Liebe und Beziehungen sind in fast allen fiktionalen Geschichten zu finden. Kaum ein Buch oder Film kommt ohne Romanze aus und meistens ist es die ach so große, wahre Liebe. – Nur, dass es meistens überhaupt keine Liebe ist, sondern nur ein seichter Hormoncocktail. Auch rein freundschaftliche, familiäre und anderweitige Beziehungen werden gerne idealisiert. Und insgesamt stören diese verzerrten medialen Darstellungen die Entwicklung unserer eigenen Fähigkeit zu lieben. Wie machen wir das also besser?
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So ziemlich alle Geschichten handeln von Liebe. Meistens in Form von zwischenmenschlichen Beziehungen. Und das meistens in Form von romantischen Liebesbeziehungen.
Doch was ist, wenn ich sage, dass es in fiktionalen Geschichten nur sehr wenig richtige Liebe gibt? Zumindest, wenn es um romantische Liebesbeziehungen geht. Und diese falschen romantischen Liebesbeziehungen wiederum drängen alle anderen Formen von Liebe oft in den Hintergrund.
Tatsächlich machen sich aber nicht nur fiktionale Geschichten schuldig. Die Musikindustrie glorifiziert emotionale Abhängigkeit als Ausdruck wahrer Liebe und virale Videos von spektakulären öffentlichen Heiratsanträgen werden viel zu selten als die manipulative Selbstinszenierung klassifiziert, die sie sind.
Und das Ergebnis?
Unsere Kultur normalisiert systematisch toxische Beziehungsverhältnisse, manipuliert unsere Erwartungen und stört die Entwicklung unserer Fähigkeit zu lieben.
Deswegen reden wir in diesem Artikel darüber, wie wir es besser machen können. Wie wir die tiefgründigen Geschichten über echte Liebe schreiben, die die Welt braucht. Und wir gehen auch auf die nicht-romantischen Formen von Liebe ein, weil auch sie Stoff für wertvolle Geschichten liefern.
Problematische Liebesbeziehungen in den Medien
Zählen wir zunächst auf, was in fiktionalen Liebesbeziehungen meistens falsch läuft:
- Es wird die eine große, magische, wahre Liebe propagiert, die unerwartet auf einen herabfällt, ohne dass man dafür etwas tun muss, und alle, alle Probleme löst.
- Natürlich passiert diese große, magische, wahre Liebe auf den ersten Blick, wie ein einschlagender Blitz, der das Leben beider Individuen von einem Moment auf den anderen komplett umkrempelt. Dass man sich in den wenigen Tagen, in denen die Geschichte meistens spielt, gar nicht wirklich kennenlernen kann, ist völlig irrelevant.
- Herabfallen tut die große, magische, wahre Liebe in Form der einen richtigen Person, eines Seelenverwandten, der einen liebt, einfach so, auch wenn man in jeder Hinsicht völlig inkompatibel ist und sich nur streitet.
- Sollte eine geliebte Person dabei zunächst nicht perfekt oder sogar ein manipulatives und/oder gewalttätiges Arschloch sein, muss man sich nur zusammenreißen und die Person stark genug lieben – dann wird sie sich nämlich ändern und zu einem Engel auf Erden mutieren.
- Interessante, originelle, abenteuerlustige oder auch einfach nur außerordentlich gutaussehende und/oder superreiche Menschen verlieben sich Hals über Kopf in 08/15-Otto-Normalverbraucher, mit denen sie rein gar nichts gemeinsam haben. Die 08/15-Otto-Normalverbraucher sind dabei komplett passiv und werden auf extravagante Weise erobert. Das ist für den 08/15-Otto-Normalverbraucher die einzige Quelle von Selbstwertgefühl.
- Romantische Eroberung passiert in der Regel durch große Gesten, die häufig mit Stalking, Erpressung und emotionaler Manipulation einhergehen. Eine Ablehnung als solche zu akzeptieren ist dabei undenkbar. Aber das alles ist in Ordnung und überhaupt keine Belästigung, kein Betrug, kein Missbrauch oder anderweitige Straftat, wenn der Täter verdammt gutaussehend und/oder märchenhaft reich ist.
- Wenn mehr als zwei Personen involviert sind, gibt es ein Liebesdreieck. Und das bedeutet: Alle anderen Konflikte der Geschichte werden bedeutungslos. Wer mit wem zusammenkommt, wird zur zentralen existenziellen Frage des Werkes.
- Kommen die Liebenden endlich zusammen, müssen sie jede Menge künstlicher Hürden lösen, die überwiegend auf Missverständnissen beruhen und die man mit einem kurzen Gespräch hätte vermeiden können.
- Sind alle dummen Missverständnisse überwunden, drückt sich die Harmonie zwischen den Liebenden ausschließlich durch Schleck-Schleck-Knutsch-Knutsch und/oder Sex aus.
- Grundsätzlich muss man auch sagen, dass nur heterosexuelle Beziehungen romantisch sind. Und sobald ein Mann und eine Frau zusammen etwas durchmachen, ist es nur natürlich, dass sie sich verlieben. Dass sie lediglich nur eine platonische Beziehung entwickeln oder wenigstens einer von ihnen homo- oder bisexuell sein könnte, ist völlig undenkbar. Und dass es sich um nicht-binäre oder Transpersonen handeln könnte, ist komplett absurd. Davon, dass wenigstens einer von ihnen schlicht und ergreifend aromantisch und/oder asexuell sein könnte, ganz zu schweigen.
- Die große, magische, wahre Liebe ist übrigens auch viel wichtiger als andere Formen von Liebe wie Familie und Freundschaft und es ist nur gut und richtig, sein komplettes soziales Umfeld für sie zu opfern.
- Und nicht zuletzt: Liebe ist nur für schöne, junge Menschen. Alte, körperbehinderte, durchschnittlich und unterdurchschnittlich schöne Menschen sind die komplett aromantischen und asexuellen Wesen, die es unter schönen, jungen Menschen ja grundsätzlich nicht gibt.
