World-Building allgemein: Setting, Symbolik und Grundlegendes

World-Building allgemein: Setting, Symbolik und Grundlegendes

Als Autor ist man vor allem ein Wel­ten­schöp­fer. – Egal, ob man sei­ne Geschich­ten in der „rea­len“ Welt ansie­delt oder völ­lig neue Wel­ten auf­baut. Und so wich­tig wie die Schau­plät­ze und ihre Funk­ti­ons­prin­zi­pi­en sind, kann man das World-Buil­ding nicht dem Zufall über­las­sen. Des­we­gen reden wir in die­sem Arti­kel über die wich­tigs­ten Grundlagen.

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Du hast einen tol­len Plot in Dei­nem Kopf und Figu­ren, die nur dar­auf war­ten, den Leser auf ihre Rei­se mit­zu­neh­men. Doch eine Fra­ge ist immer noch offen: Wo pas­siert das Gan­ze? Was ist das für eine Welt? Und wel­chen Geset­zen folgt sie?

In die­ser neu­en Rei­he befas­sen wir uns genau damit: dem World-Building.

Und das ist nicht nur etwas für Fan­ta­sy- und Sci­ence-Fic­tion-Autoren, die ihre eige­nen Uni­ver­sen erschaf­fen, son­dern auch für jene, die ihre Geschich­ten in der „rea­len Welt“ ansie­deln: Denn hier erschafft der Autor eine fik­tio­na­li­sier­te Ver­si­on rea­ler Orte, Gesell­schaf­ten, ihrer Grund­prin­zi­pi­en etc.

Mit ande­ren Wor­ten: Die­ses The­ma ist wich­tig für alle Schrei­ber­lin­ge. Und dar­um dreht sich auch die­ser ers­te Teil der Reihe:

Wel­che Bedeu­tung hat die Welt, in der die Geschich­te spielt? Was ist bei der Wahl bzw. Ent­wick­lung des Schau­plat­zes zu beach­ten? Wie prä­sen­tiert man ihn am bes­ten und wel­che Gefah­ren lauern?

Fin­den wir es heraus!

Was ist World-Building?

Begin­nen wir am bes­ten mit der Definition:

World-Buil­ding ist, wie der Begriff schon sagt, das Bau­en von Wel­ten.

Und dabei geht es nicht nur um Orte, son­dern auch um Struk­tu­ren gesell­schaft­li­cher, wirt­schaft­li­cher, kul­tu­rel­ler und jeder ande­ren Art. Es geht um die Men­schen, die die­se Orte bewoh­nen und ihre Regeln des Mit­ein­an­ders. Es geht um die Vor­ge­schich­te die­ser Orte und wie sie mit den ande­ren Orten der Welt ver­knüpft sind. Es geht um Nor­men und Wer­te, Erwar­tun­gen, Wün­sche und Bedürf­nis­se. Und nicht zuletzt geht es auch um Sym­bo­lik.

Soll hei­ßen:

Es geht nicht nur um Geo­gra­fie, son­dern um grund­le­gen­de Geset­ze, nach denen die Welt in der Geschich­te – und damit auch die Geschich­te selbst – funktioniert.

Erin­nern wir uns zum Bei­spiel an einen Klassiker:

Der Film Der Pate beginnt damit, dass der Mafia­boss Vito Cor­leo­ne wäh­rend der Hoch­zeit sei­ner Toch­ter Audi­enz hält, sich die Anlie­gen sei­ner „Unter­ta­nen“ anhört und Urtei­le fällt. Damit fin­det in die­ser Sze­ne mas­si­ves World-Buil­ding statt: Der Zuschau­er lernt die Welt der Cor­leo­nes ken­nen, sieht, wie die Macht des Mafia­bos­ses bzw. „Paten“ funk­tio­niert, und wird mit Beson­der­hei­ten wie dem „Ange­bot, das man nicht ableh­nen kann“ ver­traut gemacht.

Ohne die­sen Beginn ist der Rest des Films undenk­bar. Denn:

Die Geschich­te kann nur dann Sinn erge­ben, wenn all die­se Din­ge – wenn das World-Buil­ding Sinn ergibt.

Und damit gilt:

Die Geschich­te und das World-Buil­ding sind untrenn­bar mit­ein­an­der knüpft.

World-Building und die Geschichte

Den­ken wir zunächst ein­mal an Tol­ki­ens Der Herr der Rin­ge und Mar­tins Das Lied von Eis und Feu­er: Bei­des sind High-Fan­ta­sy-Rei­hen von epi­schen Aus­ma­ßen mit aus­ge­feil­ten Wel­ten vol­ler kom­ple­xer Hin­ter­grund­ge­schich­ten, Magie und Mytho­lo­gien. Doch bei all ihrer Ähn­lich­keit kann man die Wel­ten, in denen die Geschich­ten ange­sie­delt sind, nicht ein­fach vertauschen:

Denn Tol­ki­ens Arda ist eine Welt, in der Gut und Böse einen schier end­lo­sen Kampf aus­fech­ten, der schon wäh­rend der Schöp­fung der Welt begann und von dem der Ring­krieg nur eine ein­zel­ne Epi­so­de dar­stellt. Wäh­rend­des­sen sind die Kate­go­rien von Gut und Böse in der bekann­ten Welt von Mar­tins Uni­ver­sum völ­lig obso­let, prak­tisch alle Orte, Völ­ker und Reli­gio­nen haben ihre Licht- und Schat­ten­sei­ten und des­we­gen kön­nen die Kon­flik­te in der Eis und Feu­er-Saga es sich leis­ten, so nah an unse­rer Rea­li­tät zu sein. Wäh­rend bei Tol­ki­en das Gute zwar kor­rum­piert wer­den kann, die Dimen­sio­nen von Gut und Böse aber den­noch erhal­ten blei­ben, han­delt man bei Mar­tin vor allem aus Eigen­in­ter­es­se bzw. tut aus sei­ner eige­nen, sub­jek­ti­ven Sicht das Rich­ti­ge und ist damit im Prin­zip weder gut noch böse.

