Emo­tionen und Gefühle beschreiben

Emo­tionen und Gefühle beschreiben

Wenn wir eine Geschichte lesen, wollen wir dabei etwas emp­finden. Wir wollen mit den Figuren mit­fie­bern, wir wollen ihre Freude und ihren Schmerz teilen und ihre Bezie­hungen unter­ein­ander spüren, eine emo­tio­nale Ach­ter­bahn. Wie beschreibt man also Emo­tionen und Gefühle und wie weckt man sie beim Leser? In diesem Artikel reden wir über einige Tech­niken …

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Gefühle sind viel­leicht das Wich­tigste an einer Geschichte. Denn wir wollen Bezie­hungen zu den fik­tiven Figuren knüpfen, in fremde Leben ein­tau­chen und mit­fie­bern.

Wie geben wir also die Gefühle der Figuren so wieder, dass der Leser sie nach­emp­finden kann?

Schauen wir uns das an!

Erzähl­per­spek­tive und Intro­spek­tion

Bevor man irgend­etwas beschreiben kann, muss man erst mal wissen, durch wessen Prisma und aus wel­cher Per­spek­tive das Etwas wahr­ge­nommen wird. Ein Erwach­sener nimmt anders wahr als ein Kind, ein Unfall­opfer anders als ein Zeuge, ein Anwalt anders als ein Auto­me­cha­niker, ein Stadt­be­wohner anders als jemand vom Land und ein Mann anders als eine Frau. – Und das gilt eben auch für das Beschreiben von Gefühlen.

Der viel­leicht beste Rat­schlag zu diesem Thema, über den ich je gestol­pert bin, stammt von Ellen Brock:

Es gibt zwar den häu­figen Schreib­tipp „Show, don’t tell!“, aber sie emp­fiehlt, sich weder auf „Show“ noch auf „Tell“ wirk­lich sys­te­ma­tisch zu ver­lassen. Denn man kann bei beidem über­treiben – zum Bei­spiel, wenn man „showen“ will und immer wieder die­selben Gesten beschreibt oder beim „Tellen“ immer wieder die­selben Emo­tionen benennt, sei es auch mit vari­ie­render For­mu­lie­rung.

Ellen ist viel­mehr der Mei­nung, dass die meisten Autoren nicht das Beschreiben von Gefühlen ver­bes­sern müssen, son­dern Intro­spek­tion: die Denk­weise der Figuren, ihre sub­jek­tive Welt­wahr­neh­mung, ihre Inter­pre­ta­tion der eigenen Gefühle …

Es geht also nicht darum, welche Emo­tionen und Gefühle eine Figur hat, son­dern um ihre sub­jek­tive Ver­sion davon.

Stellen wir uns zum Bei­spiel vor, wie ver­schie­dene Figuren darauf reagieren, wäh­rend einer Stra­ßen­schlacht zwi­schen zwei Banden ange­schossen zu werden:

  • Für ein erfah­renes, mit Narben über­sätes Ban­den­mit­glied, im frü­heren Leben Berufs­soldat, ist die Ver­wun­dung zwar schmerz­haft, aber nichts Neues. Bestimmt kann er rea­lis­tisch ein­schätzen, wie ernst die Wunde ist, und sich unter Umständen sogar selbst Erste Hilfe leisten.
  • Ein uner­fah­renes Ban­den­mit­glied, ein Teen­ager, der Stra­ßen­schlachten bisher nur aus Filmen kannte, ist über­wäl­tigt von dem Schmerz, der viel hef­tiger ist, als er je geglaubt hätte, und er hat Panik und schreit sich die Seele aus dem Leib.
  • Ein Arzt, der unglück­li­cher­weise gerade im Moment des Aus­bruchs der Schlacht vor­bei­lief und nur zufällig erwischt wurde, hat einer­seits Angst und höl­li­sche Schmerzen, ande­rer­seits beob­achtet er auch seinen Zustand und weiß ziem­lich genau, was in seinem Körper gerade vor sich geht und was er tun muss, wenn er über­leben will. Wenn seine Wunde nicht zu schlimm ist, ver­sucht er viel­leicht sogar, anderen Ver­letzten zu helfen. Außerdem denkt er an seine Familie und bedauert, dass seine Ver­spä­tung zum Abend­essen und seine Ver­wun­dung ihr große Sorgen bereiten werden.
  • Und so weiter geht es mit jeder anderen erdenk­li­chen Figur …