So. Das wären die Punkte, die mir mehr oder weniger spontan einfallen, und es gibt zweifellos noch mehr, was man an der medialen Darstellung von Liebesbeziehungen kritisieren kann. Doch zusammenfassen lässt sich das Problem folgendermaßen:
Es wird sich meistens gar nicht erst bemüht, realistische Liebesbeziehungen darzustellen. Vielmehr möchte man den Rezipienten emotional aufwühlen durch möglichst viele künstliche Hindernisse und das Bedienen der egoistischen Fantasie des Auserwähltseins. Denn ohne Drama und Identifikationspotential kann eine Geschichte schnell langweilig werden.
Das emotionale Aufwühlen ist auch der Grund, warum es in der Regel um Verliebtheit statt um Liebe geht: Denn echte Liebe ist meistens recht unspektakulär, während Verliebtheit hormonbedingt mit starken Gefühlen einhergeht.
Toxische Wirkung
Aber andererseits: Das alles sind doch nur Geschichten, oder? Wir alle wissen, dass sie nicht wahr sind, einfach nur eskapistische Fantasien …
Äh, nein. Es wäre zweifellos schön, wenn wir alle das wirklich wüssten. Doch wir wissen es nur mit dem Kopf.
- Denn die Darstellung von Liebe in den Medien beeinflusst unsere realen Vorstellungen spätestens dann, wenn Paare sich toxische Klischeebomben à la Wie ein einziger Tag anschauen und ein Partner dem anderen daraufhin vorwirft, keine großen, vermeintlich romantischen Gesten zu machen wie der Protagonist Noah.
- Sie beeinflusst uns, wenn Menschen an toxischen Beziehungen festhalten in der Hoffnung, dass der Partner sich ändert.
- Und sie beeinflusst uns, wenn wir uns wie Versager vorkommen, wenn starke Gefühle allein ein Problem nicht lösen können und die Beziehung in die Brüche geht.
Auf CNN.com zitiert Sara Stewart zahlreiche Zuschriften von Lesern, die ihre Filmkritiken gelesen haben und nun ihre persönlichen, oft unschönen Erfahrungen teilen. Ein Leser gibt sogar zu, wegen Missbrauch inhaftiert worden zu sein und dass mediale Darstellungen seine verdrehten Ansichten über Beziehungen durchaus beeinflusst haben.
Und auch wenn man selbst nicht von den medial propagierten toxischen Vorstellungen beeinflusst wird: Die anderen Menschen um einen herum werden es durchaus und klatschen diese Vorstellungen gerne über die Realität.
Beispielsweise bei spektakulären Heiratsanträgen in der Öffentlichkeit: Ein Partner macht den Antrag, ist der Held, und das ungeschriebene Skript erfordert, dass der andere Partner „Ja“ sagt, während die zahlreichen Zeugen das Ganze beobachten und urteilen. Und wenn der Betroffene „Nein“ sagt, steht er schnell als herzloser Bösewicht da, der die große, beneidenswerte Geste nicht zu schätzen weiß. Dabei weiß keiner der Umstehenden, wie es in der Beziehung wirklich aussieht. Und überhaupt: Was geht mich die private Lebensplanung zweier wildfremder Menschen an? Warum muss man aus seinem Privatleben eine Show machen? Das ist, wenn man mich fragt, eine nochmal ganz eigene Diagnose.
Dass bei der klischeehaften Darstellung von Liebesbeziehungen sehr viel repräsentatives Potential verloren geht, muss ich, glaube ich, nicht mehr erwähnen: Denn wir alle wissen, dass mediale Darstellungen massiv dazu beitragen können, bestimmte Dinge ins allgemeine Bewusstsein zu bringen und zu normalisieren. Ich sage dabei nicht, dass man fiktionale Geschichten auf Teufel komm raus mit homosexuellen Paaren fluten muss. Die Mehrheit der realen Menschen ist immer noch heterosexuell. Aber wenn es kaum ernstzunehmende Repräsentationen von homosexuellen Paaren gibt, dann ist das eine eindeutige Unterrepräsentation.
Bei der Flut an romantischen Liebesbeziehungen in den Medien sind auch ernsthafte Auseinandersetzungen mit familiären, freundschaftlichen und anderweitigen Liebesbeziehungen etwas unterrepräsentiert und werden tendenziell idealisiert dargestellt: Familie und Freunde sind immer bedingungslos für den Protagonisten da, zu Hause herrscht eine beneidenswerte Idylle, es gab nie fatale Erziehungsfehler, Freunde haben selbst keine Probleme und sind nie neidisch oder anderweitig unzufrieden mit dem Protagonisten, Haustiere sind immer lieb, anhänglich und treu, die angebetete Gottheit ist stets unterstützend, die eigene Nation spiegelt die eigenen Werte makellos wieder … Und wenn es in einem dieser Bereiche dennoch Konflikte gibt, dann können sie relativ einfach und unkompliziert gelöst werden.
Natürlich gibt es auch viele realistische Darstellungen von nicht-romantischer Liebe. Meiner Beobachtung nach ist das meistens jedoch eher dann der Fall, wenn die nicht-romantische Liebesbeziehung mit dem zentralen Konflikt zusammenhängt. Ist dieser Zusammenhang nicht gegeben, hatte der Protagonist eine in jeder Hinsicht idyllische Kindheit etc. pp. – Was wiederum unsere Vorstellungen davon prägt, was normal ist und was nicht und inwiefern wir an unseren nicht-romantischen Liebesbeziehungen aktiv arbeiten müssen.
Nicht alles ist toxisch
Fairerweise sollte aber auch gesagt werden, dass nicht alles, was nach einer problematischen Darstellung aussieht, eine ist:
- Allem voran sind da beispielsweise Parodien und Satiren wie der Film Verwünscht, in dem Disney seine eigenen Klischees durch den Kakao zieht, oder Die Brautprinzessin die Verfilmung Die Braut des Prinzen.
