World-Building: Hierarchien und Machtstrukturen innerhalb von Gruppen und Gesellschaften

World-Building: Hierarchien und Machtstrukturen innerhalb von Gruppen und Gesellschaften

Wo immer Grup­pen ent­ste­hen, kris­tal­li­siert sich bald eine Rang­ord­nung her­aus. Und obwohl sol­che Rang­ord­nun­gen oft for­ma­len Regeln unter­wor­fen sind, spie­len auch unter­schwel­li­ge und unter­be­wuss­te Dyna­mi­ken eine Rol­le. Beim World-Buil­ding und beim Erschaf­fen von Figu­ren müs­sen wir auf sol­che Fein­hei­ten ach­ten. Schau­en wir uns also an, wie Hier­ar­chien und Macht­struk­tu­ren funktionieren …

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Wo immer sich eine Grup­pe zusam­men­fin­det, haben eini­ge Mit­glie­der mehr zu sagen als ande­re. Ob es eine Cli­que von Freun­den ist oder eine gan­ze Gesell­schaft: Men­schen, Tie­re oder Fan­ta­sie­we­sen bil­den Grup­pen, um gemein­sam an einem Strang zu zie­hen. Und jemand muss nun mal den Strang auswählen.

Wer genau den Strang aus­wählt, hängt von vie­len Fak­to­ren ab. Schau­en wir uns also an, wie und war­um Hier­ar­chien ent­ste­hen, wie sie funk­tio­nie­ren und was einen guten Anfüh­rer ausmacht.

Sinn und Entstehung

Einer mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­fil­me, Mas­ter and Com­man­der, spielt an Bord des eng­li­schen Kriegs­schif­fes HMS Sur­pri­se wäh­rend der Napo­leo­ni­schen Krie­ge. Unter dem Kom­man­do von Cap­tain Jack Aubrey macht die HMS Sur­pri­se Jagd auf ein haus­hoch über­le­ge­nes fran­zö­si­sches Kaper­schiff, die Ache­ron.

Der Film beginnt eines Mor­gens vor der Küs­te Bra­si­li­ens, als die Matro­sen der HMS Sur­pri­se und der dienst­ha­ben­de Wach­of­fi­zier Hol­lom etwas im Nebel zu sehen glau­ben. Mid­ship­man Hol­lom, der mit sei­nen 30 Jah­ren immer noch nicht zum Leut­nant auf­ge­stie­gen ist, muss ent­schei­den, ob die Crew gefechts­klar machen soll, ist sich jedoch nicht sicher, ob das geheim­nis­vol­le Etwas eine Bedro­hung ist. Mid­ship­man Cala­my, noch ein Teen­ager, gesellt sich dazu und drängt ihn zu einer Ent­schei­dung. Als Hol­lom jedoch wei­ter­hin zögert, dreht sich Cala­my zur Crew um gibt den Befehl, gefechts­klar zu machen.

Kur­ze Zeit spä­ter, als die HMS Sur­pri­se kampf­be­reit ist, beginnt der Beschuss. Das Etwas im Nebel ent­puppt sich als die feind­li­che Ache­ron, die der Sur­pri­se auf­ge­lau­ert hat. Hät­te Cala­my Hol­lom sei­nen Zwei­feln über­las­sen, wären die 197 See­len an Bord der Sur­pri­se gelie­fert gewesen.

Mas­ter and Com­man­der gilt als his­to­risch authen­ti­sche Dar­stel­lung des Mikro­kos­mos Kriegs­schiff Anfang des 19. Jahr­hun­derts. Und Hier­ar­chie spielt in die­sem Mikro­kos­mos eine zen­tra­le Rol­le: Fast 200 Mann müs­sen wie ein ein­zi­ger Orga­nis­mus funk­tio­nie­ren, wenn sie den Krieg auf hoher See über­le­ben wol­len. Die Offi­zie­re und Unter­of­fi­zie­re müs­sen schnell Ent­schei­dun­gen fäl­len. Die Matro­sen haben ohne Dis­kus­si­on zu gehor­chen. Und wenn ein Offi­zier oder Unter­of­fi­zier kei­ner­lei Füh­rungs­qua­li­tä­ten zeigt und die Matro­sen ihn nicht respek­tie­ren, dann zer­legt die Gemein­schaft sich selbst von innen her­aus.

Genau das ist, was mit Mid­ship­man Hol­lom pas­siert: Sein Selbst­be­wusst­sein liegt irgend­wo bei null, er sehnt sich nach Bestä­ti­gung und ver­sucht, sich bei der Crew anzu­bie­dern. Des­we­gen haben die Män­ner kei­nen Respekt vor ihm. Sie gehor­chen ihm for­mal, aber als die Sur­pri­se eine Pech­sträh­ne durch­macht, erklä­ren sie ihn zum Sün­den­bock und mob­ben ihn in den Selbstmord.

Das kom­plet­te Gegen­teil ist Cap­tain Aubrey. Er ver­steht die Wich­tig­keit von Hier­ar­chie auf dem Schiff und setzt sie – wenn nötig – mit eiser­ner Faust durch. Als ein betrun­ke­ner Matro­se gegen­über dem rang­hö­he­ren Hol­lom nicht salu­tiert und ihn statt­des­sen sogar anrem­pelt, lässt er den Mann tra­di­ti­ons­ge­mäß aus­peit­schen. Doch grund­sätz­lich liebt Aubrey sein Schiff und sei­ne Crew, ist groß­zü­gig, kame­rad­schaft­lich und trau­ert auf­rich­tig um die Toten nach einem Gefecht. Und er ist auch selbst nicht froh, als er sich gezwun­gen sieht, den betrun­ke­nen Matro­sen zu bestra­fen. Kurz­um: Er hat einen Auf­trag und geht ihm pflicht­be­wusst nach, lässt dabei aber auch nicht das Wohl­erge­hen sei­ner Män­ner aus den Augen.

