dürf­te unmiss­ver­ständ­lich klar sein, dass Fritz­chen einen Wut­an­fall hat. Die Emo­ti­on wird jedoch nicht benannt, son­dern nur durch Fritz­chens Gedan­ken und Hand­lun­gen gezeigt. Es ist somit ein Zusam­men­spiel aus Intro­spek­ti­on und „Show“.

Emotionen und Außenwahrnehmung

Nun ist die­se letz­te Kom­bi­na­ti­on ja schön und gut, aber was, wenn wir gar nicht aus Fritz­chens Per­spek­ti­ve schrei­ben? Wie brin­gen wir sei­ne Emo­tio­nen trotz­dem rüber?

Die Sache ist: Irgend­wes­sen Per­spek­ti­ve haben wir trotz­dem. Wenn also Lies­chen die Reflek­tor­fi­gur ist, kön­nen wir zwar nicht in Fritz­chens Kopf schau­en, aber wir kön­nen sei­ne äußer­li­chen Reak­tio­nen durch Lies­chens Pris­ma wahr­neh­men.

Das könn­te zum Bei­spiel so aussehen:

Es tat kör­per­lich weh, die­se Wor­te her­aus­zu­pres­sen, doch Lies­chen schul­de­te Fritz­chen die Wahrheit.

„Die Mis­si­on ist gescheitert.“

Fritz­chen erstarr­te. Glotz­te, wäh­rend die Erkennt­nis lang­sam ein­setz­te. Und dann, ohne jede Vor­war­nung, pack­te er sei­nen Becher und schmet­ter­te ihn gegen die Wand.

Hier geht es vor­ran­gig um Lies­chens Gefüh­le und Wahr­neh­mun­gen: Sie will Fritz­chen die schlech­te Nach­richt nicht über­brin­gen, aber sie tut es den­noch aus Pflicht­ge­fühl her­aus. Und dann beob­ach­tet sie sei­ne Reak­ti­on. Sie kann sei­ne Gedan­ken natür­lich nicht lesen, aber sie kann es ihm anse­hen, wie die Zahn­rä­der in sei­nem Kopf die Nach­richt ver­ar­bei­ten und wie er dann sei­ner Wut Aus­druck ver­leiht. Die Emo­ti­on kommt an die­ser Stel­le dadurch zustan­de, dass Lies­chen offen­bar eine posi­ti­ve Bezie­hung zu Fritz­chen hat. Wir müs­sen davon aus­ge­hen, dass Fritz­chens Reak­ti­on für sie schmerz­haft ist, und wenn ihre Bezie­hung vor­her ange­mes­sen rüber­ge­bracht wur­de und wir mit Lies­chen mit­füh­len, als sie die schlech­te Nach­richt über­bringt, dann muss ihr Schmerz bei Fritz­chens Reak­ti­on nicht extra erwähnt wer­den: Wir ste­cken ja bereits in ihrem Kopf, wir tei­len ihre Bezie­hung zu Fritz­chen und ihre Beob­ach­tun­gen, und unser Gehirn löst in uns von selbst Gefüh­le von Schmerz und Bedau­ern aus.

Weil Intro­spek­ti­on hier bei Fritz­chen aber kom­plett weg­fällt und „Tell“ uns aus Lies­chens Per­spek­ti­ve her­aus­rei­ßen wür­de, wird hier „Show“ beson­ders wich­tig. Denn wir erken­nen die Emo­tio­nen ande­rer Men­schen haupt­säch­lich an Kör­per­spra­che, Rede­wei­se und am Ver­hal­ten gene­rell – und so funk­tio­niert es auch bei Figu­ren, in deren Köp­fe wir kei­nen Ein­blick haben.

Bloß lau­ern hier zwei Gefah­ren, näm­lich Kli­schees und Realismus:

  • Mit Kli­schees mei­ne ich, dass der Autor für eine Emo­ti­on nur eine oder nur eini­ge weni­ge kör­per­sprach­li­che Reak­tio­nen hat, die häu­fig auch in ande­ren Wer­ken ver­wen­det wer­den. Das ist zum Bei­spiel der Fall, wenn in einem Werk sehr viel geseufzt wird, weil dem Autor kei­ne ande­ren Mög­lich­kei­ten für den Aus­druck unan­ge­neh­mer Gefüh­le ein­fal­len und der gefühl­te Rest der Welt ja auch über­wie­gend mit dem Seuf­zen ope­riert. Um mehr Viel­falt in die Sache zu brin­gen, emp­feh­le ich inten­si­ves Beob­ach­ten von Men­schen, ger­ne auch in Kom­bi­na­ti­on mit einem Glos­sar für Kör­per­spra­che. Beden­ke dabei aber, dass Men­schen unter­schied­lich sind und auch ihre Kör­per­spra­che indi­vi­du­el­le Eigen­hei­ten hat. Statt also kör­per­sprach­li­che Äuße­run­gen wie aus einem Wör­ter­buch ein­fach in den Text zu packen, soll­test Du über­le­gen, wie sich die Kör­per­spra­che der ein­zel­nen Figu­ren unter­schei­det: wer wild mit dem Armen fuch­telt, wer still in der Ecke sitzt und wer Becher gegen die Wand schmeißt. Idea­ler­wei­se soll­te jede Figur ihre eige­ne Kör­per­spra­che haben.
  • Mit Rea­lis­mus mei­ne ich, dass ech­te Men­schen ihre Gefüh­le oft ver­ber­gen. Und jemand, der sei­ne Mit­men­schen nicht durch sei­ne unan­ge­neh­men Gefüh­le in Ver­le­gen­heit brin­gen oder ner­vi­ge Fra­gen ver­mei­den möch­te, wird sein Seuf­zen her­un­ter­schlu­cken und viel­leicht sogar breit grin­sen. Aber je nach­dem, wie gut sei­ne schau­spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten sind und wie gut die ande­ren Figu­ren ihn ken­nen, wird jemand ande­rem viel­leicht auf­fal­len, dass die­ses Grin­sen etwas ver­krampft wirkt. Beden­ke also, dass die Äuße­rung von Emo­tio­nen auch ver­schach­telt sein bzw. meh­re­re Schich­ten haben kann. Und das hängt wie­der­um mit der Per­sön­lich­keit der Figur und der jewei­li­gen Situa­ti­on Mit ande­ren Wor­ten: Hier zeigt sich mal wie­der, wie wich­tig es ist, Men­schen zu beob­ach­ten und sei­ne fik­ti­ven Figu­ren genau zu ken­nen.

Rhetorische Stilmittel

Wie Du also merkst, gibt es ver­schie­de­ne Kom­bi­na­tio­nen von Tech­ni­ken, um Emo­tio­nen rüber­zu­brin­gen, und sie alle haben einen unter­schied­li­chen Effekt, auch je nach Situa­ti­on, Wort­wahl etc. Es ist also schwie­rig, irgend­wel­che Regeln zu for­mu­lie­ren. Zwar ist an „Show, don’t tell“ sehr viel dran, aber ich bezweif­le, dass irgend­je­mand einen gan­zen Text lesen möch­te, in dem Emo­tio­nen nie­mals benannt wer­den. „Tell“ macht sehr viel Sinn, wenn man sich mit der ent­spre­chen­den Emo­ti­on nicht lan­ge auf­hal­ten möch­te„Show“ hin­ge­gen ist bei wich­ti­gen Emo­tio­nen ange­bracht, die sich als Bil­der im Gedächt­nis des Lesers ein­bren­nen sol­len. Und wenn man die Emo­tio­nen auf den Leser über­tra­gen will, nutzt man Intro­spek­ti­on.

Und rhe­to­ri­sche Stil­mit­tel sind auch nie ver­kehrt. Denn die sehr kon­kre­te Form, die man dem Aus­druck oder der Beschrei­bung der Emo­ti­on gibt, kann eben­falls indi­rekt Gefüh­le trans­por­tie­ren. Hier zum Bei­spiel das uner­war­te­te Wie­der­se­hen von zwei Lie­ben­den, die durch sehr wid­ri­ge Umstän­de eine Wei­le getrennt waren:

„Ich ver­gaß das Fens­ter zuzu­ma­chen, ich ver­gaß, in mei­ne Haus­schu­he zu schlüp­fen, ich ver­gaß, irgend­et­was umzu­neh­men, ich ver­gaß, dass ich nur ein Nacht­hemd trug, ich ver­gaß, was sich gehört und was sich nicht gehört – ich rann­te wie eine Beses­se­ne die Stie­gen hin­un­ter, öff­ne­te die Haus­tür, spür­te Kie­sel­stei­ne unter mei­nen blo­ßen Füßen, und dann spür­te ich sei­nen Mund auf mei­ner Nase. Es war ja so dun­kel, und im Dun­keln kann man sich nicht aus­su­chen, wohin man küsst.“
Anne­ma­rie Selin­ko: Dési­rée, Kapi­tel: Mar­seil­le, Ende Fruc­ti­dor. (Mit­te September).