Also kurz: Tol­ki­ens Welt ist mytho­lo­gi­scher, es geht mehr um abs­trak­te Prin­zi­pi­en und des­we­gen passt Der Herr der Rin­ge mit sei­nen kla­ren mora­li­schen Kate­go­rien naht­los hin­ein. Mar­tins Welt hin­ge­gen ist viel kon­kre­ter mit ihren kon­kre­ten Situa­tio­nen, kon­kre­ten Reak­tio­nen, kon­kre­ten Kon­flik­ten, kon­kre­ten Dilem­mas, kon­kre­ten Ent­schei­dun­gen und kon­kre­ten Maß­nah­men. In einem Inter­view merk­te Mar­tin an, dass Tol­ki­en bei­spiels­wei­se nie Ara­gorns Steu­er­po­li­tik beschrie­ben hat. Und das bringt den zen­tra­len Unter­schied zwi­schen den bei­den Wel­ten genau auf den Punkt: In Tol­ki­ens Welt ist nur rele­vant, dass Ara­gorn ein guter, wei­ser König wur­de. In Mar­tins Werk sind Fra­gen nach der Steu­er­po­li­tik essenziell.

Was pas­siert, wenn man die abs­trak­ten Prin­zi­pi­en von Tol­ki­ens Werk auf Das Lied von Eis und Feu­er über­trägt, hat übri­gens des desas­trö­se Ende der Eis und Feu­er-Ver­fil­mung Game of Thro­nes gezeigt: Der ursprüng­lich raf­fi­nier­te Plot wur­de auf die Kate­go­rien von Gut und Böse redu­ziert, die Figu­ren ver­lo­ren ihre psy­cho­lo­gi­sche Kom­ple­xi­tät und somit pas­sen die letz­ten bei­den Staf­feln vom Plot her gar nicht mehr in die Welt und zu den Figu­ren, die im Ver­lauf der vor­he­ri­gen Staf­feln erschaf­fen wur­den. Der Herr der Rin­ge und Das Lied von Eis und Feu­er sind auf ihre jeweils höchst eige­ne Wei­se geni­al. Aber ein Herr der Rin­ge-haf­ter Plot in der Welt von Mar­tin ist bil­li­ges 08/15-Fan­ta­sy, wie es von zweit­klas­si­gen Nach­ah­mern, die die Genia­li­tät ihrer Vor­bil­der nicht ver­ste­hen, geschrie­ben wird.

Wir ler­nen also:

Gutes World-Buil­ding ori­en­tiert sich an den Figu­ren, am Haupt­kon­flikt und vor allem am zen­tra­len Thema.

Thema und Symbolik

Vor allem hängt auch die Ent­wick­lung der Welt mit dem Arc des Prot­ago­nis­ten zusam­men:

So ist die Har­ry Pot­ter-Rei­he unter ande­rem eine Coming-of-Age-Geschich­te. Eben­so wie Har­ry Pot­ter und sei­ne Freun­de erwach­se­ner wer­den, wird auch die Zau­be­rer­welt immer kom­ple­xer und düs­te­rer: Ist der ers­te Teil noch ein put­zi­ges Kin­der­buch über Aben­teu­er an einer Zau­ber­schu­le, fin­det im letz­ten Teil ein bru­ta­ler Krieg statt, in dem die Zau­ber­schu­le zum Schlacht­feld wird.

Dabei müs­sen die Ver­än­de­run­gen der Welt nicht unbe­dingt objek­tiv gra­vie­rend sein, son­dern kön­nen auch ein­fach nur sym­bo­lisch die inne­re Ent­wick­lung der Figu­ren spie­geln:

Als die ver­wais­te Mary Lenn­ox, die Prot­ago­nis­tin von Fran­ces H. Bur­netts Der gehei­me Gar­ten, auf das Gut ihres Onkels zieht, ist sie ein ver­zo­ge­nes, kränk­li­ches und häss­li­ches Kind, ihr Cou­sin Colin ist eben­falls ver­zo­gen und wird für schwer krank und gelähmt gehal­ten und ihr Onkel ist in ewi­ger Trau­er um sei­ne Frau gefan­gen. Das düs­te­re Innen­le­ben spie­gelt sich auch in der kah­len, trost­lo­sen Land­schaft: Das Gut liegt im Moor und es ist Win­ter. Als Mary aber im Ver­lauf der Geschich­te einen gehei­men Gar­ten ent­deckt und sich um ihn küm­mert, ent­wi­ckelt sie sich zum Posi­ti­ven und stößt auch eine Ver­än­de­rung bei Colin und ihrem Onkel an. Der kon­kre­te gehei­me Gar­ten auf dem Gut erblüht und steht damit auch meta­pho­risch für den inne­ren Gar­ten der Figu­ren, für ihre erblüh­ten Seelen.