- An James Camerons Titanic würde ich nur aussetzen, dass die Beziehung zwischen Rose und Jack als große Liebe hingestellt wird. Vielleicht hätte sich daraus eine ernsthafte Liebesbeziehung entwickelt, wenn Jack überlebt hätte, aber so ist die im Film dargestellte Beziehung vorerst nur ein Hormoncocktail, der in Kombination mit dem traumatisierenden Untergang des Schiffs Rose aus ihrer Depression reißt. Mit „ewiger Liebe“ hat das allerdings wenig zu tun, weil die beiden Liebenden zu wenig Zeit miteinander verbracht haben, um zu wissen, ob sie es wirklich ewig miteinander ausgehalten hätten. Die „ewige Liebe“ gilt somit der Erinnerung, nicht der Person.
- Ein weiteres Beispiel für eine kurze, verzweifelte Liebesbeziehung findet sich in Remarques Zeit zu Leben und Zeit zu sterben. Hier steht das Paar unter Zeitdruck, weil die Geschichte während des Zweiten Weltkrieges spielt und der Protagonist, ein Wehrmachtssoldat, nur ein paar Wochen Urlaub hat. In diese paar Wochen wird ein Kennenlernen, Heiraten und möglichst viel Lieben und Leben gequetscht. Auch hier ist es weniger die große Liebe, sondern eher die Einsamkeit zweier verzweifelter Menschen, die komplett desillusioniert sind, nicht mehr an das NS-Regime glauben und von einem „sicheren, guten, einförmigen, bürgerlichen Kuhglück“ träumen. Solche verzweifelten Kriegsehen sind allerdings durchaus ein reales Phänomen. Und ebenso realistisch ist auch das Ende, als die Liebesbeziehung den Protagonisten, als er wieder an der Front ist, nicht mehr „tragen“, emotional stützen, kann.
- Auch Disneys Animationsfilm Die Schöne und das Biest sehe ich als unproblematisch. Hier gibt es oft den Vorwurf, der Film propagiere das Festhalten an toxischen Beziehungen und das Umerziehen des Partners. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass Belle sich erst in das Biest verliebt, als es sein Verhalten ändert. Das Biest wird nicht von Belle umerzogen, sondern es erzieht sich selbst um, als es lernt, dass andere es toll finden, wenn man nett zu ihnen ist.
- Und nicht zuletzt möchte ich Darcys „große Gesten“ in Jane Austens Stolz und Vorurteil in Schutz nehmen. Denn zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass es da tatsächlich Vorwürfe gibt. Wir müssen allerdings bedenken, dass Darcy vorher großen Mist gebaut und mehrere Menschen unglücklich gemacht hat. Seine Fehler wieder auszubügeln ist wohl was Mindeste, was man verlangen kann von jemandem, der sich geirrt hat und dem es leidtut. Auch wenn er dabei vor allem an Elizabeth dachte. Er macht ja keine Show daraus und will eigentlich, dass niemand erfährt, dass er dahintersteckt.
Außerdem möchte ich auch bezüglich LGBTQ+-Beziehungen eins einräumen: In meinem Artikel über starke Frauen habe ich spekuliert, dass eine Harriet Potter sich vielleicht in Cedric Diggory statt in Cho Chang verliebt hätte. Doch warum hätte eine Harriet Potter nicht lesbisch oder bisexuell sein und sich in Cho verlieben und später mit Ginny zusammenkommen können? Diese Frage habe ich mir durchaus gestellt und fand, dass das ein stärkerer Eingriff in die Geschichte wäre als die Änderung eines heterosexuellen Harry Potter in eine ebenso heterosexuelle Harriet Potter.
Die Sache ist, dass die Geschichte in den 90ern spielt und Heterosexualität damals noch mehr als heute als Norm galt. Sich als lesbisch oder bisexuell zu outen wäre somit eine große Sache gewesen, insbesondere für einen Teenager. Dieses Coming-out hätte dem eigentlichen Konflikten der Reihe und der einzelnen Bücher definitiv die „Show“ gestohlen, ohne irgendetwas zu den zentralen Themen beizutragen. – Es sei denn, der Antagonist Lord Voldemort hätte explizit Heteronormativität gepredigt, damit die reinblütigen Hexen und Zauberer sich schön fortpflanzen. Dann hätte Harriets Homo- oder Bisexualität durchaus ein relevantes Gegenstück zu Voldemorts Ideologie gebildet.
Ich fürchte daher, dass es bei LGBTQ+-Beziehungen tatsächlich auf das Setting ankommt. Wählt man ein Setting, in dem eine solche Beziehung mit Hindernissen einhergehen würde, müsste die sexuelle Orientierung bzw. Identität ein zentrales Thema werden. Und Settings, in denen eine solche Beziehung nicht auf Hindernisse stößt und als völlig normal angesehen wird, sind selten.
Was ist Liebe?
Wenn wir aber nun die mediale Darstellung von Liebe kritisieren und überlegen, wie wir das besser machen können, müssen wir uns fragen: Was ist Liebe überhaupt?
Wer meinen Artikel über das Erschaffen von interessanten Figuren kennt, weiß, dass ich ein Fan von Erich Fromms Die Kunst des Liebens bin:
Lässt man die gesellschaftskritischen Aspekte des Buches weg, sagt Fromm im Großen und Ganzen, dass es den meisten Menschen darum geht, geliebt zu werden statt selbst aktiv zu lieben. Man strebe das schöne Gefühl der Verliebtheit an, dem man sich einfach hingibt, und wenn das schöne Gefühl ausgeschöpft ist, suche man sich einfach das nächste Liebesobjekt, das man konsumieren kann. Dieses Verständnis von Liebe habe etwas Marktwirtschaftliches.