Merkst Du also, was da pas­siert? Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, wie man beschreibt, aber wir haben bereits beim Was eine direkte Bezie­hung zur Figur selbst, wir bekommen ein Fenster in ihre Welt und können des­wegen mit ihr mit­fühlen. Und dann müssen wir „nur noch“ das rein Hand­werk­liche hin­be­kommen.

Mit anderen Worten:

Lass Deine Figuren reden! Sie wissen am besten, wie ihre sub­jek­tiven Emo­tionen und Gefühle aus­ge­drückt gehören.

Figu­ra­li­sierte Erzäh­ler­rede

Dazu steht Dir ein breites Arsenal an Tech­niken zur Ver­fü­gung, näm­lich:

  • die direkte Rede,
  • die indi­rekte Rede,
  • die erlebte Rede,
  • der innere Monolog und
  • der Bewusst­seins­strom.

Über sie alle haben wir jedoch bereits in einem frü­heren Artikel gespro­chen; daher werde ich das Thema an dieser Stelle nicht weiter ver­tiefen. Außer dass ich betonen möchte,

dass je figu­ra­li­sierter die Erzäh­ler­rede ist, also je stärker der Erzähler die Per­spek­tive der Figur über­nimmt und somit selbst in den Hin­ter­grund rückt, desto mehr Nähe ent­steht zwi­schen Leser und Figur und desto stärker werden dem­entspre­chend Emo­tionen über­tragen.

Pass dabei aber auf, dass Du die gewählte Per­spek­tive ein­hältst. Doch weil ich auch dazu schon einen Artikel geschrieben habe, werde ich es bei diesem Thema eben­falls bei einer Erwäh­nung belassen.

Her­aus­for­de­rungen bei der Intro­spek­tion

Nun hat man aber, wenn man sich auf das Innen­leben einer Figur fokus­siert, manchmal trotzdem ein Pro­blem:

Zum Bei­spiel dürfte jeder, der schon mal ver­sucht hat, aus der Per­spek­tive eines Kindes zu schreiben, fest­ge­stellt haben, dass es ver­dammt schwierig ist. Die Wahr­neh­mung und die Art, Gefühle zu ver­ar­beiten und zu äußern, sind in dem Alter ist nun mal ganz anders als bei Erwach­senen. Und je jünger das Kind, desto schwie­riger ist die Per­spek­tive. Wir sind alle zwar irgend­wann mal Kind gewesen, aber mit den Jahren haben wir ver­gessen, wie das war.

Natür­lich können wir hier rück­bli­ckend aus der erwach­senen Per­spek­tive schreiben, aber dann ent­steht ja wieder Distanz zur erle­benden und füh­lenden kind­li­chen Figur. Die erwach­sene Per­spek­tive kann an sich natür­lich auch emo­tional und ergrei­fend sein, aber es ist eben kein Fenster in die Innen­welt des Kindes. Obwohl wir alle also selbst mal Kinder waren, haben wir hier die­selben Pro­bleme, wie wenn wir über etwas zu schreiben ver­su­chen, womit wir keine eigene Erfah­rung haben. Und das wie­derum ist ein Thema, das bereits für die erste Hälfte 2022 geplant ist. Des­wegen bitte ich an dieser Stelle um ein paar Monate Geduld.

