Über Liebe und Bezie­hungen schreiben

Über Liebe und Bezie­hungen schreiben

Liebe und Bezie­hungen sind in fast allen fik­tio­nalen Geschichten zu finden. Kaum ein Buch oder Film kommt ohne Romanze aus und meis­tens ist es die ach so große, wahre Liebe. – Nur, dass es meis­tens über­haupt keine Liebe ist, son­dern nur ein seichter Hor­mon­cock­tail. Auch rein freund­schaft­liche, fami­liäre und ander­wei­tige Bezie­hungen werden gerne idea­li­siert. Und ins­ge­samt stören diese ver­zerrten medialen Dar­stel­lungen die Ent­wick­lung unserer eigenen Fähig­keit zu lieben. Wie machen wir das also besser?

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So ziem­lich alle Geschichten han­deln von Liebe. Meis­tens in Form von zwi­schen­mensch­li­chen Bezie­hungen. Und das meis­tens in Form von roman­ti­schen Lie­bes­be­zie­hungen.

Doch was ist, wenn ich sage, dass es in fik­tio­nalen Geschichten nur sehr wenig rich­tige Liebe gibt? Zumin­dest, wenn es um roman­ti­sche Lie­bes­be­zie­hungen geht. Und diese fal­schen roman­ti­schen Lie­bes­be­zie­hungen wie­derum drängen alle anderen Formen von Liebe oft in den Hin­ter­grund.

Tat­säch­lich machen sich aber nicht nur fik­tio­nale Geschichten schuldig. Die Musik­in­dus­trie glo­ri­fi­ziert emo­tio­nale Abhän­gig­keit als Aus­druck wahrer Liebe und virale Videos von spek­ta­ku­lären öffent­li­chen Hei­rats­an­trägen werden viel zu selten als die mani­pu­la­tive Selbst­in­sze­nie­rung klas­si­fi­ziert, die sie sind.

Und das Ergebnis?

Unsere Kultur nor­ma­li­siert sys­te­ma­tisch toxi­sche Bezie­hungs­ver­hält­nisse, mani­pu­liert unsere Erwar­tungen und stört die Ent­wick­lung unserer Fähig­keit zu lieben.

Des­wegen reden wir in diesem Artikel dar­über, wie wir es besser machen können. Wie wir die tief­grün­digen Geschichten über echte Liebe schreiben, die die Welt braucht. Und wir gehen auch auf die nicht-roman­ti­schen Formen von Liebe ein, weil auch sie Stoff für wert­volle Geschichten lie­fern.

Pro­ble­ma­ti­sche Lie­bes­be­zie­hungen in den Medien

Zählen wir zunächst auf, was in fik­tio­nalen Lie­bes­be­zie­hungen meis­tens falsch läuft:

  • Es wird die eine große, magi­sche, wahre Liebe pro­pa­giert, die uner­wartet auf einen her­ab­fällt, ohne dass man dafür etwas tun muss, und alle, alle Pro­bleme löst.
  • Natür­lich pas­siert diese große, magi­sche, wahre Liebe auf den ersten Blick, wie ein ein­schla­gender Blitz, der das Leben beider Indi­vi­duen von einem Moment auf den anderen kom­plett umkrem­pelt. Dass man sich in den wenigen Tagen, in denen die Geschichte meis­tens spielt, gar nicht wirk­lich ken­nen­lernen kann, ist völlig irrele­vant.
  • Her­ab­fallen tut die große, magi­sche, wahre Liebe in Form der einen rich­tigen Person, eines See­len­ver­wandten, der einen liebt, ein­fach so, auch wenn man in jeder Hin­sicht völlig inkom­pa­tibel ist und sich nur streitet.
  • Sollte eine geliebte Person dabei zunächst nicht per­fekt oder sogar ein mani­pu­la­tives und/oder gewalt­tä­tiges Arsch­loch sein, muss man sich nur zusam­men­reißen und die Person stark genug lieben – dann wird sie sich näm­lich ändern und zu einem Engel auf Erden mutieren.
  • Inter­es­sante, ori­gi­nelle, aben­teu­er­lus­tige oder auch ein­fach nur außer­or­dent­lich gut­aus­se­hende und/oder super­reiche Men­schen ver­lieben sich Hals über Kopf in 08/15-Otto-Nor­mal­ver­brau­cher, mit denen sie rein gar nichts gemeinsam haben. Die 08/15-Otto-Nor­mal­ver­brau­cher sind dabei kom­plett passiv und werden auf extra­va­gante Weise erobert. Das ist für den 08/15-Otto-Nor­mal­ver­brau­cher die ein­zige Quelle von Selbst­wert­ge­fühl.
  • Roman­ti­sche Erobe­rung pas­siert in der Regel durch große Gesten, die häufig mit Stal­king, Erpres­sung und emo­tio­naler Mani­pu­la­tion ein­her­gehen. Eine Ableh­nung als solche zu akzep­tieren ist dabei undenkbar. Aber das alles ist in Ord­nung und über­haupt keine Beläs­ti­gung, kein Betrug, kein Miss­brauch oder ander­wei­tige Straftat, wenn der Täter ver­dammt gut­aus­se­hend und/oder mär­chen­haft reich ist.
  • Wenn mehr als zwei Per­sonen invol­viert sind, gibt es ein Lie­bes­dreieck. Und das bedeutet: Alle anderen Kon­flikte der Geschichte werden bedeu­tungslos. Wer mit wem zusam­men­kommt, wird zur zen­tralen exis­ten­zi­ellen Frage des Werkes.
  • Kommen die Lie­benden end­lich zusammen, müssen sie jede Menge künst­li­cher Hürden lösen, die über­wie­gend auf Miss­ver­ständ­nissen beruhen und die man mit einem kurzen Gespräch hätte ver­meiden können.
  • Sind alle dummen Miss­ver­ständ­nisse über­wunden, drückt sich die Har­monie zwi­schen den Lie­benden aus­schließ­lich durch Schleck-Schleck-Knutsch-Knutsch und/oder Sex aus.
  • Grund­sätz­lich muss man auch sagen, dass nur hete­ro­se­xu­elle Bezie­hungen roman­tisch sind. Und sobald ein Mann und eine Frau zusammen etwas durch­ma­chen, ist es nur natür­lich, dass sie sich ver­lieben. Dass sie ledig­lich nur eine pla­to­ni­sche Bezie­hung ent­wi­ckeln oder wenigs­tens einer von ihnen homo- oder bise­xuell sein könnte, ist völlig undenkbar. Und dass es sich um nicht-binäre oder Trans­per­sonen han­deln könnte, ist kom­plett absurd. Davon, dass wenigs­tens einer von ihnen schlicht und ergrei­fend aro­man­tisch und/oder ase­xuell sein könnte, ganz zu schweigen.
  • Die große, magi­sche, wahre Liebe ist übri­gens auch viel wich­tiger als andere Formen von Liebe wie Familie und Freund­schaft und es ist nur gut und richtig, sein kom­plettes soziales Umfeld für sie zu opfern.
  • Und nicht zuletzt: Liebe ist nur für schöne, junge Men­schen. Alte, kör­per­be­hin­derte, durch­schnitt­lich und unter­durch­schnitt­lich schöne Men­schen sind die kom­plett aro­man­ti­schen und ase­xu­ellen Wesen, die es unter schönen, jungen Men­schen ja grund­sätz­lich nicht gibt.

So. Das wären die Punkte, die mir mehr oder weniger spontan ein­fallen, und es gibt zwei­fellos noch mehr, was man an der medialen Dar­stel­lung von Lie­bes­be­zie­hungen kri­ti­sieren kann. Doch zusam­men­fassen lässt sich das Pro­blem fol­gen­der­maßen:

Es wird sich meis­tens gar nicht erst bemüht, rea­lis­ti­sche Lie­bes­be­zie­hungen dar­zu­stellen. Viel­mehr möchte man den Rezi­pi­enten emo­tional auf­wühlen durch mög­lichst viele künst­liche Hin­der­nisse und das Bedienen der ego­is­ti­schen Fan­tasie des Aus­er­wählt­s­eins. Denn ohne Drama und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­po­ten­tial kann eine Geschichte schnell lang­weilig werden.

Das emo­tio­nale Auf­wühlen ist auch der Grund, warum es in der Regel um Ver­liebt­heit statt um Liebe geht: Denn echte Liebe ist meis­tens recht unspek­ta­kulär, wäh­rend Ver­liebt­heit hor­mon­be­dingt mit starken Gefühlen ein­her­geht.

Toxi­sche Wir­kung

Aber ande­rer­seits: Das alles sind doch nur Geschichten, oder? Wir alle wissen, dass sie nicht wahr sind, ein­fach nur eska­pis­ti­sche Fan­ta­sien …

Äh, nein. Es wäre zwei­fellos schön, wenn wir alle das wirk­lich wüssten. Doch wir wissen es nur mit dem Kopf.

  • Denn die Dar­stel­lung von Liebe in den Medien beein­flusst unsere realen Vor­stel­lungen spä­tes­tens dann, wenn Paare sich toxi­sche Kli­schee­bomben à la Wie ein ein­ziger Tag anschauen und ein Partner dem anderen dar­aufhin vor­wirft, keine großen, ver­meint­lich roman­ti­schen Gesten zu machen wie der Prot­ago­nist Noah.
  • Sie beein­flusst uns, wenn Men­schen an toxi­schen Bezie­hungen fest­halten in der Hoff­nung, dass der Partner sich ändert.
  • Und sie beein­flusst uns, wenn wir uns wie Ver­sager vor­kommen, wenn starke Gefühle allein ein Pro­blem nicht lösen können und die Bezie­hung in die Brüche geht.

Auf CNN.com zitiert Sara Ste­wart zahl­reiche Zuschriften von Lesern, die ihre Film­kri­tiken gelesen haben und nun ihre per­sön­li­chen, oft unschönen Erfah­rungen teilen. Ein Leser gibt sogar zu, wegen Miss­brauch inhaf­tiert worden zu sein und dass mediale Dar­stel­lungen seine ver­drehten Ansichten über Bezie­hungen durchaus beein­flusst haben.

Und auch wenn man selbst nicht von den medial pro­pa­gierten toxi­schen Vor­stel­lungen beein­flusst wird: Die anderen Men­schen um einen herum werden es durchaus und klat­schen diese Vor­stel­lungen gerne über die Rea­lität.

Bei­spiels­weise bei spek­ta­ku­lären Hei­rats­an­trägen in der Öffent­lich­keit: Ein Partner macht den Antrag, ist der Held, und das unge­schrie­bene Skript erfor­dert, dass der andere Partner „Ja“ sagt, wäh­rend die zahl­rei­chen Zeugen das Ganze beob­achten und urteilen. Und wenn der Betrof­fene „Nein“ sagt, steht er schnell als herz­loser Böse­wicht da, der die große, benei­dens­werte Geste nicht zu schätzen weiß. Dabei weiß keiner der Umste­henden, wie es in der Bezie­hung wirk­lich aus­sieht. Und über­haupt: Was geht mich die pri­vate Lebens­pla­nung zweier wild­fremder Men­schen an? Warum muss man aus seinem Pri­vat­leben eine Show machen? Das ist, wenn man mich fragt, eine nochmal ganz eigene Dia­gnose.

Dass bei der kli­schee­haften Dar­stel­lung von Lie­bes­be­zie­hungen sehr viel reprä­sen­ta­tives Poten­tial ver­loren geht, muss ich, glaube ich, nicht mehr erwähnen: Denn wir alle wissen, dass mediale Dar­stel­lungen massiv dazu bei­tragen können, bestimmte Dinge ins all­ge­meine Bewusst­sein zu bringen und zu nor­ma­li­sieren. Ich sage dabei nicht, dass man fik­tio­nale Geschichten auf Teufel komm raus mit homo­se­xu­ellen Paaren fluten muss. Die Mehr­heit der realen Men­schen ist immer noch hete­ro­se­xuell. Aber wenn es kaum ernst­zu­neh­mende Reprä­sen­ta­tionen von homo­se­xu­ellen Paaren gibt, dann ist das eine ein­deu­tige Unter­re­prä­sen­ta­tion.

Bei der Flut an roman­ti­schen Lie­bes­be­zie­hungen in den Medien sind auch ernst­hafte Aus­ein­an­der­set­zungen mit fami­liären, freund­schaft­li­chen und ander­wei­tigen Lie­bes­be­zie­hungen etwas unter­re­prä­sen­tiert und werden ten­den­ziell idea­li­siert dar­ge­stellt: Familie und Freunde sind immer bedin­gungslos für den Prot­ago­nisten da, zu Hause herrscht eine benei­dens­werte Idylle, es gab nie fatale Erzie­hungs­fehler, Freunde haben selbst keine Pro­bleme und sind nie nei­disch oder ander­weitig unzu­frieden mit dem Prot­ago­nisten, Haus­tiere sind immer lieb, anhäng­lich und treu, die ange­be­tete Gott­heit ist stets unter­stüt­zend, die eigene Nation spie­gelt die eigenen Werte makellos wieder … Und wenn es in einem dieser Bereiche den­noch Kon­flikte gibt, dann können sie relativ ein­fach und unkom­pli­ziert gelöst werden.

Natür­lich gibt es auch viele rea­lis­ti­sche Dar­stel­lungen von nicht-roman­ti­scher Liebe. Meiner Beob­ach­tung nach ist das meis­tens jedoch eher dann der Fall, wenn die nicht-roman­ti­sche Lie­bes­be­zie­hung mit dem zen­tralen Kon­flikt zusam­men­hängt. Ist dieser Zusam­men­hang nicht gegeben, hatte der Prot­ago­nist eine in jeder Hin­sicht idyl­li­sche Kind­heit etc. pp. – Was wie­derum unsere Vor­stel­lungen davon prägt, was normal ist und was nicht und inwie­fern wir an unseren nicht-roman­ti­schen Lie­bes­be­zie­hungen aktiv arbeiten müssen.

Nicht alles ist toxisch

Fai­rer­weise sollte aber auch gesagt werden, dass nicht alles, was nach einer pro­ble­ma­ti­schen Dar­stel­lung aus­sieht, eine ist:

  • Allem voran sind da bei­spiels­weise Par­odien und Satiren wie der Film Ver­wünscht, in dem Disney seine eigenen Kli­schees durch den Kakao zieht, oder Die Braut­prin­zessin die Ver­fil­mung Die Braut des Prinzen.
  • An James Came­rons Titanic würde ich nur aus­setzen, dass die Bezie­hung zwi­schen Rose und Jack als große Liebe hin­ge­stellt wird. Viel­leicht hätte sich daraus eine ernst­hafte Lie­bes­be­zie­hung ent­wi­ckelt, wenn Jack über­lebt hätte, aber so ist die im Film dar­ge­stellte Bezie­hung vor­erst nur ein Hor­mon­cock­tail, der in Kom­bi­na­tion mit dem trau­ma­ti­sie­renden Unter­gang des Schiffs Rose aus ihrer Depres­sion reißt. Mit „ewiger Liebe“ hat das aller­dings wenig zu tun, weil die beiden Lie­benden zu wenig Zeit mit­ein­ander ver­bracht haben, um zu wissen, ob sie es wirk­lich ewig mit­ein­ander aus­ge­halten hätten. Die „ewige Liebe“ gilt somit der Erin­ne­rung, nicht der Person.
  • Ein wei­teres Bei­spiel für eine kurze, ver­zwei­felte Lie­bes­be­zie­hung findet sich in Remar­ques Zeit zu Leben und Zeit zu sterben. Hier steht das Paar unter Zeit­druck, weil die Geschichte wäh­rend des Zweiten Welt­krieges spielt und der Prot­ago­nist, ein Wehr­machts­soldat, nur ein paar Wochen Urlaub hat. In diese paar Wochen wird ein Ken­nen­lernen, Hei­raten und mög­lichst viel Lieben und Leben gequetscht. Auch hier ist es weniger die große Liebe, son­dern eher die Ein­sam­keit zweier ver­zwei­felter Men­schen, die kom­plett des­il­lu­sio­niert sind, nicht mehr an das NS-Regime glauben und von einem „sicheren, guten, ein­för­migen, bür­ger­li­chen Kuh­glück“ träumen. Solche ver­zwei­felten Kriegsehen sind aller­dings durchaus ein reales Phä­nomen. Und ebenso rea­lis­tisch ist auch das Ende, als die Lie­bes­be­zie­hung den Prot­ago­nisten, als er wieder an der Front ist, nicht mehr „tragen“, emo­tional stützen, kann.
  • Auch Dis­neys Ani­ma­ti­ons­film Die Schöne und das Biest sehe ich als unpro­ble­ma­tisch. Hier gibt es oft den Vor­wurf, der Film pro­pa­giere das Fest­halten an toxi­schen Bezie­hungen und das Umer­ziehen des Part­ners. Dabei wird jedoch oft über­sehen, dass Belle sich erst in das Biest ver­liebt, als es sein Ver­halten ändert. Das Biest wird nicht von Belle umer­zogen, son­dern es erzieht sich selbst um, als es lernt, dass andere es toll finden, wenn man nett zu ihnen ist.
  • Und nicht zuletzt möchte ich Darcys „große Gesten“ in Jane Aus­tens Stolz und Vor­ur­teil in Schutz nehmen. Denn zu meiner Über­ra­schung musste ich fest­stellen, dass es da tat­säch­lich Vor­würfe gibt. Wir müssen aller­dings bedenken, dass Darcy vorher großen Mist gebaut und meh­rere Men­schen unglück­lich gemacht hat. Seine Fehler wieder aus­zu­bü­geln ist wohl was Min­deste, was man ver­langen kann von jemandem, der sich geirrt hat und dem es leidtut. Auch wenn er dabei vor allem an Eliza­beth dachte. Er macht ja keine Show daraus und will eigent­lich, dass nie­mand erfährt, dass er dahin­ter­steckt.

Außerdem möchte ich auch bezüg­lich LGBTQ+-Beziehungen eins ein­räumen: In meinem Artikel über starke Frauen habe ich spe­ku­liert, dass eine Har­riet Potter sich viel­leicht in Cedric Dig­gory statt in Cho Chang ver­liebt hätte. Doch warum hätte eine Har­riet Potter nicht les­bisch oder bise­xuell sein und sich in Cho ver­lieben und später mit Ginny zusam­men­kommen können? Diese Frage habe ich mir durchaus gestellt und fand, dass das ein stär­kerer Ein­griff in die Geschichte wäre als die Ände­rung eines hete­ro­se­xu­ellen Harry Potter in eine ebenso hete­ro­se­xu­elle Har­riet Potter.

Die Sache ist, dass die Geschichte in den 90ern spielt und Hete­ro­se­xua­lität damals noch mehr als heute als Norm galt. Sich als les­bisch oder bise­xuell zu outen wäre somit eine große Sache gewesen, ins­be­son­dere für einen Teen­ager. Dieses Coming-out hätte dem eigent­li­chen Kon­flikten der Reihe und der ein­zelnen Bücher defi­nitiv die „Show“ gestohlen, ohne irgend­etwas zu den zen­tralen Themen bei­zu­tragen. – Es sei denn, der Ant­ago­nist Lord Vol­de­mort hätte explizit Hete­ro­nor­ma­ti­vität gepre­digt, damit die rein­blü­tigen Hexen und Zau­berer sich schön fort­pflanzen. Dann hätte Har­riets Homo- oder Bise­xua­lität durchaus ein rele­vantes Gegen­stück zu Vol­de­morts Ideo­logie gebildet.

Ich fürchte daher, dass es bei LGBTQ+-Beziehungen tat­säch­lich auf das Set­ting ankommt. Wählt man ein Set­ting, in dem eine solche Bezie­hung mit Hin­der­nissen ein­her­gehen würde, müsste die sexu­elle Ori­en­tie­rung bzw. Iden­tität ein zen­trales Thema werden. Und Set­tings, in denen eine solche Bezie­hung nicht auf Hin­der­nisse stößt und als völlig normal ange­sehen wird, sind selten.

Was ist Liebe?

Wenn wir aber nun die mediale Dar­stel­lung von Liebe kri­ti­sieren und über­legen, wie wir das besser machen können, müssen wir uns fragen: Was ist Liebe über­haupt?

Wer meinen Artikel über das Erschaffen von inter­es­santen Figuren kennt, weiß, dass ich ein Fan von Erich Fromms Die Kunst des Lie­bens bin:

Lässt man die gesell­schafts­kri­ti­schen Aspekte des Buches weg, sagt Fromm im Großen und Ganzen, dass es den meisten Men­schen darum geht, geliebt zu werden statt selbst aktiv zu lieben. Man strebe das schöne Gefühl der Ver­liebt­heit an, dem man sich ein­fach hin­gibt, und wenn das schöne Gefühl aus­ge­schöpft ist, suche man sich ein­fach das nächste Lie­bes­ob­jekt, das man kon­su­mieren kann. Dieses Ver­ständnis von Liebe habe etwas Markt­wirt­schaft­li­ches.

Die Ant­wort auf die exis­ten­zi­ellen Fragen des Men­scheins sei dagegen rich­tige, reife Liebe. Dabei komme es nicht auf das Objekt der Liebe an, son­dern auf die eigene Fähig­keit zu lieben: Und diese setzt voraus, dass man vor allem sich selbst lieben kann. – Nicht im Sinne von Nar­zissmus – denn das ist laut Fromm nur ein Sym­ptom feh­lender Selbst­liebe -, son­dern im Sinne von: „Ich bin mir selbst genug, ich bin glück­lich mit mir selbst und ich teile mein Glück gerne mit anderen, küm­mere mich um sie, erkenne und respek­tiere sie und über­nehme Ver­ant­wor­tung.“

Wie Du also siehst, pre­digt Fromm genau das Gegen­teil von dem, was in den Medien nor­ma­ler­weise als Liebe ver­kauft wird. Nach dieser Defi­ni­tion sind die meisten Lie­benden in fik­tio­nalen Geschichten in Wirk­lich­keit kom­plett unfähig zu lieben:

  • Denn wer sich nur dem schönen Gefühl hin­gibt, ist unfähig zu lieben.
  • Wem es vor allem darum geht, geliebt zu werden, ist unfähig zu lieben.
  • Wer eine geliebte Person nicht los­lassen kann, weil er emo­tional anhängig ist, kann nicht lieben.
  • Wer ohne die geliebte Person nicht leben kann, ist nicht fähig zu lieben.
  • Wer sich selbst nicht liebt, ist nicht fähig zu lieben.
  • Und wer nur einen ein­zigen Men­schen auf der Welt liebt, liebt in Wirk­lich­keit nie­manden.

Fik­tive Figuren, die diese Nicht-Liebe prak­ti­zieren, sind in dieser Hin­sicht eigent­lich ziem­lich infantil: Denn kom­plette Hin­gabe, ein Aus­ge­lie­fert­sein, das pas­sive Kon­su­mieren, das Sich-Fest­klam­mern, die Abhän­gig­keit und die Fixie­rung auf einen ein­zigen oder nur wenige Men­schen sind eigent­lich cha­rak­te­ris­tisch für die Bezie­hung eines Kindes zu seinen Eltern, nicht eines Erwach­senen zu einem Erwach­senen.

Natür­lich ist das aber auch etwas ver­ein­fa­chend, denn wenn ein realer oder fik­tiver Mensch streng­ge­nommen unfähig ist zu lieben, heißt das nicht, dass er nicht trotzdem Anzei­chen echter Liebe zeigen kann. Plumpes Bei­spiel:

Ich gebe offen zu, dass meine Katze im Prinzip mein ganz per­sön­li­ches, pel­ziges Anti­de­pres­sivum ist. Gleich­zeitig bereitet es mir aber auch Freude, ihr Freude zu bereiten. Nicht, damit sie mich liebt, denn das tut sie bereits, son­dern weil ich sie als füh­lendes Wesen respek­tiere – und das in einem Maß, in dem man von man­chen Leuten schiefe Blicke bekommt, weil ich bei wich­tigen Ent­schei­dungen unter anderem ihre Inter­essen bedenke. Ich wie­derum finde es abartig, wie viele Men­schen meinen, ihre Haus­tiere zu lieben, ihre emo­tio­nalen und psy­chi­schen Bedürf­nisse aber regel­mäßig hin­ten­an­stellen, wenn es um Arbeit, Urlaub, die Woh­nungs­ein­rich­tung oder andere per­sön­liche Bedürf­nisse geht. Tieren werden oft Dinge angetan, die man seinen Kin­dern nicht antun würde. Als wären Tiere weniger wert oder als hätten sie weniger Gefühle.

Ich will nicht sagen, ich wäre Meis­terin in Sachen Liebe – wie gesagt, meine Art zu lieben ist immer noch sehr ego­is­tisch -, aber ich maße mir an zu erkennen, wenn andere Men­schen noch lie­bes­un­fä­higer sind als ich. Somit maße ich mir auch an fest­stellen zu können, dass die Lie­bes­fä­hig­keit durchaus Abstu­fungen hat. Denn wie auch Fromm sagt: Liebe ist eine Fähig­keit, die man lernen und üben kann und soll. Somit kann man diese Fähig­keit auch in stär­kerem oder schwä­cherem Maße beherr­schen und ich per­sön­lich finde es völlig in Ord­nung, wenn eine fik­tive Lie­bes­be­zie­hung nicht per­fekt ist, solange sie nicht als die einzig wahre große Liebe hin­ge­stellt wird.

Und wenn man die Liebe erst mal beherrscht, ist es im Grunde egal, wen oder was man liebt. Denn rich­tige, reife Liebe geht ohnehin mit einer Fähig­keit zur Nächs­ten­liebe einher, sodass man die ganze Welt liebt. Aller­dings sollte die rein mensch­liche Kom­pa­ti­bi­lität meiner Mei­nung nach trotzdem nicht unter den Tisch fallen:

Denn jemanden zu lieben ist eine Sache, mit ihm sein Leben zu ver­bringen eine andere.

Du wirst jemanden, dessen Inter­essen das kom­plette Gegen­teil von deinen Inter­essen sind, viel­leicht tat­säch­lich lieben können, aber eine Bezie­hung wird auf Dauer schwierig, weil ihr keinen gemein­samen Bereich habt, in dem ihr euch begegnen könnt.

An dieser Stelle passt auch eine Frage aus der Krea­tiv­Crew, in der es um die Kom­pa­ti­bi­lität von echter Liebe und „här­teren Formen von BDSM“ geht. Und passen tut diese Frage, weil es im Grunde ganz egal ist, was zwei Men­schen, die sich lieben, mit­ein­ander treiben, solange es beide glück­lich macht und nie­mand zu Schaden kommt. Zumal es bei BDSM meines Wis­sens tat­säch­lich auch sehr viel um Ver­trauen und Ver­ant­wor­tung geht. Pro­ble­ma­tisch kann es aller­dings werden, wenn ein Partner unbe­dingt BDSM möchte und der andere gar nicht. In diesem Fall wäre es wohl ein Aus­druck von echter Liebe, wenn die beiden ihre Inkom­pa­ti­bi­lität akzep­tieren und getrennte Wege gehen. Oder sich auf eine offene Bezie­hung einigen, damit der BDSM-Fan seine sexu­ellen Bedürf­nisse mit jemand anderem aus­leben kann. – Vor­aus­ge­setzt, der Nicht-BDSM-Fan ist damit wirk­lich ein­ver­standen.

Wir halten also fest:

Echte Liebe ist vor allem eine Fähig­keit, kein Gefühl. Man gibt sich ihr nicht passiv hin, son­dern prak­ti­ziert sie aktiv. Und eine Grund­vor­aus­set­zung, um andere lieben zu können, ist die Liebe zu sich selbst.

Welche Rolle spielt das aber für die Dar­stel­lung von Liebe in Geschichten?

Geschichten über Liebe und Bezie­hungen schreiben

Schauen wir uns die rein tech­ni­sche Seite an und ziehen John Truby zu Rate. In The Ana­tomy of Story geht er unter anderem auf „Love Sto­ries“ und „Buddy Sto­ries“ ein:

  • Bei „Love Sto­ries“, also Lie­bes­ge­schichten, sollten die beiden Lie­benden vor allem durch die Bezie­hung zuein­ander wachsen. Das setzt voraus, dass beide Figuren sorg­fältig ent­wi­ckelt wurden. Wichtig ist aber auch, dass die beiden nicht etwa zwei Helden sind, son­dern der eine sollte der eigent­liche Prot­ago­nist sein und der andere sein Haupt­op­po­nent. Wie in dem Artikel über die Figuren-Kon­stel­la­tion bereits erläu­tert, bedeutet „Oppo­nent“ nicht, dass die beiden Feinde sind. Der Held bzw. Prot­ago­nist und sein Haupt­op­po­nent können einem oder meh­reren gemein­samen Ant­ago­nisten ent­ge­gen­treten. Aber wenn es primär um die Bezie­hung geht, ein gegen­sei­tiges Her­aus­for­dern, dann ist der Love Inte­rest des Prot­ago­nisten eben sein Oppo­nent, der ihn her­aus­for­dert wie kein anderer und durch den er wächst.
  • Auch bei „Buddy Sto­ries“ geht es laut Truby um eine Oppo­si­tion zwi­schen den beiden Figuren. Gleich­zeitig sind sie aber auch zwei Teile eines Ganzen, die sich durch ihre Anschau­ungen und Fähig­keiten gegen­seitig ergänzen. Weil aber eine Oppo­si­tion vor­liegt, sollte ein „Buddy“ die zen­tra­lere Rolle haben, d. h. der Prot­ago­nist sein. Trotz der Oppo­si­tion und ihres internen Kon­flikts stellen sich die beiden „Bud­dies“ aber gemeinsam anderen Oppo­nenten, die die ver­schie­denen Aspekte einer Gesell­schaft spie­geln, die den beiden gegen­über feind­lich ein­ge­stellt ist und/oder sie trennen will.

Ich per­sön­lich finde nicht, dass man einen allzu klaren Unter­schied zwi­schen „Love Story“ und „Buddy Story“ machen kann. Mehr noch: Ich würde sogar sagen, dass eine richtig gute Geschichte über Liebe – egal, ob roman­tisch oder nicht – mehr oder weniger beide Typen in sich ver­ei­nigt. Soll heißen:

Tech­nisch gesehen dreht sich eine gute Geschichte über roman­ti­sche, freund­schaft­liche, fami­liäre oder ander­wei­tige Liebe meiner Mei­nung nach vor allem um die Oppo­si­tion zwi­schen zwei fein her­aus­ge­ar­bei­teten Figuren, die sich gegen­seitig her­aus­for­dern und dadurch wachsen und evtl. gemeinsam eine oder meh­rere äußere Her­aus­for­de­rungen bestehen.

So viel zum Ske­lett. Aber wie sollte das „Fleisch“ aus­sehen, vor allem vor dem Hin­ter­grund unserer Defi­ni­tion von Liebe?

Die Begeg­nung

Damit Liebe ent­stehen kann, müssen die Figuren sich als Erstes begegnen. Das kann noch vor dem Beginn der Geschichte pas­sieren und im Fall von Fami­li­en­be­zie­hungen beginnt die Bekannt­schaft meis­tens sogar schon mit der Geburt. – Es sei denn, die beiden Fami­li­en­mit­glieder sind sich tat­säch­lich noch nie begegnet, weil die Familie aus­ein­an­der­ge­rissen wurde oder sowas.

Wenn die Figuren, um die es geht, sich aber nicht bereits kennen, müssen sie sich irgendwie über den Weg laufen. Im Fall von roman­ti­scher Liebe bezeichnet man das im Eng­li­schen als „Meet Cute“. Aller­dings kann eine erste Begeg­nung, wie gesagt, auch in Geschichten über bei­spiels­weise Freund­schaft als beson­derer Moment gezeigt werden.

Wäh­rend solche erste Begeg­nungen im realen Leben meis­tens recht lang­weilig sind, erfor­dern sie in fik­tio­nalen Werken oft etwas Ein­präg­sames, damit sie das Inter­esse des Rezi­pi­enten wecken und ihm den Gedanken ein­pflanzen, dass die beiden Figuren sich ver­lieben oder Freunde werden könnten. Des­wegen hat der You­Tube-Kanal Stu­dio­Binder spe­ziell für roman­ti­sche Meet Cutes eine Über­sicht von vier Typen zusam­men­ge­stellt:

  • Bei Pull/Pull ist von vorn­herein eine gegen­sei­tige Anzie­hung vor­handen.
  • Bei Push/Push hin­gegen sind die beiden sich zunächst feind­lich gesinnt, finden später jedoch zuein­ander.
  • Bei Push/Pull fühlt sich einer ange­zogen und der andere flieht bzw. wider­steht den Avancen und muss erobert werden.
  • Und bei Neutral/Nervous schließ­lich hätten die beiden sich ver­mut­lich nicht einmal bemerkt, wenn einer von ihnen, der „Ner­vöse“, nicht gestol­pert wäre oder sich ander­weitig unge­schickt ange­stellt oder unkon­ven­tio­nell ver­halten hätte.

Im Zusam­men­hang mit der ersten Begeg­nung sieht man in fik­tio­nalen Werken oft auch Liebe auf den ersten Blick. Ich will nicht abstreiten, dass man sich rein hor­mo­nell auf den ersten Blick ver­lieben oder im Sinne von Nächs­ten­liebe von Liebe spre­chen kann. Doch für eine reife Lie­bes­be­zie­hung, die ja Bekannt­schaft mit dem anderen und Kom­pa­ti­bi­lität erfor­dert, ist es defi­nitiv zu früh.

Wobei man hier auch sagen soll, dass man manchmal recht schnell merken kann, dass das Gegen­über gutes Bezie­hungs- bzw. Freund­schafts­ma­te­rial ist. Men­schen geben nun mal durch ihr bloßes Auf­treten, ihr Outfit, ihre Gestik, ihre Stimm­füh­rung etc. sehr viel über sich preis. Gleich­zeitig läuft man aber auch Gefahr, auf den anderen Men­schen irgend­etwas zu pro­ji­zieren, das auf ihn aber über­haupt nicht zutrifft.