Die Wie­der­ho­lung von „ich ver­gaß“ macht deut­lich, lässt den Leser spü­ren, dass die jun­ge Dési­rée in die­sem Moment wirk­lich von ihren Emo­tio­nen über­wäl­tigt ist und an nichts ande­res den­ken kann als an ihren Gelieb­ten. Dar­auf folgt eine kli­mak­ti­sche Auf­zäh­lung von Hand­lun­gen, von denen jede Dési­rée ihrem Gelieb­ten näher bringt, und das Gan­ze gip­felt in einem Kuss. Und damit es nicht kit­schig wird, ist es ein ver­se­hent­li­cher, aber in die­ser Situa­ti­on äußerst rea­lis­ti­scher blin­der Kuss auf die Nase. Dar­auf­hin ent­spannt sich die Lage, die Stil­mit­tel las­sen nach und es folgt eine eher ruhi­ge Erklä­rung für das put­zi­ge Missgeschick.

Weil ich aber bereits eine gan­ze Rei­he zu rhe­to­ri­schen Stil­mit­teln habe, mache ich auch an die­ser Stel­le einen Schnitt und wir gehen über zu mei­nen abschlie­ßen­den Tipps fürs Beschrei­ben von Emotionen …

Sonstige Tipps

Zwar wür­de ich Dir drin­gend ans Herz legen, die oben erwähn­ten Arti­kel zu lesen, aber eini­ge Punk­te möch­te ich hier den­noch expli­zit ansprechen:

  • Da hät­ten wir an ers­ter Stel­le natür­lich Rea­lis­mus und Fin­ger­spit­zen­ge­fühl bei sen­si­blen The­men und/​oder bei Din­gen, bei denen man kei­ne per­sön­li­chen Erfah­run­gen hat. Hier ist sehr viel Recher­che ange­sagt, und unter die­sem Link fin­dest Du mei­nen Arti­kel über sen­si­blen Umgang mit Gewalt; über das Schrei­ben ohne per­sön­li­che Erfah­rung spre­chen wir ja noch 2022. Ich bit­te Dich also vor­erst um Geduld, möch­te die Wich­tig­keit rea­lis­ti­scher Gefüh­le aber auf jeden Fall erwähnt haben. Denn fik­tio­na­le Wer­ke prä­gen unse­re Wahr­neh­mung der Rea­li­tät und die Fol­gen schlech­ter Dar­stel­lung kön­nen tra­gisch sein.
  • Auch soll­test Du dar­auf ach­ten, dass es bei den Gefüh­len in Dei­nem Werk ein Auf und Ab gibt. Denn nie­mand will ein Buch lesen, das durch­weg fröh­lich oder durch­weg depri­mie­rend ist. Dazu aber mehr im Arti­kel über das Auf­bau­en einer inter­es­san­ten Hand­lung nach dem Best­sel­ler-Code von Archer und Jockers.
  • Ver­giss auch nie, bei der Intro­spek­ti­on, dem Beschrei­ben und beim „Show“ mög­lichst vie­le Sin­ne ein­zu­be­zie­hen. Durch das Medi­um Film sind wir oft stark auf das Visu­el­le und Audi­tive fokus­siert, dabei kön­nen wir jedoch auch noch rie­chen, schme­cken und tas­ten. Wenn wir die­se Sin­ne ver­nach­läs­si­gen, geht unse­ren Beschrei­bun­gen also eine Men­ge Poten­ti­al verloren.
  • Und nicht zuletzt ist natür­lich auf das zur jewei­li­gen Text­stel­le pas­sen­de Pacing zu ach­ten. Bei Action muss alles schnell gehen und die Gefüh­le soll­ten idea­ler­wei­se hand­lungs­be­glei­tend ein­ge­bun­den wer­den. Aus­schwei­fen­de Beschrei­bun­gen von Gefüh­len hin­ge­gen sind eher dann ange­bracht, wenn das kon­kre­te Gefühl eine beson­de­re Rol­le spielt, also zum Bei­spiel das Ver­liebt­sein in einem Lie­bes­ro­man. Nicht­de­sto­trotz wür­de ich per­sön­lich jedoch sagen, dass die bes­ten Gefühls­be­schrei­bun­gen mit weni­gen Wor­ten auf den Punkt kom­men.

Schlusswort

So viel zum Beschrei­ben von Emo­tio­nen und Gefüh­len. Ich hof­fe, es ist rüber­ge­kom­men, dass es kei­ne für sich abge­trenn­te Dis­zi­plin ist, son­dern hier das Her­aus­ar­bei­ten von Figu­ren, die Erzähl­per­spek­ti­ve, sprach­li­ches Hand­werk und vie­le ande­re Berei­che inein­an­der grei­fen. Außer­dem gibt es kei­ne Schleich­we­ge und Du kommst nicht drum her­um zu üben, zu schei­tern und es das nächs­te Mal bes­ser zu machen. Es ist etwas, das Zeit und Erfah­rung braucht.

Was eben­falls hel­fen kann, ist das Ana­ly­sie­ren von emo­tio­na­len Sze­nen in Büchern. Des­we­gen zer­le­gen wir am 21.11.2021 ein paar sol­cher Sze­nen in einem Ste­ady-Live­stream

6 Kommentare

  1. „Super Text. Vie­len Dank! Gera­de das vie­le Seuf­zen ist auch eines mei­ner Pro­ble­me“, sag­te AZR und seufzte. 🙂

    Noch eine Frage:

    Wer­den bei den Beispielen

    „Als Fritz­chen die Nach­richt hör­te, begann Zorn in ihm zu bro­deln wie in einem Vulkan.“

    und

    „Als Fritz­chen die Nach­richt hör­te, schmet­ter­te er in sei­nem Zorn den Becher gegen die Wand.“

    nicht eigent­lich show und tell gemischt. Denn zwar wird die Emo­ti­on selbst nur mit­ge­teilt, die Inten­si­tät wird aber beschrie­ben. Die Emo­ti­on selbst ergibt sich bei show ja gewöhn­lich aus dem Kon­text, so unmiss­ver­ständ­lich fin­de ich den Becher­wurf daher gar nicht.
    -
    Es klopf­te. Lies­chen betrat das Zimmer.

    „Wir…“, begann sie, „Wir haben es geschafft!“

    Das konn­te doch nicht wahr sein! Er pack­te sei­nen Becher und schmet­ter­te ihn gegen die Wand.
    -

    bzw.

    -
    Lies­chen wuss­te nicht, wie sie es ihm sagen soll­te. Sie konn­te es ja selbst kaum glauben.

    „Wir haben es geschafft!“

    Fritz­chen erstarr­te. Glotz­te, wäh­rend die Erkennt­nis lang­sam ein­setz­te. Und dann, ohne jede Vor­war­nung, pack­te er sei­nen Becher und schmet­ter­te ihn gegen die Wand.
    -

    Wür­de man hier nicht eher (unbän­di­ge) Freu­de deu­ten? So wie wenn man sonst schreibt: 

    Fritz­chen warf vor Freu­de sei­nen Becher gegen die Wand.

    AZR
    1. Das Seuf­zen ist auch bei mir eine der gro­ßen Bau­stel­len. *seufz* 😅

      Zu Dei­ner Fra­ge: Ich glau­be, Du ver­wech­selst ein wenig Bild­lich­keit und Show. Das Bro­deln des Zorns wie in einem Vul­kan kann man sich zwar sehr gut als Bild vor­stel­len, aber der Ver­gleich wird vom Erzäh­ler nur so hin­ge­stellt und ist außer­dem auch sehr abs­trakt: Denn wie sieht es denn kon­kret aus, wenn der Zorn bro­delt wie in einem Vul­kan? Im Kopf­ki­no erscheint eher der Vul­kan als eine kon­kre­te Zor­nes­äu­ße­rung wie bei­spiels­wei­se das Becher­schmei­ßen. Aber Du hast natür­lich recht, Show hat sehr viel mit Kon­text zu tun. Eben weil der Erzäh­ler hier Bil­der lie­fert, die der Leser selbst­stän­dig deu­ten muss.

      1. Das ist ein gutes Argu­ment. Eine Meta­pher macht noch kei­ne Beschrei­bung. Ich weiß eigent­lich nicht ein­mal, ob ein Vul­kan wirk­lich bro­delt und wie genau man sich das vor­zu­stel­len hat.

        Aller­dings ist es beim zwei­ten Bei­spiel dann doch schon so, dass die Emo­ti­on benannt und durch die Beschrei­bung gewis­ser­ma­ßen kon­kre­ti­siert wird, oder?

        AZR
        1. Na ja, eine Meta­pher dient schon der Beschrei­bung. Bloß ist sie nicht auto­ma­tisch Show.

          Benannt wird die Emo­ti­on in bei­den Bei­spie­len, also bei­des Tell. Der Unter­schied ist nur in der Art der Kon­kre­ti­sie­rung, um mal Dein Wort auf­zu­grei­fen. Beim ers­ten Bei­spiel wird durch eine Beschrei­bung (Vul­kan, bro­deln) „gewis­ser­ma­ßen kon­kre­ti­siert“, beim zwei­ten durch eine kon­kre­te Hand­lung, also Show.

          1. Naja ich hab jetzt pau­schal „show“ und „tell“ durch „beschrei­ben“ und „mit­tei­len“ ersetzt. Ich mein­te also: Eine Meta­pher allei­ne mach noch kein „show“

            Danach wür­de ich sagen, wir sind uns im Ergeb­nis einig. 🙂

            AZR

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