Die Antwort auf die existenziellen Fragen des Menscheins sei dagegen richtige, reife Liebe. Dabei komme es nicht auf das Objekt der Liebe an, sondern auf die eigene Fähigkeit zu lieben: Und diese setzt voraus, dass man vor allem sich selbst lieben kann. – Nicht im Sinne von Narzissmus – denn das ist laut Fromm nur ein Symptom fehlender Selbstliebe -, sondern im Sinne von: „Ich bin mir selbst genug, ich bin glücklich mit mir selbst und ich teile mein Glück gerne mit anderen, kümmere mich um sie, erkenne und respektiere sie und übernehme Verantwortung.“
Wie Du also siehst, predigt Fromm genau das Gegenteil von dem, was in den Medien normalerweise als Liebe verkauft wird. Nach dieser Definition sind die meisten Liebenden in fiktionalen Geschichten in Wirklichkeit komplett unfähig zu lieben:
- Denn wer sich nur dem schönen Gefühl hingibt, ist unfähig zu lieben.
- Wem es vor allem darum geht, geliebt zu werden, ist unfähig zu lieben.
- Wer eine geliebte Person nicht loslassen kann, weil er emotional anhängig ist, kann nicht lieben.
- Wer ohne die geliebte Person nicht leben kann, ist nicht fähig zu lieben.
- Wer sich selbst nicht liebt, ist nicht fähig zu lieben.
- Und wer nur einen einzigen Menschen auf der Welt liebt, liebt in Wirklichkeit niemanden.
Fiktive Figuren, die diese Nicht-Liebe praktizieren, sind in dieser Hinsicht eigentlich ziemlich infantil: Denn komplette Hingabe, ein Ausgeliefertsein, das passive Konsumieren, das Sich-Festklammern, die Abhängigkeit und die Fixierung auf einen einzigen oder nur wenige Menschen sind eigentlich charakteristisch für die Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern, nicht eines Erwachsenen zu einem Erwachsenen.
Natürlich ist das aber auch etwas vereinfachend, denn wenn ein realer oder fiktiver Mensch strenggenommen unfähig ist zu lieben, heißt das nicht, dass er nicht trotzdem Anzeichen echter Liebe zeigen kann. Plumpes Beispiel:
Ich gebe offen zu, dass meine Katze im Prinzip mein ganz persönliches, pelziges Antidepressivum ist. Gleichzeitig bereitet es mir aber auch Freude, ihr Freude zu bereiten. Nicht, damit sie mich liebt, denn das tut sie bereits, sondern weil ich sie als fühlendes Wesen respektiere – und das in einem Maß, in dem man von manchen Leuten schiefe Blicke bekommt, weil ich bei wichtigen Entscheidungen unter anderem ihre Interessen bedenke. Ich wiederum finde es abartig, wie viele Menschen meinen, ihre Haustiere zu lieben, ihre emotionalen und psychischen Bedürfnisse aber regelmäßig hintenanstellen, wenn es um Arbeit, Urlaub, die Wohnungseinrichtung oder andere persönliche Bedürfnisse geht. Tieren werden oft Dinge angetan, die man seinen Kindern nicht antun würde. Als wären Tiere weniger wert oder als hätten sie weniger Gefühle.
Ich will nicht sagen, ich wäre Meisterin in Sachen Liebe – wie gesagt, meine Art zu lieben ist immer noch sehr egoistisch -, aber ich maße mir an zu erkennen, wenn andere Menschen noch liebesunfähiger sind als ich. Somit maße ich mir auch an feststellen zu können, dass die Liebesfähigkeit durchaus Abstufungen hat. Denn wie auch Fromm sagt: Liebe ist eine Fähigkeit, die man lernen und üben kann und soll. Somit kann man diese Fähigkeit auch in stärkerem oder schwächerem Maße beherrschen und ich persönlich finde es völlig in Ordnung, wenn eine fiktive Liebesbeziehung nicht perfekt ist, solange sie nicht als die einzig wahre große Liebe hingestellt wird.
Und wenn man die Liebe erst mal beherrscht, ist es im Grunde egal, wen oder was man liebt. Denn richtige, reife Liebe geht ohnehin mit einer Fähigkeit zur Nächstenliebe einher, sodass man die ganze Welt liebt. Allerdings sollte die rein menschliche Kompatibilität meiner Meinung nach trotzdem nicht unter den Tisch fallen:
Denn jemanden zu lieben ist eine Sache, mit ihm sein Leben zu verbringen eine andere.
Du wirst jemanden, dessen Interessen das komplette Gegenteil von deinen Interessen sind, vielleicht tatsächlich lieben können, aber eine Beziehung wird auf Dauer schwierig, weil ihr keinen gemeinsamen Bereich habt, in dem ihr euch begegnen könnt.
An dieser Stelle passt auch eine Frage aus der KreativCrew, in der es um die Kompatibilität von echter Liebe und „härteren Formen von BDSM“ geht. Und passen tut diese Frage, weil es im Grunde ganz egal ist, was zwei Menschen, die sich lieben, miteinander treiben, solange es beide glücklich macht und niemand zu Schaden kommt. Zumal es bei BDSM meines Wissens tatsächlich auch sehr viel um Vertrauen und Verantwortung geht. Problematisch kann es allerdings werden, wenn ein Partner unbedingt BDSM möchte und der andere gar nicht. In diesem Fall wäre es wohl ein Ausdruck von echter Liebe, wenn die beiden ihre Inkompatibilität akzeptieren und getrennte Wege gehen. Oder sich auf eine offene Beziehung einigen, damit der BDSM-Fan seine sexuellen Bedürfnisse mit jemand anderem ausleben kann. – Vorausgesetzt, der Nicht-BDSM-Fan ist damit wirklich einverstanden.
