Hand­lung auf­bauen: Story vs. Plot

Hand­lung auf­bauen: Story vs. Plot

Wer eine Geschichte schreibt und eine inter­es­sante Hand­lung auf­bauen möchte, muss sich bewusst machen: Story und Plot sind zwei ver­schie­dene Paar Schuhe! Die Abgren­zung der beiden ermög­licht unter anderem span­nende Spie­le­reien wie ana­chro­nis­ti­sches und unzu­ver­läs­siges Erzählen. In diesem Artikel lernst Du diesen wich­tigen Unter­schied kennen.

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Story und Plot sind Begriffe, die vor allem von Anfän­gern oft syn­ony­misch gebraucht werden. Der Haken dabei:

Story und Plot sind zwei völlig ver­schie­dene Paar Schuhe!

Und diese Unter­schei­dung spielt bei der Inter­pre­ta­tion und auch beim Ver­fassen von Geschichten eine sehr zen­trale Rolle …

Anal­epse und Pro­lepse

Erwähnen wir zu Beginn zwei häufig auf­tre­tende Phä­no­mene:

  • Anal­epse:
    Rück­blende / Flash­back: Dem Leser einer Geschichte wird zwi­schen­durch ein Ein­blick in die Ver­gan­gen­heit gewährt.
  • Pro­lepse:
    Vor­aus­blende: Dem Leser einer Geschichte wird ein Ein­blick in die Zukunft gewährt.

Warum ich die beiden erwähne? – Die bloße Mög­lich­keit eines ana­chro­nis­ti­schen Erzäh­lens deutet einen sehr wich­tigen Unter­schied an:

Es gibt näm­lich auf der einen Seite

  • Vor­fälle, die pas­siert sind,

und auf der anderen Seite haben wir

  • die Art und Weise, wie von diesen Vor­fällen erzählt wird.

Fabel und Sujet

Bewegen wir uns nun in unsere eigene Anal­epse – und zwar zu dem Begriffs­paar „Fabel“ und „Sujet“, das Anfang des 20. Jahr­hun­derts von den rus­si­schen For­ma­listen geprägt wurde.

  • Fabel: was „wirk­lich“ pas­siert ist
  • Sujet: was und wie erzählt wird

Das heißt: Wir haben hier zum Bei­spiel einen Zeit­strahl und da sind die Vor­fälle A, B, C, D und E pas­siert. Das ist die Fabel:

Handlung aufbauen: Story vs. Plot

Erzählen davon kann man aber sehr unter­schied­lich. Zum Bei­spiel kann man mit C anfangen, und C löst dann die Kata­strophe D aus. Diese Kata­strophe D passt dem Prot­ago­nisten aber ganz und gar nicht. Er geht der Sache auf den Grund und findet heraus, dass C pas­siert ist, weil B pas­siert ist. Und B ist pas­siert, weil A pas­siert ist. Und auf Grund­lage dieser Erkennt­nisse fällt der Prot­ago­nist die Ent­schei­dung E.

Handlung aufbauen: Story vs. Plot

Das wäre nur ein mög­li­ches Sujet. – Eine andere Mög­lich­keit wäre zum Bei­spiel, die Erzäh­lung gleich mit E anzu­fangen: Der Prot­ago­nist hat die Ent­schei­dung E gefällt, weil die Kata­strophe D ihm ganz und gar nicht gepasst hat. Und wenn wir das als Ein­lei­tung haben, erzählen wir anschlie­ßend die kom­plette Vor­ge­schichte (A, B, C).

Handlung aufbauen: Story vs. Plot

Grund­sätz­lich ist es aber natür­lich auch nicht falsch, die chro­no­lo­gi­sche Rei­hen­folge von A, B, C, D und E bei­zu­be­halten.

Handlung aufbauen: Story vs. Plot

Es kommt immer darauf an, was man mit seiner Erzäh­lung errei­chen möchte und wie man seine Schwer­punkte ver­teilen will!

Begriffs­paare in anderen Lite­ra­tur­wis­sen­schaften

Nun haben wir über die Fabel und das Sujet gespro­chen, aber die anderen Lite­ra­tur­wis­sen­schaften lie­fern eben­falls Begriffs­paare:

  • story und plot
  • his­toire und dis­cours
  • Welt und Dar­stel­lung

Diese Begriffs­paare schlei­chen zwar alle unge­fähr um die­selbe Sache herum, hängen aber mit völlig unter­schied­li­chen Modellen zusammen und sind des­wegen nicht wirk­lich unter­ein­ander aus­tauschbar. „Story und plot“ ist etwas anderes als „his­toire und dis­cours“. Und selbst bei „Fabel und Sujet“ gab es Lite­ra­tur­theo­re­tiker, die die Begriffe genau umge­dreht haben.

Das, was ich Dir in diesem Artikel prä­sen­tiere, ist das, was meiner Erfah­rung nach am häu­figsten ver­wendet wird. Und zwar trifft man meiner Erfah­rung nach am häu­figsten auf das Begriffs­paar „Story und Plot“:

  • Story: was pas­siert ist
  • Plot: die Art und Weise, wie davon erzählt wird

Bei­spiel: Story und Plot in (500) Days of Summer

Der Film (500) Days of Summer zeigt den Ver­lauf einer Bezie­hung vom ersten Ken­nen­lernen bis zur letzten Begeg­nung. Das ist die Story.

Beim Plot hin­gegen wird es kom­pli­zierter: Der Film zeigt diesen Ver­lauf näm­lich nicht chro­no­lo­gisch, son­dern der Zuschauer bekommt durch­ge­wür­felte Aus­schnitte prä­sen­tiert. Das heißt: Mal sieht man eine Szene aus der End­phase der Bezie­hung, mal aus der Anfangs­phase, mal aus der Mit­tel­phase, mal wieder aus der Anfangs­phase, dann wieder aus der End­phase … Ganz ana­chro­nis­tisch.

Damit der Zuschauer nicht durch­ein­ander kommt, werden diese Aus­schnitte stets mit der Nummer des Tages gekenn­zeichnet, an dem die jewei­lige Szene statt­findet. Also: Tag 1, Tag 498, Tag 367 …

Und damit halten wir fest:

Story ist alles, was pas­siert, in chro­no­lo­gi­scher Rei­hen­folge.

Der Plot besteht aus aus­ge­wählten Abschnitten, wie sie dem Zuschauer prä­sen­tiert werden.

Geschehen vs. Geschichte vs. Erzäh­lung

Nun sind Story und Plot aber immer noch sehr schwam­mige Begriffe. Das sehen wir, wenn wir uns anschauen, wie eine Erzäh­lung theo­re­tisch ent­steht:

  • 1. Es pas­sieren Dinge. (Geschehen)
  • 2. Daraus werden bestimmte Vor­fälle aus­ge­wählt. (Geschichte)
  • 3. Diese Vor­fälle werden auf eine bestimmte Weise ange­ordnet. (Erzäh­lung)
  • 4. Diese Anord­nung der Vor­fälle wird prä­sen­tiert. (Prä­sen­ta­tion der Erzäh­lung)

(Modell von Wolf Schmid: Ele­mente der Nar­ra­to­logie, 2. Auf­lage 2008, S. 251 ff.)

Die Sta­dien 1 bis 3 zeigen in etwa den Ver­lauf, wie aus einer Story ein Plot wird, nur deut­lich genauer und mit Aspekten, die eine Gegen­über­stel­lung von Story und Plot gar nicht beinhaltet.

Vor allem aber macht das vier­stu­fige Modell deut­lich, dass das Geschehen, bevor es zu einer fertig prä­sen­tierten Erzäh­lung wird, durch meh­rere Fil­ter­sta­dien geht. Und zwar ist jedes Erzähl­sta­dium von der Erzähl­per­spek­tive geprägt:

  • Es ist der Erzähler, der bestimmt, welche Vor­fälle rele­vant genug sind, damit sie Teil der Geschichte werden können.
  • Es ist der Erzähler, der bestimmt, in wel­cher Rei­hen­folge von den Ereig­nissen berichtet wird.
  • Es ist der Erzähler, der das Ganze in Worte fasst.

Des­wegen spielt der Erzähler eine so zen­trale Rolle beim Erzählen!

Aus diesem Grund befasse ich mich auf dieser Seite unter anderem mit erzähl­theo­re­ti­schen Modellen. Behan­delt habe ich bisher Stan­zels Typen­kreis und das Modell von Genette. Außerdem habe ich die beiden modi­fi­ziert, damit man sie auch als Autor anwenden kann (Stanzel, Genette). Und ich wende diese Modelle regel­mäßig auch als Leser an, näm­lich in meinen Erzähl­ana­lysen.

Der Erzähler als „Fil­ter­in­stanz“

Der Erzähler ist also eine Fil­ter­in­stanz, die die Erzäh­lung zu dem macht, was sie ist. Und warum ist es so wichtig, die Fil­ter­vor­gänge zu begreifen? – Nun, diese Fil­ter­vor­gänge ermög­li­chen so einige richtig tolle Sachen. Zum Bei­spiel:

  • ana­chro­nis­ti­sches Erzählen
    • Anwen­dungs­bei­spiele:
      Inter­esse wecken durch eine span­nende Pro­lepse
      Plot­twists durch uner­war­tete Anal­epsen
      Auf­merk­sam­keit erregen, eine banale Geschichte inter­es­sant erzählen
  • unzu­ver­läs­siges Erzählen
    • Anwen­dungs­bei­spiele:
      den Leser über­ra­schen, indem man ihn plötz­lich mit der Wahr­heit kon­fron­tiert
      den Leser zum Nach- und Mit­denken anregen
      Span­nung erzeugen: Was ist da wirk­lich pas­siert?
  • Mani­pu­la­tion der Gefühle des Lesers
    • Anwen­dungs­bei­spiel:
      den Leser gezielt eine Figur mögen oder hassen lassen
      (und durch einen gran­diosen Plot­twist alles umdrehen)

Und das waren nur einige wenige Bei­spiele für die Spie­le­reien, die mög­lich sind, wenn man sich dessen bewusst ist, dass das, wor­über man erzählt, etwas anderes ist als die fer­tige Erzäh­lung.

Wich­tiger Hin­weis

Das Bewusst­sein des Unter­schieds von Story und Plot und das Begreifen des Erzäh­lers als Fil­ter­in­stanz ist ein zen­traler Aspekt des Erzäh­lens.

Wer ein­fach nur eine Geschichte so „run­ter­schlurt“, wie sie ihm in den Sinn kommt, läuft Gefahr, Poten­tial zu ver­schwenden und lang­weilig zu sein!

Ich sage nicht, dass man dann zwangs­läufig Poten­tial ver­schwendet und lang­weilig ist. Oft­mals bauen Autoren gran­diose Ideen ein­fach intuitiv ein. Und es gibt natür­lich auch Autoren, die sich nie über solche „tech­ni­schen“ Dinge Gedanken machen und trotzdem geniale Werke schreiben.

Aber meiner Erfah­rung nach ist Intui­tion meis­tens nicht unbe­dingt etwas, auf das man sich blind ver­lassen sollte. Ich selbst habe mich schon so man­ches Mal auf meine Intui­tion ver­lassen und im Nach­hinein fest­ge­stellt, dass ich etwas absolut Kli­schee­haftes und Lang­wei­liges fabri­ziert habe. – Und das ist einer der Gründe, warum ich mich so sehr für Erzähl­theorie begeis­tere.

6 Kommentare

  1. Danke. Man kann es sich gar nicht oft genug erneut ver­ge­gen­wär­tigen, dass es hilf­reich ist, einen Plot raf­fi­nierter anzu­legen, als die Geschichte es ursprüng­lich für mög­lich hielt.
    Technik ist schon wichtig.

    Wenn­gleich ich der Mei­nung bin, „eine banale Geschichte inter­es­sant erzählen“ zu können, weniger gut (und schwer) ist, als eine inter­es­sante Geschichte banal zu erzählen…

    Wer seine Krea­ti­vität erst beim Plot­ting sucht, sollte viel­leicht gar nicht glauben, schreiben, bzw. etwas erzählen zu müssen.

    Eine wirk­lich gute (erzäh­lens­werte!) Geschichte erzählt sich und fes­selt von selbst, ein­fach und chro­no­lo­gisch.

    Lang­wei­lige Schnulzen (Hol­ly­wood­filme?) müssen hin­gegen raf­fi­niert kon­stru­iert sein, damit man keine Zeit hat, wäh­ren­dessen nach­zu­denken, ob man nicht im fal­schen Film seine Zeit ver­schwendet.

    Die wich­tigste Frage ist und bleibt: ‚Warum schreibe ich es – nicht wie‘.

    Sei’s drum, besser so, wie hier beschrieben, als ’ne über­flüs­sige Geschichte auch noch banal erzählt zu bekommen. Das ist dann tat­säch­lich die Höchst­strafe…
    😉

    Philip

    Philip
    1. Es stimmt schon, dass ein raf­fi­nierter Plot mehr zu den Äußer­lich­keiten gehört und bei einer Geschichte vor allem das Ein­ge­machte zählt. Das fällt mir immer wieder auf, dass das Warum oft leider ver­nach­läs­sigt wird. Aller­dings würde ich sagen, dass die meisten Hol­ly­wood-Schnulzen eben keinen raf­fi­nierten Plot haben, son­dern banale Geschichten sind, die auch noch banal erzählt werden. Die Höchst­strafe, wie Du so schön sagst. Wenn eine Schnulze einen raf­fi­nier­teren Plot bekommt, dann wollen die Macher damit nor­ma­ler­weise einen tie­feren Sinn rüber­bringen und somit sind es auch keine lang­wei­ligen Schnulzen mehr. Ist aber nur mein Ein­druck.

  2. nach einem eher ver­wir­renden Semi­nar­teil über den Unter­schied von plot und story fand ich diesen Artikel Sehr hilf­Reich, um klar zu sehen und den Unter­schied zu ver­stehen und auch noch Ideen an die Schreib­hand zu bekommen, wie ich damit spie­le­risch kreativ umgehen kann.
    Danke :-))

    Helen
  3. Eigent­lich habe ich nach einer Mög­lich­keit gesucht, einen bereits exis­tie­renden Plot zu einer Geschichte aus­zu­schmü­cken, mit vor­ge­ge­bener Welt und Cha­rac­teren. Deinen Artikel fand ich trotzdem inter­es­sant, also vielen Dank! 🙂

    Felo
    1. Vielen Dank fürs Lob! Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, ob ich Dein Anliegen richtig ver­standen habe, aber viel­leicht helfen Dir fol­gende Artikel:

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