Was die­se Sym­bo­lik angeht, so wer­den bestimm­te Orte in der Regel mit bestimm­ten Din­gen asso­zi­iert:

So kann ein Wald zum Bei­spiel ein magi­scher Ort sein, wo hüb­sche Feen leben, oder auch ein gru­se­li­ger Ort, an dem man Yetis, Wer­wöl­fe und ande­re gefähr­li­che, mys­te­riö­se Krea­tu­ren trifft. In einem Wald kann man von Räu­bern über­fal­len wer­den oder sich aber vor Ver­fol­gern ver­ste­cken. Und nicht zuletzt kann ein Wald auch unge­bän­dig­te Natur sym­bo­li­sie­ren – oder aber von Men­schen ange­pflanzt wor­den sein.

Vie­le poten­ti­el­le Set­tings haben eine mehr oder weni­ger uni­ver­sel­le Sym­bo­lik, so viel­fäl­tig und wider­sprüch­lich sie auch sein mag:

Da wäre der eben bespro­che­ne Wald, ein geheim­nis­vol­ler, poten­ti­ell gefähr­li­cher Aus­druck der Natur. Da ist das Moor im Gehei­men Gar­ten, das im Win­ter trost­los wirkt, im Früh­ling und Som­mer aber auf­lebt. Da ist die Stadt, die einer­seits für Zivi­li­sa­ti­on steht, ande­rer­seits aber auch als wil­der Dschun­gel wahr­ge­nom­men wer­den kann. Und so weiter …

Dabei sind im Übri­gen auch krea­ti­ve Kom­bi­na­tio­nen möglich:

So ist der Film Girls Club – Vor­sicht bis­sig! an einer ame­ri­ka­ni­schen High School ange­sie­delt, gewis­ser­ma­ßen einer Minia­tur­ver­si­on der Gesell­schaft: Hier herrscht eine haus­ei­ge­ne Dik­ta­to­rin mit ihren Hand­lan­gern und unter der Ober­flä­che fin­den erbit­ter­te Macht­kämp­fe statt. Die Prot­ago­nis­tin kommt dabei nicht zufäl­lig aus Afri­ka, denn so kann sie die High School immer wie­der mit der afri­ka­ni­schen Wild­nis ver­glei­chen, die ja eben­falls von Macht- und Revier­kämp­fen geprägt ist.

Ande­re Set­tings bzw. ein­zel­ne Facet­ten sind hin­ge­gen an eine bestimm­te Kul­tur geknüpft:

So kann man zum Bei­spiel sagen, dass Der Pate nicht zufäl­lig über­wie­gend in den USA spielt: Denn hier wird im Prin­zip eine dunk­le Vari­an­te des Ame­ri­can Dream gezeigt, als ein sizi­lia­ni­scher Jun­ge in die USA migriert und dort zum Mafia­boss auf­steigt. Und obwohl sein Sohn Micha­el von den kri­mi­nel­len Machen­schaf­ten sei­ner Fami­lie zunächst nicht viel hält, kann er sich den Geset­zen sei­ner Welt nicht ent­zie­hen und führt den Ame­ri­can Dream sei­ner Fami­lie mit eiser­ner Faust fort.

In Tol­s­to­js Krieg und Frie­den kommt die kul­tu­rell-spi­ri­tu­el­le Spal­tung Russ­lands zum Aus­druck, wenn man sich anschaut, wel­che Figu­ren in St. Peters­burg und wel­che in Mos­kau leben. St. Peters­burg wur­de erst Anfang des 18. Jahr­hun­derts nach west­li­chen Vor­bil­dern gebaut und eher künst­lich zur Haupt­stadt gemacht. Es ist die Stadt der Poli­tik, der Über­heb­lich­keit, des Frem­den, der Intri­gen und der Lüge. Mos­kau hin­ge­gen, zu Tol­s­to­js Zei­ten die his­to­ri­sche Haupt­stadt, ist durch­drun­gen vom Rus­si­schen, von Wahr­heit, Hei­mat und Tra­di­ti­on, und sie ist das Zuhau­se der Sym­pa­thie­trä­ger des Romans, der Fami­lie des Gra­fen Ros­tow. Des­sen leb­haf­te, auf­rich­ti­ge Toch­ter Nata­scha, die ulti­ma­ti­ve Sym­pa­thie­trä­ge­rin, erlebt aber aus­ge­rech­net im ver­lo­ge­nen St. Peters­burg einen extre­men Tief­punkt, als sie um ein Haar mit dem ver­ant­wor­tungs­lo­sen Ana­tol Kura­gin durch­brennt, obwohl sie mit ihrem gelieb­ten Andrej Bol­kon­ski ver­lobt ist.

Die Sym­bo­lik des Set­tings wird im Übri­gen nicht weni­ger rele­vant, wenn das Set­ting regel­mä­ßig wech­selt:

So ist die weit, weit ent­fern­te Gala­xis der Star Wars-Fil­me zwei­fel­los ein unend­lich gro­ßes Sam­mel­su­ri­um unter­schied­lichs­ter Pla­ne­ten. Doch hier kann man sehr gut sehen, wie viel ein Ort über sei­ne Bewoh­ner aus­sa­gen kann: Luke, der das Gefühl hat, in sei­nem lang­wei­li­gen All­tags­le­ben fest­zu­ste­cken, wohnt auf einem Wüs­ten­pla­ne­ten, der unschein­ba­re, geheim­nis­vol­le Meis­ter Yoda lebt in einem wil­den Sumpf und die Die­ner des Impe­ri­ums tum­meln sich in den ste­ri­len, leb­lo­sen Gän­gen des Todessterns.