Wir halten also fest:
Echte Liebe ist vor allem eine Fähigkeit, kein Gefühl. Man gibt sich ihr nicht passiv hin, sondern praktiziert sie aktiv. Und eine Grundvoraussetzung, um andere lieben zu können, ist die Liebe zu sich selbst.
Welche Rolle spielt das aber für die Darstellung von Liebe in Geschichten?
Geschichten über Liebe und Beziehungen schreiben
Schauen wir uns die rein technische Seite an und ziehen John Truby zu Rate. In The Anatomy of Story geht er unter anderem auf „Love Stories“ und „Buddy Stories“ ein:
- Bei „Love Stories“, also Liebesgeschichten, sollten die beiden Liebenden vor allem durch die Beziehung zueinander wachsen. Das setzt voraus, dass beide Figuren sorgfältig entwickelt wurden. Wichtig ist aber auch, dass die beiden nicht etwa zwei Helden sind, sondern der eine sollte der eigentliche Protagonist sein und der andere sein Hauptopponent. Wie in dem Artikel über die Figuren-Konstellation bereits erläutert, bedeutet „Opponent“ nicht, dass die beiden Feinde sind. Der Held bzw. Protagonist und sein Hauptopponent können einem oder mehreren gemeinsamen Antagonisten entgegentreten. Aber wenn es primär um die Beziehung geht, ein gegenseitiges Herausfordern, dann ist der Love Interest des Protagonisten eben sein Opponent, der ihn herausfordert wie kein anderer und durch den er wächst.
- Auch bei „Buddy Stories“ geht es laut Truby um eine Opposition zwischen den beiden Figuren. Gleichzeitig sind sie aber auch zwei Teile eines Ganzen, die sich durch ihre Anschauungen und Fähigkeiten gegenseitig ergänzen. Weil aber eine Opposition vorliegt, sollte ein „Buddy“ die zentralere Rolle haben, d. h. der Protagonist sein. Trotz der Opposition und ihres internen Konflikts stellen sich die beiden „Buddies“ aber gemeinsam anderen Opponenten, die die verschiedenen Aspekte einer Gesellschaft spiegeln, die den beiden gegenüber feindlich eingestellt ist und/oder sie trennen will.
Ich persönlich finde nicht, dass man einen allzu klaren Unterschied zwischen „Love Story“ und „Buddy Story“ machen kann. Mehr noch: Ich würde sogar sagen, dass eine richtig gute Geschichte über Liebe – egal, ob romantisch oder nicht – mehr oder weniger beide Typen in sich vereinigt. Soll heißen:
Technisch gesehen dreht sich eine gute Geschichte über romantische, freundschaftliche, familiäre oder anderweitige Liebe meiner Meinung nach vor allem um die Opposition zwischen zwei fein herausgearbeiteten Figuren, die sich gegenseitig herausfordern und dadurch wachsen und evtl. gemeinsam eine oder mehrere äußere Herausforderungen bestehen.
So viel zum Skelett. Aber wie sollte das „Fleisch“ aussehen, vor allem vor dem Hintergrund unserer Definition von Liebe?
Die Begegnung
Damit Liebe entstehen kann, müssen die Figuren sich als Erstes begegnen. Das kann noch vor dem Beginn der Geschichte passieren und im Fall von Familienbeziehungen beginnt die Bekanntschaft meistens sogar schon mit der Geburt. – Es sei denn, die beiden Familienmitglieder sind sich tatsächlich noch nie begegnet, weil die Familie auseinandergerissen wurde oder sowas.
Wenn die Figuren, um die es geht, sich aber nicht bereits kennen, müssen sie sich irgendwie über den Weg laufen. Im Fall von romantischer Liebe bezeichnet man das im Englischen als „Meet Cute“. Allerdings kann eine erste Begegnung, wie gesagt, auch in Geschichten über beispielsweise Freundschaft als besonderer Moment gezeigt werden.
Während solche erste Begegnungen im realen Leben meistens recht langweilig sind, erfordern sie in fiktionalen Werken oft etwas Einprägsames, damit sie das Interesse des Rezipienten wecken und ihm den Gedanken einpflanzen, dass die beiden Figuren sich verlieben oder Freunde werden könnten. Deswegen hat der YouTube-Kanal StudioBinder speziell für romantische Meet Cutes eine Übersicht von vier Typen zusammengestellt:
- Bei Pull/Pull ist von vornherein eine gegenseitige Anziehung vorhanden.
- Bei Push/Push hingegen sind die beiden sich zunächst feindlich gesinnt, finden später jedoch zueinander.
- Bei Push/Pull fühlt sich einer angezogen und der andere flieht bzw. widersteht den Avancen und muss erobert werden.
- Und bei Neutral/Nervous schließlich hätten die beiden sich vermutlich nicht einmal bemerkt, wenn einer von ihnen, der „Nervöse“, nicht gestolpert wäre oder sich anderweitig ungeschickt angestellt oder unkonventionell verhalten hätte.
Im Zusammenhang mit der ersten Begegnung sieht man in fiktionalen Werken oft auch Liebe auf den ersten Blick. Ich will nicht abstreiten, dass man sich rein hormonell auf den ersten Blick verlieben oder im Sinne von Nächstenliebe von Liebe sprechen kann. Doch für eine reife Liebesbeziehung, die ja Bekanntschaft mit dem anderen und Kompatibilität erfordert, ist es definitiv zu früh.
Wobei man hier auch sagen soll, dass man manchmal recht schnell merken kann, dass das Gegenüber gutes Beziehungs- bzw. Freundschaftsmaterial ist. Menschen geben nun mal durch ihr bloßes Auftreten, ihr Outfit, ihre Gestik, ihre Stimmführung etc. sehr viel über sich preis. Gleichzeitig läuft man aber auch Gefahr, auf den anderen Menschen irgendetwas zu projizieren, das auf ihn aber überhaupt nicht zutrifft.
Deswegen würde ich sagen, dass Liebe oder auch Freundschaft auf den ersten Blick eigentlich nur funktioniert, wenn man sein Gegenüber im ersten Moment korrekt eingeschätzt hat. Doch auch in diesem Fall erfordert die Beziehung eine Kennenlernphase, damit etwas Ernsthaftes daraus entsteht.
Die Beziehung: Warum überhaupt?
Nun sind die beiden sich aber begegnet. – Wie geht es weiter? Warum lieben bzw. verlieben die beiden sich ausgerechnet in die jeweils andere Person? Oder warum schließen sie Freundschaft mit diesem bestimmten Menschen?
- Wie bereits erwähnt, bestehen gerade fiktive Romanzen überwiegend aus substanzlosem Schleck-Schleck-Knutsch-Knutsch-Schlabber-Schlabber.
- Und auch bei platonischen Beziehungen fragt man sich häufig, was um Himmels Willen diese Figuren verbindet.
Sehr prominent ist da beispielsweise Sex and the City, mit den vier Freundinnen, die im Verlauf von sechs Staffeln und zwei Kinofilmen abgesehen von Männern kaum gemeinsame Themen zu haben scheinen. – Ein Umstand, der von einer von ihnen einmal sogar explizit angesprochen wird. Die vier halten zusammen, einfach so, weil sie Freundinnen sind. Und sie sind Freundinnen, weil … Keks.
Im realen Leben hat unsere persönliche Hintergrundgeschichte meistens einen gravierenden Einfluss darauf, mit welchen Menschen wir uns umgeben. Das bedeutet natürlich nicht, dass es immer nur eine Möglichkeit gibt, wie eine bestimmte Vergangenheit sich auf gegenwärtige Beziehungen auswirkt:
So kann die junge Erna beispielsweise eine Liebesbeziehung mit einem wesentlich älteren Mann eingehen, weil sie einen Vaterkomplex hat, aber es kann auch sein, dass die beiden aus einem völlig anderen Grund auf einer Wellenlänge sind und der Altersunterschied nur ein Zufall ist.
Eine Erklärung sollte es idealerweise aber trotzdem geben, sei sie auch noch so implizit:
In Avatar – Der Herr der Elemente zum Beispiel wird nie explizit erklärt, warum Mai und Ty Lee mit Azula befreundet sind. Und man mag sich diese Frage durchaus stellen, wenn man bedenkt, wie grausam, psychopathisch und narzisstisch Azula ist. Dafür erfahren wir aber, dass Mai ein chronisch gelangweiltes adeliges Töchterchen ist, das sich immer zu benehmen und brav zu schweigen hatte. Die Freundschaft mit der kämpferischen Prinzessin Azula bringt da offenbar eine sehr willkommene Abwechslung in ihr Leben. Ty Lee hingegen ist eine von sieben identischen Schwestern und strebt nach Individualität. Und individueller als eine Freundschaft mit der schönen, intelligenten, starken und in jeder anderen Hinsicht überdurchschnittlich begabten Prinzessin Azula geht kaum. Azula wiederum hat ein Bedürfnis nach Handlangern, die sie in ihrem Narzissmus bestätigen. Wie stark dieses Bedürfnis ist, wird sichtbar, als Mai und Ty Lee sich gegen sie wenden und Azula daraufhin vereinsamt und den Verstand verliert.
Die Beziehung: Charakter
Weil die Gründe, warum zwei Menschen die Gesellschaft des jeweils anderen suchen, so individuell sind wie die Menschen selbst, hat jede reale Beziehung ihren eigenen Charakter. Und gute fiktive Beziehungen tun das ebenfalls:
Eine der realistischsten und ergreifendsten fiktionalen Darstellungen von Liebe und Freundschaft ist der Manga und Anime Nana. Es geht um zwei junge Frauen namens Nana, die sich im Zug nach Tokio kennenlernen und eine WG gründen. Die erste Nana ist etwas unselbstständig, verliebt sich ständig auf den ersten Blick, ist lebhaft und aufgeweckt und träumt von einer Zukunft als gute Ehefrau. Die zweite Nana ist eine Punk-Rock-Sängerin und leidet aufgrund ihrer instabilen Kindheit unter Verlustängsten. Auf den ersten Blick sind sie sehr unterschiedlich, aber sie ergänzen und unterstützen sich gegenseitig, während jede ihre Träume zu verwirklichen sucht. Und während die eine mit der Zeit selbstständiger und ernsthafter wird, bekommt die andere durch diese Freundschaft die emotionale Stabilität, die sie braucht.
Neben der zentralen Beziehung, nämlich der zwischen den beiden Nanas, kommen noch zahlreiche andere Beziehungen vor. Die Nanas selbst wandern von einer Beziehung in die nächste und auch die Nebenfiguren bauen Beziehungen auf. Und obwohl es sehr stark um Showbusiness geht, verzichtet die Serie auf den üblichen kitschigen Zuckerguss und behandelt auch Themen wie Fremdgehen und ungewollte Schwangerschaft. Davon, dass die meisten Beziehungen aufgrund der charakterlichen Schwächen der Figuren ungesunder Natur sind, ganz zu schweigen. Und weil die Figuren ihre höchst eigenen Schwächen haben, ergibt die Kombination dieser Schwächen jedes Mal eine hochgradig individuelle Beziehung. Selbst die wohl gesündeste Beziehung, die Freundschaft zwischen den beiden Nanas, beinhaltet eine gewisse emotionale Abhängigkeit.
Wie Du also siehst, ist die sorgfältige Herausarbeitung der Figuren für eine Beziehung mit individuellem Charakter essentiell:
Wenn die beiden Figuren Opponenten sind, dann müssen sie trotz ihrer Liebe zueinander ihre gegenseitigen Schwächen angreifen. Wobei der „Angriff“ auch indirekt sein kann, beispielsweise in Form einer Komfortzone:
So ergibt sich die emotionale Abhängigkeit zwischen den beiden Nanas u. a. dadurch, dass die Punk-Rock-Nana durch die andere Nana die ersehnte emotionale Stabilität bekommt, statt zu lernen, sie selbst aufzubauen. Deswegen hat die Freundschaft der Punk-Rock-Nana eine besitzergreifende Note.
Und ja, natürlich kannst Du auch über zwei Menschen schreiben, zwischen denen Idylle herrscht, aber in der Regel ist das kein allzu spannender Stoff für eine Geschichte. Doch Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und es kann durchaus eine Beziehung mit einem flachen Arc geben:
In einer anderen Manga- bzw. Anime-Serie mit dem Titel My Love Story!! – Ore Monogatari geht es um eine weitestgehend intakte Beziehung, die sich jedoch gegen äußere Einflüsse und Vorurteile behaupten muss.
Die Beziehung: Liebesbeweise
Doch was macht eine intakte Beziehung überhaupt aus?
Ziehen wir wieder Erich Fromm zurate, so geht es bei der Fähigkeit zu lieben nicht um eine Checkliste, die man abklappern muss, sondern um eine allgemeine Lebenshaltung. Voraussetzungen sind dabei Disziplin, Konzentration, Geduld und das Wichtignehmen von Liebe in allen Lebensbereichen. Und außerdem ein Gespür für sich selbst, d. h. das Wahrnehmen seiner inneren Stimme, sowie Demut, Vernunft, Glaube und Mut.
Wer eine ausführliche Erläuterung des Ganzen haben möchte, dem empfehle ich das Buch selbst. An dieser Stelle gehe ich aber zum nächsten Schritt über und versuche herzuleiten, wie sich Liebe als Lebenshaltung konkret in einer Beziehung äußert:
Man lebt im Hier und Jetzt, glaubt an sich und an den Partner und dadurch ist die Beziehung vor allem von Vertrauen geprägt. Man kennt und respektiert seine eigenen Bedürfnisse, ist dabei aber keinesfalls narzisstisch, sondern schenkt dem Partner systematisch Aufmerksamkeit, nimmt sich Zeit für ihn, hört ihm konzentriert zu, nimmt ihn ernst und fühlt mit ihm. Dass man das wirklich tut, merkt beispielsweise daran, dass man Kleinigkeiten und Details an seinem Partner wahrnimmt, statt ihn als Selbstverständlichkeit zu betrachten, an der es nichts Neues zu entdecken gibt.
Wie Dir sicherlich aufgefallen ist, sind das alles Dinge, die für die Verliebtheitsphase charakteristisch sind. Der Unterschied ist jedoch, dass diese Verhaltensweisen bei unreifer Liebe nach der Verliebtheitsphase verfliegen, weil die Individuen eben nicht fähig sind, sich dauerhaft aufeinander zu konzentrieren und sich diszipliniert Zeit füreinander zu nehmen, und ihnen der Wille fehlt, die Welt auch mal aus der Sicht des Partners zu betrachten und ihm wirklich zuzuhören. Man nimmt sich gegenseitig als selbstverständlich wahr und lebt sich auseinander. Und wenn es nicht mehr geht, sucht man sich einen neuen Partner.
Sicherlich ist Dir außerdem aufgefallen, was fehlt: große, dramatische Gesten. Das liegt zum einen daran, dass Liebe nichts mit Verehrung zu tun hat. Zumal die meisten Menschen ohnehin nicht angebetet, sondern wahrgenommen und verstanden werden wollen. Und vor denjenigen, die Anbetung wollen, müsste man ohnehin schreiend weglaufen. Denn das ist ein eindeutiges Warnsignal, dass die Person massive Probleme hat und Dich emotional ausbeuten wird.
Zum anderen werden die echten großen Gesten in der Regel nicht als solche erkannt. Normalerweise verstehen wir darunter dramatische Auftritte in der Öffentlichkeit, teure Geschenke oder anderweitig ungewöhnliche, große Aktionen. Doch die wahren großen Gesten sind deutlich weniger theatralisch und glamourös, dafür aber äußerst persönlich:
Als Carrie Bradshaw, die Protagonistin der Serie Sex and the City, sich in Aidan verliebt und er ihre Gefühle erwidert, aber nicht mit einer Raucherin zusammen sein kann, gibt sie, eine chronische Nikotinsüchtige, die selbst an Orten und in Situationen, in denen Rauchen nicht angebracht oder explizit unerwünscht ist, rücksichtslos an ihrer Zigarette nuckelt, für ihn ihre Sucht auf. Zumindest für die Dauer ihrer Beziehung mit Aidan. Mit anderen Worten: Sie springt aus Rücksicht gegenüber einem geliebten Menschen über ihren Schatten.
Echte große Gesten sind oft auch schwieriger umzusetzen als die theatralischen, die man in fiktionalen Geschichten oft sieht. Denn was ist die größere Herausforderung und wertvollere Geste: wenn der Milliardär Christian Grey seinem Love Interest ein Auto kauft und den finanziellen Verlust nicht einmal spürt (Fifty Shades of Grey) oder wenn die Anwältin Miranda Hobbes die Mutter ihres Ehemannes pflegt (Sex and the City)?
Die Beziehung: Konflikt
Schließlich wenden wir uns dem Thema Konflikt zu. Denn eine gute Geschichte erfordert einen Konflikt: einen äußeren oder beziehungsinternen Konflikt. Oder beides.
- Äußere Konflikte können dabei sehr vielfältig sein. Klassiker sind da Krankheit, Krieg, die Familie mindestens einer der beiden Figuren, gesellschaftliche Normen, Vorurteile …
- Beziehungsinterne Konflikte hingegen entstehen aus der konkreten Beziehung selbst heraus, aus den Schwächen der beiden Figuren. Und auch hier sind die Möglichkeiten unbegrenzt: Vielleicht ist ein Partner viel zu anhänglich, kontrollsüchtig oder scheinbar emotionslos? Vielleicht haben die beiden sich einfach auseinandergelebt? Oder vielleicht ist Erna eine Transfrau und Klaus hat trotz seiner Gefühle für sie Probleme, damit klarzukommen?
An den Konflikt sind auch die Charakter-Arcs gekoppelt:
- Findet der Konflikt nur äußerlich statt, haben wir, wie an früherer Stelle bereits angedeutet, einen flachen Arc, weil die Figuren sich nicht verändern müssen. Vielmehr verändern sie ihr Umfeld.
- Wenn der Konflikt eine beziehungsinterne Dimension hat, dann kommen die Figuren nicht umhin, sich selbst zu verändern oder die Beziehung aufzugeben. Wenn am Ende eine gesunde Beziehung herauskommen soll, wird es in den wohl meisten Fällen darum gehen müssen, dass die Figuren an ihrer Selbstliebe bzw. an ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Empathie gegenüber dem Partner arbeiten. Wenn eine gesunde Beziehung nicht möglich ist, weil sie vielleicht von Grund auf toxisch ist, dann kann es trotzdem ein Happy End geben, wenn zumindest eine Figur sich entwickelt, ihren Selbstwert findet und die Beziehung verlässt.
Eine ganz besondere Note haben Konflikte in der Familie. Denn während man sich seine Freunde und Liebespartner selbst aussucht, wird man in eine Familie einfach ungefragt hineingeboren und ist oft mit Menschen verwandt, mit denen man sich „in der freien Wildbahn“ nie angefreundet hätte. Mehr als bei jeder anderen Art von Beziehung muss man hier Akzeptanz gegenüber dem anderen lernen. Zwar kann man auch hier grundsätzlich den Kontakt abbrechen, aber das ist deutlich schwieriger als bei freundschaftlichen und romantischen Beziehungen. Blut ist nicht umsonst dicker als Wasser.
Doch egal, welche Art von Beziehung Du hast: Es gibt immer die Gefahr, dass der Konflikt dumm wird. Und dumm sind Konflikte vor allem dann, wenn sie erzwungen sind, nicht organisch aus der Geschichte heraus entstehen und nicht zu den Figuren passen. Ein klassisches Beispiel sind die bereits erwähnten dummen Missverständnisse, die man mit einem kurzen Gespräch hätte vermeiden können. Daher merke:
Ein guter Konflikt in einer Geschichte über eine Liebesbeziehung hängt mit dem zentralen Thema zusammen und ist tief in der Persönlichkeit der Figuren verwurzelt.
Und ja, die Figuren dürfen auch dumme Entscheidungen treffen, solange der Konflikt selbst nicht dumm ist. In Nana zum Beispiel gibt es so einige dumme Entscheidungen, die auch wirklich wehtun, aber sie sind dennoch nachvollziehbar, weil sie organisch aus den Schwächen der Figuren erwachsen.
Ein Konflikt, der überdurchschnittlich oft dumm ist und gerne noch dümmer aufgelöst wird, entsteht aus Liebesdreiecken. Denn, wie bereits gesagt, usurpiert die Frage, mit wem der Eckpunkt des Dreiecks zusammenkommt, oft die gesamte Geschichte. Dabei zeigen beide Verehrer häufig äußerst toxische Verhaltensweisen wie Belästigung, Stalking und Manipulation, sodass eine innerlich reife Person eigentlich vor beiden schreiend weglaufen sollte.
Das macht Liebesdreiecke an sich nicht schlecht, zumal es auch recht untypische, kreative Konstellationen gibt:
- So geht Lebe und denke nicht an morgen beispielsweise weg von der Rivalität zwischen den Verehrern und sieht folgendermaßen aus: Rohit liebt Naina, Naina liebt Aman, Aman liebt Naina, aber weil er herzkrank ist und bald sterben wird, lügt er ihr vor, er wäre verheiratet und versucht, sie mit Rohit zu verkuppeln.
- Spannend ist auch das Dreieck in Die Legende von Korra, wo Mako erst mit Asami zusammen kommt, dann mit Korra und schließlich Korra mit Asami.
- Und eins meiner liebsten Dreiecke schließlich gab es in einer russischen Comedy-Sendung. Der Sketch wurde angekündigt mit: „Er, sie und ihr Kater“. Und wie Du es schon ahnst, geht es um einen Kater, der sein Revier und vor allem sein Frauchen nicht mit ihrem Freund teilen will.
Schlusswort
So viel also zu Liebe und Beziehungen. Ergänzend lässt sich sagen, dass das Ganze natürlich auch auf polyamore Beziehungen, ganze Familien und Cliquen von Freunden bezogen werden kann.
Denn in jeder Gruppe steht jedes Mitglied mit jedem anderen in einer bestimmten Beziehung. Man kann somit sagen, dass eine Gruppe im Prinzip aus mehreren Zweierbeziehungen besteht.
Wenn die Geschichte von mehreren Beziehungen innerhalb der Gruppe handeln soll, hast Du aber natürlich automatisch mehr Aufwand: Denn hast Du in einer Zweierbeziehung eine Zweierbeziehung, erwarten Dich in einer Dreierbeziehung schon drei Zweierbeziehungen. Es entsteht also ein komplexes Netz, das eine individuelle Lösung braucht, damit der Stoff in eine einzige Geschichte passt.
Im Grunde aber wirst Du bei den meisten Geschichten ohnehin ein komplexes Netz handhaben müssen: Denn hast Du eine Geschichte über verbotene Liebe, dann mag die Beziehung zwischen den beiden Liebenden im Vordergrund stehen, im Hintergrund jedoch haben die beiden auch Beziehungen zu ihren Familien und Freunden – und diese wiederum haben Beziehungen untereinander.
In diesem Sinne: Viel Spaß zum Spinnen des Beziehungsnetzes!