Des­wegen würde ich sagen, dass Liebe oder auch Freund­schaft auf den ersten Blick eigent­lich nur funk­tio­niert, wenn man sein Gegen­über im ersten Moment kor­rekt ein­ge­schätzt hat. Doch auch in diesem Fall erfor­dert die Bezie­hung eine Ken­nen­lern­phase, damit etwas Ernst­haftes daraus ent­steht.

Die Bezie­hung: Warum über­haupt?

Nun sind die beiden sich aber begegnet. – Wie geht es weiter? Warum lieben bzw. ver­lieben die beiden sich aus­ge­rechnet in die jeweils andere Person? Oder warum schließen sie Freund­schaft mit diesem bestimmten Men­schen?

  • Wie bereits erwähnt, bestehen gerade fik­tive Romanzen über­wie­gend aus sub­stanz­losem Schleck-Schleck-Knutsch-Knutsch-Schlabber-Schlabber.
  • Und auch bei pla­to­ni­schen Bezie­hungen fragt man sich häufig, was um Him­mels Willen diese Figuren ver­bindet.

Sehr pro­mi­nent ist da bei­spiels­weise Sex and the City, mit den vier Freun­dinnen, die im Ver­lauf von sechs Staf­feln und zwei Kino­filmen abge­sehen von Män­nern kaum gemein­same Themen zu haben scheinen. – Ein Umstand, der von einer von ihnen einmal sogar explizit ange­spro­chen wird. Die vier halten zusammen, ein­fach so, weil sie Freun­dinnen sind. Und sie sind Freun­dinnen, weil … Keks.

Im realen Leben hat unsere per­sön­liche Hin­ter­grund­ge­schichte meis­tens einen gra­vie­renden Ein­fluss darauf, mit wel­chen Men­schen wir uns umgeben. Das bedeutet natür­lich nicht, dass es immer nur eine Mög­lich­keit gibt, wie eine bestimmte Ver­gan­gen­heit sich auf gegen­wär­tige Bezie­hungen aus­wirkt:

So kann die junge Erna bei­spiels­weise eine Lie­bes­be­zie­hung mit einem wesent­lich älteren Mann ein­gehen, weil sie einen Vater­kom­plex hat, aber es kann auch sein, dass die beiden aus einem völlig anderen Grund auf einer Wel­len­länge sind und der Alters­un­ter­schied nur ein Zufall ist.

Eine Erklä­rung sollte es idea­ler­weise aber trotzdem geben, sei sie auch noch so implizit:

In Avatar – Der Herr der Ele­mente zum Bei­spiel wird nie explizit erklärt, warum Mai und Ty Lee mit Azula befreundet sind. Und man mag sich diese Frage durchaus stellen, wenn man bedenkt, wie grausam, psy­cho­pa­thisch und nar­ziss­tisch Azula ist. Dafür erfahren wir aber, dass Mai ein chro­nisch gelang­weiltes ade­liges Töch­ter­chen ist, das sich immer zu benehmen und brav zu schweigen hatte. Die Freund­schaft mit der kämp­fe­ri­schen Prin­zessin Azula bringt da offenbar eine sehr will­kom­mene Abwechs­lung in ihr Leben. Ty Lee hin­gegen ist eine von sieben iden­ti­schen Schwes­tern und strebt nach Indi­vi­dua­lität. Und indi­vi­du­eller als eine Freund­schaft mit der schönen, intel­li­genten, starken und in jeder anderen Hin­sicht über­durch­schnitt­lich begabten Prin­zessin Azula geht kaum. Azula wie­derum hat ein Bedürfnis nach Hand­lan­gern, die sie in ihrem Nar­zissmus bestä­tigen. Wie stark dieses Bedürfnis ist, wird sichtbar, als Mai und Ty Lee sich gegen sie wenden und Azula dar­aufhin ver­einsamt und den Ver­stand ver­liert.

Die Bezie­hung: Cha­rakter

Weil die Gründe, warum zwei Men­schen die Gesell­schaft des jeweils anderen suchen, so indi­vi­duell sind wie die Men­schen selbst, hat jede reale Bezie­hung ihren eigenen Cha­rakter. Und gute fik­tive Bezie­hungen tun das eben­falls:

Eine der rea­lis­tischsten und ergrei­fendsten fik­tio­nalen Dar­stel­lungen von Liebe und Freund­schaft ist der Manga und Anime Nana. Es geht um zwei junge Frauen namens Nana, die sich im Zug nach Tokio ken­nen­lernen und eine WG gründen. Die erste Nana ist etwas unselbst­ständig, ver­liebt sich ständig auf den ersten Blick, ist leb­haft und auf­ge­weckt und träumt von einer Zukunft als gute Ehe­frau. Die zweite Nana ist eine Punk-Rock-Sän­gerin und leidet auf­grund ihrer insta­bilen Kind­heit unter Ver­lust­ängsten. Auf den ersten Blick sind sie sehr unter­schied­lich, aber sie ergänzen und unter­stützen sich gegen­seitig, wäh­rend jede ihre Träume zu ver­wirk­li­chen sucht. Und wäh­rend die eine mit der Zeit selbst­stän­diger und ernst­hafter wird, bekommt die andere durch diese Freund­schaft die emo­tio­nale Sta­bi­lität, die sie braucht.

Neben der zen­tralen Bezie­hung, näm­lich der zwi­schen den beiden Nanas, kommen noch zahl­reiche andere Bezie­hungen vor. Die Nanas selbst wan­dern von einer Bezie­hung in die nächste und auch die Neben­fi­guren bauen Bezie­hungen auf. Und obwohl es sehr stark um Show­busi­ness geht, ver­zichtet die Serie auf den übli­chen kit­schigen Zucker­guss und behan­delt auch Themen wie Fremd­gehen und unge­wollte Schwan­ger­schaft. Davon, dass die meisten Bezie­hungen auf­grund der cha­rak­ter­li­chen Schwä­chen der Figuren unge­sunder Natur sind, ganz zu schweigen. Und weil die Figuren ihre höchst eigenen Schwä­chen haben, ergibt die Kom­bi­na­tion dieser Schwä­chen jedes Mal eine hoch­gradig indi­vi­du­elle Bezie­hung. Selbst die wohl gesün­deste Bezie­hung, die Freund­schaft zwi­schen den beiden Nanas, beinhaltet eine gewisse emo­tio­nale Abhän­gig­keit.

Wie Du also siehst, ist die sorg­fäl­tige Her­aus­ar­bei­tung der Figuren für eine Bezie­hung mit indi­vi­du­ellem Cha­rakter essen­tiell:

Wenn die beiden Figuren Oppo­nenten sind, dann müssen sie trotz ihrer Liebe zuein­ander ihre gegen­sei­tigen Schwä­chen angreifen. Wobei der „Angriff“ auch indi­rekt sein kann, bei­spiels­weise in Form einer Kom­fort­zone:

So ergibt sich die emo­tio­nale Abhän­gig­keit zwi­schen den beiden Nanas u. a. dadurch, dass die Punk-Rock-Nana durch die andere Nana die ersehnte emo­tio­nale Sta­bi­lität bekommt, statt zu lernen, sie selbst auf­zu­bauen. Des­wegen hat die Freund­schaft der Punk-Rock-Nana eine besitz­ergrei­fende Note.

Und ja, natür­lich kannst Du auch über zwei Men­schen schreiben, zwi­schen denen Idylle herrscht, aber in der Regel ist das kein allzu span­nender Stoff für eine Geschichte. Doch Aus­nahmen bestä­tigen natür­lich die Regel und es kann durchaus eine Bezie­hung mit einem fla­chen Arc geben:

In einer anderen Manga- bzw. Anime-Serie mit dem Titel My Love Story!! – Ore Mono­ga­tari geht es um eine wei­test­ge­hend intakte Bezie­hung, die sich jedoch gegen äußere Ein­flüsse und Vor­ur­teile behaupten muss.

Die Bezie­hung: Lie­bes­be­weise

Doch was macht eine intakte Bezie­hung über­haupt aus?

Ziehen wir wieder Erich Fromm zurate, so geht es bei der Fähig­keit zu lieben nicht um eine Check­liste, die man abklap­pern muss, son­dern um eine all­ge­meine Lebens­hal­tung. Vor­aus­set­zungen sind dabei Dis­zi­plin, Kon­zen­tra­tion, Geduld und das Wich­tig­nehmen von Liebe in allen Lebens­be­rei­chen. Und außerdem ein Gespür für sich selbst, d. h. das Wahr­nehmen seiner inneren Stimme, sowie Demut, Ver­nunft, Glaube und Mut.

Wer eine aus­führ­liche Erläu­te­rung des Ganzen haben möchte, dem emp­fehle ich das Buch selbst. An dieser Stelle gehe ich aber zum nächsten Schritt über und ver­suche her­zu­leiten, wie sich Liebe als Lebens­hal­tung kon­kret in einer Bezie­hung äußert:

Man lebt im Hier und Jetzt, glaubt an sich und an den Partner und dadurch ist die Bezie­hung vor allem von Ver­trauen geprägt. Man kennt und respek­tiert seine eigenen Bedürf­nisse, ist dabei aber kei­nes­falls nar­ziss­tisch, son­dern schenkt dem Partner sys­te­ma­tisch Auf­merk­sam­keit, nimmt sich Zeit für ihn, hört ihm kon­zen­triert zu, nimmt ihn ernst und fühlt mit ihm. Dass man das wirk­lich tut, merkt bei­spiels­weise daran, dass man Klei­nig­keiten und Details an seinem Partner wahr­nimmt, statt ihn als Selbst­ver­ständ­lich­keit zu betrachten, an der es nichts Neues zu ent­de­cken gibt.

Wie Dir sicher­lich auf­ge­fallen ist, sind das alles Dinge, die für die Ver­liebt­heits­phase cha­rak­te­ris­tisch sind. Der Unter­schied ist jedoch, dass diese Ver­hal­tens­weisen bei unreifer Liebe nach der Ver­liebt­heits­phase ver­fliegen, weil die Indi­vi­duen eben nicht fähig sind, sich dau­er­haft auf­ein­ander zu kon­zen­trieren und sich dis­zi­pli­niert Zeit für­ein­ander zu nehmen, und ihnen der Wille fehlt, die Welt auch mal aus der Sicht des Part­ners zu betrachten und ihm wirk­lich zuzu­hören. Man nimmt sich gegen­seitig als selbst­ver­ständ­lich wahr und lebt sich aus­ein­ander. Und wenn es nicht mehr geht, sucht man sich einen neuen Partner.

Sicher­lich ist Dir außerdem auf­ge­fallen, was fehlt: große, dra­ma­ti­sche Gesten. Das liegt zum einen daran, dass Liebe nichts mit Ver­eh­rung zu tun hat. Zumal die meisten Men­schen ohnehin nicht ange­betet, son­dern wahr­ge­nommen und ver­standen werden wollen. Und vor den­je­nigen, die Anbe­tung wollen, müsste man ohnehin schreiend weg­laufen. Denn das ist ein ein­deu­tiges Warn­si­gnal, dass die Person mas­sive Pro­bleme hat und Dich emo­tional aus­beuten wird.

Zum anderen werden die echten großen Gesten in der Regel nicht als solche erkannt. Nor­ma­ler­weise ver­stehen wir dar­unter dra­ma­ti­sche Auf­tritte in der Öffent­lich­keit, teure Geschenke oder ander­weitig unge­wöhn­liche, große Aktionen. Doch die wahren großen Gesten sind deut­lich weniger thea­tra­lisch und gla­mourös, dafür aber äußerst per­sön­lich:

Als Carrie Brad­shaw, die Prot­ago­nistin der Serie Sex and the City, sich in Aidan ver­liebt und er ihre Gefühle erwi­dert, aber nicht mit einer Rau­cherin zusammen sein kann, gibt sie, eine chro­ni­sche Niko­tin­süch­tige, die selbst an Orten und in Situa­tionen, in denen Rau­chen nicht ange­bracht oder explizit uner­wünscht ist, rück­sichtslos an ihrer Ziga­rette nuckelt, für ihn ihre Sucht auf. Zumin­dest für die Dauer ihrer Bezie­hung mit Aidan. Mit anderen Worten: Sie springt aus Rück­sicht gegen­über einem geliebten Men­schen über ihren Schatten.

Echte große Gesten sind oft auch schwie­riger umzu­setzen als die thea­tra­li­schen, die man in fik­tio­nalen Geschichten oft sieht. Denn was ist die grö­ßere Her­aus­for­de­rung und wert­vol­lere Geste: wenn der Mil­li­ardär Chris­tian Grey seinem Love Inte­rest ein Auto kauft und den finan­zi­ellen Ver­lust nicht einmal spürt (Fifty Shades of Grey) oder wenn die Anwältin Miranda Hobbes die Mutter ihres Ehe­mannes pflegt (Sex and the City)?

Die Bezie­hung: Kon­flikt

Schließ­lich wenden wir uns dem Thema Kon­flikt zu. Denn eine gute Geschichte erfor­dert einen Kon­flikt: einen äußeren oder bezie­hungs­in­ternen Kon­flikt. Oder beides.

  • Äußere Kon­flikte können dabei sehr viel­fältig sein. Klas­siker sind da Krank­heit, Krieg, die Familie min­des­tens einer der beiden Figuren, gesell­schaft­liche Normen, Vor­ur­teile …
  • Bezie­hungs­in­terne Kon­flikte hin­gegen ent­stehen aus der kon­kreten Bezie­hung selbst heraus, aus den Schwä­chen der beiden Figuren. Und auch hier sind die Mög­lich­keiten unbe­grenzt: Viel­leicht ist ein Partner viel zu anhäng­lich, kon­troll­süchtig oder scheinbar emo­ti­onslos? Viel­leicht haben die beiden sich ein­fach aus­ein­an­der­ge­lebt? Oder viel­leicht ist Erna eine Trans­frau und Klaus hat trotz seiner Gefühle für sie Pro­bleme, damit klar­zu­kommen?

An den Kon­flikt sind auch die Cha­rakter-Arcs gekop­pelt:

  • Findet der Kon­flikt nur äußer­lich statt, haben wir, wie an frü­herer Stelle bereits ange­deutet, einen fla­chen Arc, weil die Figuren sich nicht ver­än­dern müssen. Viel­mehr ver­än­dern sie ihr Umfeld.
  • Wenn der Kon­flikt eine bezie­hungs­in­terne Dimen­sion hat, dann kommen die Figuren nicht umhin, sich selbst zu ver­än­dern oder die Bezie­hung auf­zu­geben. Wenn am Ende eine gesunde Bezie­hung her­aus­kommen soll, wird es in den wohl meisten Fällen darum gehen müssen, dass die Figuren an ihrer Selbst­liebe bzw. an ihrem Selbst­wert­ge­fühl und ihrer Empa­thie gegen­über dem Partner arbeiten. Wenn eine gesunde Bezie­hung nicht mög­lich ist, weil sie viel­leicht von Grund auf toxisch ist, dann kann es trotzdem ein Happy End geben, wenn zumin­dest eine Figur sich ent­wi­ckelt, ihren Selbst­wert findet und die Bezie­hung ver­lässt.

Eine ganz beson­dere Note haben Kon­flikte in der Familie. Denn wäh­rend man sich seine Freunde und Lie­bes­partner selbst aus­sucht, wird man in eine Familie ein­fach unge­fragt hin­ein­ge­boren und ist oft mit Men­schen ver­wandt, mit denen man sich „in der freien Wild­bahn“ nie ange­freundet hätte. Mehr als bei jeder anderen Art von Bezie­hung muss man hier Akzep­tanz gegen­über dem anderen lernen. Zwar kann man auch hier grund­sätz­lich den Kon­takt abbre­chen, aber das ist deut­lich schwie­riger als bei freund­schaft­li­chen und roman­ti­schen Bezie­hungen. Blut ist nicht umsonst dicker als Wasser.

Doch egal, welche Art von Bezie­hung Du hast: Es gibt immer die Gefahr, dass der Kon­flikt dumm wird. Und dumm sind Kon­flikte vor allem dann, wenn sie erzwungen sind, nicht orga­nisch aus der Geschichte heraus ent­stehen und nicht zu den Figuren passen. Ein klas­si­sches Bei­spiel sind die bereits erwähnten dummen Miss­ver­ständ­nisse, die man mit einem kurzen Gespräch hätte ver­meiden können. Daher merke:

Ein guter Kon­flikt in einer Geschichte über eine Lie­bes­be­zie­hung hängt mit dem zen­tralen Thema zusammen und ist tief in der Per­sön­lich­keit der Figuren ver­wur­zelt.

Und ja, die Figuren dürfen auch dumme Ent­schei­dungen treffen, solange der Kon­flikt selbst nicht dumm ist. In Nana zum Bei­spiel gibt es so einige dumme Ent­schei­dungen, die auch wirk­lich wehtun, aber sie sind den­noch nach­voll­ziehbar, weil sie orga­nisch aus den Schwä­chen der Figuren erwachsen.

Ein Kon­flikt, der über­durch­schnitt­lich oft dumm ist und gerne noch dümmer auf­ge­löst wird, ent­steht aus Lie­bes­drei­ecken. Denn, wie bereits gesagt, usur­piert die Frage, mit wem der Eck­punkt des Drei­ecks zusam­men­kommt, oft die gesamte Geschichte. Dabei zeigen beide Ver­ehrer häufig äußerst toxi­sche Ver­hal­tens­weisen wie Beläs­ti­gung, Stal­king und Mani­pu­la­tion, sodass eine inner­lich reife Person eigent­lich vor beiden schreiend weg­laufen sollte.

Das macht Lie­bes­drei­ecke an sich nicht schlecht, zumal es auch recht unty­pi­sche, krea­tive Kon­stel­la­tionen gibt:

  • So geht Lebe und denke nicht an morgen bei­spiels­weise weg von der Riva­lität zwi­schen den Ver­eh­rern und sieht fol­gen­der­maßen aus: Rohit liebt Naina, Naina liebt Aman, Aman liebt Naina, aber weil er herz­krank ist und bald sterben wird, lügt er ihr vor, er wäre ver­hei­ratet und ver­sucht, sie mit Rohit zu ver­kup­peln.
  • Span­nend ist auch das Dreieck in Die Legende von Korra, wo Mako erst mit Asami zusammen kommt, dann mit Korra und schließ­lich Korra mit Asami.
  • Und eins meiner liebsten Drei­ecke schließ­lich gab es in einer rus­si­schen Comedy-Sen­dung. Der Sketch wurde ange­kün­digt mit: „Er, sie und ihr Kater“. Und wie Du es schon ahnst, geht es um einen Kater, der sein Revier und vor allem sein Frau­chen nicht mit ihrem Freund teilen will.

Schluss­wort

So viel also zu Liebe und Bezie­hungen. Ergän­zend lässt sich sagen, dass das Ganze natür­lich auch auf poly­amore Bezie­hungen, ganze Fami­lien und Cli­quen von Freunden bezogen werden kann.

Denn in jeder Gruppe steht jedes Mit­glied mit jedem anderen in einer bestimmten Bezie­hung. Man kann somit sagen, dass eine Gruppe im Prinzip aus meh­reren Zwei­er­be­zie­hungen besteht.

Wenn die Geschichte von meh­reren Bezie­hungen inner­halb der Gruppe han­deln soll, hast Du aber natür­lich auto­ma­tisch mehr Auf­wand: Denn hast Du in einer Zwei­er­be­zie­hung eine Zwei­er­be­zie­hung, erwarten Dich in einer Drei­er­be­zie­hung schon drei Zwei­er­be­zie­hungen. Es ent­steht also ein kom­plexes Netz, das eine indi­vi­du­elle Lösung braucht, damit der Stoff in eine ein­zige Geschichte passt.

Im Grunde aber wirst Du bei den meisten Geschichten ohnehin ein kom­plexes Netz hand­haben müssen: Denn hast Du eine Geschichte über ver­bo­tene Liebe, dann mag die Bezie­hung zwi­schen den beiden Lie­benden im Vor­der­grund stehen, im Hin­ter­grund jedoch haben die beiden auch Bezie­hungen zu ihren Fami­lien und Freunden – und diese wie­derum haben Bezie­hungen unter­ein­ander.

In diesem Sinne: Viel Spaß zum Spinnen des Bezie­hungs­netzes!

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