Auch im Herrn der Rin­ge wech­seln Sze­ne­rie und Völ­ker: Die klei­nen Hob­bits aus dem idyl­li­schen Auen­land rei­sen durch die äthe­ri­schen Rei­che der Elben, eine von Orks und einem urzeit­li­chen Dämon bewohn­te Unter­welt, die irdi­schen, aber stol­zen Rei­che der Men­schen sowie durch das kah­le Reich des Bösen. Und die klei­nen, unschein­ba­ren Hob­bits, ret­ten die­se gro­ße, magi­sche Welt. Das ist sehr ausdrucksstark.

Um es also kurz zusammenzufassen:

Gutes World-Buil­ding lie­fert nicht nur einen geeig­ne­ten Schau­platz für die Geschich­te, son­dern spie­gelt auch die Wer­te sowie die äuße­ren und inne­ren Ent­wick­lungs­pro­zes­se der Figu­ren, die die­se Schau­plät­ze bevöl­kern. Damit trägt es zur Gesamt­aus­sa­ge des Wer­kes bei und kom­men­tiert durch­aus auch die rea­le Welt des kon­kre­ten Autors und kon­kre­ten Rezipienten.

Ausarbeitung und Exposition

Wenn Du nun also das pas­sen­de Set­ting für das The­ma Dei­ner Geschich­te gefun­den hast und weißt, wie Du die Welt und ihre Ver­än­de­rung mit dem Plot und den Figu­ren ver­knüp­fen willst, ist das bereits die hal­be Mie­te. Und den­noch muss die Welt noch aus­ge­ar­bei­tet und ange­mes­sen prä­sen­tiert werden.

Und da lau­ert schon die ers­te Gefahr: Denn oft ist man so sehr vom eige­nen World-Buil­ding fas­zi­niert, dass man den Blick für das Wesent­li­che ver­liert. Bit­te ver­steh‘ mich nicht falsch: Es ist kei­nes­wegs ver­kehrt, die Welt, in der Dei­ne Geschich­te spielt, bis ins klei­nes­te Detail aus­zu­ar­bei­ten, zumal das ja auch unheim­lich Spaß macht. Aber der Leser wird das meis­te davon nicht brau­chen. Denn es trägt nichts zum The­ma und zur Bot­schaft Dei­nes Werks bei. Es ist unnö­ti­ger Fluff.

Daher mer­ke:

Weni­ger ist mehr.

Ers­tens soll­te der Leser die Welt mög­lichst leicht ver­ste­hen kön­nen und zwei­tens len­ken zu vie­le Details vom Eigent­li­chen, vom Kern der Geschich­te, ab.

Schau­en wir uns ein Nega­tiv­bei­spiel an:

Ich habe mich ja schon so eini­ge Male als Assassin’s Creed-Fan geoutet und wie auch vie­le ande­re, bemer­ke ich, wie das Fran­chise mit den Jah­ren sei­ne Iden­ti­tät ver­liert. Ich wie­der­um ver­lie­re des­we­gen all­mäh­lich das Inter­es­se. Und spe­zi­ell in Bezug auf Sto­rytel­ling und World-Buil­ding beob­ach­te ich Folgendes:

Die Grund­idee und das zen­tra­le The­ma haben mich vom ers­ten Teil an fas­zi­niert: Hin­ter der Fas­sa­de der uns aus der Schu­le bekann­ten Geschich­te fin­det ein gehei­mer Krieg zwi­schen Temp­lern und Ass­as­si­nen statt. Bei­de Geheim­or­den kämp­fen dabei für den Frie­den. Doch wäh­rend die Temp­ler ihn durch Kon­trol­le und Ord­nung errei­chen wol­len, set­zen die Ass­as­si­nen auf Frei­heit. Eine wich­ti­ge Rol­le spie­len in die­sem Krieg geheim­nis­vol­le Arte­fak­te, die von einer fik­ti­ven Vor­gän­ger­zi­vi­li­sa­ti­on, den Isu, hin­ter­las­sen wur­den und selbst im Ver­gleich zu unse­ren moderns­ten Tech­no­lo­gien wie Magie wir­ken. Die Temp­ler wol­len die­se Arte­fak­te nut­zen, um die Mensch­heit zu kon­trol­lie­ren, und die Ass­as­si­nen wol­len sie dar­an hindern.

Nun spiel­te die­ser ideo­lo­gi­sche Kon­flikt in den frü­he­ren Assassin’s Creed-Tei­len eine sehr zen­tra­le Rol­le. Die Arcs der Prot­ago­nis­ten dreh­ten sich dabei in der Regel um das Ver­ständ­nis von Frei­heit sowie die Wich­tig­keit einer Balan­ce mit Ver­ant­wor­tung. Es ging dar­um, dass Frei­heit eben nicht ein­fach bedeu­tet, zu tun, was man will, son­dern kri­ti­sches Den­ken erfor­dert sowie die Bereit­schaft, mit den Kon­se­quen­zen der eige­nen Ent­schei­dun­gen zu leben.

In den letz­ten Jah­ren jedoch rück­te die­ses The­ma gegen­über dem World-Buil­ding immer mehr in den Hin­ter­grund. Man erfährt mehr über die Ent­ste­hung der bei­den Geheim­or­den, die Isu spie­len eine immer grö­ße­re Rol­le und die Prot­ago­nis­ten sind schon lan­ge kei­ne rich­ti­gen Ass­as­si­nen mehr. Die Welt, in der Assassin’s Creed spielt, wird immer aus­ge­feil­ter und ver­wir­ren­der, aber mit dem Cre­do der Ass­as­si­nen haben die letz­ten Spie­le herz­lich wenig zu tun.

Im Ver­gleich mit dem World-Buil­ding in Assassin’s Creed mutet das World-Buil­ding in unse­rem Posi­tiv­bei­spiel, dem Uni­ver­sum von Ava­tar – Der Herr der Ele­men­te und der Nach­fol­ge­wer­ke, nahe­zu pri­mi­tiv an:

Vier Ele­men­te, vier Natio­nen und der Ava­tar, der alle vier Ele­men­te beherrscht und das Gleich­ge­wicht wah­ren soll. Zwar erfährt man auch hier die Hin­ter­grün­de – in der Nach­fol­ge­se­rie Die Legen­de von Kor­ra wird bei­spiels­wei­se die Ent­ste­hung des Ava­tar erläu­tert. Doch es kommt dabei nicht zur Ver­selbst­stän­di­gung die­ser Erzäh­lun­gen. Man erfährt von den Hin­ter­grün­den stets nur das, was für die eigent­li­che Geschich­te wich­tig ist. Und wich­tig ist im Ava­tar-Uni­ver­sum eben das The­ma des Gleich­ge­wichts: Aang soll das Gleich­ge­wicht zwi­schen den Natio­nen her­stel­len und Kor­ra das Gleich­ge­wicht zwi­schen Ideo­lo­gien. Das zen­tra­le The­ma bleibt erhalten.

Wir sehen also:

Es ist nicht not­wen­dig und auch nicht rat­sam, jeden Win­kel der Welt zu zei­gen und alle Details zu erklären.

Kon­zen­trie­re Dich daher auf das zen­tra­le The­ma, die Figu­ren und den Plot und zei­ge von Dei­nem World-Buil­ding nur das, was wirk­lich rele­vant ist.

Die fiktive Welt „lebendig“ machen

Nun magst Du an die­ser Stel­le viel­leicht ein­wen­den, dass Details doch wich­tig sind, um der fik­ti­ven Welt Leben ein­zu­hau­chen. Dass Atmo­sphä­re auf­ge­baut wer­den muss. Und dass logi­sche Erklä­run­gen not­wen­dig sind, damit der Rezi­pi­ent dem Gesche­hen fol­gen kann.

Hier ist aller­dings zu beach­ten, dass es immer auf die Geschich­te ankommt. Und damit eben auch auf das zen­tra­le The­ma und die Bot­schaft.

Muss das World-Building realistisch sein?

Betrach­ten wir mal den sowje­ti­schen Ani­ma­ti­ons­zwei­tei­ler Die Bre­mer Stadt­mu­si­kan­ten und Auf den Spu­ren der Bre­mer Stadt­mu­si­kan­ten:

Der ers­te Trick­film ist lose an das Mär­chen der Brü­der Grimm ange­lehnt und der zwei­te ist die Fort­set­zung. Die vier Tie­re sind hier bereits ein fer­ti­ger musi­ka­li­scher Wan­der­zir­kus und haben auch einen Men­schen, den „Trou­ba­dour“, in ihrer Mit­te. Sie machen Musik, tan­zen, jon­glie­ren und voll­füh­ren akro­ba­ti­sche Tricks. Bei einem die­ser Auf­trit­te begeg­net der Trou­ba­dour der Prin­zes­sin und die bei­den ver­lie­ben sich. Nach eini­gen Kom­pli­ka­tio­nen gewinnt der Trou­ba­dour das Ver­trau­en des Königs und darf mit der Prin­zes­sin zusam­men sein. Weil die­se aber offen­bar von einem wil­de­ren Leben träumt, brennt sie mit dem Trou­ba­dour und sei­nem Wan­der­zoo durch. Daher setzt der König einen genia­len Detek­tiv auf die Stadt­mu­si­kan­ten an. Der ent­führt die Prin­zes­sin und bringt sie zurück zu ihrem Vater. Die Musi­kan­ten ver­fol­gen ihn und wäh­rend die Tie­re zur Ablen­kung ein Kon­zert geben, setzt der Trou­ba­dour den König, den Detek­tiv und die Wachen außer Gefecht, befreit die Prin­zes­sin und zusam­men mit ihr ver­las­sen die Musi­kan­ten die Stadt unter dem Jubel des Volkes.

Das World-Buil­ding ist dabei ein­fach nur absurd: Die Stadt selbst wirkt pseu­do-mit­tel­al­ter­lich und ‑früh­neu­zeit­lich, die Men­schen am könig­li­chen Hof kom­men aus dem acht­zehn­ten Jahr­hun­dert und der offen­sicht­lich Sher­lock-Hol­mes-inspi­rier­te Detek­tiv hat ein Auto, zwei Revol­ver und einen Foto­ap­pa­rat im rech­ten Auge, was ihn wohl zu einer Art Cyborg macht. Die Stadt­mu­si­kan­ten und spe­zi­ell der Trou­ba­dour sowie die Prin­zes­sin ent­stam­men hin­ge­gen der dama­li­gen Gegen­wart der spä­ten 60er und frü­hen 70er Jah­re – einer Zeit, als die Sowjet­uni­on sich west­li­chen kul­tu­rel­len Ein­flüs­sen geöff­net hat­te: Die Musi­kan­ten spie­len Rock mit E‑Gitarren, die offen­bar kei­ne Elek­tri­zi­tät brau­chen, der Trou­ba­dour trägt Schlag­ho­sen und einen V‑Ausschnitt bis zum Bauch­na­bel und die Prin­zes­sin ein Mini­kleid­chen, das mehr wie ein lan­ges Shirt aussieht.

Nun wur­den die bei­den ani­mier­ten Musi­cals sehr wider­sprüch­lich inter­pre­tiert und es wur­de von ver­schie­de­nen Lagern sowohl Sozia­lis­mus­feind­lich­lich­keit als auch Sozia­lis­mus­be­für­wor­tung dar­in gese­hen. Fak­tisch drin ist tat­säch­lich die Oppo­si­ti­on zwi­schen den alten, ego­is­ti­schen und cha­rak­ter­schwa­chen Eli­ten und ihren Hand­lan­gern und den jun­gen, rebel­li­schen Figu­ren des Trou­ba­dour und der Prin­zes­sin, die vier auf­rich­ti­ge tie­ri­sche Freun­de haben und vom Volk beju­belt wer­den. Und wäh­rend die Welt über­wie­gend aus ana­chro­nis­tisch durch­misch­ten Kli­schees des his­to­ri­schen Euro­pa besteht, wer­den die sym­pa­thi­schen Rebel­len durch ihr damals moder­nes Design und Auf­tre­ten her­vor­ge­ho­ben. Das absur­de World-Buil­ding trägt also direkt zur Cha­rak­te­ri­sie­rung der Figu­ren bei, zumal die Ana­chro­nie der Rebel­len auch nicht stört, weil ja die gesam­te Welt aus ana­chro­nis­ti­schen Kli­schees besteht. Damit wirkt die­se noch so haar­sträu­bend zusam­men­hang­lo­se Welt den­noch in sich geschlos­sen, atmo­sphä­risch und „leben­dig“.

Wir mer­ken also:

Wenn es dem Zweck der Geschich­te dient, muss das World-Buil­ding nicht ein­mal logisch sein.

Aber ja, natür­lich, man­che Geschich­ten erfor­dern eine rea­lis­ti­sche Welt.

Und je rea­lis­ti­scher die Geschich­te, des­to rea­lis­ti­scher und logi­scher soll­te dem­entspre­chend auch das World-Buil­ding sein:

Man stel­le sich das Desas­ter vor, wenn Das Lied von Eis uns Feu­er in der Welt der sowje­ti­schen Bre­mer Stadt­mu­si­kan­ten ange­sie­delt wäre! – Aber wie ver­hin­dert man, dass eine genau sol­che Mons­tro­si­tät entsteht?

Eine realistische Welt erschaffen

Wenn Du beschlos­sen hast, dass Du eine logi­sche, rea­lis­ti­sche Welt brauchst, dann hast Du zunächst sehr viel Recher­che vor Dir. Es sei denn, Du schreibst nur über Din­ge, die Du kennst, und das ist nicht immer der Fall. Je nach dem, wie die fik­ti­ve Welt aus­se­hen soll, wirst Du daher nicht umhin kom­men, mit offe­nen Augen durch die rea­le Welt zu gehen, Dich ver­stärkt für bestimm­te Milieus und/​oder Epo­chen zu inter­es­sie­ren, phy­si­ka­li­sche Geset­ze nach­zu­schla­gen, Fach­li­te­ra­tur über all­täg­li­che Din­ge wie das Wet­ter zu lesen, Dich mit Mär­chen und Mytho­lo­gien ver­schie­de­ner Kul­tu­ren zu befas­sen, Dich mit Psy­cho­lo­gie, Geschich­te und Poli­tik­theo­rie aus­ein­an­der­zu­set­zen und so weiter.

Es ist dabei schwer zu sagen, was ein­fa­cher ist: sin­ni­ges World-Buil­ding für eine Geschich­te, die in unse­rer Welt ange­sie­delt ist und daher beson­de­re Prä­zi­si­on erfor­dert, oder sin­ni­ges World-Buil­ding für eine Geschich­te, die in einer fik­ti­ven Welt spielt mit aus­ge­dach­ten Geset­zen und Prin­zi­pi­en, die aber trotz­dem ein in sich geschlos­se­nes Gan­zes erge­ben sol­len. Doch wäh­rend bei Ers­te­rem vor allem gilt: Recher­che, Recher­che und noch­mal Recher­che, stellt sich bei Letz­te­rem die Fra­ge nach hilf­rei­chen Tools und Modellen.

Jene, die auf sol­che Tools und Model­le war­ten, wer­de ich an die­ser Stel­le aller­dings ent­täu­schen: Sicher­lich wer­den wir in den spä­te­ren Tei­len, in denen wir Ein­zel­aspek­te des World-Buil­dings behan­deln, auch über Model­le spre­chen. Aber wenn es um das Erschaf­fen von fik­ti­ven Wel­ten an sich geht, so bin ich per­sön­lich sehr skep­tisch gegen­über Model­len, Fra­ge­bö­gen und ande­ren Werk­zeu­gen. Denn sol­che Din­ge set­zen beob­acht­ba­re Nor­men vor­aus, wie sie bei­spiels­wei­se bei der Erzähl­per­spek­ti­ve fest­ge­stellt wer­den kön­nen. Und das bedeutet:

Model­le hel­fen am meis­ten dort, wo die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ein­ge­schränkt sind. Und beim Auf­bau­en von fik­ti­ven Wel­ten ist genau das nicht der Fall.

Denn das ist doch das Schö­ne an aus­ge­dach­ten Wel­ten: Im Ide­al­fall sind sie neu, ori­gi­nell und ein­zig­ar­tig. Wenn man sich außer­dem all­zu sehr auf ein Modell oder eine bestimm­te Tech­nik kon­zen­triert, sehe ich die Gefahr, dass man die eigent­li­che Geschich­te, das zen­tra­le The­ma und die beab­sich­tig­te Bot­schaft aus den Augen verliert.