Ein anderes Pro­blem wäre, wenn die Figur, deren Innen­leben beleuchtet wird, sich etwas ein­redet oder ihre eigenen Gefühle nicht richtig wahr­nimmt. Mit anderen Worten: Figuren, auf deren Intro­spek­tion man sich nicht ver­lassen kann. Bei sol­chen Reflek­toren kann es leicht pas­sieren, dass nur die Irr­tümer der Figur beim Leser ankommen, nicht ihr wahrer Zustand. Hier muss man also wohl oder übel aus­schließ­lich mit Beschrei­bungen und „Show, don’t tell“ die wahren Gefühle andeuten, Test­leser drü­ber­jagen und not­falls am Ende eine ein­deu­tige Auf­lö­sung lie­fern. In einem anderen Artikel gehen wir aber geson­dert auf das unzu­ver­läs­sige Erzählen ein; des­wegen will ich auch dieses Thema hier nicht weiter aus­führen.

Beschrei­bungen

Nun haben wir aber genug über das Was gespro­chen und können uns dem ver­spro­chenen Hand­werk­li­chen zuwenden. Und wenn wir über das Beschreiben von Emo­tionen und Gefühlen reden, dann ist die erste hand­werk­liche Technik eben das buch­stäb­liche Beschreiben.

Über das Beschreiben gene­rell haben wir bereits in einem frü­heren Artikel gespro­chen. – Und alle Tipps dort sind natür­lich auch auf Emo­tionen und Gefühle anwendbar. Nur, dass hier die Per­spek­tive nochmal wich­tiger ist: Denn im Grunde kann jeder ein gelbes Auto beschreiben. – Klar, ver­schie­dene Men­schen haben da ver­schie­dene Schwer­punkte, aber Emo­tionen und Gefühle sind gene­rell per­sön­li­cher und des­wegen stehen die Per­sön­lich­keit der Figur und die Situa­tion, in der sie sich gerade befindet, noch mehr im Vor­der­grund.

So wird der Bewusst­seins­strom eines Sol­daten, der ohne Deckung in eine schwere Beschie­ßung geraten ist, sehr emo­tional sein. Anders sieht es aus, wenn dieser Soldat nach dem Krieg ein Buch über seine Kriegs­er­leb­nisse schreibt, in dem er seine dama­lige Per­spek­tive für Zivi­listen, quasi für „Extra­doofe“, erläu­tert und dabei – viel­leicht auf­grund einer PTBS – bemer­kens­wert sach­lich und gefühls­kalt ist:

„Ich glaube einen Ver­gleich gefunden zu haben, der das beson­dere Gefühl dieser Lage, in der ich wie jeder andere Soldat dieses Krieges so oft gewesen bin, recht gut trifft: Man stelle sich vor, ganz fest an einen Pfahl gebunden und dabei von einem Kerl, der einen schweren Hammer schwingt, ständig bedroht zu sein. Bald ist der Hammer zum Schwung zurück­ge­zogen, bald saust er vor, daß er fast den Schädel berührt, dann wieder trifft er den Pfahl, daß die Splitter fliegen – genau dieser Lage ent­spricht das, was man deckungslos inmitten einer schweren Beschie­ßung erlebt.“
Ernst Jünger: In Stahl­ge­wit­tern, Kapitel: Der Auf­takt zur Somme-Schlacht.

Was das Beschreiben an sich angeht, so greift der Autor hier auf einen Ver­gleich zurück und benutzt dabei eine Ana­pher („Bald … bald …“), um den Wechsel zwi­schen dem Warten und den Schlägen auch durch die Sprache zu ver­an­schau­li­chen.

Anders sieht die Beschrei­bung aus, wenn ein frisch ver­liebtes fünf­zehn­jäh­riges Mäd­chen seine Gefühle in einem Tage­buch nie­der­schreibt:

„Wenn ich mor­gens auf­wache und an ihn denke und mit geschlos­senen Augen daliege, damit Julie glaubt, dass ich noch schlafe, liegt mein Herz wie ein schwerer Klumpen in meiner Brust. Vor lauter Lieb­haben. Ich habe nicht gewusst, dass man Liebe wirk­lich spüren kann – ich meine, kör­per­lich. Bei mir ist es wie eine Art von Ziehen in der Herz­ge­gend.“
Anne­marie Selinko: Désirée, Kapitel: Mar­seille, Anfang Prai­rial. (Der Won­ne­monat Mai geht zu Ende, sagt Mama).

Diese Beschrei­bung ist mehr auf das Mit­fie­bern aus­ge­richtet: Wir bekommen sie durch die fünf­zehn­jäh­rige Désirée Clary selbst – und zwar mit allem, was dazu­ge­hört. Sie beschreibt ihre Emp­fin­dungen im Detail, fast mit einer Art kind­lich-wis­sen­schaft­li­chem Inter­esse, weil es für sie ein völlig neues Erlebnis ist. Auch sie ope­riert mit Ver­glei­chen, aber ihr Satzbau ist abge­hackter, emo­tio­naler.

„Show, don’t tell!“

Nun sind Beschrei­bungen im buch­stäb­li­chen Sinne hin und wieder ange­bracht – doch wenn etwas beschrieben wird, pau­siert die Geschichte, und das kann ihr die Span­nung nehmen. Des­wegen ver­su­chen wir meis­tens zu Recht, die Emo­tionen und Gefühle direkt im Geschehen selbst unter­zu­bringen.

Und das geht mit „Show“ und „Tell“. Grund­sätz­lich haben wir aber schon in einem frü­heren Artikel dar­über gespro­chen, und daher steigen wir hier ohne wei­teres Vor­ge­plänkel direkt in die Emo­tionen ein …

„Tell“, „Show“ und Intro­spek­tion

Ich klaue und ver­un­stalte mal ein Bei­spiel aus der Krea­tiv­Crew:

Als Fritz­chen die Nach­richt hörte, begann Zorn in ihm zu bro­deln wie in einem Vulkan.

Hier haben wir zwar einen bild­li­chen, wenn auch etwas kit­schigen Ver­gleich mit einem Vulkan und das Bro­deln des Zorns ist eine Meta­pher, aber wir bekommen immer noch gesagt, dass Fritz­chen zornig ist. Es ist also klas­si­sches „Tell“, gekop­pelt an eine Beschrei­bung.

Nächste Vari­ante, eben­falls geklaut und ver­un­staltet:

Als Fritz­chen die Nach­richt hörte, schmet­terte er in seinem Zorn den Becher gegen die Wand.

Hier ent­fällt die Beschrei­bung des Zorns, aber die Emo­tion an sich wird den­noch benannt. Wir bekommen also immer noch gesagt, was Fritz­chen fühlt. Doch gleich­zeitig haben wir auch eine neue Kom­po­nente: Fritz­chens Zorn wird durch eine kon­krete Hand­lung unter­malt, die seine Emo­tion zeigt. Hier haben wir also eine Mischung aus „Tell“ und „Show“.

Betrachten wir schließ­lich noch eine Ver­sion:

Das konnte doch nicht wahr sein! Er packte seinen Becher und schmet­terte ihn gegen die Wand.

Hier dürfte unmiss­ver­ständ­lich klar sein, dass Fritz­chen einen Wut­an­fall hat. Die Emo­tion wird jedoch nicht benannt, son­dern nur durch Fritz­chens Gedanken und Hand­lungen gezeigt. Es ist somit ein Zusam­men­spiel aus Intro­spek­tion und „Show“.

Emo­tionen und Außen­wahr­neh­mung

Nun ist diese letzte Kom­bi­na­tion ja schön und gut, aber was, wenn wir gar nicht aus Fritz­chens Per­spek­tive schreiben? Wie bringen wir seine Emo­tionen trotzdem rüber?

Die Sache ist: Irgend­wessen Per­spek­tive haben wir trotzdem. Wenn also Lies­chen die Reflek­tor­figur ist, können wir zwar nicht in Fritz­chens Kopf schauen, aber wir können seine äußer­li­chen Reak­tionen durch Lies­chens Prisma wahr­nehmen.

Das könnte zum Bei­spiel so aus­sehen:

Es tat kör­per­lich weh, diese Worte her­aus­zu­pressen, doch Lies­chen schul­dete Fritz­chen die Wahr­heit.

„Die Mis­sion ist geschei­tert.“

Fritz­chen erstarrte. Glotzte, wäh­rend die Erkenntnis langsam ein­setzte. Und dann, ohne jede Vor­war­nung, packte er seinen Becher und schmet­terte ihn gegen die Wand.

Hier geht es vor­rangig um Lies­chens Gefühle und Wahr­neh­mungen: Sie will Fritz­chen die schlechte Nach­richt nicht über­bringen, aber sie tut es den­noch aus Pflicht­ge­fühl heraus. Und dann beob­achtet sie seine Reak­tion. Sie kann seine Gedanken natür­lich nicht lesen, aber sie kann es ihm ansehen, wie die Zahn­räder in seinem Kopf die Nach­richt ver­ar­beiten und wie er dann seiner Wut Aus­druck ver­leiht. Die Emo­tion kommt an dieser Stelle dadurch zustande, dass Lies­chen offenbar eine posi­tive Bezie­hung zu Fritz­chen hat. Wir müssen davon aus­gehen, dass Fritz­chens Reak­tion für sie schmerz­haft ist, und wenn ihre Bezie­hung vorher ange­messen rüber­ge­bracht wurde und wir mit Lies­chen mit­fühlen, als sie die schlechte Nach­richt über­bringt, dann muss ihr Schmerz bei Fritz­chens Reak­tion nicht extra erwähnt werden: Wir ste­cken ja bereits in ihrem Kopf, wir teilen ihre Bezie­hung zu Fritz­chen und ihre Beob­ach­tungen, und unser Gehirn löst in uns von selbst Gefühle von Schmerz und Bedauern aus.

Weil Intro­spek­tion hier bei Fritz­chen aber kom­plett weg­fällt und „Tell“ uns aus Lies­chens Per­spek­tive her­aus­reißen würde, wird hier „Show“ beson­ders wichtig. Denn wir erkennen die Emo­tionen anderer Men­schen haupt­säch­lich an Kör­per­sprache, Rede­weise und am Ver­halten gene­rell – und so funk­tio­niert es auch bei Figuren, in deren Köpfe wir keinen Ein­blick haben.

Bloß lauern hier zwei Gefahren, näm­lich Kli­schees und Rea­lismus:

  • Mit Kli­schees meine ich, dass der Autor für eine Emo­tion nur eine oder nur einige wenige kör­per­sprach­liche Reak­tionen hat, die häufig auch in anderen Werken ver­wendet werden. Das ist zum Bei­spiel der Fall, wenn in einem Werk sehr viel geseufzt wird, weil dem Autor keine anderen Mög­lich­keiten für den Aus­druck unan­ge­nehmer Gefühle ein­fallen und der gefühlte Rest der Welt ja auch über­wie­gend mit dem Seufzen ope­riert. Um mehr Viel­falt in die Sache zu bringen, emp­fehle ich inten­sives Beob­achten von Men­schen, gerne auch in Kom­bi­na­tion mit einem Glossar für Kör­per­sprache. Bedenke dabei aber, dass Men­schen unter­schied­lich sind und auch ihre Kör­per­sprache indi­vi­du­elle Eigen­heiten hat. Statt also kör­per­sprach­liche Äuße­rungen wie aus einem Wör­ter­buch ein­fach in den Text zu packen, soll­test Du über­legen, wie sich die Kör­per­sprache der ein­zelnen Figuren unter­scheidet: wer wild mit dem Armen fuch­telt, wer still in der Ecke sitzt und wer Becher gegen die Wand schmeißt. Idea­ler­weise sollte jede Figur ihre eigene Kör­per­sprache haben.
  • Mit Rea­lismus meine ich, dass echte Men­schen ihre Gefühle oft ver­bergen. Und jemand, der seine Mit­men­schen nicht durch seine unan­ge­nehmen Gefühle in Ver­le­gen­heit bringen oder ner­vige Fragen ver­meiden möchte, wird sein Seufzen her­un­ter­schlu­cken und viel­leicht sogar breit grinsen. Aber je nachdem, wie gut seine schau­spie­le­ri­schen Fähig­keiten sind und wie gut die anderen Figuren ihn kennen, wird jemand anderem viel­leicht auf­fallen, dass dieses Grinsen etwas ver­krampft wirkt. Bedenke also, dass die Äuße­rung von Emo­tionen auch ver­schach­telt sein bzw. meh­rere Schichten haben kann. Und das hängt wie­derum mit der Per­sön­lich­keit der Figur und der jewei­ligen Situa­tion Mit anderen Worten: Hier zeigt sich mal wieder, wie wichtig es ist, Men­schen zu beob­achten und seine fik­tiven Figuren genau zu kennen.

Rhe­to­ri­sche Stil­mittel

Wie Du also merkst, gibt es ver­schie­dene Kom­bi­na­tionen von Tech­niken, um Emo­tionen rüber­zu­bringen, und sie alle haben einen unter­schied­li­chen Effekt, auch je nach Situa­tion, Wort­wahl etc. Es ist also schwierig, irgend­welche Regeln zu for­mu­lieren. Zwar ist an „Show, don’t tell“ sehr viel dran, aber ich bezweifle, dass irgend­je­mand einen ganzen Text lesen möchte, in dem Emo­tionen nie­mals benannt werden. „Tell“ macht sehr viel Sinn, wenn man sich mit der ent­spre­chenden Emo­tion nicht lange auf­halten möchte„Show“ hin­gegen ist bei wich­tigen Emo­tionen ange­bracht, die sich als Bilder im Gedächtnis des Lesers ein­brennen sollen. Und wenn man die Emo­tionen auf den Leser über­tragen will, nutzt man Intro­spek­tion.

Und rhe­to­ri­sche Stil­mittel sind auch nie ver­kehrt. Denn die sehr kon­krete Form, die man dem Aus­druck oder der Beschrei­bung der Emo­tion gibt, kann eben­falls indi­rekt Gefühle trans­por­tieren. Hier zum Bei­spiel das uner­war­tete Wie­der­sehen von zwei Lie­benden, die durch sehr wid­rige Umstände eine Weile getrennt waren:

„Ich vergaß das Fenster zuzu­ma­chen, ich vergaß, in meine Haus­schuhe zu schlüpfen, ich vergaß, irgend­etwas umzu­nehmen, ich vergaß, dass ich nur ein Nacht­hemd trug, ich vergaß, was sich gehört und was sich nicht gehört – ich rannte wie eine Beses­sene die Stiegen hin­unter, öff­nete die Haustür, spürte Kie­sel­steine unter meinen bloßen Füßen, und dann spürte ich seinen Mund auf meiner Nase. Es war ja so dunkel, und im Dun­keln kann man sich nicht aus­su­chen, wohin man küsst.“
Anne­marie Selinko: Désirée, Kapitel: Mar­seille, Ende Fruc­tidor. (Mitte Sep­tember).

Die Wie­der­ho­lung von „ich vergaß“ macht deut­lich, lässt den Leser spüren, dass die junge Désirée in diesem Moment wirk­lich von ihren Emo­tionen über­wäl­tigt ist und an nichts anderes denken kann als an ihren Geliebten. Darauf folgt eine kli­mak­ti­sche Auf­zäh­lung von Hand­lungen, von denen jede Désirée ihrem Geliebten näher bringt, und das Ganze gip­felt in einem Kuss. Und damit es nicht kit­schig wird, ist es ein ver­se­hent­li­cher, aber in dieser Situa­tion äußerst rea­lis­ti­scher blinder Kuss auf die Nase. Dar­aufhin ent­spannt sich die Lage, die Stil­mittel lassen nach und es folgt eine eher ruhige Erklä­rung für das put­zige Miss­ge­schick.

Weil ich aber bereits eine ganze Reihe zu rhe­to­ri­schen Stil­mit­teln habe, mache ich auch an dieser Stelle einen Schnitt und wir gehen über zu meinen abschlie­ßenden Tipps fürs Beschreiben von Emo­tionen …

Sons­tige Tipps

Zwar würde ich Dir drin­gend ans Herz legen, die oben erwähnten Artikel zu lesen, aber einige Punkte möchte ich hier den­noch explizit anspre­chen:

  • Da hätten wir an erster Stelle natür­lich Rea­lismus und Fin­ger­spit­zen­ge­fühl bei sen­si­blen Themen und/oder bei Dingen, bei denen man keine per­sön­li­chen Erfah­rungen hat. Hier ist sehr viel Recherche ange­sagt, und unter diesem Link fin­dest Du meinen Artikel über sen­si­blen Umgang mit Gewalt; über das Schreiben ohne per­sön­liche Erfah­rung spre­chen wir ja noch 2022. Ich bitte Dich also vor­erst um Geduld, möchte die Wich­tig­keit rea­lis­ti­scher Gefühle aber auf jeden Fall erwähnt haben. Denn fik­tio­nale Werke prägen unsere Wahr­neh­mung der Rea­lität und die Folgen schlechter Dar­stel­lung können tra­gisch sein.
  • Auch soll­test Du darauf achten, dass es bei den Gefühlen in Deinem Werk ein Auf und Ab gibt. Denn nie­mand will ein Buch lesen, das durchweg fröh­lich oder durchweg depri­mie­rend ist. Dazu aber mehr im Artikel über das Auf­bauen einer inter­es­santen Hand­lung nach dem Best­seller-Code von Archer und Jockers.
  • Ver­giss auch nie, bei der Intro­spek­tion, dem Beschreiben und beim „Show“ mög­lichst viele Sinne ein­zu­be­ziehen. Durch das Medium Film sind wir oft stark auf das Visu­elle und Audi­tive fokus­siert, dabei können wir jedoch auch noch rie­chen, schme­cken und tasten. Wenn wir diese Sinne ver­nach­läs­sigen, geht unseren Beschrei­bungen also eine Menge Poten­tial ver­loren.
  • Und nicht zuletzt ist natür­lich auf das zur jewei­ligen Text­stelle pas­sende Pacing zu achten. Bei Action muss alles schnell gehen und die Gefühle sollten idea­ler­weise hand­lungs­be­glei­tend ein­ge­bunden werden. Aus­schwei­fende Beschrei­bungen von Gefühlen hin­gegen sind eher dann ange­bracht, wenn das kon­krete Gefühl eine beson­dere Rolle spielt, also zum Bei­spiel das Ver­liebt­sein in einem Lie­bes­roman. Nicht­de­sto­trotz würde ich per­sön­lich jedoch sagen, dass die besten Gefühls­be­schrei­bungen mit wenigen Worten auf den Punkt kommen.

Schluss­wort

So viel zum Beschreiben von Emo­tionen und Gefühlen. Ich hoffe, es ist rüber­ge­kommen, dass es keine für sich abge­trennte Dis­zi­plin ist, son­dern hier das Her­aus­ar­beiten von Figuren, die Erzähl­per­spek­tive, sprach­li­ches Hand­werk und viele andere Bereiche inein­ander greifen. Außerdem gibt es keine Schleich­wege und Du kommst nicht drum herum zu üben, zu schei­tern und es das nächste Mal besser zu machen. Es ist etwas, das Zeit und Erfah­rung braucht.

Was eben­falls helfen kann, ist das Ana­ly­sieren von emo­tio­nalen Szenen in Büchern. Des­wegen zer­legen wir am 21.11.2021 ein paar sol­cher Szenen in einem Steady-Live­stream

6 Kommentare

  1. „Super Text. Vielen Dank! Gerade das viele Seufzen ist auch eines meiner Pro­bleme“, sagte AZR und seufzte. 🙂

    Noch eine Frage:

    Werden bei den Bei­spielen

    „Als Fritz­chen die Nach­richt hörte, begann Zorn in ihm zu bro­deln wie in einem Vulkan.“

    und

    „Als Fritz­chen die Nach­richt hörte, schmet­terte er in seinem Zorn den Becher gegen die Wand.“

    nicht eigent­lich show und tell gemischt. Denn zwar wird die Emo­tion selbst nur mit­ge­teilt, die Inten­sität wird aber beschrieben. Die Emo­tion selbst ergibt sich bei show ja gewöhn­lich aus dem Kon­text, so unmiss­ver­ständ­lich finde ich den Becher­wurf daher gar nicht.
    -
    Es klopfte. Lies­chen betrat das Zimmer.

    „Wir…“, begann sie, „Wir haben es geschafft!“

    Das konnte doch nicht wahr sein! Er packte seinen Becher und schmet­terte ihn gegen die Wand.
    -

    bzw.

    -
    Lies­chen wusste nicht, wie sie es ihm sagen sollte. Sie konnte es ja selbst kaum glauben.

    „Wir haben es geschafft!“

    Fritz­chen erstarrte. Glotzte, wäh­rend die Erkenntnis langsam ein­setzte. Und dann, ohne jede Vor­war­nung, packte er seinen Becher und schmet­terte ihn gegen die Wand.
    -

    Würde man hier nicht eher (unbän­dige) Freude deuten? So wie wenn man sonst schreibt:

    Fritz­chen warf vor Freude seinen Becher gegen die Wand.

    AZR
    1. Das Seufzen ist auch bei mir eine der großen Bau­stellen. *seufz* 😅

      Zu Deiner Frage: Ich glaube, Du ver­wech­selst ein wenig Bild­lich­keit und Show. Das Bro­deln des Zorns wie in einem Vulkan kann man sich zwar sehr gut als Bild vor­stellen, aber der Ver­gleich wird vom Erzähler nur so hin­ge­stellt und ist außerdem auch sehr abs­trakt: Denn wie sieht es denn kon­kret aus, wenn der Zorn bro­delt wie in einem Vulkan? Im Kopf­kino erscheint eher der Vulkan als eine kon­krete Zor­nes­äu­ße­rung wie bei­spiels­weise das Becher­schmeißen. Aber Du hast natür­lich recht, Show hat sehr viel mit Kon­text zu tun. Eben weil der Erzähler hier Bilder lie­fert, die der Leser selbst­ständig deuten muss.

      1. Das ist ein gutes Argu­ment. Eine Meta­pher macht noch keine Beschrei­bung. Ich weiß eigent­lich nicht einmal, ob ein Vulkan wirk­lich bro­delt und wie genau man sich das vor­zu­stellen hat.

        Aller­dings ist es beim zweiten Bei­spiel dann doch schon so, dass die Emo­tion benannt und durch die Beschrei­bung gewis­ser­maßen kon­kre­ti­siert wird, oder?

        AZR
        1. Na ja, eine Meta­pher dient schon der Beschrei­bung. Bloß ist sie nicht auto­ma­tisch Show.

          Benannt wird die Emo­tion in beiden Bei­spielen, also beides Tell. Der Unter­schied ist nur in der Art der Kon­kre­ti­sie­rung, um mal Dein Wort auf­zu­greifen. Beim ersten Bei­spiel wird durch eine Beschrei­bung (Vulkan, bro­deln) „gewis­ser­maßen kon­kre­ti­siert“, beim zweiten durch eine kon­krete Hand­lung, also Show.

          1. Naja ich hab jetzt pau­schal „show“ und „tell“ durch „beschreiben“ und „mit­teilen“ ersetzt. Ich meinte also: Eine Meta­pher alleine mach noch kein „show“

            Danach würde ich sagen, wir sind uns im Ergebnis einig. 🙂

            AZR

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