Figuren-Konstellation: Ein sinnvolles Geflecht von Haupt- und Nebenfiguren, ihrer Motivationen, Beziehungen, Rollen etc. erschaffen

Figuren-Konstellation: Ein sinnvolles Geflecht von Haupt- und Nebenfiguren, ihrer Motivationen, Beziehungen, Rollen etc. erschaffen

Die Figu­ren in einer Geschich­te sind idea­ler­wei­se wie Puz­zle­tei­le: Sie sind auf­ein­an­der ange­passt, ergän­zen sich gegen­sei­tig und nur zusam­men erge­ben sie ein voll­stän­di­ges Bild. Doch wie erreicht man das? Das bespre­chen wir in die­sem Artikel.

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Letz­tes Jahr haben wir im Arti­kel über die Moti­va­ti­on von Figu­ren vor allem über Haupt­fi­gu­ren gespro­chen. Doch was ist mit Neben­fi­gu­ren? Und vor allem:

Wie schafft man es, dass all die­se Figu­ren und ihre Moti­va­tio­nen zuein­an­der pas­sen und ein ein­zi­ges, run­des Gan­zes erge­ben?

Heu­te schau­en wir uns an, was John Tru­by, der bereits die Grund­la­ge für den Arti­kel zum The­ma Moti­va­ti­on gelie­fert hat, über das cha­rac­ter web sagt. Wie bereits beim The­ma Moti­va­ti­on, möch­te ich Tru­bys Ter­mi­no­lo­gie jedoch ein­deut­schen und statt vom cha­rac­ter web vom Figu­ren­ge­flecht sprechen.

Stür­zen wir uns also ins Gefecht!

Wiederholung: Motivation des Protagonisten

Wir haben ja bereits dar­über gespro­chen, dass der Prot­ago­nist ein Ziel, eine mora­li­sche und/​oder psy­cho­lo­gi­sche Schwä­che sowie ein mora­li­sches und/​oder psy­cho­lo­gi­sches Bedürf­nis braucht. Das sind wohl­ge­merkt von mir ein­ge­deutsch­te und leicht abge­än­der­te Begrif­fe. Tru­by selbst spricht von desi­re, moral bzw. psy­cho­lo­gi­cal weak­ne­ss und moral bzw. psy­cho­lo­gi­cal need. Ein ande­rer häu­fi­ger Begriff für Ziel bzw. desi­re ist want.

Hier noch­mal eine schnel­le Defi­ni­ti­on die­ser Begriffe:

  • Ziel (desi­re/​want):
    Das, was die Figur errei­chen möch­te und was im Fal­le des Prot­ago­nis­ten auch den Plot vor­an­treibt. Wich­tig ist zumin­dest beim Prot­ago­nis­ten, dass er aktiv han­delt, um die­ses Ziel zu errei­chen, denn pas­si­ve Prot­ago­nis­ten, die nur begeh­ren, aber nichts tun, sind meis­tens langweilig.
  • Schwä­che (weak­ne­ss):
    Das, was die Figur vom Errei­chen ihres Ziels abhält. Dabei hat eine psy­cho­lo­gi­sche Schwä­che nur auf die Figur selbst Aus­wir­kun­gen. Eine mora­li­sche Schwä­che zieht auch ande­re Figu­ren in Mitleidenschaft.
  • Bedürf­nis (need):
    Das, was die Figur wirk­lich Es kommt in der Regel erst im Ver­lauf der Geschich­te zum Vor­schein. Das Erken­nen und Erfül­len des tie­fen, inne­ren Bedürf­nis­ses führt zur Kathar­sis. Ein psy­cho­lo­gi­sches Bedürf­nis ist dabei die Art und Wei­se, wie die Figur sich ver­än­dern muss um ihrer selbst Wil­len. Vom Erfül­len eines mora­li­schen Bedürf­nis­ses pro­fi­tie­ren auch ande­re Figuren.

So viel zur Auf­fri­schung. Eine aus­führ­li­che­re Erklä­rung fin­det sich im Arti­kel [Video] über Moti­va­ti­on. An die­ser Stel­le hin­ge­gen gehen wir end­lich über zum Figurengeflecht.

Der Protagonist vs. der Rest

Eine gute Figu­ren-Kon­stel­la­ti­on ist in ers­ter Linie ein Netz von Figu­ren, die sich durch ihre Zie­le, Wer­te, Schwä­chen, Bedürf­nis­se und ihre Rol­le inner­halb der Geschich­te und inner­halb der fik­ti­ven Welt gegen­sei­tig ergän­zen und her­aus­for­dern. Das funk­tio­niert zu einem gro­ßen Teil durch Ver­glei­che, denn durch die Ähn­lich­kei­ten und Unter­schie­de zwi­schen den Figu­ren wird ihre jewei­li­ge Indi­vi­dua­li­tät hervorgehoben.

Beson­ders wich­tig ist dabei das zen­tra­le The­ma der Geschich­te:

Das ist vor allem auch das zen­tra­le The­ma der indi­vi­du­el­len Ent­wick­lung des Prot­ago­nis­ten und soll­te daher mit sei­nem Ziel, sei­ner Schwä­che und sei­nem Bedürf­nis eng ver­knüpft sein.

In einem gut her­aus­ge­ar­bei­te­ten Figu­ren­ge­flecht fin­det sich die­ses The­ma auch in den Neben­fi­gu­ren:

Je nach dem, wie wich­tig sie für die Geschich­te sind und wie detail­liert sie dem­nach kon­zi­piert sind, tra­gen auch ihre Zie­le, Schwä­chen und Bedürf­nis­se zur Aus­ein­an­der­set­zung mit dem zen­tra­len The­ma bei. Dar­aus erge­ben sich alter­na­ti­ve, oft kon­flikt­ge­la­de­ne Blick­win­kel, alter­na­ti­ve Sze­na­ri­os und eine Beleuch­tung des zen­tra­len The­mas aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven.

Das End­ergeb­nis soll­te eine gründ­li­che und abge­run­de­te Aus­ein­an­der­set­zung mit dem zen­tra­len The­ma sein.

Ein posi­ti­ves Bei­spiel ist Ava­tar – Der Herr der Ele­men­te:

Das zen­tra­le The­ma ist das Erwach­sen­wer­den und die damit ver­bun­de­ne Fra­ge: Wer bin ich?

  • Der Prot­ago­nist Aang erfährt im zar­ten Alter von 12 Jah­ren, dass er der Ava­tar ist und die Welt ret­ten muss. Er ist aber ledig­lich nur ein ver­spiel­tes Kind und muss die­se Rol­le als Ava­tar und Welt­ret­ter erst akzep­tie­ren. Dann muss er die Magie zum Beherr­schen unter­schied­li­cher Ele­men­te ler­nen und sich dabei immer wie­der sei­nen Schwä­chen stel­len und erwach­se­ner wer­den. Schließ­lich steht er vor der Wahl, ob er den Ant­ago­nis­ten, der die Welt bedroht, töten oder sei­nen pazi­fis­ti­schen Idea­len treu blei­ben soll. Sein zen­tra­les The­ma ist also der Kon­flikt zwi­schen sei­ner sich ste­tig wan­deln­den Per­sön­lich­keit und sei­ner Ver­ant­wor­tung als Avatar.
  • Auch sei­ne Gefähr­tin Kata­ra schwankt inner­lich: Auf der einen Sei­te ist sie das lie­be und für­sorg­li­che Mäd­chen, das inner­halb der Hel­den­trup­pe eine Art Mut­ter­rol­le erfüllt. Aber auf der ande­ren Sei­te hat sie Schwie­rig­kei­ten zu ver­zei­hen und greift manch­mal selbst dann an, wenn ihr Gegen­über Reue zeigt.
  • Ihr Bru­der Sok­ka ist in der Hel­den­grup­pe der Ein­zi­ge, der kei­ne magi­schen Fähig­kei­ten besitzt. Daher hat er es mit Min­der­wer­tig­keits­kom­ple­xen, Füh­rungs­am­bi­tio­nen und Macho­ge­ha­be zu tun und schei­tert. Gleich­zei­tig ist er der Witz­bold der Grup­pe und ent­puppt sich im Ver­lauf der Geschich­te als genia­ler Stra­te­ge. Erst als er sei­ne wah­ren Talen­te erkennt, ent­wi­ckelt er sich zu dem Anfüh­rer, der er sein will.
  • Toph steht zwi­schen ihrer noblen Her­kunft und ihrer bur­schi­ko­sen Natur, ihrer schein­ba­ren Hilf­lo­sig­keit (weil sie nun mal ein blin­des klei­nes Mäd­chen ist) und ihrer beein­dru­cken­den magi­schen Fähig­kei­ten, die sie zu einer erfolg­rei­chen Ring­kämp­fe­rin und zum „Tank“ der Hel­den­grup­pe machen. Außer­dem gera­ten ihr Drang nach Unab­hän­gig­keit und die Über­be­to­nung ihrer Selbst­stän­dig­keit in Kon­flikt mit Kata­ras Müt­ter­lich­keit, obwohl sie die Für­sor­ge ihrer Freun­de durch­aus genießt und ihre rich­ti­ge Mut­ter vermisst.
  • Zuko schließ­lich ist der Sohn und Erbe des Ant­ago­nis­ten, der die Welt zer­stö­ren will, und schwankt zwi­schen den Idea­len sei­nes Vaters sowie der Sehn­sucht nach des­sen Aner­ken­nung und sei­nem eige­nen guten Herzen.

Alle die­se Figu­ren tra­gen einen Kon­flikt der Iden­ti­täts­fin­dung in sich. Sie müs­sen in ihre Rol­len hin­ein­wach­sen, ihr wah­res Selbst erken­nen und eine erwach­se­nere Iden­ti­tät for­men. Dabei erge­ben sich zwi­schen ihnen immer wie­der Kon­flik­te, manch­mal stär­ke­re und manch­mal schwächere.

Funktionen der Figuren

Nun reicht es aber nicht, ein­fach will­kür­lich eine Hand­voll Figu­ren rund um das zen­tra­le The­ma zu erschaf­fen, son­dern jede Figur soll­te inner­halb der Geschich­te auch eine bestimm­te Funk­ti­on erfül­len. Das bedeu­tet vor allem:

Jede Figur und jedes Detail von ihr soll­te irgend­wie zur Rol­le und Ent­wick­lung des Prot­ago­nis­ten beitragen.

Wenn das nicht der Fall ist, dann:

Kill your dar­lings! - Egal, wie sehr Du an der Figur oder einem Detail hängst: Wenn es nicht dem Zweck der Geschich­te dient, soll­test Du es streichen.

Eine Figur hat nun mal kei­ne Daseins­be­rech­ti­gung, wenn sie das zen­tra­le The­ma nicht um einen neu­en Aspekt berei­chert. Und sie hat erst recht kei­ne Daseins­be­rech­ti­gung, wenn sie nur eine von meh­re­ren ähn­li­chen Figu­ren ist. Im letz­te­ren Fall kann es sich daher oft loh­nen, die­se Figu­ren, wenn sie denn unbe­dingt nötig sind, zu einer Figur zusam­men­zu­fas­sen.

Wenn Du beim Erschaf­fen einer Figur stets auf ihre Funk­ti­on inner­halb der Geschich­te ach­test, ver­rin­gerst Du auch die Gefahr, sie ver­se­hent­lich wich­ti­ger zu machen als den Prot­ago­nis­ten. Oft sind Neben­fi­gu­ren zwar durch­aus inter­es­san­ter als der Prot­ago­nist. Und das ist auch voll­kom­men in Ord­nung. Doch wenn sie eine wich­ti­ge­re Rol­le spie­len und den eigent­li­chen Dreh- und Angel­punkt der Geschich­te bil­den, läuft etwas falsch.

So viel zum Ein­stieg. Schau­en wir uns nun an, wel­che Funk­tio­nen eine Figur erfül­len kann. Beach­te dabei, dass in einer Geschich­te – abge­se­hen vom Hel­den und Oppo­nen­ten – nicht jede die­ser Funk­tio­nen aus­ge­füllt wer­den muss. Aber jede Figur, deren Rol­le über die eines Sta­tis­ten hin­aus­geht, soll­te eine die­ser Funk­tio­nen haben:

Held (Protagonist)

Die Figur des Hel­den bzw. Prot­ago­nis­ten ist direkt an den zen­tra­len Kon­flikt gekop­pelt. Er treibt mit sei­nem Ziel die Hand­lung vor­an, wird aber durch sei­ne Schwä­che am Errei­chen die­ses Ziels gehin­dert. Alle ande­ren Figu­ren der Geschich­te fun­gie­ren als Oppo­nen­ten oder Ver­bün­de­te des Hel­den. Oder als bei­des: Denn vie­le Wen­dun­gen in einer Geschich­te hän­gen oft mit einer ver­än­der­ten Bezie­hung ande­rer Figu­ren zum Hel­den zusammen.

Grund­sätz­lich sind in einer Geschich­te natür­lich auch meh­re­re Hel­den mög­lich. Das ist jedoch eine Her­aus­for­de­rung für beson­ders fort­ge­schrit­te­ne Autoren wie Geor­ge R. R. Mar­tin mit sei­nem Lied von Eis und Feu­er, weil jeder der vie­len Hel­den eine fei­ne Her­aus­ar­bei­tung braucht.

Opponent

Der Oppo­nent will oft das­sel­be wie der Held. Auf jeden Fall aber steht er dem Hel­den beim Errei­chen sei­nes Ziels im Weg und greift des­sen Schwä­che an. Damit ist der Oppo­nent direkt an den tiefs­ten Kon­flikt des Hel­den gekop­pelt und ihre Bezie­hung ist die wich­tigs­te der gan­zen Geschichte.

Der Oppo­nent ist also genau auf den Hel­den abge­stimmt:

Der bril­lan­te Mus­ter­schü­ler Light, der Prot­ago­nist von Death Note, benutzt ein magi­sches Notiz­buch, um Ver­bre­cher zu töten und der Welt sei­ne eige­ne Vor­stel­lung von Gerech­tig­keit auf­zu­zwin­gen. Und weil er dazu eine gehei­me Magie benutzt, wirkt er unan­tast­bar. – Zumin­dest, bis ihm der genia­le Detek­tiv L auf die Schli­che kommt und die Geschich­te sich zu einem Duell zwei­er Genies und zwei­er Vor­stel­lun­gen von Gerech­tig­keit ent­wi­ckelt. Dabei spielt Lights Selbst­über­schät­zung L immer wie­der in die Karten.

Natür­lich gibt es oft aber nicht nur einen, son­dern meh­re­re abge­stuf­te Oppo­nen­ten:

Har­ry Pot­ters wich­tigs­ter Oppo­nent mag Lord Vol­de­mort sein, aber in Figu­ren wie Dolo­res Umbridge fin­den sich auch wei­te­re, klei­ne­re Opponenten.

Außer­dem sind Oppo­nen­ten auch nicht immer Fein­de des Hel­den, son­dern kön­nen auch gelieb­te Per­so­nen sein.

Gera­de in Lie­bes­ge­schich­ten ist der Oppo­nent des Hel­den oft tat­säch­lich der Love Inte­rest, wie zum Bei­spiel Fitz­wil­liam Dar­cy für Eliza­beth Ben­nett in Stolz und Vor­ur­teil.

Ein wei­te­res Bei­spiel ist Goofy – Der Film: Hier ist Goofy der Oppo­nent sei­nes Soh­nes Max, weil er Max‘ Date mit sei­nem Schwarm ver­hin­dert und Max‘ größ­te Angst ver­kör­pert, so zu wer­den wie sein Vater. Gleich­zei­tig sind die bei­den jedoch immer noch Vater und Sohn und lie­ben sich.

Verbündeter

Der Ver­bün­de­te ist – wie der Name schon andeu­tet – der Hel­fer des Hel­den. Er steht ihm also zur Sei­te und ist zugleich oft auch des­sen Gesprächs­part­ner, damit der Held durch Dia­lo­ge sei­ne Gedan­ken und Gefüh­le aus­drü­cken kann. Oft hat der Ver­bün­de­te das­sel­be Ziel wie der Held, manch­mal aber auch sein eigenes.

Typi­sche Ver­bün­de­te sind Fro­dos Gefähr­ten im Herrn der Rin­ge.

Falscher Verbündeter /​ geheimer Opponent

Ein gutes Mit­tel für Plot-Twists sind Figu­ren, die zunächst wie Ver­bün­de­te wir­ken, sich spä­ter aber als Oppo­nen­ten ent­pup­pen. Oft sind sol­che Figu­ren kom­plex und fas­zi­nie­rend, weil sie ein span­nen­des Dilem­ma mit sich brin­gen. Und obwohl sol­che Figu­ren gegen den Hel­den arbei­ten, ver­hel­fen sie ihm oft – aber nicht immer – trotz­dem zum Sieg.

Ein Bei­spiel dafür ist Wurm­schwanz aus der Har­ry Pot­ter-Rei­he. Ursprüng­lich die Rat­te von Har­rys Freund Ron, ent­puppt er sich als Anhän­ger von Vol­de­mort. Als er jedoch spä­ter ver­sucht Har­ry zu töten, zögert er und büßt dafür mit sei­nem eige­nen Leben. Har­ry über­lebt und besiegt Voldemort.

Falscher Opponent /​ geheimer Verbündeter

Ein schein­ba­rer Oppo­nent, der sich spä­ter als Ver­bün­de­ter her­aus­stellt, ist dage­gen ein sel­te­ne­rer Fall, weil er die Hand­lung für den Hel­den ten­den­zi­ell nicht noch dra­ma­ti­scher macht.

Den­noch gibt es auch hier inter­es­san­te Bei­spie­le wie den Seri­en­mör­der und Kan­ni­ba­len Han­ni­bal Lec­ter in Das Schwei­gen der Läm­mer, der der Prot­ago­nis­tin letzt­end­lich hilft, den Fall um den Seri­en­mör­der Buf­fa­lo Bill zu lösen.

Subplot-Figur

Die letz­te Funk­ti­on, die eine Figur erfül­len kann, ist die Rol­le als Sub­plot-Figur. Sie ist in der Regel eine Kon­trast­fi­gur zum Hel­den, jemand mit dem­sel­ben Pro­blem, aller­dings etwas ande­rer Her­an­ge­hens­wei­se und ande­rem Ergeb­nis. Dadurch betont die Sub­plot-Figur die Eigen­schaf­ten und die Kon­flik­te des Hel­den. In der Regel ist sie aber kein Verbündeter.

Ein gelun­ge­nes Bei­spiel für eine Sub­plot-Figur ist Jet in Ava­tar – Der Herr der Ele­men­te. Bemer­kens­wert ist dabei, dass er prak­tisch zu allen Mit­glie­dern der Hel­den­grup­pe einen Kon­trast bil­det: Er bekämpft auf sei­ne Wei­se das Böse, ist der all­seits respek­tier­te Anfüh­rer sei­ner eige­nen Grup­pe und ein fähi­ger Krie­ger. Dabei kann er sei­nen Hass und sei­ne Rach­sucht jedoch nicht able­gen, ist gefan­gen in sei­nem stren­gen Schwarz-Weiß-Den­ken und nimmt in sei­nem Kampf gegen das, was er für das Böse hält, not­falls auch den Tod Unschul­di­ger in Kauf. Die­se Unfä­hig­keit, sich zu ver­än­dern und ein bes­se­res Ich zu ent­wi­ckeln, wird ihm schließ­lich zum Verhängnis.

Archetyp der Figur

Abge­se­hen von der Funk­ti­on emp­fiehlt Tru­by auch den Gebrauch von Arche­ty­pen. Die Arche­ty­pen, die er in sei­nem Modell vor­stellt, sind:

  • Prinz, König/​Vater, Königin/​Mutter, wei­ser alter Mann/​weise alte Frau/​Mentor/​Lehrer, Krie­ger, Magier/​Schamane, Gau­ner, Künstler/​Clown, Lieb­ha­ber, Rebell

Die­se Arche­ty­pen sind natür­lich geschlechts­neu­tral und auch nicht zwangs­läu­fig wört­lich zu ver­ste­hen. So kann ein „Prinz“ zum Bei­spiel auch eine „Prin­zes­sin“ sein und muss nicht unbe­dingt eine könig­li­che Ahnen­rei­he haben. Wich­tig ist bei Arche­ty­pen ein­fach, dass sie bestimm­te Mus­ter ver­kör­pern, bestimm­te Stär­ken und Schwä­chen, die der Zuschau­er schnell iden­ti­fi­zie­ren und zuord­nen kann. So kann die Cha­rak­te­ri­sie­rung der Figu­ren deut­lich abge­kürzt werden.

Wich­tig ist dabei auch, dass nicht jede Figur einem Arche­typ ent­spre­chen muss. – Nur, wenn es sich wirk­lich anbie­tet. Und damit aus den Arche­ty­pen kei­ne Ste­reo­ty­pe wer­den, emp­fiehlt Tru­by indi­vi­du­el­le Details. So sind bei­spiels­wei­se Mor­pheus aus Matrix und Dum­ble­do­re aus Har­ry Pot­ter bei­des Men­to­ren, aber die sind grund­ver­schie­den. Hilf­reich ist dabei auch, meh­re­re Arche­ty­pen mit­ein­an­der zu ver­knüp­fen. Bei­spiels­wei­se sind in Mor­pheus auch ein Vater, ein Magi­er und ein Rebell erkennbar.

Es ver­steht sich von selbst, dass die gewähl­ten Arche­ty­pen und ihre indi­vi­du­el­len Details eng mit dem zen­tra­len The­ma ver­knüpft sein und eine eige­ne Her­an­ge­hens­wei­se an das Pro­blem haben soll­ten. Auch muss man, wie ich fin­de, nicht unbe­dingt an Tru­bys Arche­ty­pen-Sys­tem fest­hal­ten, son­dern kann an Arche­ty­pen und deren Varia­tio­nen alles ver­wen­den, was man in ande­ren Geschich­ten so beobachtet.

Figuren-Konstellationen und Konflikte

Wie gesagt, Neben­fi­gu­ren, die eine nen­nens­wer­te Rol­le spie­len, soll­ten pas­send zum Prot­ago­nis­ten erschaf­fen wer­den. Wie detail­liert ihr Ziel, ihre Schwä­che und ihr Bedürf­nis her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den sol­len, hängt jedoch von ihrer Wich­tig­keit ab. Wäh­rend ein guter Oppo­nent um eine detail­lier­te Her­aus­ar­bei­tung nicht her­um­kom­men soll­te, braucht der Bus­fah­rer, der den Prot­ago­nis­ten nur zur und von der Schu­le karrt, kein nen­nens­wer­te­res Ziel als die Bus­in­sas­sen sicher von A nach B zu bringen.

Aber zurück zu den wich­ti­ge­ren Figu­ren: Zusätz­lich zu Ziel, Schwä­che und Bedürf­nis emp­fiehlt Tru­by, auch die Wer­te und den sozia­len bzw. gesell­schaft­li­chen Sta­tus einer Figur aus­zu­for­mu­lie­ren. Aller­dings kommt man um Über­le­gun­gen dar­über wohl kaum her­um, wenn man Ziel, Schwä­che und Bedürf­nis defi­niert. Nichts­des­to­trotz tra­gen Wer­te und Sta­tus eben­falls dazu bei, die Figu­ren kla­rer von­ein­an­der abzu­gren­zen.

Und das wie­der­um hebt das Kon­flikt­po­ten­ti­al unter ihnen stär­ker her­vor. Unter­schied­li­che Zie­le, Schwä­chen und Bedürf­nis­se sind ja schön und gut, aber ich wür­de sagen, es sind vor allem unter­schied­li­che Wer­te und Macht­ver­hält­nis­se, durch die Kon­flik­te wirk­lich sicht­bar wer­den.

Sehen wir uns zum Bei­spiel noch ein­mal Goofy – Der Film an:

Max will das Herz sei­ner Mit­schü­le­rin Rox­an­ne erobern (Ziel). Sei­ne Schwä­che ist sei­ne Angst, so zu wer­den wie sein Vater, und die dar­aus resul­tie­ren­de Unsi­cher­heit und stel­len­wei­se Ableh­nung sei­nes Vaters. Sein inne­res Bedürf­nis ist Ehr­lich­keit (denn in sei­ner Unsi­cher­heit hat er vie­le Lügen zusam­men­ge­spon­nen) sowie sei­nen Vater und den Goofy in sich zu akzeptieren.

Goofy selbst macht sich ein­fach nur Sor­gen um sei­nen Sohn und will sei­ne Bezie­hung zu ihm stär­ken (Ziel). Sei­ne Schwä­che ist das Klam­mern an sei­nem Sohn und die stän­di­gen Ein­mi­schun­gen in des­sen Leben. Sein inne­res Bedürf­nis ist, sei­nen Sohn als eigen­stän­di­ges Wesen zu respek­tie­ren und ihm zu vertrauen.

Max und Goofy haben also unter­schied­li­che Wer­te: Bei Max dreht sich alles um sein Pri­vat­le­ben, Goofy legt äußerst star­ken Wert auf Fami­lie. – Kon­flikt! Und auch ihr unter­schied­li­cher Sta­tus ist wich­tig: Als Vater hat Goofy das Sagen, Max muss sich zäh­ne­knir­schend beu­gen, lügen, rebel­lie­ren. – Kon­flikt, Kon­flikt, Konflikt!

Wie bereits gesagt, Oppo­si­ti­on und Kon­flikt bedeu­ten nicht zwangs­läu­fig Feind­schaft. Held und Oppo­nent sind schließ­lich nur Funk­tio­nen inner­halb einer Geschich­te. In ihrem Leben ins­ge­samt sind Max und Goofy eine lie­ben­de Fami­lie. Und das kommt pas­sen­der­wei­se durch den Sub­plot eines befreun­de­ten Vater-Sohn-Paa­res zum Vorschein:

Kar­lo und sein Sohn KJ bil­den näm­lich einen star­ken Kon­trast zur kon­flikt­rei­chen, aber den­noch lie­be­vol­len Bezie­hung zwi­schen Goofy und Max: Der Vater Kar­lo ist ein selbst­herr­li­cher Dik­ta­tor und KJ ist ein durch­dres­sier­ter Unter­tan. Kar­lo ist zudem auch ein wei­te­rer Oppo­nent für Goofy und Max, weil sei­ne ehr­lich gemein­ten, aber den­noch zwei­fel­haf­ten Erzie­hungs­rat­schlä­ge die Kon­flik­te zwi­schen den bei­den Goofs anheizen.

Das illus­triert auch einen wei­te­ren Rat­schlag Tru­bys, näm­lich ein gan­zes Netz von Oppo­si­tio­nen zu erschaffen:

Figuren-Konstellation: Ein sinnvolles Geflecht von Haupt- und Nebenfiguren, ihrer Motivationen, Beziehungen, Rollen etc. erschaffen

Alle Oppo­nen­ten grei­fen dabei die Schwä­che des Hel­den jeweils auf ihre eige­ne Wei­se an und sind dabei idea­ler­wei­se auch selbst in Oppo­si­ti­on zuein­an­der. Der ein­fachs­te Fall wäre hier ein Sze­na­rio wie ein Wett­kampf, bei dem die Oppo­nen­ten buch­stäb­lich gegen­ein­an­der antre­ten. Mög­lich sind aber auch weni­ger offen­sicht­li­che Oppo­si­tio­nen wie im Goofy-Film, wo alle vier erwähn­ten Figu­ren ja im Grun­de befreun­det sind.

Im Prin­zip kommt es bei Kon­flik­ten aber vor allem auf das The­ma an. Wenn das The­ma eine Eltern-Kind-Bezie­hung ist, dann ist ein solch ein­fa­cher, typi­scher Kon­flikt wie zwi­schen Goofy und Max sehr wir­kungs­voll. Wenn es aber um die Ret­tung der Welt gin­ge, wür­de die­ser Kon­flikt aber nur als klei­ner Neben­aspekt etwas tau­gen. Für eine wirk­lich wich­ti­ge Oppo­si­ti­on müss­te es dann schon ein Vater-Sohn-Kon­flikt sein wie zwi­schen Zuko und sei­nem Vater in Ava­tar: Goofy müss­te der böse Over­lord sein, der sei­nen Sohn sys­te­ma­tisch miss­han­delt hat, und der Sohn müss­te sich auf die Sei­te des Wider­stan­des schlagen.

Ausblick: Heldengruppen/​Teams

So viel zu Tru­bys Ansicht zum The­ma, gewürzt mit ein wenig eige­nem „Senf“. In der Krea­tiv­Crew ist zwi­schen den Zei­len jedoch mehr­mals das Inter­es­se an Grup­pen von Figu­ren ange­klun­gen. An Figu­ren, die mit­ein­an­der zusam­men­ar­bei­ten, um ein bestimm­tes Ziel zu errei­chen. Denn auch hier ist es wich­tig, die Figu­ren auf­ein­an­der anzu­pas­sen, und es gibt auch hier Kon­stel­la­tio­nen, die sich bewährt haben. Ich bin daher mal so dreist und pla­ne die­ses The­ma für das zwei­te Halb­jahr 2020 ein.

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