Und wenn die eigent­li­che Geschich­te in den Hin­ter­grund gerät, dann wir­ken all Dei­ne noch so lie­be­voll her­aus­ge­ar­bei­te­ten Details eher irrele­vant, leb­los und sta­tisch. Weil sich ja nichts ver­än­dert bzw. nichts Inter­es­san­tes pas­siert. Wie auf einer lee­ren Bühne.

Ergo:

Was eine Welt wirk­lich leben­dig macht, sind nicht Rea­lis­mus und Details, son­dern das Leben dar­in: die Bewe­gung, die Kon­flik­te, die Handlung.

Die ein­zi­gen Tools, die ich per­sön­lich beim World-Buil­ding sinn­voll fin­de, sind Mit­tel zum Ord­nen von Infor­ma­ti­on. Also Din­ge wie eige­ne Lexi­ka, Stamm­bäu­me, Steck­brie­fe, Bil­der von den Figu­ren, Über­sichts­ta­bel­len, Land­kar­ten und Stadt­plä­ne etc. Aber das wür­de den Rah­men die­ses Arti­kels spren­gen. Daher kön­nen wir, wenn Du magst, ein ander­mal dar­über reden.

Beschreibungen und Details

Nun hast Du also eine Welt, die zu Dei­ner Geschich­te passt. Wie ver­packst Du sie jetzt in einen Text, damit ihre Leben­dig­keit beim Leser ankommt?

Über Beschrei­bun­gen all­ge­mein haben wir bereits in einem frü­he­ren Arti­kel gespro­chen. Dar­in ging es um vier Punkte:

  • In der Kür­ze liegt die Würze
  • Show, don’t tell
  • Ori­gi­nel­le Stil­mit­tel und Wortwahl
  • Die Macht der Erzählperspektive

Detail­lier­te­re Aus­füh­run­gen fin­dest Du im ent­spre­chen­den Arti­kel. An die­ser Stel­le ist zunächst nur wich­tig, dass Beschrei­bun­gen zum World-Buil­ding gehö­ren und Du die­se Punk­te allei­ne schon des­we­gen beach­ten soll­test.

In Bezug auf das World-Buil­ding sind aber auch noch wei­te­re Punk­te von Bedeutung:

  • So wich­tig Details und Beschrei­bun­gen auch sind – Du soll­test sie nicht wie­der­ho­len. Ein­mal beschrei­ben reicht. Spä­ter kön­nen und sol­len die ein­zel­nen Aspek­te zwar auf­ge­grif­fen wer­den – jedoch nur, wenn die jewei­li­ge Stel­le das erfor­dert: Wenn es also zur Stim­mung, zur Hand­lung oder zu etwas ande­rem bei­trägt. Der Leser will nun mal nicht immer wie­der das­sel­be lesen und sich wie­der­ho­len­de Beschrei­bun­gen sind daher ein­fach nur nutz­lo­ser Ballast.
  • Wenn ich sage, dass Du nicht jeden Win­kel der fik­ti­ven Welt zu zei­gen brauchst, dann gilt das auch im Klei­nen für die Orte, Din­ge, Wesen usw., die tat­säch­lich in der Geschich­te vor­kom­men. Dei­ne Auf­ga­be ist es, ein all­ge­mei­nes Gefühl von dem Dorf zu geben, durch das Dei­ne Figu­ren gera­de rei­sen. Was für eine Aus­strah­lung hat es? Wel­che Gefüh­le weckt es und war­um? Ist viel­leicht gera­de die Pest am Wüten und die weni­gen Bewoh­ner, die noch leben, haben sich in ihren Häu­sern ver­schanzt? Dann kon­zen­trie­re Dich auf die all­ge­mei­ne Stil­le, auf den Lei­chen­ge­ruch und den Kirch­turm, der in die­sem Zusam­men­hang mehr wie ein rie­si­ger Grab­stein wirkt. Und wenn in einem ver­las­se­nen Gar­ten das Leben wuchert, dann beschrei­be nicht die fröh­lich sum­men­den Bie­nen, son­dern die Nie­der­la­ge des Men­schen gegen­über der Natur, den Ver­fall der Zivi­li­sa­ti­on: wie eine Bank, auf der einst Men­schen geses­sen haben, jetzt mit Moos bedeckt ist, wie ein Vogel­pär­chen sich in einem Schrank ein Nest gebaut hat und wie die Rat­ten sich unge­hin­dert an den Essens­vor­rä­ten im Kel­ler bedie­nen. Picke also die Details und Aspek­te her­aus, die zur Stim­mung und zum Plot beitragen.
  • „Show, don’t tell“ gilt nicht nur bei Beschrei­bun­gen, son­dern auch bei der Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung, bei­spiels­wei­se bei Hin­ter­grund­ge­schich­ten. Soll hei­ßen: Du musst dem Leser nicht alles vor­kau­en. Gib ihm eine Sze­ne­rie, erlau­be ihm zu beob­ach­ten und lass ihn eins und eins selbst zusam­men­zäh­len. Sage zum Bei­spiel nicht direkt, dass in dem Dorf die Pest wütet. Beschrei­be statt­des­sen ein­fach das depri­mie­ren­de Bild und lege die ein oder ande­re mit Pest­beu­len über­sä­te Lei­che auf die Stra­ße. Der Leser wird schon ver­ste­hen, was da pas­siert ist. Eben­so wie der Leser sich die Hin­ter­grund­ge­schich­te von jeman­dem den­ken kann, der nicht viel redet, mit Nar­ben bedeckt ist und sei­ne Frei­zeit mit dem Sau­fen ver­bringt. Und weil der Leser so in die Ent­ste­hung des geis­ti­gen Bil­des stär­ker invol­viert ist, weil er nicht ein­fach etwas vor­ge­legt bekommt, son­dern auch selbst an dem Kopf­ki­no schrau­ben muss, wirkt die Sze­ne­rie umso leben­di­ger. Ich mei­ne, natür­lich wirst Du nicht kom­plett um Erklä­run­gen her­um­kom­men, aber beschrän­ke sie lie­ber auf das Nötigste.
  • Ach­te dar­auf, dass Du es bei der Kon­zen­tra­ti­on auf das zen­tra­le The­ma und das Nötigs­te den­noch nicht über­treibst. Den Leser inter­es­sie­ren klei­ne, schmü­cken­de Details näm­lich durch­aus und er braucht im Ver­lauf der Geschich­te hin und wie­der Raum zum Durch­at­men. Eben­so wie die Figu­ren manch­mal ein­fach nur zusam­men Kaf­fee trin­ken soll­ten, dür­fen sie sich die Orte, die sie besu­chen, bei Gele­gen­heit genau­er anse­hen und die Hin­ter­grund­ge­schich­ten dazu erfah­ren. Und wenn die Hel­den­grup­pe einen Ort zwei­mal besucht, ist es inter­es­sant, wenn dort zwi­schen­zeit­lich Ver­än­de­run­gen ein­ge­tre­ten sind. Denn das zeigt, dass das Leben hier wei­ter­geht, selbst wenn die Haupt­fi­gu­ren nicht anwe­send sind. Pass bei sol­chen schmü­cken­den Details aber auf, dass Du kei­ne rei­nen Fil­ler-Sze­nen oder gar Fil­ler-Kapi­tel schreibst. Lass dar­in etwas vor­kom­men, das trotz­dem noch wich­tig für den Plot ist. Und wenn die schmü­cken­den Details dabei auch noch sub­til auf das Innen­le­ben der Figu­ren oder bestimm­te Aspek­te des Plots anspie­len, dann ist das perfekt.
  • Ver­mei­de Info-Dump! Selbst wenn man es mit den Infor­ma­tio­nen über die Welt auf das Nötigs­te beschränkt, wird man den­noch Din­ge erklä­ren müs­sen. Und manch­mal muss es sogar sehr expli­zit pas­sie­ren, indem der Erzäh­ler oder eine Figur sich hin­stellt und die not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen run­ter­rat­tert. Das ist Info-Dump. Doch dazu und zu mög­li­chen Alter­na­ti­ven bei der Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung habe ich bereits einen Arti­kel. Wenn Du also mehr wis­sen möch­test, dann schaue doch vorbei!