Das ist es zumin­dest, was die meis­ten sei­ner Män­ner sehen: Aubrey ist beliebt. Sein bes­ter Freund, der Schiffs­arzt Ste­phen Matu­rin, hin­ter­fragt ihn jedoch und warnt ihn immer wie­der davor, in die Tyran­nei abzu­rut­schen. Aubrey ist näm­lich sehr ambi­tio­niert und will die Ache­ron unbe­dingt besie­gen. Obwohl der Feind haus­hoch über­le­gen ist, setzt er sich gegen die Rat­schlä­ge sei­ner Offi­zie­re durch und nimmt den Kampf auf. Er geht gro­ße Risi­ken ein, setzt das Leben sei­ner Män­ner aufs Spiel und ist damit der­je­ni­ge, der eigent­lich für die Pech­sträh­ne der Sur­pri­se ver­ant­wort­lich ist. Doch weil die Crew ihn so sehr liebt, sucht sie sich, wie gesagt, einen ande­ren Sündenbock.

Damit ist Mas­ter and Com­man­der nicht nur eine wun­der­ba­re Dar­stel­lung vom Leben auf einem eng­li­schen Kriegs­schiff Anfang des 19. Jahr­hun­derts mit all den über­le­bens­not­wen­di­gen Hier­ar­chien, son­dern setzt sich auch mit der toxi­schen Wir­kung die­ser Hier­ar­chien aus­ein­an­der.

Formale Hierarchien und faktische Hierarchien

Nicht zuletzt wird in Mas­ter and Com­man­der deut­lich, dass for­ma­le Hier­ar­chien und fak­ti­sche Hier­ar­chien zwei ver­schie­de­ne paar Schu­he sind:

Schon Tie­re, die sich in Grup­pen zusam­men­fin­den, haben meis­tens jeman­den, der das Sagen hat. Und auch Men­schen schei­nen einen sol­chen hier­ar­chi­schen Instinkt zu besitzen:

Break­fast Club zum Bei­spiel wird u. a. sehr ein­drück­lich gezeigt, wie zwei männ­li­che Exem­pla­re der Spe­zi­es Homo sapi­ens um die Stel­lung des Alpha­männ­chens kon­kur­rie­ren. Dazu hört auch der Kampf um die Auf­merk­sam­keit des Alpha­weib­chens Clai­re. Das ist eine Dyna­mik, die ganz natür­lich ent­steht, obwohl es gar kei­ne Not­wen­dig­keit gibt: Bei der Grup­pe han­delt es sich um fünf Schü­ler, die an einem Sams­tag nach­sit­zen müs­sen, nicht mehr.

Was den Men­schen jedoch unter­schei­det, ist, dass die hier­ar­chi­sche Posi­ti­on eben auch eine for­ma­le Kom­po­nen­te hat: Wird im Tier­reich der Kom­pe­ten­tes­te zum Anfüh­rer, zäh­len bei Men­schen auch Din­ge wie Abstam­mung, Alter, Dienst­grad, Aus­se­hen, Auf­tre­ten etc. Und so kommt es auch häu­fig vor, dass hier­ar­chisch höhe­re Posi­tio­nen von Leu­ten besetzt wer­den, die über­haupt nicht passen:

  • In Klas­se 7–8 hat­te ich zum Bei­spiel einen Phy­sik­leh­rer, bei dem die Schü­ler wäh­rend des Unter­richts rein und raus spa­ziert sind. Jeder hat gemacht, was er will, und sich in vol­ler Laut­stär­ke mit sei­nem Nach­barn unter­hal­ten. Dem Unter­richt zu fol­gen war unmög­lich. Und ein­mal war ich sogar die ein­zi­ge, die zur Phy­sik­stun­de auf­ge­kreuzt ist. Ja, auf der einen Sei­te waren mei­ne Mit­schü­ler offen­bar unfä­hig, die­sem Leh­rer auch nur ein Mini­mum an zwi­schen­mensch­li­chem Respekt ent­ge­gen­zu­brin­gen. Aber ande­rer­seits ist jemand, der kei­ner­lei Auto­ri­tät aus­strahlt und sich nicht durch­set­zen kann, im Leh­rer­be­ruf ein­fach nur falsch. Kin­der haben ein fei­nes Gespür für Schwä­che und nut­zen sie aus, so sehr man sie auch zu zivi­li­sier­tem Mit­ein­an­der erzie­hen mag.
  • Ein ande­res Extrem sind Nar­ziss­ten, die Stu­di­en zufol­ge tat­säch­lich über­pro­por­tio­nal häu­fig in Macht­po­si­tio­nen ver­tre­ten sind. Müs­sen sich die Anfüh­rer im Tier­reich erst bewei­sen, kommt man unter Men­schen sehr weit, wenn man gut täu­schen kann. Nar­ziss­ten stre­ben nicht des­we­gen Macht­po­si­tio­nen an, weil sie auf die Ver­ant­wor­tung scharf sind und die Grup­pe zum Erfolg füh­ren wol­len, son­dern sie seh­nen sich nach Kon­trol­le per se, um ihre tief­sit­zen­de Angst zu kom­pen­sie­ren, sowie nach Auf­merk­sam­keit und Bewun­de­rung als Gegen­ge­wicht zu ihrem mons­trö­sen Min­der­wer­tig­keits­kom­plex. Und das Pro­blem bei Nar­ziss­ten ist, dass sie oft über gute schau­spie­le­ri­sche Fähig­kei­ten ver­fü­gen: Sie lügen, täu­schen Kom­pe­tenz vor und spin­nen Intri­gen, um Kon­kur­ren­ten aus­zu­schal­ten. Und wenn sie die ersehn­te Macht­po­si­ti­on end­lich errei­chen, fah­ren sie Pro­jek­te gegen die Wand, ver­gif­ten das Team und füh­len sich dabei groß­ar­tig. Denn am Schei­tern des Pro­jekts sind immer ande­re schuld, nie­mals sie selbst.

Hierarchische Instinkte

Die­se Dua­li­tät von for­ma­len und fak­ti­schen Hier­ar­chien scheint ein ewi­ges Pro­blem des Men­schen zu sein. Die Not­wen­dig­keit von Hier­ar­chien an sich ist dem Men­schen durch­aus bewusst und er ver­sucht, sie in fes­te Struk­tu­ren zu pres­sen, die bestim­men, wer unter wel­chen Bedin­gun­gen auf­stei­gen darf. Bloß miss­ach­ten die­se Struk­tu­ren oft die tie­ri­sche Kom­po­nen­te des Men­schen, der die Kom­pe­tenz ande­rer unbe­wusst immer noch nach den Kri­te­ri­en der Jäger und Samm­ler beur­teilt: Oft genug kann man beob­ach­ten, wie in Teams eben nicht auf den Exper­ten in einer bestimm­ten Fra­ge gehört wird, son­dern auf die ver­meint­lich stär­ke­re Per­sön­lich­keit bzw. auf die Per­son, die als kom­pe­ten­ter wahr­ge­nom­men wird. Und mensch­li­che Wahr­neh­mung lässt sich all­zu leicht täuschen.

  • Eine gro­ße Rol­le spie­len dabei das Aus­se­hen und Auf­tre­ten: Die optisch attrak­ti­ve­re oder zumin­dest gepfleg­te­re Per­son ist im Vor­teil, weil ihr auf unter­be­wuss­ter, tie­ri­scher Ebe­ne bes­se­re Gesund­heit und dadurch mehr Stär­ke unter­stellt wird. Jemand, der lang­sam und deut­lich spricht, sen­det das Signal aus, ein star­kes Raub­tier zu sein, das sich vor nie­man­dem zu fürch­ten braucht. Auf etwas weni­ger ani­ma­li­sche Wei­se wird auch die Klei­dung als Sta­tus­sym­bol wahrgenommen.
  • Auch ange­bo­re­ne kör­per­li­che Merk­ma­le, für die das Indi­vi­du­um nichts kann, wer­den für unbe­wuss­te Rück­schlüs­se auf die Kom­pe­tenz miss­braucht: Frau­en wer­den nach­weis­lich im Schnitt weni­ger ernst genom­men als Män­ner, gro­ßen Men­schen bringt man ten­den­zi­ell mehr Respekt ent­ge­gen, wäh­rend Klein­wüch­si­ge dar­um kämp­fen müs­sen, als Erwach­se­ne ernst genom­men zu wer­den, Men­schen mit tie­fe­rer Stim­me nimmt das Tier in uns offen­bar als stär­ker wahr usw.

Nichts – gar nichts – davon hat etwas mit tat­säch­li­cher Kom­pe­tenz zu tun. Zumin­dest nicht in unse­rer Zeit. Es mag sein, dass in der Stein­zeit kör­per­li­che Stär­ke eine Kern­kom­pe­tenz eines guten Anfüh­rers war, aber wenn es bei­spiels­wei­se um wirt­schaft­li­che Ent­schei­dun­gen geht, soll­ten wir auf Men­schen hören, die sich mit Wirt­schaft aus­ken­nen. Aber fak­tisch reicht fach­li­che Kom­pe­tenz eben nicht aus: Der Anfüh­rer muss auch auf rein instink­ti­ver, ani­ma­li­scher Ebe­ne überzeugen.

Bis wir alle gelernt haben, uns gegen­sei­tig als gleich­wer­ti­ge Men­schen wahr­zu­neh­men, wird es noch sehr lan­ge dau­ern. Und bis dahin kön­nen wir noch so flei­ßig for­ma­le Hier­ar­chie­mo­del­le erfin­den und per­fek­tio­nie­ren – fak­tisch hören wer­den wir wei­ter­hin auf die stein­zeit­li­chen Alphamännchen.

Herrschaftsformen und Machtstrukturen

Doch was für for­ma­le und fak­ti­sche Hier­ar­chie­mo­del­le gibt es über­haupt? – Auf jeden Fall: zu vie­le zum Auf­zäh­len. Aber hier ein gro­ber Überblick:

Familiendynamiken

Fami­lie ist ein ver­hält­nis­mä­ßig klei­ner Kreis von Men­schen, in dem man sich gut kennt. Des­we­gen spielt die Per­sön­lich­keit hier wohl die größ­te Rol­le. So kann der Ehe­mann und Vater in einer patri­ar­cha­len Gesell­schaft das for­ma­le Fami­li­en­ober­haupt sein, aber oft genug ist es die Ehe­frau und Mut­ter, die aus dem Hin­ter­grund her­aus den Ton angibt. In vie­len patri­ar­cha­len Gesell­schaf­ten geht das sogar so weit, dass die erwach­se­nen Söh­ne nicht mal den klei­nen Fin­ger rüh­ren kön­nen, wenn ihre Frau Mama dage­gen ist.

Frau­en haben also durch­aus etwas zu sagen in patri­ar­cha­len Gesell­schaf­ten, nur meis­tens beschränkt sich ihr Ein­fluss­be­reich auf Haus­halt und Fami­lie, unab­hän­gig von ihren per­sön­li­chen Vor­lie­ben und Talen­ten. Wenn es sich jedoch um eine sehr ein­fluss­rei­che Fami­lie han­delt und der „Haus­halt“ ein gan­zer Staat ist, dann kann die Köni­gin oder Köni­gin­mut­ter durch­aus das fak­ti­sche Staats­ober­haupt sein, auch wenn es ihr Ehe­mann oder Sohn ist, der auf dem Thron sitzt. Und wenn der männ­li­che Herr­scher wie ein Kind mit sei­nen Zinn­sol­da­ten spielt und bei sei­nen Unter­ta­nen unbe­liebt ist, kann es durch­aus auch vor­kom­men, dass sei­ne Ehe­frau ihn mal eben ent­thront, sich selbst die Kro­ne auf­setzt und jahr­zehn­te­lang erfolg­reich regiert und ihre Lieb­ha­ber wech­selt wie Unter­wä­sche (sie­he Katha­ri­na II. und Peter III. von Russland).

Doch auch unter Män­nern ist nicht alles ein­deu­tig. Ist es oft üblich, dass der ältes­te Sohn nach dem Tod des Vaters zum Fami­li­en­ober­haupt auf­steigt, greift die­se Tra­di­ti­on den­noch nicht immer. Napo­le­on Bona­par­te war zum Bei­spiel nur der zweit­äl­tes­te Sohn, wur­de nach dem Tod sei­nes Vaters aber das Ober­haupt der Fami­lie – im Alter von nur 15 Jah­ren. Ein fik­ti­ves, aber trotz­dem über­aus glaub­wür­di­ges Bei­spiel ist Micha­el Cor­leo­ne, der in Der Pate als jüngs­ter Sohn nach dem Tod sei­nes Vaters zum neu­en Mafia­boss aufsteigt.

Herrschaftsformen

Geht es aber nun um Macht­struk­tu­ren in einem gan­zen Staat, spie­len For­ma­li­tä­ten eine grö­ße­re Rol­le. Zumin­dest ist die Rol­len­ver­tei­lung und Herr­schafts­nach­fol­ge wesent­lich ela­bo­rier­ter als ein­fach nur „Vater“ oder „ältes­ter Sohn“. Natür­lich ist nie­mals zu ver­ges­sen, dass die herr­schen­den Eli­ten durch­aus den Macht­struk­tu­ren ihrer jewei­li­gen Fami­li­en unter­wor­fen sind, aber wel­che Fami­li­en zu den herr­schen­den Eli­ten gehö­ren, vari­iert von Sys­tem zu System.

Du kennst vie­le Vari­an­ten: Demo­kra­tie (Herr­schaft des Vol­kes), Mon­ar­chie (Allein­herr­schaft), Aris­to­kra­tie (Bes­ten- bzw. Adels­herr­schaft), Olig­ar­chie (Herr­schaft weni­ger), Anar­chie (Herr­schaft von niemandem) …

Aller­dings gibt es auch weni­ger bekann­te „Kra­tien“: Geron­to­kra­tie (Herr­schaft der Alten, Ältes­ten­rat), Tech­no­kra­tie (Herr­schaft der Wis­sen­schaft und Tech­nik), Epis­to­kra­tie (Phi­lo­so­phen­herr­schaft), Theo­kra­tie (Got­tes­herr­schaft), Meri­to­kra­tie (Herr­schaft durch aner­kann­te Leis­tun­gen), Algo­kra­tie (Herr­schaft von Algorithmen) …

Natür­lich sind bei all die­sen Herr­schafts­for­men auch Kom­bi­na­tio­nen mög­lich: Ein Mon­arch kann zugleich ein Phi­lo­soph sein (Epis­to­kra­tie), jemand, der sich ver­dient gemacht hat, kann in einer Demo­kra­tie zum Staats­ober­haupt gewählt wer­den (Meri­to­kra­tie) und ein span­nen­der Fall ist die Wahl­mon­ar­chie, wie sie bei­spiels­wei­se im Hei­li­gen Römi­schen Reich (deut­scher Nati­on) und in der Adels­re­pu­blik Polen-Litau­en prak­ti­ziert wurde.

Damit kann ein bestimm­tes Herr­schafts­kon­zept auch ver­schie­de­ne Gesich­ter haben: Wenn das Volk in einer Demo­kra­tie unmit­tel­bar über poli­ti­sche Sach­fra­gen abstimmt, dann ist das eine direk­te Demo­kra­tie. Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hin­ge­gen ist eine reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie, d. h. wir wäh­len Ver­tre­ter, die für uns Ent­schei­dun­gen fäl­len. Eine nega­ti­ve Spiel­art der Demo­kra­tie wäre die Och­lok­ra­tie, die Pöbel­herr­schaft, bei der jede unqua­li­fi­zier­te, selbst­süch­ti­ge Dumpf­ba­cke und ihr Hund mit­ent­schei­den dürfen.

Beto­nen soll­ten wir außer­dem, dass es natür­lich oft einen Unter­schied gibt zwi­schen dem, was auf dem Papier steht, und dem, wie die Herr­schaft in einem kon­kre­ten Fall tat­säch­lich funk­tio­niert. Denn sei­en wir ehr­lich: Eini­ge Demo­kra­tien haben in der Pra­xis doch einen olig­ar­chi­schen oder gar klep­to­kra­ti­schen Beigeschmack.

Die­se Abwei­chun­gen von der offi­zi­el­len Herr­schafts­form wür­den die ent­spre­chen­den Staa­ten aber natür­lich nie­mals offen zuge­ben. Erst recht nicht, wenn es sich de fac­to um Sys­te­me wie die Kaki­sto­kra­tie oder die Por­no­kra­tie handelt.

  • Die Kaki­sto­kra­tie ist dabei genau das, wonach es sich anhört: Herr­schaft der Kaka bzw. der Schlech­tes­ten. So habe ich per­sön­lich zum Bei­spiel hin und wie­der das Gefühl, in einer Kaki­sto­kra­tie zu leben, in der vor allem die dümms­ten, inkom­pe­ten­tes­ten, rück­sichts­lo­ses­ten, ver­lo­gens­ten und geld­gie­rigs­ten Men­schen an die Macht kommen.
  • Die Por­no­kra­tie ist fast das, wonach es sich anhört: Mätres­sen­herr­schaft. Berühm­tes­tes Bei­spiel: das Papst­tum im 10. Jahrhundert.

Wenn Du Dich über die ver­schie­de­nen „Kra­tien“ wei­ter infor­mie­ren möch­test, hier eine Lis­te der Herr­schafts­for­men. Selbst die Biero­kra­tie (Herr­schaft des Bie­res) wur­de da nicht vergessen.

Herrschaft durchsetzen

Kom­men wir aber nun zur Pra­xis: Denn egal, wie eine Hier­ar­chie auf dem Papier aus­se­hen mag und wie man sie de fac­to nen­nen möch­te – in der Regel sind die Dyna­mi­ken viel kom­ple­xer. Nicht nur, weil das Fak­ti­sche manch­mal vom For­ma­len abweicht, son­dern auch, weil das Fak­ti­sche eben nicht immer ein­deu­tig ist und vie­le Aspek­te eine Rol­le spie­len.

So ist die Lehns­py­ra­mi­de, wie sie im Geschichts­un­ter­richt auf­taucht, ziem­li­cher Unsinn. Wäh­rend mei­nes Stu­di­ums besuch­te ich eine Vor­le­sung zum The­ma Lehns­we­sen im Mit­tel­al­ter und in der aller­ers­ten Sit­zung teil­te der Dozent, Prof. Dr. Stef­fen Pat­zold, Kopien einer Sei­te aus einem baden-würt­tem­ber­gi­schen Schul­buch aus. Und dann ging er den Text Satz für Satz durch und erklär­te, was dar­an falsch oder unge­nau ist.

Die ein­zel­nen Punk­te aus­führ­lich zu erläu­tern wür­de den Rah­men die­ses Arti­kels spren­gen, daher fas­se ich nur grob und plump zusam­men, was ich wäh­rend mei­nes Bache­lor-Stu­di­ums mit Haupt­fach Geschichts­wis­sen­schaft über mit­tel­al­ter­li­che Herr­schafts­sys­te­me gelernt habe:

Zunächst erst mal soll­te die Tie­fe einer Bezie­hung zwi­schen Vasall und Lehns­herr nicht über­be­wer­tet wer­den: Wenn der Vasall „ewi­ge Treue“ schwör­te, dann bedeu­te­te es eher, dass er sei­nen Herrn nicht mal eben abste­chen wür­de. Mehr nicht. Damit hin­der­te ihn auch nichts dar­an, meh­re­re Lehns­her­ren zu haben, die even­tu­ell sogar ver­fein­det waren. Denn ursprüng­lich han­del­te es sich beim Lehns­we­sen wohl um ein Wirr­warr von ganz bana­len Geschäfts­be­zie­hun­gen, die erst mit der Zeit eine hier­ar­chi­sche Struk­tur bekom­men haben.

Inmit­ten die­ses Gewirrs von Geschäfts­be­zie­hun­gen war der König auch längst nicht die mäch­tigs­te Figur im Reich. Adli­ge, die rei­cher waren als er und auch bes­ser ver­netzt, hat­ten fak­tisch mehr zu sagen bzw. konn­ten unab­hän­gig vom König ihr Ding machen. Bzw. der König brauch­te ihre Unter­stüt­zung, wenn er etwas durch­set­zen woll­te. Und die­se Unter­stüt­zung bekam er zum Bei­spiel durch Ver­hand­lun­gen, Ver­spre­chen und stra­te­gi­sche Ehen. Unterm Strich war die mit­tel­al­ter­li­che „Hier­ar­chie­ord­nung“ also eher ein Netz von geschäft­li­chen und per­sön­li­chen Bezie­hun­gen, in dem alle irgend­wie von­ein­an­der abhän­gig waren, und wo der König nur den Kno­ten­punkt dar­stell­te, nicht die Spit­ze einer Pyramide.

Vor allem muss­te ein mit­tel­al­ter­li­cher König auch vor Ort prä­sent sein, um sei­ne Macht aus­zu­üben. Denn die Befol­gung sei­ner Erlas­se und Geset­ze muss­te ja kon­trol­liert wer­den. Damit waren die mit­tel­al­ter­li­chen Köni­ge sehr viel unter­wegs und rich­ti­ge Haupt­städ­te konn­ten erst ent­ste­hen, als auch die Macht zen­tra­li­sier­ter wur­de und die Hier­ar­chien rigi­der. Eine der wich­tigs­ten Vor­aus­set­zun­gen dafür war wie­der­um die Wei­ter­ent­wick­lung der Infra­struk­tur: Denn erst wenn ein Herr­scher die Mög­lich­keit hat, rela­tiv schnell mit sei­nen Ver­tre­tern vor Ort zu kom­mu­ni­zie­ren, kann er es sich leis­ten, dau­er­haft in sei­ner Lieb­lings­re­si­denz zu hausen.

Das war nur ein sehr gro­bes und abs­trak­tes his­to­ri­sches Bei­spiel von unzähligen.

Und egal, wel­ches Hier­ar­chie­sys­tem Du Dir aus der Geschich­te oder Gegen­wart her­aus­pickst: Wenn Du auch nur ein biss­chen in die Tie­fe gräbst, ent­puppt es sich meis­tens als kompliziert.

Hierarchiefaktoren

Das­sel­be gilt im Prin­zip auch für klei­ne­re Grup­pen. Zwar spie­len Din­ge wie die Infra­struk­tur bei einem Hel­den­team, bei dem alle Mit­glie­der immer zusam­men unter­wegs sind, eher weni­ger eine Rol­le. Dafür sind ande­re Fak­to­ren aber umso wichtiger:

  • An aller­ers­ter Stel­le sind da natür­lich Kul­tur, Tra­di­tio­nen und Wer­te: Wird der Adel beson­ders respek­tiert, dann wer­den die Adli­gen in der Grup­pe sicher­lich etwas zu sagen haben. Respek­tiert man alte Men­schen, dann wird der alte Greis ver­mut­lich das letz­te Wort haben. Wer­den magi­sche Fähig­kei­ten beson­ders wert­ge­schätzt, wird man vor allem auf die Hexe hören.
  • Eng dar­an gekop­pelt ist auch die Men­ta­li­tät: So sind die Deut­schen ja u. a. für ihre Auto­ri­täts­hö­rig­keit bekannt. Bereits Napo­le­on schätz­te sei­ne deut­schen Sol­da­ten, weil sie im Gegen­satz zu den Fran­zo­sen, die ja gera­de erst eine Revo­lu­ti­on hin­ter sich hat­ten, weni­ger zu Befehls­ver­wei­ge­rung neig­ten. Höchs­tens unter Ein­fluss von Alko­hol. Damit haben for­ma­le Hier­ar­chien unter auto­chtho­nen Deut­schen ten­den­zi­ell mehr Gewicht als in ande­ren Gesellschaften.
  • Und natür­lich ist da auch der Fak­tor von roher Gewalt: Denn Dein Gegen­über mag eine noch so wich­ti­ge, ein­fluss­rei­che Per­son sein und noch so beein­dru­cken­de Titel haben, aber wenn Du eine Pis­to­le hast und er nicht, dann hast Du das Sagen. Umge­kehrt wie­der­um kann es auch für den for­ma­len Anfüh­rer manch­mal nötig sein, sei­ne Macht mit Gewalt durch­zu­set­zen: So war der Schrift­stel­ler Ernst Jün­ger wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges ein offen­bar fähi­ger, belieb­ter und mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ter Leut­nant. Und nichts­des­to­trotz beschreibt er in sei­nem Buch In Stahl­ge­wit­tern, wo er kurz nach dem Krieg sei­ne Erin­ne­run­gen nie­der­ge­schrie­ben hat, eine Situa­ti­on, in der er sich gezwun­gen sah, flie­hen­de Sol­da­ten mit sei­ner Pis­to­le zu bedro­hen, damit sie ste­hen­blie­ben und die Stel­lung hiel­ten. Spä­ter begeg­ne­te er einem ande­ren Offi­zier, der das­sel­be tat.

Und das sind nur eini­ge Bei­spie­le für Din­ge, die die Hier­ar­chie inner­halb einer Grup­pe beein­flus­sen kön­nen. Wel­che Fak­to­ren in Dei­nem Werk rele­vant sein sol­len, ist Dir über­las­sen. Doch der wohl wich­tigs­te Fak­tor, an dem nichts vor­bei­führt und den wir bereits bei der Bespre­chung von Mas­ter and Com­man­der ange­schnit­ten haben, ist die Per­sön­lich­keit. Reden wir also etwas aus­führ­li­cher darüber …

Macht und Persönlichkeit

Sicher­lich brennt Dir seit mei­nen Aus­füh­run­gen über hier­ar­chi­sche Instink­te der ein oder ande­re Ein­wand unter den Nägeln: Viel­leicht kennst Du per­sön­lich Frau­en, vor denen alles stramm steht, und zwar nicht aus­schließ­lich in Haus und Fami­lie. Viel­leicht kennst Du Klein­wüch­si­ge oder auch etwas klein gera­te­ne Nor­mal­gro­ße, die durch­set­zungs­fä­hi­ge Chefs sind. Und viel­leicht hast Du Mas­ter and Com­man­der gese­hen und denkst die gan­ze Zeit an Mid­ship­man Lord Wil­liam Bla­ken­ey, der mit sei­nen ca. 13 Jah­ren zu den jüngs­ten Crew­mit­glie­dern gehört, sei­nem Alter ent­spre­chend eine kind­li­che Stim­me hat und dem am Anfang des Films der rech­te Arm ampu­tiert wird: In der fina­len Schlacht hat er ein Kom­man­do und führt einen Trupp wesent­lich älte­rer Matro­sen in den Kampf.

Was macht eine Füh­rungs­per­sön­lich­keit also aus?

Beziehungen

Bei den mit­tel­al­ter­li­chen Köni­gen haben wir ja bereits gese­hen, dass Bezie­hun­gen eine gro­ße Rol­le spie­len. Und die­ses Prin­zip gilt nicht nur im Mit­tel­al­ter, son­dern immer und überall:

Wer die meis­ten Freun­de bzw. Anhän­ger hat, hat am meis­ten zu sagen.

Es ist zum Bei­spiel egal, dass Fritz­chen offi­zi­ell zum Anfüh­rer bestimmt wur­de, wenn die meis­ten Team­mit­glie­der eher Lies­chen respek­tie­ren. Außer Fritz­chen ist schwer bewaff­net und die ande­ren nicht. In dem Fall muss Fritz­chen sich aber vor einer Meu­te­rei fürch­ten und wird ver­mut­lich nachts nicht schla­fen kön­nen, weil man dann sei­ne Waf­fen steh­len und gegen ihn rich­ten könnte.

Bezie­hun­gen beru­hen jedoch nicht immer auf per­sön­li­cher Sym­pa­thie – zumin­dest nicht aus­schließ­lich. Es kön­nen auch zum Bei­spiel gemein­sa­me poli­ti­sche Inter­es­sen sein: So kommt es durch­aus vor, dass Men­schen sich mit ihren Fein­den gegen einen noch grö­ße­ren gemein­sa­men Feind ver­bün­den. Auch Ideo­lo­gien und spe­zi­ell Reli­gi­on spie­len oft eine wich­ti­ge Rol­le: In vor­christ­li­cher Zeit lei­te­ten Anfüh­rer ihre Abstam­mung ger­ne von den Göt­tern her – und wer die Gott­heit, von der Du angeb­lich abstammst, respek­tiert, wird auch Dich respek­tie­ren. In christ­li­cher Zeit wie­der­um ist man König von Got­tes Gna­den – wer also ein gläu­bi­ger Christ ist, soll Got­tes Wil­len respek­tie­ren und Dir gehor­chen. Und wenn Dei­ne Plä­ne mit der christ­li­chen Ideo­lo­gie in Kon­flikt gera­ten, folgst Du dem Bei­spiel von Hein­rich VIII. von Eng­land und führst in Dei­nem Land eine neue Ver­si­on des Chris­ten­tums ein.

Empathie

Um Men­schen beein­flus­sen und um sich scha­ren zu kön­nen, soll­test Du idea­ler­wei­se sowohl über eine star­ke kogni­ti­ve als auch über eine affek­ti­ve Empa­thie ver­fü­gen. Kogni­ti­ve Empa­thie ist dabei die Fähig­keit, die Gefüh­le ande­rer Men­schen wahr­zu­neh­men und zu ver­ste­hen. Affek­ti­ve Empa­thie ist die Fähig­keit, die Gefüh­le ande­rer Men­schen auch selbst nach­zu­füh­len. Der Unter­schied wird beson­ders deut­lich, wenn eine die­ser Empa­thien beein­träch­tigt ist:

  • So wer­den bei Autis­ten ange­bo­re­ne Defi­zi­te in der kogni­ti­ven Empa­thie beob­ach­tet. Sie haben oft Schwie­rig­kei­ten, die Gefüh­le ande­rer Men­schen zu erken­nen und auch eige­ne Gefüh­le zu äußern. Ihre affek­ti­ve Empa­thie ist jedoch nicht betrof­fen und eini­gen Unter­su­chun­gen zufol­ge oft sogar über­durch­schnitt­lich stark aus­ge­prägt, sodass Autis­ten, wenn sie denn die Gefüh­le eines ande­ren Men­schen ver­stan­den haben, sehr inten­siv mit­füh­len. Unterm Strich sind das also sehr emo­tio­na­le, mit­füh­len­de Men­schen, die meis­tens sehr ehr­lich, idea­lis­tisch und loy­al sind, von der Außen­welt jedoch lei­der oft als kalt und arro­gant miss­ver­stan­den und abge­lehnt wer­den. Zwar ist kogni­ti­ve Empa­thie erlern­bar und soge­nann­te „hoch­funk­tio­na­le Autis­ten“ kön­nen sich auch ziem­lich erfolg­reich als neu­ro­ty­pisch (nicht autis­tisch) tar­nen – tat­säch­lich inter­es­sie­ren sich vie­le Autis­ten für Psy­cho­lo­gie, weil sie die Men­schen um sich her­um und auch sich selbst ver­ste­hen wol­len -, aber weil ihre kogni­ti­ve Empa­thie ange­lernt und nicht „natür­lich“ ist, lau­fen sie Gefahr, als unau­then­tisch wahr­ge­nom­men zu wer­den. Außer sie haben Schau­spiel­ta­lent. (Tat­säch­lich gehört Schau­spie­lern zu den Lieb­lings­be­ru­fen von Autis­ten, weil sie sich in ihrem All­tag ohne­hin stän­dig ver­stel­len müssen.)
  • Das Gegen­teil von Autis­ten sind Psy­cho­pa­then und Nar­ziss­ten: Sie ver­fü­gen über kogni­ti­ve Empa­thie, aber die affek­ti­ve Empa­thie ist beein­träch­tigt. Soll hei­ßen: Sie sehen, was ande­re Men­schen füh­len, aber es ist ihnen egal. Außer­dem kön­nen sie nach außen hin wun­der­bar Gefüh­le simu­lie­ren, häu­fig zu Mani­pu­la­ti­ons­zwe­cken. Wäh­rend Psy­cho­pa­then trotz sta­tis­tisch höhe­rer Nei­gung zu kri­mi­nel­lem oder ander­wei­tig aso­zia­lem Ver­hal­ten nicht zwangs­läu­fig Scha­den anrich­ten, sind Nar­ziss­ten durch und durch toxisch, weil sich alles in ihrem Leben um ihr Ego dreht. Das heißt: Ein „gut­ar­ti­ger“ Psy­cho­path könn­te zum Bei­spiel ein Feu­er­wehr­mann sein, der uner­schro­cken in bren­nen­de Häu­ser geht, sich von den Schmer­zens­schrei­en der Opfer nicht durch­ein­an­der­brin­gen lässt und knall­hart die Ret­tungs­ak­ti­on durch­zieht und dafür als Held gefei­ert wird. Ein Nar­zisst hin­ge­gen wird die­sen Beruf wahr­schein­lich gar nicht erst ergrei­fen, weil: O mein Gott, er wird doch nicht sein Leben für ande­re aufs Spiel set­zen! Lie­ber lässt er die Ret­tungs­ak­ti­on von jemand ande­rem durch­füh­ren und schmückt sich nach­her mit des­sen Lorbeeren.

Ein guter Anfüh­rer braucht, wie gesagt, bei­de Arten von Empa­thie, denn ohne kogni­ti­ve Empa­thie wird er Schwie­rig­kei­ten haben, mit ande­ren Men­schen zu inter­agie­ren, und ohne affek­ti­ve Empa­thie kommt er zwar durch­aus in eine Macht­po­si­ti­on, ent­puppt sich jedoch mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit als Monster.

Einer der Grün­de, war­um kogni­ti­ve Empa­thie zu Füh­rungs­po­si­tio­nen ver­hilft, ist, dass sie einem ermög­licht, ande­re Men­schen mehr oder weni­ger bewusst zu beein­dru­cken. Selbst­be­wusst­sein zum Bei­spiel ist zwei­fel­los wich­tig für einen guten Anfüh­rer, aber ein Autist kann noch so selbst­be­wusst sein – wenn er sei­ne kogni­ti­ve Empa­thie nicht trai­niert, wirkt er wie ein Ali­en und wird nicht akzep­tiert. Davon, dass das Selbst­be­wusst­sein von Autis­ten durch die jah­re­lan­ge Ableh­nung durch ihr Umfeld oft zer­stört ist, ganz zu schwei­gen. Psy­cho­pa­then und Nar­ziss­ten hin­ge­gen müs­sen nicht unbe­dingt ech­tes Selbst­be­wusst­sein haben, denn sie kön­nen es sehr gut dar­stel­len. Auch kön­nen sie sehr über­zeu­gend ihre ver­meint­li­chen Fähig­kei­ten zur Schau stel­len und ande­ren Men­schen durch gut plat­zier­te Kom­pli­men­te ein gutes Gefühl geben und sich per­sön­li­che Sym­pa­thie sichern. Des­we­gen fal­len ande­re Men­schen so oft auf sie herein.

Kurz­um: Kogni­ti­ve Empa­thie ver­hilft zu Cha­ris­ma. Man­che Men­schen haben es von Natur aus, ande­re kön­nen es trai­nie­ren und wie­der ande­re kön­nen die Theo­rie ler­nen, um ihre fik­ti­ven Figu­ren cha­ris­ma­tisch zu machen. Ich emp­feh­le an die­ser Stel­le die You­Tube-Kanä­le Rede­Fa­brik und Cha­ris­ma on Com­mand.

Entscheidungsfähigkeit

Wäh­rend Cha­ris­ma und Bezie­hungs­pfle­ge einem hel­fen, Macht auf­zu­bau­en und zu sta­bi­li­sie­ren, kommt es bei der Aus­übung von Macht vor allem auf Kom­pe­tenz an: Neben Fach­kennt­nis­sen im jewei­li­gen Bereich sind das vor allem Intel­li­genz und Ent­schei­dungs­fä­hig­keit. Zu Deutsch:

Ein guter Anfüh­rer weiß, was zu tun ist, und tut es auch.

Und wenn er nicht weiß, was zu tun ist, dann fin­det er es her­aus und lässt sich not­falls von ande­ren intel­li­gen­ten Leu­ten bera­ten. Hier wie­der­um ist sei­ne kogni­ti­ve Empa­thie bzw. Men­schen­kennt­nis wich­tig, damit er sich kom­pe­ten­te Bera­ter aus­wählt und kei­ne rei­nen Selbst­dar­stel­ler. Daher gehört zu einem guten Anfüh­rer auch eine Por­ti­on Beschei­den­heit bzw. die Fähig­keit, ande­ren mehr Intel­li­genz und Fach­kennt­nis­se ein­zu­räu­men als sich selbst. Denn ein guter Anfüh­rer muss nun mal nicht in allem der Bes­te sein. Streng­ge­nom­men kann er Intel­li­genz, Fach­kennt­nis­se und Bezie­hungs­pfle­ge sogar ande­ren über­las­sen. Aber er muss die bes­ten Ent­schei­dun­gen fällen.

Um also wie­der auf das kon­kre­te Bei­spiel von Lord Bla­ken­ey zu spre­chen zu kom­men: Er mag ein Kind sein, aber er ist auch die viel­leicht empa­thischs­te Figur im gan­zen Film und genießt des­we­gen von allen Sei­ten Sym­pa­thie, eig­net sich als Offi­zier in Aus­bil­dung aktiv Kom­pe­ten­zen als See­mann und Sol­dat an, beweist wie­der­holt Tap­fer­keit, bei­spiels­wei­se, als er die Ampu­ta­ti­on sei­nes Arms über­steht (ohne Anäs­the­sie, wohl­ge­merkt!), und reagiert auf die Wen­dun­gen des fina­len Gefechts schnell und kor­rekt. Mit ande­ren Wor­ten: Er ist das bad­as­sigs­te Kind, das jemals über die Lein­wän­de und Bild­schir­me geflim­mert ist, und das ganz ohne Super­kräf­te oder ander­wei­ti­gen Schnick­schnack. Jeman­dem wie ihm folgt man bis ans Ende der Welt.

Schlusswort

Wie Du also siehst,

beein­flus­sen das World-Buil­ding und das Erschaf­fen von Figu­ren sich gegenseitig.

Wie eine Grup­pe hier­ar­chisch auf­ge­baut ist, hängt teil­wei­se mit den Per­sön­lich­kei­ten der Figu­ren zusam­men und die­se wie­der­um wer­den von ihrer jewei­li­gen gesell­schaft­li­chen Posi­ti­on beein­flusst: Jemand, der von Geburt an gewohnt ist, dass man ihn ernst nimmt, ist meis­tens selbst­be­wuss­ter und kann sei­ne ange­bo­re­ne Posi­ti­on in der Hier­ar­chie bes­ser ver­tei­di­gen. Ande­rer­seits aber kann jemand, der sich sei­ne Stel­lung erst erkämp­fen muss, sei­nen Cha­rak­ter öffent­lich unter Beweis stel­len und dadurch ande­re beein­dru­cken und hin­ter sich scha­ren. Die Mög­lich­kei­ten sind unbe­grenzt und die­ser Arti­kel soll nur als Anre­gung dienen.

Ansons­ten ist auch zu beden­ken, dass die hier­ar­chi­sche Posi­ti­on einer Figur durch­aus grup­pen- und situa­ti­ons­ab­hän­gig ist:

So mag Lud­wig Brey­er aus Remar­ques Der Weg zurück in den Schüt­zen­grä­ben des Ers­ten Welt­krie­ges ein respek­tier­ter und orden­be­häng­ter Leut­nant gewe­sen sein, der im Allein­gang einen Pan­zer lahm­ge­legt hat, aber bei der Regi­ments­zu­sam­men­kunft nach dem Krieg ist er wie­der ein Schü­ler, der noch sei­nen Abschluss nach­ho­len muss. Sein ehe­ma­li­ger Bur­sche hin­ge­gen ist „Groß­in­stal­la­teur mit Was­ser­spü­lung und flot­ter Lage an der Haupt­ge­schäfts­stra­ße“ und „klopft [Lud­wig] behä­big auf die Schul­ter“. Und ein schlech­ter Unter­of­fi­zier ist im zivi­len Leben Ober­leh­rer und „erkun­digt sich über­le­gen nach […] Lud­wigs Examen“.
Erich Maria Remar­que: Der Weg zurück, Vier­ter Teil, IV.

Und zu guter Letzt: Aus der Krea­tiv­Crew kam die Fra­ge, wie das Prin­zip „Show, don’t tell“ bei Hier­ar­chien funk­tio­niert. Weil man die­se Fra­ge aber zu allen Aspek­ten des World-Buil­dings stel­len kann, schreit sie nach einem eige­nen Arti­kel. Zwar habe ich bereits einen Arti­kel zu Expo­si­ti­on, World-Buil­ding und Info-Dum­ping, wo es auch um „Show, don’t tell“ geht, aber er ist schon alt und hat durch­aus Ver­bes­se­rungs­po­ten­ti­al. Des­we­gen ist die­se Fra­ge, bezo­gen auf World-Buil­ding all­ge­mein, jetzt offi­zi­ell auf der Themenliste.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert