Charakter-Arcs: Die Entwicklung Deiner Figuren

Charakter-Arcs: Die Entwicklung Deiner Figuren

Inter­es­sante Fig­uren entwick­eln sich und/oder verän­dern ihre Umwelt. Doch wie funk­tion­iert so ein Charak­ter-Arc? Woraus set­zt er sich zusam­men? Und welche Typen gibt es? In diesem Artikel schauen wir uns das an …

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In einem früheren Artikel haben wir das Erzählen vor allem als das Beschreiben ein­er Zus­tandsverän­derung definiert. Und wenn wir dazu noch sagen, dass Fig­uren das Herzstück ein­er Erzäh­lung sind, kom­men wir zu fol­gen­der Erken­nt­nis:

Eine inter­es­sante, mitreißende Erzäh­lung erfordert, dass Fig­uren sich verän­dern. Dass sie sich entwick­eln. Zum Pos­i­tiv­en oder zum Neg­a­tiv­en.

Schauen wir uns also an, wie die Verän­derung ein­er Fig­ur, ein soge­nan­nter char­ac­ter arc, kon­stru­iert wird:

Was für Arcs gibt es? Aus welchen Ele­menten set­zt sich ein Arc zusam­men? Und was gibt es son­st noch zu beacht­en?

Find­en wir es her­aus!

Voraussetzungen für einen spannenden Charakter-Arc

Bevor wir einen guten Char­ac­ter-Arc über­haupt auf­bauen kön­nen, müssen wir die notwendi­gen Bedin­gun­gen dafür erfüllen. Denn wenn eine Fig­ur sich entwick­eln soll, muss über­haupt erst mal Entwick­lungspo­ten­tial da sein. Eine Fig­ur, die run­dum per­fekt ist, braucht sich näm­lich nicht zu entwick­eln.

Erin­nerst Du Dich noch an den Artikel über die Fig­uren-Moti­va­tion? Darin haben wir unter anderem über die Unter­schei­dung von Ziel, Schwäche und Bedürf­nis gesprochen. Noch ein­mal zur Auf­frischung:

Eine Fig­ur hat ein Ziel, das sie bewusst ver­fol­gt. Das ist im Fall des Pro­tag­o­nis­ten der Aus­lös­er für den Plot. Doch die Fig­ur hat eine Schwäche, die sie daran hin­dert, ihr Ziel zu erre­ichen. Im Ver­lauf der Geschichte merkt sie schließlich, dass sie ein tiefes inneres Bedürf­nis hat — nicht das, was sie bewusst will, son­dern das, was sie wirk­lich braucht. Die Erken­nt­nis des Bedürfniss­es und das Kor­rigieren der Schwäche führen dann zum Erre­ichen des Ziels oder zum Ver­w­er­fen des alten Ziels und zum For­mulieren und Erre­ichen eines neuen.

Wie in dem Artikel über die Fig­uren-Moti­va­tion bere­its besprochen, ist es wichtig, dass zumin­d­est der Pro­tag­o­nist sein Ziel aktiv ver­fol­gt. Denn Fig­uren, die nichts tun und ein­fach warten, bis ihre Kon­flik­te sich von alleine auflösen, sind ten­den­ziell wenig mitreißend. Gle­ichzeit­ig sollte die Schwäche des Pro­tag­o­nis­ten bzw. der sich zu entwick­el­nden Fig­ur schon zu Beginn der Erzäh­lung bzw. möglichst bei ihrem ersten Auf­tauchen klar gezeigt wer­den. Ide­al­er­weise sollte die Fig­ur durch ihre Schwäche jeman­dem bewusst oder unbe­wusst Schaden zufü­gen. Dadurch ergibt sich eine aktive Fig­ur, mit der man gerne mit­fiebern möchte, die aber gle­ichzeit­ig nicht per­fekt ist, sodass man tat­säch­lich mit­fiebern kann, während sie sich entwick­elt.

Weitere Begriffe

Arbeit­en wir das Ganze nun noch weit­er her­aus und brin­gen die Lüge und den Geist der Ver­gan­gen­heit ins Spiel:

Die Schwäche ein­er Fig­ur ist in der Regel an eine Lüge gekop­pelt, an die sie felsen­fest glaubt. Und diese Lüge wiederum ist oft eine Folge ein­er prä­gen­den Erfahrung im Leben der Fig­ur. Das ist der Geist der Ver­gan­gen­heit, der die Fig­ur immer noch heim­sucht.

Greifen wir zur Erk­lärung mal ein Beispiel aus dem Artikel über die Fig­uren-Moti­va­tion auf:

  • Ale­jan­dro Mur­ri­eta ist der Pro­tag­o­nist von Die Maske des Zor­ro.
  • Sein Ziel ist, Cap­tain Har­ri­son Love zu töten, um seinen Brud­er zu rächen.
  • Seine Schwäche ist, dass er ein rück­sicht­slos­er, hitzköp­figer und untrainiert­er Ban­dit ist, der gegen Cap­tain Love nicht den Hauch ein­er Chance hat.
  • Er glaubt also an die Lüge, dass jed­er für sich ist, dass man über seine Tat­en nicht nachzu­denken braucht und dass Kämpfen nicht mehr ist als hirn­los­es Ein­dreschen auf den Geg­n­er.
  • Im Ver­lauf der Geschichte erken­nt er jedoch die Wahrheit: dass ein alter Knack­er, zufäl­lig der ehe­ma­lige Zor­ro Don Diego de la Vega, ihn mit weni­gen Bewe­gun­gen außer Gefecht set­zen kann und dass die Men­schen einen neuen Zor­ro brauchen. Damit ent­deckt er auch sein tiefes inneres Bedürf­nis, die Schwachen zu beschützen, und lässt sich vom alten Zor­ro zum neuen Zor­ro aus­bilden.
  • Er lernt Mit­ge­fühl für das ein­fache Volk, seine Impulse zu beherrschen und natür­lich das Kämpfen. Damit besiegt er die Geis­ter sein­er Ver­gan­gen­heit, näm­lich seinen krim­inellen Hin­ter­grund und den ursprünglich unkon­trol­lier­baren Drang, sich unüber­legt auf Cap­tain Love zu stürzen.
  • Durch strate­gis­ches und hero­is­ches Vorge­hen sowie seine per­fek­tion­ierten Kampfkün­ste erre­icht er sein neues Ziel, die Schwachen, näm­lich die todgewei­ht­en Sklaven ein­er Gold­mine, zu beschützen, aber auch sein ursprünglich­es Ziel, sich an Cap­tain Love zu rächen.

Verknüpfungen

Um eine wirk­lich inter­es­sante Entwick­lung ein­er Fig­ur darzustellen, soll­test Du also Ziel, Schwäche, Lüge, Bedürf­nis und den Geist der Ver­gan­gen­heit definieren und sie alle schlüs­sig miteinan­der verknüpfen. Das verknüpfende Glied ist dabei das The­ma der Geschichte:

  • Beachte zum Beispiel, wie Ale­jan­dros Ziel, Schwäche, Lüge, Bedürf­nis und Geis­ter der Ver­gan­gen­heit sich um seinen Werde­gang vom inkom­pe­ten­ten und ego­is­tis­chen Krim­inellen zum strahlen­den Helden drehen.
  • Beachte auch, wie der alte Zor­ro seine Rolle als strahlen­der Held abgibt und sich nur noch um seine eigene Rache und seine Fam­i­lien­an­gele­gen­heit­en küm­mert.

Damit will ich vor allem andeuten, dass ein Charak­ter-Arc nicht nur mit dem The­ma ein­er Geschichte, son­dern auch mit anderen Charak­ter-Arcs und der generellen Struk­tur der Gesamt­geschichte verknüpft sein sollte (siehe Fig­uren-Kon­stel­la­tion). Son­st ergibt sich kein organ­is­ches, stim­miges Ganzes:

Beachte beispiel­sweise, wie in der Har­ry Pot­ter-Serie im Zusam­men­hang mit der Entwick­lung des Pro­tag­o­nis­ten ein grundle­gen­der Wan­del stat­tfind­et: Sind die ersten Bände der Rei­he noch putzige Kinder­büch­er, wird das Fig­urenge­flecht in den späteren Bän­den kom­pliziert­er und die The­men wer­den ern­ster.

Die Har­ry Pot­ter-Serie demon­stri­ert im Übri­gen auch, dass ein Charak­ter-Arc dur­chaus auch über Jahre hin­weg ver­laufen kann. Die Schlüs­sel­mo­mente eines (wichti­gen) Arcs soll­ten generell stets in konkreten Szenen gezeigt wer­den. Dadurch wird auch eine sehr allmäh­liche Verän­derung ein­er Fig­ur sicht­bar und nachvol­lziehbar.

Und wenn es speziell um den Arc des Pro­tag­o­nis­ten geht, sollte er auch mit der ihn umgeben­den Welt verknüpft sein:

So ist es für Die Maske des Zor­ro beispiel­sweise beze­ich­nend, dass ein stark­er Kon­trast zwis­chen der Welt der herrschen­den Eliten, die das Volk aus­beuten, und den katas­trophalen Bedin­gun­gen, die die Sklaven der Gold­mine ertra­gen müssen, kon­stru­iert wird: Als Ale­jan­dro den Kreis der reichen Machthaber infil­tri­ert, ist er noch ein Ego­ist. Die Szener­ie ist voll bunter Far­ben, Musik und Luxus. Er ist ein Ego­ist in ein­er Welt von Ego­is­t­en. Ein entschei­den­der Meilen­stein für seinen Wan­del ist jedoch der Besuch der besagten Gold­mine. Sein Wan­del passiert also nicht ein­fach irgend­wann, weil sein Men­tor Don Diego ihn mit guten Argu­menten überzeugt hat, son­dern als Ale­jan­dro das Leid der Men­schen direkt vor Ort sieht. Die ein­tönige gelb-braune Fels- und Wüsten­szener­ie verkör­pert die Kon­fronta­tion des Pro­tag­o­nis­ten mit der bit­teren Wahrheit.

Außer­dem sollte der Arc des Pro­tag­o­nis­ten vor allem mit der Plot­struk­tur verknüpft sein: Die wichti­gen Meilen­steine sein­er Entwick­lung soll­ten mit bes­timmten Sto­ry­beats zusam­men­fall­en, weil die Gesamt­geschichte ja auch gle­ichzeit­ig seine per­sön­liche Geschichte ist. Das The­ma Plot- bzw. Hand­lungsstruk­turen mit der Helden­reise, der Drei-Akt-Struk­tur, dem Sieben-Punk­te-Sys­tem etc. ist jedoch ein ganz eigenes Fass, das wir gerne ein ander­mal öff­nen kön­nen.

Anson­sten geht John Tru­by in seinem äußerst hil­fre­ichen Buch The Anato­my of Sto­ry sehr aus­führlich auf all diese Zusam­men­hänge ein. Wir aber bleiben bei den Charak­ter-Arcs selb­st und schauen uns an, welche Typen es über­haupt gibt.

Typen von Charakter-Arcs

Die Autorin und Blog­gerin K. M. Wei­land unter­schei­det in ihrem Buch Cre­at­ing Char­ac­ter Arcs zwis­chen drei Typen:

  • Der pos­i­tive Arc (Pos­i­tive Change Arc) ist wohl der beliebteste Typ. Hier geht es um eine Verän­derung der Fig­ur zum Pos­i­tiv­en: Sie erken­nt die Lüge in ihrem Leben als solche und besiegt ihre Schwächen. Sie wird zu einem besseren Men­schen und lebt ein erfüll­teres Leben.
  • Der neg­a­tive Arc (Neg­a­tive Change Arc) ist das kom­plette Gegen­teil davon: Die Fig­ur verän­dert sich zum Neg­a­tiv­en — in welch­er Form auch immer.
    • Im besten Fall ist die neg­a­tive Verän­derung lediglich nur eine Desil­lu­sion­ierung: Die Fig­ur erken­nt, dass ihre Friede-Freude-Eierkuchen-Vorstel­lung von der Welt eine Lüge ist, legt ihre Naiv­ität ab und erken­nt die bit­tere Real­ität. Manch­mal kann ein solch­es Szenario auch als pos­i­tiv ange­se­hen wer­den, aber das Ende ist trotz­dem deprim­ierend, weil die Welt­sicht der Fig­ur sich zum Neg­a­tiv­en gewan­delt hat.
    • Viel tragis­ch­er ist der Werde­gang ein­er Fig­ur, die sich weigert, die Wahrheit zu erken­nen, und immer tiefer in ihrer Lüge versinkt und evtl. auch andere mit sich hin­abzieht. Die Geschichte endet mit häu­fig mit Wahnsinn, Amoral­ität oder dem Tod.
    • Bit­ter ist auch die Verän­derung ein­er Fig­ur, die am Anfang die Wahrheit ken­nt, sich im Ver­lauf der Geschichte aber von der Lüge kor­rumpieren lässt. Es ist also die Geschichte eines poten­tiellen Helden, der zum Schurken mutiert.
  • Anson­sten ist auch ein Charak­ter-Arc möglich, bei dem die Fig­ur sich — zumin­d­est inner­lich — gar nicht verän­dert: Das ist der soge­nan­nte flache Arc (Flat Arc). Die Fig­ur ist an sich schon per­fekt, wie sie ist, also braucht sie sich nicht zu verän­dern. Vielmehr wird sie — ihr Glaube an die Wahrheit — immer wieder auf die Probe gestellt. Die Fig­ur beste­ht die Her­aus­forderun­gen und bleibt bis zum Ende sie selb­st. Die Zus­tandsverän­derung wird dabei auf die anderen Fig­uren aus­ge­lagert: Sie sind es, die sich durch die Stand­haftigkeit der per­fek­ten Fig­ur verän­dern.
    Alter­na­tiv kann die Fig­ur laut Tyler Mow­ery aber auch eine “neg­a­tive” Wahrheit verkör­pern: Während die Fig­ur bleibt, wie sie ist, desil­lu­sion­ieren ihre Tat­en andere Fig­uren und/oder kor­rumpieren sie.

Die Rolle der Interpretation

Außer­dem schlägt Tyler Mow­ery noch einen vierten Typ vor: den offe­nen Arc (Open-End­ed Arc). Das ist der Fall, wenn die Zuord­nung zu einem der anderen Typen von der Inter­pre­ta­tion des Rezip­i­en­ten abhängt: Ist die Welt­sicht ein­er Fig­ur am Anfang eine Lüge und sie versinkt noch tiefer in ihr oder ist es die Wahrheit und sie wider­ste­ht der Lüge?

Mow­erys Beispiel ist der Film Whiplash, in dem offen bleibt, ob Erfolg Erfül­lung bringt oder nicht: Der Pro­tag­o­nist will eine Musikkar­riere und sein Band­leader treibt ihn mit bru­tal­en Meth­o­d­en zu Höch­stleis­tun­gen. Soll der Pro­tag­o­nist das hin­nehmen?

  • Wenn man annimmt, dass das “nor­male Leben” die Wahrheit ist und Erfül­lung durch eine erfol­gre­iche Musikkar­riere eine Lüge, dann haben wir einen neg­a­tiv­en Arc, bei dem der Pro­tag­o­nist nicht nur eine Lüge ver­fol­gt, son­dern dafür im Ver­lauf der Geschichte auch gewaltige Opfer bringt.
  • Wenn man dage­gen annimmt, dass das “nor­male Leben” eine Lüge ist und Erfül­lung durch eine erfol­gre­iche Musikkar­riere die Wahrheit, dann haben wir einen flachen Arc, bei dem der Pro­tag­o­nist die Wahrheit von Anfang an ken­nt und eine Rei­he von Prü­fun­gen beste­ht.

Beim offe­nen Arc geht es also weniger um einen bes­timmten Verän­derungsver­lauf, son­dern vielmehr darum, dass die zen­tralen Fra­gen ein­er Erzäh­lung offen bleiben: Der Rezip­i­ent soll selb­st entschei­den, was Wahrheit und Lüge ist. Ich würde Mow­erys offe­nen Arc daher nicht als voll­w­er­ti­gen Typ anse­hen, son­dern als einen legit­i­men Ein­wand, dass Wei­lands Typolo­gie stark an moralis­che Nor­men geknüpft ist, die aber nicht immer ein­deutig sind. Ja, meis­tens kom­mu­niziert der Autor ein­er Erzäh­lung recht klar, was er für richtig und falsch hält, aber manch­mal sind Erzäh­lun­gen auch als bloße Denkan­re­gun­gen gemeint. Frei nach dem Mot­to: “Lieber Leser, hier hast Du eine Geschichte, entschei­de selb­st, was gut und was schlecht ist.”

Im Übri­gen sind in diesem Zusam­men­hang auch kul­turelle Unter­schiede zu bedenken, denn jede Kul­tur hat ihre eige­nen Werte, die bes­tim­men, was als richtig oder falsch ange­se­hen wird:

Sagen wir mal, eine tal­en­tierte Fig­ur will eine Kün­stlerkar­riere ver­fol­gen, wird von ihrer Fam­i­lie jedoch aus­ge­bremst. Sie hängt emo­tion­al an ihren Ver­wandten, aber im Ver­lauf der Geschichte sagt sie sich von ihnen los und ver­fol­gt ihr indi­vidu­elles Glück. In unser­er indi­vid­u­al­is­tis­chen “west­lichen” Kul­tur wäre das ein pos­i­tiv­er Arc. In vie­len anderen Kul­turen gilt die Gemein­schaft — vor allem die Fam­i­lie — jedoch als wichtiger als das Indi­vidu­um und jemand, der sein­er Fam­i­lie den Rück­en kehrt, um per­sön­liche Ziele zu ver­fol­gen, ste­ht als Ego­ist da, weil er seine Gemein­schaft im Stich gelassen hat. Aus dieser Per­spek­tive wäre das ein neg­a­tiv­er Arc.

Dieser Sachver­halt unter­stre­icht die Rolle des abstrak­ten Lesers bzw. Rezip­i­en­ten für das Werk. Wie in dem Artikel über das Mod­ell der Kom­mu­nika­tion­sebe­nen von Wolf Schmid erläutert, sollte der abstrak­te Leser bzw. Rezip­i­ent möglichst nah an den realen Men­schen sein, denen man die Geschichte “verkaufen” möchte. Son­st kann es zur Fehlkom­mu­nika­tion kom­men, sodass die Geschichte völ­lig anders aufgenom­men wird als beab­sichtigt.

Konkrete Entwicklung

So viel zur The­o­rie. Doch wie kann die Entwick­lung ein­er Fig­ur konkret ausse­hen? In The Anato­my of Sto­ry zählt John Tru­by einige beliebte Arcs auf. Das heißt aber nicht, dass man sie unbe­d­ingt benutzen soll, son­dern es ist vielmehr eine Beobach­tung, welche Arten von Entwick­lung fik­tionale Fig­uren erstaunlich oft durch­machen.

  • Als erstes hät­ten wir die selb­sterk­lärende Entwick­lung vom Kind zum Erwach­se­nen.
  • Eine weit­ere Art von Arc ist die Entwick­lung von einem Erwach­se­nen zum Anführer, also das Aufnehmen ein­er Ver­ant­wor­tung für andere und nicht nur für sich selb­st.
  • Eine spezielle Form dieser Entwick­lung ist der Wan­del von einem Zyniker, dem der Rest der Welt den Buck­el run­ter­rutschen kann, zu jeman­dem, der sich let­z­tendlich an der Ret­tung der Welt oder ein­er anderen selb­st­losen Mis­sion beteiligt.
  • Jemand, der bere­its ein Anführer ist, kann eine Entwick­lung zum Tyrann Also die Wand­lung eines Anführers, der die bru­tale Unter­drück­ung ander­er Men­schen für sich ent­deckt.
  • Eine pos­i­ti­vere Entwick­lung eines Anführers ist die zum Visionär. Im Prinzip entwick­elt sich der Anführer zu einem noch größeren Anführer, als er nicht nur die Ver­ant­wor­tung für seine eigene Gruppe übern­immt, son­dern Werte ent­deckt, nach denen die gesamte Gesellschaft reformiert wer­den sollte.
  • Eine let­zte häu­fige Art von Entwick­lung ist laut Tru­by die Meta­mor­phose, also eine buch­stäbliche Ver­wand­lung der Fig­ur in jemand anderen. Deswe­gen geht eine solche Entwick­lung oft mit Gen­res mit fan­tastis­chen Ele­menten ein­her. In der Regel trägt die Meta­mor­phose dabei einen sym­bol­is­chen Charak­ter.

Aber wie gesagt, das sind nur einige häu­fige Entwick­lungsver­läufe und sie sind im Übri­gen auch nicht unbe­d­ingt an die abstrak­ten Typen von Wei­land gekop­pelt:

So kann die Entwick­lung vom Kind zum Erwach­se­nen zum Beispiel ein pos­i­tiv­er Arc über ver­ant­wor­tungsvolles Han­deln sein, aber auch ein neg­a­tiv­er Arc über Desil­lu­sion­ierung.

Ob Du diese häu­fi­gen Entwick­lungsver­läufe benutzt und wie, bleibt also Dir über­lassen. Aber es ist zweifel­los nüt­zlich, sie zu ken­nen.

Brauche ich Charakter-Arcs und wenn ja, wie viele?

So viel zur Struk­tur von Charak­ter-Arcs. Es bleibt jedoch eine grundle­gende Frage: Brauchst Du sie über­haupt? Und wenn ja, wie viele bzw. welche Fig­uren soll­ten einen haben?

Charakter-Arcs für den Protagonisten

Wenn Du diesen Artikel liest, dann bist Du sicher­lich überzeugt, dass aller­min­destens Dein Pro­tag­o­nist einen Arc braucht. Das würde ich auch weitest­ge­hend unter­schreiben.

Wei­land weist jedoch darauf hin, dass eine Geschichte auch ohne Charak­ter-Arcs auskom­men kann, wenn das Geschehen an sich inter­es­sant ist:

Nehmen wir als Beispiel die britis­che Web­serie Eddsworld: Hier geht es um die absur­den Aben­teuer ein­er WG von inkom­pe­ten­ten Idioten. Kein­er von ihnen hat jedoch einen nen­nenswerten Charak­ter-Arc, zumal ihre Per­sön­lichkeit­en und auch Intel­li­gen­zlev­el nicht immer kon­stant sind. Das stand einem Massen­er­folg aber nie im Weg. — Eher hat es zur Beliebtheit der Serie beige­tra­gen. Nie­mand will, dass die inkom­pe­ten­ten Idioten sich irgend­wie entwick­eln. Die Zuschauer genießen sie und ihre Aben­teuer so, wie sie sind. Fra­gen nach Wahrheit und Lüge sind hier ein­fach irrel­e­vant.

Meis­tens aber braucht tat­säch­lich wenig­stens der Pro­tag­o­nist einen Arc: Wenn der Leser mit den Fig­uren mit­fiebern, eine Kathar­sis erleben soll, wenn Du willst, dass die Erzäh­lung ihm Mut macht, ihn zum Nach­denken anregt und ihm irgendwelche Werte ver­mit­telt, kommst Du ein­fach nicht drum herum.

Was für einen Arc Dein Pro­tag­o­nist bekom­men soll, hängt jedoch kom­plett von der Geschichte ab und dem, was Du mit ihr aus­sagen willst. Im Fall von Serien hängt davon auch ab, wie viele Arcs der Pro­tag­o­nist haben sollte: Denn Du hast die Entschei­dung, ob Du nur einen serienüber­greifend­en Arc kon­stru­ierst oder ob der Pro­tag­o­nist in jedem einzel­nen Teil der Serie einen neuen Arc bekommt. Natür­lich kannst Du das aber auch kom­binieren und einen über­greifend­en großen Gesamtarc mit kleinen Einze­larcs verknüpfen:

In Avatar — Der Herr der Ele­mente zum Beispiel hat der Pro­tag­o­nist einen Gesamtarc, in dem er seine Ver­ant­wor­tung für die Welt akzep­tiert. In den einzel­nen Episo­den hat er jedoch kleinere Arcs, in denen er beispiel­sweise lernt, seine Posi­tion als Avatar nicht gedanken­los auszunutzen, oder inner­lich zer­ris­sen ist, weil die all­ge­meine Erwartung, dass er den Antag­o­nis­ten töten soll, gegen seine per­sön­lichen Werte ver­stößt.

Wichtig ist im Fall von pro­gres­siv­en Serien allerd­ings, dass die vie­len Einze­larcs immer unter­schiedlich sind: Kaum etwas ist nerviger als wenn die Entwick­lung ein­er Fig­ur im Sequel ein­fach “reset­tet” wird und sie dieselbe Lek­tion ler­nen muss wie im ersten Teil. Somit sollte eine Fig­ur, die für mehrere Arcs bes­timmt ist, auch aus­re­ichend Schwächen haben. Das sollte bei ein­er inter­es­san­ten, kom­plex­en Fig­ur aber dur­chaus im Rah­men des Möglichen sein. 😉

Charakter-Arcs für Nebenfiguren

Was die anderen Fig­uren ange­ht, so kommt die Notwendigkeit eines Arcs eben­falls auf die Geschichte selb­st an. Grund­sät­zlich ist in einem einzel­nen kom­pak­ten Roman oft nicht genug Platz dafür. Deswe­gen bekom­men Neben­fig­uren — zumin­d­est mein­er Beobach­tung nach — ten­den­ziell eher in län­geren Geschicht­en — vor allem in Serien — einen nen­nenswerten Arc.

Aber, wie gesagt, je nach Geschichte und vor allem je nach Fig­uren-Kon­stel­la­tion kön­nen auch Arcs von Neben­fig­uren wichtig wer­den. Und Son­der­punk­te gibt es, wenn diese Arcs mit dem des Pro­tag­o­nis­ten und miteinan­der verknüpft sind:

Betra­cht­en wir zum Beispiel Stolz und Vorurteil von Jane Austen: Die Arcs der Pro­tag­o­nistin Lizzy und ihres Oppo­nen­ten Dar­cy sind fest miteinan­der ver­bun­den, weil sie durch den jew­eils anderen die Wahrheit erken­nen. Dar­cy erken­nt seinen Stolz — seinen Standes­dünkel — als Lüge und Lizzy ihr Vorurteil. Und so gelan­gen sie schließlich zu einem gemein­samen Hap­py End.

Wenn Du Dich jet­zt aber fragst, wie mein “Je nach Geschichte” zu ver­ste­hen ist, dann ver­sichere ich Dir: Ich meine das sehr wörtlich. Die wichtig­ste Regel beim Schreiben ist ja, dass es keine Regeln gibt: Du musst selb­st wis­sen, was für eine Geschichte Du schreib­st und was Du damit erre­ichen möcht­est. Und Du musst Dir selb­st her­leit­en, was Du dafür brauchst. Das gilt für die Frage nach der Notwendigkeit von Arcs für Neben­fig­uren genau­so wie für alle anderen Fra­gen.

Charakter-Arcs in drei Schritten

Zum guten Schluss wollen wir das Besproch­ene in drei Schrit­ten zum Erschaf­fen von Charak­ter-Arcs zusam­men­fassen und abstrahieren:

  • Benenne das The­ma Deines Werkes. Was ist Wahrheit und was ist Lüge? Und wenn Du Dir nicht sich­er bist, was richtig und was falsch ist: Welche zwei ent­ge­genge­set­zte Ansicht­en prallen aufeinan­der?

In Dis­neys Ani­ma­tions­film Die Schöne und das Biest geht es um innere Schön­heit. Die Wahrheit ist das, was eine Per­son in ihrem Inneren ist, und die Lüge ist das äußere Ausse­hen:

In der Hülle eines hässlichen Biests steckt ein zwar ego­is­tis­ch­er, aber den­noch men­schlich­er Prinz. Im Fall von Gas­ton ver­steckt sich hin­ter der gutausse­hen­den Fas­sade ein Mon­ster.

Belle hinge­gen ist per­son­ifizierte Per­fek­tion. Ihre äußere Schön­heit spiegelt vor allem ihre innere Schön­heit.

  • Bes­timme die Rolle der Fig­ur im Gesamt­ge­flecht. Wie sieht ihr Umfeld aus, wie wird sie davon bee­in­flusst und wie bee­in­flusst sie es? Wie muss sie sich verän­dern und/oder wie muss das Umfeld sich verän­dern?

Das Biest lebt ver­bit­tert und zurück­ge­zo­gen in seinem Schloss und wird von jenen, die seine Geschichte nicht ken­nen, als Mon­ster wahrgenom­men. Um den Fluch zu brechen und wieder ein Men­sch zu wer­den, muss es Belles Liebe gewin­nen. Dafür muss es sich von sein­er men­schlichen Seite zeigen.

Gas­ton hinge­gen muss nie­man­dem etwas beweisen. Das ganze Dorf ist im Prinzip sein per­sön­lich­er Fan­club. Nur Belle, die Hüterin der Wahrheit, durch­schaut seine Fas­sade. Eben­so wie sie auch die Schön­heit des Biests erken­nt.

  • Entschei­de Dich auf Grund­lage Dein­er Über­legun­gen für einen pos­i­tiv­en, neg­a­tiv­en oder flachen Arc. Beachte dabei ggf. auch die Arcs der anderen Fig­uren.

Das Biest und Gas­ton sind Kon­trast­fig­uren. Während das Biest also einen pos­i­tiv­en Arc durch­macht, seine innere Schön­heit entwick­elt und wieder ein Men­sch wird, ist Gas­tons Arc neg­a­tiv: Ist er am Anfang noch lediglich ein einge­bilde­ter Schnösel, greift er im Ver­lauf der Hand­lung zu Erpres­sung und stachelt das ganze Dorf zum Kampf gegen das Biest auf. Sein Arc endet mit dem Tod.

Belles Arc ist während­dessen flach: Sie bleibt sich selb­st treu und ihre Entschei­dun­gen brin­gen die Wahrheit ans Licht, dass das Biest ein schön­er Prinz und Gas­ton ein Mon­ster ist.

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