Schlussbemerkung

Das war also unser sehr all­ge­mei­ner Ein­stieg ins The­ma World-Buil­ding. Dir wird auf­ge­fal­len sein, dass ich nicht aus­führ­lich auf die Unter­schie­de zwi­schen Geschich­ten, die unse­rer Welt spie­len, und Geschich­ten, für die kom­plett neue Wel­ten erschaf­fen wur­den, ein­ge­gan­gen bin. Die Sache ist, dass Geschich­ten der letz­te­ren Sor­te, in der Regel Fan­ta­sy und Sci­ence-Fic­tion, zwar auf den ers­ten Blick mehr World-Buil­ding haben, auf den zwei­ten Blick aber die Geschich­ten, die in der „Rea­li­tät“ ange­sie­delt sind, mit fast den­sel­ben Her­aus­for­de­run­gen ein­her­ge­hen:

Bei His­to­ri­en­ro­ma­nen muss viel recher­chiert, durch­dacht und erklärt wer­den, damit die Geschich­te für einen Nicht-His­to­ri­ker nach­voll­zieh­bar ist. Wenn Du über die Mafia schreibst, dann musst Du dem Leser, der mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit kein Mafio­si ist, die­se Welt näher­brin­gen. Und selbst wenn Du über Din­ge wie Schu­le schreibst, eine bana­le, klei­ne Welt, die jeder kennt, so ist doch kei­ne Schu­le wie die ande­re und hat ihre eige­nen Geschich­ten, Beson­der­hei­ten und Sach­ver­hal­te, die einem Außen­ste­hen­den erst erklärt wer­den müssen.

Aber ja, ich gebe zu, man braucht nicht all­zu vie­le Wor­te, um gewöhn­li­che Scha­fe auf einer gewöhn­li­chen Wie­se zu beschrei­ben. Die meis­ten Men­schen wis­sen, was ein Schaf ist und wie es aus­sieht, und daher kannst Du Dich damit begnü­gen, die Beson­der­hei­ten die­ser spe­zi­el­len Scha­fe zu beschrei­ben. Wenn es aber um Holo­mis­u­ha­si­tams vom Pla­ne­ten Fur­ze­vick geht, dann möch­te der Leser wis­sen, was das für Krea­tu­ren sind, wie sie aus­se­hen, was sie so machen, was sie fres­sen, ob sie über­haupt fres­sen etc. pp. Das nimmt natür­lich viel mehr Raum ein.

Aller­dings gilt auch hier:

Schwei­fe nicht all­zu sehr vom eigent­li­chen The­ma ab, behal­te die Geschich­te im Auge und erklä­re nur so viel wie nötig. Über­for­de­re den Leser nicht. Vor allem nicht im ers­ten Band einer Serie, wenn der Leser erst noch ent­schei­den muss, ob die fik­ti­ve Welt ihn über­haupt interessiert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert