Wiedergabe von Handlung im Roman: Aufbau von Absätzen und Kapiteln, Logikfluss und Szenenübergänge

Wiedergabe von Handlung im Roman: Aufbau von Absätzen und Kapiteln, Logikfluss und Szenenübergänge

In einer Geschich­te pas­sie­ren Din­ge. Aber wie gibt man das wie­der? Wie baut man Absät­ze auf? Sze­nen? Kapi­tel? Wie schafft man es, dass alles logisch auf­ein­an­der auf­baut und der Leser dem Erzähl­fluss leicht fol­gen kann? Das schau­en wir uns in die­sem Arti­kel an.

Die Foli­en für die­ses Video gibt es für Ste­ady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Download.

Du schreibst gran­dio­se Dia­lo­ge. Dei­ne Beschrei­bun­gen sor­gen für erst­klas­si­ges Kopf­ki­no. Dei­ne Spra­che ist leicht und flüs­sig. – Und den­noch stimmt etwas nicht.

Viel­leicht kennst Du es, wenn Du eine Erzäh­lung liest und uner­war­tet stol­perst: „Huch, wo kommt das denn her?“ Oder: „War­um sind wir denn schon beim B? Wo ist das A?“ Oder: „Was hat das denn mit dem The­ma zu tun?“

Das Erzäh­len ist vor allem das Beschrei­ben einer Zustands­ver­än­de­rung, also die Wie­der­ga­be von Handlung.

Und wäh­rend es aller­lei Tipps für Dia­lo­ge, Beschrei­bun­gen, Schreib­stil etc. gibt, fin­det man erstaun­lich sel­ten Tipps für das Wie­der­ge­ben des Gesche­hens an sich. Dabei kann man auch hier vie­les falsch machen.

Des­we­gen wid­men wir uns heu­te dem Logik­fluss beim Erzäh­len, schnei­den das Erzähl­tem­po an und reden über Über­gän­ge zwi­schen Sze­nen und Kapiteln.

Einleitung, Hauptteil, Schluss

Das Wich­tigs­te bei der Wie­der­ga­be von Gesche­hen ist, dass der Rezi­pi­ent die­ser Wie­der­ga­be über­haupt fol­gen kann. Und hier gel­ten eini­ge Prin­zi­pi­en, die man vor allem von Sach­tex­ten kennt. An aller­ers­ter Stel­le: der klas­si­sche Auf­bau von Ein­lei­tung, Haupt­teil und Schluss. Man wählt eine sol­che Struk­tur nicht, weil sie einem in der Schu­le vom Deutsch­leh­rer ein­ge­trich­tert wur­de, son­dern weil sie den Rezi­pi­en­ten bei der Hand nimmt und durch das The­ma führt:

  • In der Ein­lei­tung erfährt der Rezi­pi­ent, wor­auf er sich ein­stel­len soll. Im Fall von Sach­tex­ten ist das eine Erläu­te­rung, wor­um es in dem Text gehen wird, war­um das The­ma rele­vant ist und wie es im Text ange­gan­gen wird. Im Fall von fik­tio­na­len Tex­ten – einer Erzäh­lung ins­ge­samt, ein­zel­nen Kapi­teln, Sze­nen oder sogar ein­zel­nen Absät­zen – erfährt der Rezi­pi­ent eben­falls, wor­um es im Text bzw. im jewei­li­gen Abschnitt geht. Unter ande­rem des­we­gen soll­ten Autoren den Haupt­kon­flikt ihrer Erzäh­lung so früh wie mög­lich anspre­chen oder zumin­dest andeuten.
  • Im Haupt­teil geht es ans Ein­ge­mach­te. Bei Sach­tex­ten ist das ein Zusam­men­tra­gen und Ord­nen von Infor­ma­ti­on, eine Erläu­te­rung von Zusam­men­hän­gen und ggf. eine Ana­ly­se. Bei fik­tio­na­len Tex­ten geht es auf dem Makro­le­vel des Gesamt­werks um die Ent­wick­lung des Kon­flikts und auf dem Mikro­le­vel von Kapi­teln, Sze­nen und Absät­zen um die ein­zel­nen Details.
  • Im Schluss­teil wird das Gan­ze schließ­lich „abge­run­det“. Alles wird in weni­gen Wor­ten noch ein­mal zusam­men­ge­fasst und eine Ana­ly­se bekommt ihr Fazit. In einem fik­tio­na­len Text wird der Haupt­kon­flikt auf­ge­löst und ein neu­er Sta­tus Quo eta­bliert. Auch auf dem Mikro­le­vel wird im Prin­zip ein Fazit gezo­gen und der Rezi­pi­ent erfährt, was der jewei­li­ge Abschnitt denn jetzt bedeu­tet. Evtl. wird auch eine Über­lei­tung zum nächs­ten Abschnitt hergestellt.

Einleitung, Hauptteil und Schluss bei Absätzen

Wäh­rend ich davon aus­ge­he, dass Du mit die­ser Drei­tei­lung der Gesamt­hand­lung fik­tio­na­ler Tex­te bereits ver­traut bist, braucht die Mikroebe­ne sicher­lich noch ein Bei­spiel. Neh­men wir also an, Du beschreibst in einem Absatz, wie ein typi­scher Tag im Leben des Prot­ago­nis­ten abläuft:

„Fritz­chens All­tag war der Stoff, aus dem Schlaf­ta­blet­ten gemacht wer­den. Mor­gens auf­ste­hen, dann Schu­le, ein Bun­ker aus den Sieb­zi­gern. Stun­den­lan­ges Sit­zen und Tafel­an­star­ren. – Und Tafel­an­star­ren war wich­tig, denn wenn er aus dem Fens­ter starr­te, dann bemerk­ten die Leh­rer recht schnell, dass er gedank­lich abschweif­te. Doch wenn er sei­nen Blick stur auf die Tafel hef­te­te, glaub­ten sie, er wür­de auf­pas­sen. Das sag­ten sie ihm am Ende jedes Halb­jah­res bei der Noten­be­spre­chung. Nicht ahnend, dass er in Wirk­lich­keit frem­de Wel­ten bereis­te und Dra­chen töte­te. – Etwas, das er am Nach­mit­tag am Com­pu­ter fort­setz­te. Sei­ne Haus­auf­ga­ben mach­te er erst abends, mit einem Gehirn aus Wat­te, und es mach­te ihn so müde, dass er anschlie­ßend ohne Pro­ble­me ins Reich der Träu­me, in ande­re Wel­ten und zu ande­ren Dra­chen entfloh.“

Am Anfang des Absat­zes machst Du klar, dass es um einen typi­schen Tag im Leben des Prot­ago­nis­ten geht, hier sogar mit dem Kon­flikt, dass Fritz­chen sich lang­weilt. Der Groß­teil des Absat­zes dreht sich um die Ein­zel­hei­ten die­ses Tages­ab­laufs und wie Fritz­chen vor der Lan­ge­wei­le flieht. Der Absatz endet mit dem Abend, pas­send zum Beginn am Mor­gen, womit der Kreis­lauf geschlos­sen wird. Außer­dem wird im letz­ten Teil des letz­ten Sat­zes noch ein­mal die stän­di­ge inner­li­che Flucht aus dem All­tag unterstrichen.

Grund­sätz­lich kön­nen ein­zel­ne Tei­le – gera­de Ein­lei­tung und Schluss – aus sti­lis­ti­schen Grün­den weg­ge­las­sen wer­den, aber nor­ma­ler­wei­se wirkt so etwas schnell abge­hackt, unvoll­stän­dig und führt beim Leser zu einem: „Hä? Wo kommt das denn jetzt her? Was ist der Sinn des Gan­zen? Müss­te da nicht noch etwas kommen?“

Das Prinzip von Thema und Rhema

Bei dem Bei­spiel ist Dir sicher­lich auch auf­ge­fal­len, dass die ein­zel­nen Teil­in­for­ma­tio­nen mit­ein­an­der ver­ket­tet sind: Das eine führt zum ande­ren. Und um die­ses Prin­zip zu erklä­ren, brau­chen wir die lin­gu­is­ti­sche The­ma-Rhe­ma-Glie­de­rung:

Eine Äuße­rung kann man auf­tei­len in eine bereits bekann­te Infor­ma­ti­on – das The­ma – und eine neue Infor­ma­ti­on – das Rhe­ma. Wäh­rend es Äuße­run­gen ohne The­ma geben kann, beson­ders am Anfang eines Tex­tes, wo noch alle Infor­ma­tio­nen neu sind, ist eine Äuße­rung ohne Rhe­ma herz­lich sinn­frei bzw. unnö­tig. Denn wozu etwas sagen, wenn es nichts Neu­es beiträgt?

Um die­sen sper­ri­gen lin­gu­is­ti­schen Stoff aber nun auch an einem Bei­spiel zu erläutern:

„Fritz­chens All­tag war der Stoff, aus dem Schlaf­ta­blet­ten gemacht werden.“

Das The­ma die­ses Sat­zes ist Fritz­chen bzw. spe­zi­el­ler: sein All­tag. Weil er der Prot­ago­nist der Geschich­te ist, stellt er eine bereits bekann­te Infor­ma­ti­on dar. Die neue Infor­ma­ti­on, das Rhe­ma, ist die Langeweile.

Nun fol­gen in einem Text aber vie­le Sät­ze auf­ein­an­der und es gibt drei Mög­lich­kei­ten, wie The­ma und Rhe­ma sie ver­bin­den kön­nen:

  • Das Rhe­ma des ers­ten Sat­zes ist das The­ma des nächsten.

„Doch wenn er sei­nen Blick stur auf die Tafel hef­te­te, glaub­ten sie, er wür­de auf­pas­sen. Das sag­ten sie ihm am Ende jedes Halb­jah­res bei der Notenbesprechung.“

Dass Fritz­chen die Tafel anstarrt, wis­sen wir bereits, also ist es das The­ma des ers­ten Sat­zes. Dass die Leh­rer dadurch glau­ben, er wür­de auf­pas­sen, ist eine neue Infor­ma­ti­on und damit das Rhe­ma. Im nächs­ten Satz ist die Infor­ma­ti­on, dass die Leh­rer glau­ben, er wür­de auf­pas­sen, bereits bekannt und damit das The­ma. Dass sie es ihm am Ende jedes Halb­jah­res bei der Noten­be­spre­chung sagen, ist die neue Infor­ma­ti­on und damit das neue Rhema.

  • Das The­ma des ers­ten Sat­zes ist auch das The­ma des nächsten.

„Und Tafel­an­star­ren war wich­tig, denn wenn er aus dem Fens­ter starr­te, dann bemerk­ten die Leh­rer recht schnell, dass er gedank­lich abschweif­te. Doch wenn er sei­nen Blick stur auf die Tafel hef­te­te, glaub­ten sie, er wür­de aufpassen.“

In bei­den Sät­zen ist das bereits bekann­te Tafel­an­star­ren das The­ma. Das Rhe­ma sind die unter­schied­li­chen Sze­na­ri­en: Im ers­ten Satz ist es die Infor­ma­ti­on über die Wich­tig­keit des Tafel­an­star­rens bzw. die nega­ti­ven Kon­se­quen­zen, wenn man es nicht tut, und im zwei­ten Satz ist es die Infor­ma­ti­on über den posi­ti­ven Effekt des Tafelanstarrens.

  • Das The­ma und Rhe­ma der bei­den Sät­ze haben nichts mit­ein­an­der zu tun. Der Zusam­men­hang ergibt sich aus unse­rem Wis­sen über die Welt.

„Etwas, das er am Nach­mit­tag am Com­pu­ter fort­setz­te. Sei­ne Haus­auf­ga­ben mach­te er erst abends …“

The­ma des ers­ten Sat­zes ist das „Etwas“, das Berei­sen frem­der Wel­ten und das Töten von Dra­chen. Das Rhe­ma des ers­ten Sat­zes ist die Infor­ma­ti­on, dass er die­se Tätig­keit nach­mit­tags am Com­pu­ter fort­setzt. Und dann kommt ein the­ma­ti­scher Sprung: Denn im zwei­ten Satz sind plötz­lich Haus­auf­ga­ben das The­ma und die Infor­ma­ti­on, dass Fritz­chen sie abends macht, das Rhe­ma. Der logi­sche Zusam­men­hang ergibt sich aus unse­rem Wis­sen, dass Schü­ler Haus­auf­ga­ben machen müs­sen und dass der Abend chro­no­lo­gisch auf den Nach­mit­tag folgt.

Es ist wich­tig sicher­zu­ge­hen, dass der Rezi­pi­ent über die­ses Wis­sen tat­säch­lich ver­fügt, das heißt, es soll­te ent­we­der All­ge­mein­wis­sen sein oder es soll­te vor­her eine Erklä­rung gege­ben haben. Sonst kom­men sol­che holp­ri­gen, sinn­frei­en, lese­fluss­stö­ren­den Sachen her­aus wie:

„Fritz­chens All­tag war der Stoff, aus dem Schlaf­ta­blet­ten gemacht wer­den. Er lieb­te sei­ne Katze.“

Themen bündeln und ordnen

Nun sind das The­ma im Sin­ne von The­ma-Rhe­ma-Glie­de­rung und das The­ma im Sin­ne von Gegen­stand bzw. gedank­li­cher Mit­tel­punkt zwei ver­schie­de­ne Dinge.

Und den­noch kann man die The­ma-Rhe­ma-Prin­zi­pi­en auch auf „gedank­li­che Mit­tel­punk­te“ anwenden:

Geht es in einem Absatz um einen typi­schen Tages­ab­lauf im Leben von Fritz­chen und im nächs­ten plötz­lich um Scho­ko­la­de, dann fehlt der Zusam­men­hang. Und wenn es in Dei­nem Autor-Kopf den­noch einen Zusam­men­hang gibt, dann musst Du ihn für den Rezi­pi­en­ten her­stel­len. Bei­spiels­wei­se so:

„Fritz­chens All­tag war der Stoff, aus dem Schlaf­ta­blet­ten gemacht wer­den. Mor­gens auf­ste­hen, dann Schu­le, ein Bun­ker aus den Sieb­zi­gern. Stun­den­lan­ges Sit­zen und Tafel­an­star­ren. – Und Tafel­an­star­ren war wich­tig, denn wenn er aus dem Fens­ter starr­te, dann bemerk­ten die Leh­rer recht schnell, dass er gedank­lich abschweif­te. Doch wenn er sei­nen Blick stur auf die Tafel hef­te­te, glaub­ten sie, er wür­de auf­pas­sen. Das sag­ten sie ihm am Ende jedes Halb­jah­res bei der Noten­be­spre­chung. Nicht ahnend, dass er in Wirk­lich­keit frem­de Wel­ten bereis­te und Dra­chen töte­te. – Etwas, das er am Nach­mit­tag am Com­pu­ter fort­setz­te. Sei­ne Haus­auf­ga­ben mach­te er erst abends, mit einem Gehirn aus Wat­te, und es mach­te ihn so müde, dass er anschlie­ßend ohne Pro­ble­me ins Reich der Träu­me, in ande­re Wel­ten und zu ande­ren Dra­chen entfloh.

Sei­ne ein­zi­ge Freu­de in der rea­len Welt war Scho­ko­la­de. Er kon­su­mier­te sie in Hül­le und Fül­le, beim Früh­stück eine Pra­li­ne zum Kaf­fee, der ein oder ande­re Kin­der­rie­gel in der Schu­le, eine Tafel mit Sau­er­kirsch-Chi­li am Nach­mit­tag und ein Kakao vor dem Schla­fen­ge­hen. Und wenn er einen Tag lang nichts Scho­ko­la­di­ges hat­te, dann war es das Ein­zi­ge, wor­an er den­ken konnte.“

Geht es im ers­ten Absatz also um Fritz­chens All­tag und die gedank­li­che Flucht aus ihm, geht es im nächs­ten Absatz um einen Aspekt, den Fritz­chen an sei­nem All­tag durch­aus genießt, und die Andeu­tung, dass die­ser Aspekt im Grun­de eine Sucht ist. In einem drit­ten Absatz könn­te man zum Bei­spiel die­ses The­ma der Sucht fort­füh­ren oder statt­des­sen einen Dia­log mit sei­ner Mut­ter ein­bau­en, die sich Sor­gen macht und ihm vor­wirft, ein Scho­ko­la­den­jun­kie zu sein.

Wich­tig ist dabei auch, die The­men zu bün­deln: Wenn Du Fritz­chens Tages­ab­lauf beschrie­ben hast, kannst Du Ele­men­te davon natür­lich ger­ne wie­der­auf­grei­fen. Aber es wäre ver­wir­rend, wenn Du zuerst Fritz­chens Tages­ab­lauf bis zum Abend beschrei­ben wür­dest, dann sei­ne Scho­ko­la­den­sucht und dann sei­nen typi­schen Abend. – Und das alles womög­lich auch in einem ein­zi­gen Riesenabsatz.

Das ist übri­gens auch der Grund war­um man in Dia­lo­gen für gewöhn­lich einen neu­en Absatz anfängt, wenn der Spre­cher wech­selt. War­um man die Aktio­nen und Reak­tio­nen der ein­zel­nen Figu­ren von­ein­an­der trennt. Denn wenn eine Figur spricht oder etwas ande­res tut, dann ist sie im Prin­zip das The­ma. Und wenn man da die Rede und die Hand­lun­gen einer ande­ren Figur bei­mischt, ver­liert der Leser schnell den Über­blick. – Was aber natür­lich nicht bedeu­tet, dass jede Figur immer einen neu­en Absatz braucht: Denn wenn es um etwas geht, das die Figu­ren als Gan­zes machen – bei­spiels­wei­se eine Fes­tung stür­men -, kannst Du den wesent­li­chen Akteu­ren auch jeweils einen Satz in einem gemein­sa­men Absatz wid­men. Die Unter­tei­lung in Absät­ze erfolgt dann nicht nach den Figu­ren, son­dern nach den ein­zel­nen Etap­pen, in denen die Fes­tung ein­ge­nom­men wird.

Es bleibt aber das Prinzip:

Ein The­ma nach dem ande­ren, aber mit Zusam­men­hang. – Sei es eine Wei­ter­füh­rung des alten The­mas in einer ande­ren Rich­tung, das Auf­grei­fen des Fazits des ers­ten Absat­zes oder das Her­stel­len eines Zusam­men­hangs über das Wis­sen über die Welt.

Und das gilt, wie bereits leicht ange­deu­tet, nicht nur für Absät­ze, son­dern auch für Sze­nen, Kapi­tel, den Roman ins­ge­samt und evtl. sogar die gan­ze Roman­se­rie:

  • Es ist merk­wür­dig, wenn eine Sze­ne zwei unter­schied­li­che The­men, zwei über­haupt nicht zusam­men­hän­gen­de Kon­flik­te nach­ein­an­der abfrüh­stückt. Dann sind es näm­lich fak­tisch schon zwei Szenen.
  • Was Kapi­tel angeht, so ist es nicht ele­gant, wenn ein­fach nach einer bestimm­ten Anzahl von Sei­ten ein Schnitt gemacht und ein neu­es Kapi­tel begon­nen wird. Da fragt man sich, war­um es über­haupt eine Unter­tei­lung in Kapi­tel gibt. Denn das Wort „Kapi­tel“ bezeich­net eine inhalt­li­che Ein­heit, etwas, das zwar im Kon­text eines grö­ße­ren Gan­zen steht, aber den­noch einen gewis­ser­ma­ßen in sich abge­schlos­se­nen Sin­nes­ab­schnitt bildet.
  • Außer­dem fol­gen Sze­nen und Kapi­tel nicht ein­fach zusam­men­hang­los auf­ein­an­der, son­dern sie grei­fen Hand­lungs­strän­ge wie­der auf oder star­ten neue, die sich mit den bereits vor­han­de­nen Strän­gen spä­ter über­schnei­den wer­den. Wenn Du zwei Strän­ge schreibst, die rein gar nichts mit­ein­an­der zu tun haben, dann schreibst Du fak­tisch zwei Romane.
  • Und schließ­lich: Dass ein Roman oder eine ande­re Art von Erzäh­lung eine in sich abge­schlos­se­ne Ein­heit ist, brau­che ich, glau­be ich, nicht mehr zu sagen. Und dass die ein­zel­nen Bän­de einer Serie irgend­wie mit­ein­an­der zusam­men­hän­gen soll­ten, müss­te auch klar sein.

Szenen und Kapitel

Wenn wir aber nun vom Her­stel­len von Zusam­men­hän­gen reden, dann spre­chen wir vor allem auch von Über­gän­gen bei Sze­nen und Kapi­teln. Bevor wir uns aber die­sem spe­zi­el­len Aspekt wid­men kön­nen, müs­sen wir über Sze­nen und Kapi­tel etwas all­ge­mei­ner reden.

Definition und Struktur

Ein Kapi­tel ist, wie gesagt, eine inhalt­li­che Ein­heit inner­halb eines Wer­kes. Man könn­te auch salopp sagen: ein Abschnitt, den man in einer Sit­zung lesen und nach dem man die Lek­tü­re guten Gewis­sens pau­sie­ren kann.

Der Begriff „Sze­ne“ hin­ge­gen gehört eigent­lich in den Bereich von Film und Thea­ter und hat mit dem Gen­re der Epik eher wenig zu tun. Doch weil schrift­li­che Erzäh­lun­gen sich heut­zu­ta­ge immer mehr am Film ori­en­tie­ren und man auch vom „Kopf­ki­no“ spricht, erscheint die Benut­zung des Begriffs „Sze­ne“ durch­aus als pas­send. Wir ver­ste­hen dar­un­ter eine Hand­lungs­ein­heit, die bei­spiels­wei­se durch einen bestimm­ten Ort zu einer bestimm­ten Zeit defi­niert ist:

  • Wenn Fritz­chen mor­gens vor der Schu­le am Früh­stücks­tisch sitzt und mit sei­ner Mut­ter über sei­nen Scho­ko­la­den­kon­sum dis­ku­tiert, dann ist das eine Szene.
  • Wenn wir Fritz­chen auf sei­nem Weg zur Schu­le fol­gen, dann ist auch das eine Szene.
  • Und wenn wir dann zu Fritz­chens Mut­ter sprin­gen und sehen, wie sie zeit­lich par­al­lel zu Fritz­chens Schul­weg zur Arbeit fährt, dann ist das eine wei­te­re Szene.

Das Ver­hält­nis von Kapi­teln und Sze­nen kann dabei sehr viel­fäl­tig sein und hängt im Wesent­li­chen von den sti­lis­ti­schen Ent­schei­dun­gen des Autors ab:

  • Eine Extrem­form wäre ein sehr sze­ni­scher Stil, in dem die Erzäh­lung von Sze­ne zu Sze­ne hüpft und alles, was dazwi­schen pas­siert, meis­tens uner­wähnt lässt.
  • Die ande­re Extrem­form wäre ein unun­ter­bro­che­ner Erzähl­strom, in dem eine Hand­lungs­ein­heit flie­ßend in die nächs­te übergeht.
  • Und dazwi­schen ist ein sehr brei­tes Spek­trum an Zwi­schen­for­men.

Kein Stil ist dabei bes­ser als der ande­re und es kommt immer dar­auf an, was Du als Autor errei­chen willst.

Zumal der Effekt, den ein bestimm­ter Stil haben kann, auch von zwan­zig­tau­send ande­ren Fak­to­ren abhängt, bei­spiels­wei­se der Erzähl­per­spek­ti­ve, der Plotstruk­tur, dem Sprach­stil etc. Ganz grob und all­ge­mein lässt sich nur sagen, dass ein sze­ni­scher Stil eben „fil­mi­scher“ wirkt und ein unun­ter­bro­che­ner Erzähl­strom etwas literarischer.

Und für das Ver­hält­nis von Kapi­teln und Sze­nen bedeu­tet das:

Alles ist mög­lich und es kommt stets auf den Ein­zel­fall an, wel­ches Ver­hält­nis opti­mal ist.

  • Ein Kapi­tel kann aus meh­re­ren Sze­nen bestehen, die aber, weil sie eben zu ein und dem­sel­ben Kapi­tel gehö­ren, ins­ge­samt eine inhalt­li­che Ein­heit bilden.
  • Ein Kapi­tel kann aber auch nur aus einer ein­zi­gen Sze­ne bestehen. Das kann eine Aus­nah­me sein in einem ansons­ten sehr sze­nisch geschrie­be­nen Roman oder aber auch die Regel in einem Roman, in dem jede Sze­ne genau ein Kapi­tel darstellt.
  • Auch kön­nen meh­re­re Kapi­tel zusam­men im Grun­de nur eine seeee­ehr lan­ge Sze­ne sein. – Bei­spiels­wei­se, wenn es sich um ein lan­ges Gespräch han­delt und die Unter­tei­lung in Kapi­tel die ein­zel­nen Sta­di­en der Gesprächs­ent­wick­lung markiert.

Eine beson­ders wich­ti­ge Rol­le spielt dabei das Erzähl­tem­po. Des­we­gen ein klei­ner Exkurs dazu:

Erzähltempo

Zum Erzähl­tem­po habe ich bereits zwei Arti­kel ver­öf­fent­licht: einen Arti­kel zur all­ge­mein bekann­ten Auf­tei­lung des Erzähl­tem­pos in Zeit­raf­fung, Zeit­de­ckung und Zeit­deh­nung und einen Arti­kel zu Genet­tes Sicht auf die Din­ge mit der Ein­tei­lung in Pau­se, Sze­ne, Sum­ma­ry und Ellipse.

Für aus­führ­li­che­re Infor­ma­tio­nen und Bei­spie­le ver­wei­se ich auf die­se bei­den Arti­kel. An die­ser Stel­le aber ganz all­ge­mein und zusammenfassend:

Jede Erzäh­lung wird mal schnel­ler und mal langsamer.

  • Wenn es wich­ti­ge Ereig­nis­se her­vor­zu­he­ben gilt, dann beschreibt man sie in der Regel sze­nisch zeit­de­ckend, damit der Leser das Gefühl bekommt, Zeu­ge des Gesche­hens zu sein. Hier kom­men oft – aber nicht immer – der Sekun­den­stil und Dia­lo­ge zum Ein­satz. Man beob­ach­tet also das Gesche­hen in sei­nen Einzelheiten.
  • Wenn es wich­ti­ge Details her­vor­zu­he­ben, eine Atmo­sphä­re auf­zu­bau­en oder Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen zu ver­mit­teln gilt, dann kommt die Zeit­deh­nung zum Ein­satz bzw. die Pau­se. Wäh­rend einer Pau­se steht das Gesche­hen kom­plett still, wie das oft – aber nicht immer – bei aus­führ­li­chen Beschrei­bun­gen oder Erläu­te­run­gen der Fall ist.
  • Wenn es dar­um geht, weni­ger rele­van­te Ereig­nis­se schnell abzu­klap­pern, dann kommt die Zeit­raf­fung Sum­ma­ry ins Spiel. Hier wird eine län­ge­re Zeit­span­ne in einem kur­zen Abschnitt zusam­men­ge­fasst, weil der Leser offen­bar nicht im Detail zu wis­sen braucht, wie sich das Gan­ze zuge­tra­gen hat.
  • Die kür­zes­te Art, eine Zeit­span­ne zu über­brü­cken, ist, sie kom­plett weg­zu­las­sen. Das wäre eine Ellip­se. Sie kommt zum Ein­satz, wenn der Leser nicht ein­mal ganz all­ge­mein zu wis­sen braucht, was in die­ser Zeit pas­siert ist, oder es aus irgend­wel­chen Grün­den nicht wis­sen soll.

Wie man das Gan­ze nun an Sze­nen und/​oder Kapi­tel kop­pelt, hängt wirk­lich vom Ein­zel­fall ab. Und damit kom­men wir zum The­ma der Übergänge:

Übergänge bei Szenen bzw. Kapiteln

Die Über­gän­ge zwi­schen Sze­nen bzw. Kapi­teln sind in der Regel genau die­se Beschleu­ni­gun­gen und Ver­lang­sa­mun­gen der Erzäh­lung:

  • Hast Du bei­spiel­wei­se einen sehr abge­hack­ten, sze­ni­schen Stil, dann hast Du im Prin­zip einen Wech­sel von Sze­nen und Ellip­sen. Viel­leicht kom­men inner­halb der Sze­nen auch deskrip­ti­ve Pau­sen oder zusam­men­fas­sen­de Pas­sa­gen vor, doch die Grund­struk­tur eines sol­chen Romans bil­den vor allem ein­zel­ne Sze­nen, die wie los­ge­lös­te Fet­zen ein Gesamt­bild erge­ben. Das ist der sze­ni­sche Stil in Extrem­form.
  • Die ande­re Extrem­form, ein unun­ter­bro­che­ner Erzähl­strom, wäre ein Wech­sel von Sze­nen und Sum­ma­rys. Wenn also die Hand­lung in ihren Grund­zü­gen umris­sen wird, der Erzäh­ler aber hin und wie­der „her­an­zoomt“ und ein­zel­ne Sze­nen in die­ser all­ge­mein zusam­men­fas­sen­den Hand­lung im Detail beschreibt. Wie ein enga­gier­tes Mit­glied der Krea­tiv­Crew so schön her­vor­ge­ho­ben hat, sehen wir das bei­spiels­wei­se in den Har­ry Pot­ter-Büchern. Und natür­lich kann es auch hier durch lan­ge Beschrei­bun­gen oder Erläu­te­run­gen zu Pau­sen kommen.
  • Und wie gesagt, gibt es hier unend­lich vie­le Zwi­schen­for­men. Eine sol­che wäre zum Bei­spiel, wenn Sze­nen klar von­ein­an­der getrennt wer­den, bei­spiels­wei­se durch eine Leer­zei­le und abge­hack­te Sze­nen­an­fän­ge und ‑enden, hin und wie­der jedoch beschrie­ben wird, was sich zwi­schen den ein­zel­nen Sze­nen ereig­net hat.

Fast immer neh­men Sze­nen rein von der Sei­ten­an­zahl her den meis­ten Raum im Roman ein. Eben weil sie zeit­de­ckend und damit ent­spre­chend detail­liert sind. Was die Pau­sen, Sum­ma­rys und Ellip­sen angeht, so hängt ihr idea­ler Anteil, wie gesagt, vom ein­zel­nen Werk und vor allem der jewei­li­gen Stel­le im Werk ab. Fra­ge Dich daher immer, wie wich­tig die jewei­li­ge Infor­ma­ti­on ist. Ob es sich lohnt, für sie die gesam­te Erzäh­lung zu pau­sie­ren, ob sie bes­ser in einer leb­haf­ten Sze­ne unter­ge­bracht wäre, ob Du sie nur am Ran­de in einer Zusam­men­fas­sung erwähnst oder sogar kom­plett weglässt.

Übergänge und Aufbau von Szenen und Kapiteln

Wie Dir aber sicher­lich auf­ge­fal­len ist, bil­den gera­de Sum­ma­rys oft eine Art Ein­lei­tung für eine Sze­ne bzw. ein Kapi­tel: Denn wir erfah­ren den Kon­text, in dem die jewei­li­ge Sze­ne bzw. das jewei­li­ge Kapi­tel zu ver­ord­nen ist. Natür­lich kann eine Sze­ne oder ein Kapi­tel auch abrupt, mit­ten im Gesche­hen anfan­gen, doch auch hier ist es wich­tig, mög­lichst bald klar­zu­stel­len, wo wir uns befin­den und was über­haupt pas­siert.

Denn so ganz ohne Ein­lei­tung ver­liert der Leser schnell die Ori­en­tie­rung und kann der Erzäh­lung nicht mehr folgen.

Ganz ohne ein­lei­ten­de Erklä­rung kom­men eigent­lich nur Sze­nen bzw. Kapi­tel aus, die direkt an den vor­he­ri­gen Abschnitt anschlie­ßen. Doch selbst hier soll­te mög­lichst früh auf direk­tem oder indi­rek­tem Wege klar wer­den, dass wir kei­nen Zeit- oder Orts­wech­sel haben: bei­spiels­wei­se durch die Anwe­sen­heit der­sel­ben Figu­ren, immer noch den­sel­ben Ort oder was auch immer.

Eine Ein­lei­tung – sei sie auch noch so indi­rekt und unauf­fäl­lig – ist also wich­tig für einen gelun­ge­nen Sze­nen- bzw. Kapi­tel­wech­sel.

Und eben­so wich­tig ist auch der Schluss:

Denn wenn eine Sze­ne bzw. ein Kapi­tel mit­ten im Gedan­ken auf­hört, dann wirkt das abge­hackt – und zwar im nega­ti­ven Sin­ne. Des­we­gen haben Sze­nen bzw. Kapi­tel, wie gesagt, in der Regel eine Art Fazit: Die Situa­ti­on kommt zu einem Abschluss, eine Etap­pe ist bewäl­tigt oder es beginnt eine neue Epi­so­de, bei­spiels­wei­se im Fall von einem Cliff­han­ger, der die Hand­lung des nächs­ten Abschnitts andeu­tet, näm­lich die Ret­tung der Per­son, die an der Klip­pe hängt.

Doch kei­ne Regel ohne Aus­nah­me und manch­mal kann ein feh­len­des Sze­nen- bzw. Kapi­tel­en­de auch beab­sich­tigt und dra­ma­tisch sein. Oder auch ein­fach nur creepy:

In der Erzäh­lung Das Por­trät von Niko­lai Gogol kauft ein jun­ger Künst­ler ein sehr rea­lis­tisch aus­se­hen­des Por­trät von einem dia­bo­lisch aus­se­hen­den alten Mann. Er bringt das Por­trät nach Hau­se und sieht den Alten in der Nacht dar­aus her­aus­stei­gen. Und dann wacht er auf. Und sieht den Alten wie­der aus sei­nem Por­trät stei­gen. Und dann wacht er auf. Und der Alte steigt wie­der aus sei­nem Por­trät … Der Künst­ler sieht den­sel­ben Traum immer wie­der, aber man erfährt nicht, wann die Ein­zel­träu­me jeweils begin­nen, und auch nicht, wann er über­haupt ein­ge­schla­fen ist. Die Wach­sze­ne und die Traum­sze­ne sind nicht von­ein­an­der getrennt, weil die Wach­sze­ne kein Ende hat und die Traum­sze­ne kei­nen Anfang. Die bei­den gehen flie­ßend inein­an­der über, die natür­li­che Gren­ze des Ein­schla­fens oder wenigs­tens eine for­ma­le Gren­ze – bei­spiels­wei­se in Form einer Leer­zei­le – fehlt völ­lig. Die Geset­ze der erzäh­le­ri­schen Logik wer­den durch­bro­chen und dadurch ergibt sich das gru­se­li­ge Gefühl, dass etwas nicht stimmt, dass es hier nicht mit rech­ten Din­gen zugeht, dass es kein nor­ma­ler Traum ist.

Für sol­che Kunst­grif­fe gibt es kei­ne Regeln. Die Welt des Schrei­bens ist nun mal ein Reich der unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten. Und das ist auch der Grund, war­um es immer auf den Ein­zel­fall, auf die beab­sich­tig­te Wir­kung einer kon­kre­ten Geschich­te mit ihren ganz spe­zi­fi­schen Beson­der­hei­ten ankommt.

Zusammenfassung und Beispiel-Analyse

Abschlie­ßend kön­nen wir nur fest­hal­ten, dass es bestimm­te Prin­zi­pi­en gibt, nach denen der Leser Dei­ner Erzäh­lung folgt:

Um der Hand­lung fol­gen zu kön­nen, braucht er eine sinn­vol­le Glie­de­rung und eine eben­so sinn­vol­le Ver­knüp­fung der ein­zel­nen Glie­der.

Und ja, ich gebe zu, das war nur eine sehr gro­be Ein­füh­rung in den logi­schen Auf­bau von Tex­ten bzw. zu ihrer Infor­ma­ti­ons­struk­tur. Detail­lier­ter brauchst Du es als Autor aber auch nicht zu wis­sen. Vor allem musst Du Dir nicht bei jedem Satz, den Du schreibst, den Kopf dar­über zer­bre­chen. Doch wenn Du das Gefühl hast, dass Dein Text irgend­wie holp­rig ist – oder wenn Dei­ne Test­le­ser Dir das sagen -, dann kann sich ein ana­ly­ti­sche­rer Blick auf die Struk­tur der Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung durch­aus lohnen.

Doch um das Gan­ze trotz­dem etwas anschau­li­cher zu machen, hier eine klei­ne Beispiel-Analyse:

Beispiel-Analyse

In Remar­ques Drei Kame­ra­den betrei­ben der Prot­ago­nist Robert Loh­kamp und sei­ne bei­den Freun­de Otto Kös­ter und Gott­fried Lenz eine Auto­werk­statt. In dem Abschnitt, der der Sze­ne, die wir ana­ly­sie­ren wer­den, vor­an­geht, wird neben Roberts mensch­li­chen Freun­den ein ganz beson­de­rer Kame­rad vor­ge­stellt: Kös­ters selbst­ge­bau­tes Auto, das außer­or­dent­lich schnell ist, äußer­lich aber wie eine alte, schä­bi­ge Klap­per­kis­te aus­sieht. Der Abschnitt schließt mit den Worten:

„[…] Wir hät­ten das alles bes­ser machen kön­nen – aber wir hat­ten einen Grund, es nicht zu tun. Der Wagen hieß Karl. Karl, das Chausseegespenst.“
E. M. Remar­que: Drei Kame­ra­den, Kapi­tel 1.

In der Sze­ne, die wir jetzt ana­ly­sie­ren, geht es, wie das Ende des vor­an­ge­gan­ge­nen Abschnitts andeu­tet, um den Grund, war­um die Freun­de Karl mit einer so schä­bi­gen Karos­se­rie her­um­fah­ren las­sen und war­um Karl ein „Chaus­see­ge­spenst“ ist.

Unse­re Sze­ne beginnt mit den Worten:

„Karl schn­ob die Chaus­see entlang.
»Otto«, sag­te ich, »da kommt ein Opfer.«“
E. M. Remar­que: Drei Kame­ra­den, Kapi­tel 1.

In die­ser Ein­lei­tung erfah­ren wir das Set­ting, näm­lich die Chaus­see bzw. Land­stra­ße, sowie den Kon­flikt, der uns in die­ser Sze­ne erwar­tet: Es naht jemand her­an, dem die Freun­de etwas antun wollen.

Im nächs­ten Absatz wird die­ser Jemand genau­er vorgestellt:

„Hin­ter uns hup­te unge­dul­dig ein schwe­rer Buick. Er hol­te rasch auf. Bald lagen die Küh­ler neben­ein­an­der. Der Mann am Steu­er sah läs­sig her­über. Sein Blick streif­te von oben her­ab den rup­pi­gen Karl. Dann wen­de­te er sich ab und hat­te uns schon vergessen.“
E. M. Remar­que: Drei Kame­ra­den, Kapi­tel 1.

Im Grun­de sagt der ein­lei­ten­de Satz die­ses Absat­zes schon alles aus: Der ande­re Fah­rer hält sich in sei­nem dicken Auto offen­bar für etwas Bes­se­res. Der Rest des Absat­zes schmückt das Gan­ze mit Details aus – und bil­det dabei eine in sich geschlos­se­ne klei­ne Geschich­te, die nicht erzählt, son­dern zeigt, was der ande­re Fah­rer von Karl hält.

Der nächs­te Absatz bringt aber einen Twist rein, kehrt die Situa­ti­on aus dem letz­ten Absatz also um:

„Ein paar Sekun­den spä­ter muss­te er fest­stel­len, dass Karl sich immer noch auf glei­cher Höhe mit ihm befand. Er rück­te sich etwas zurecht, blick­te uns amü­siert an und gab Gas. Aber Karl wank­te nicht. Wie ein Ter­ri­er neben einer Dog­ge hielt er sich wei­ter klein und flink neben der strah­len­den Loko­mo­ti­ve aus Nickel und Lack.“
E. M. Remar­que: Drei Kame­ra­den, Kapi­tel 1.

In die­sem Absatz beginnt also der Kampf: Der Absatz han­delt davon, dass Karl mit dem Buick mit­hält. Den­noch gibt es ein klei­nes Hin und Her: Der ande­re Fah­rer sieht, dass die ver­meint­li­che Klap­per­kis­te sich anschei­nend nicht über­ho­len las­sen will, und setzt eins drauf. Karl aber eben­so. Der letz­te Satz fasst die Sze­ne­rie noch ein­mal zusam­men und run­det den Absatz mit einer Pri­se Humor ab.

Im nächs­ten Absatz eska­liert die Situa­ti­on weiter:

„Der Mann fass­te das Steu­er­rad fes­ter. Er war voll­kom­men ahnungs­los und ver­zog spöt­tisch die Lip­pen. Man sah, dass er uns jetzt zei­gen woll­te, was sein Schlit­ten leis­te­te. Er trat so kräf­tig auf den Gas­he­bel, dass der Aus­puff zwit­scher­te wie ein Feld voll Ler­chen im Som­mer. Doch es nutz­te nichts; er kam nicht vor­bei. Wie ver­hext kleb­te Karl häss­lich und unschein­bar an sei­ner Sei­te. Der Mann starr­te erstaunt zu uns her­un­ter. Er begriff nicht, dass bei einem Tem­po von über hun­dert Kilo­me­tern der alt­mo­di­sche Kas­ten unter ihm nicht abzu­schüt­teln war. Ver­wun­dert blick­te er auf sei­nen Tacho­me­ter, als kön­ne der nicht stim­men. Dann gab er Vollgas.“
E. M. Remar­que: Drei Kame­ra­den, Kapi­tel 1.

Zusam­men­fas­sen lässt sich die­ser Absatz mit: Der ande­re Fah­rer macht Ernst. Auch hier wird das Haupt­the­ma des Absat­zes schon im ers­ten Satz klar. Aus­ge­schmückt wird das mit einer klei­nen Sto­ry, wie der Mann Gas gibt, das aber nichts bringt. Er reagiert ver­wun­dert und macht erst recht Ernst.

Und so wird die Sze­ne fort­ge­setzt: wei­te­re Etap­pen des Ren­nens, in dem die drei Freun­de mit dem Buick Katz und Maus spie­len. Denn natür­lich endet die Sze­ne mit einem Sieg für Karl, der ja den Motor eines Renn­wa­gens hat, und außer­dem einer Erklä­rung, dass Karls Karos­se­rie selbst „die fried­lichs­ten Fami­li­en­kut­schen“ zum Über­ho­len reizt, sowie Lenz‘ Behaup­tung, Karl wir­ke erzieherisch.

Damit ist klar, dass die­se Sze­ne vor allem exem­pla­risch für alle Jagd­spiel­chen der drei Freun­de steht. Gleich­zei­tig zeigt sie aber nicht ein­fach nur die Frei­zeit­ge­stal­tung des Tri­os, son­dern genau die­ses spe­zi­el­le Spiel­chen mit dem Buick hat eine wich­ti­ge Rol­le für den Plot: Die nächs­te Sze­ne setzt näm­lich direkt nach die­ser exem­pla­ri­schen Jagd ein, als das Trio vor einem Gast­haus hält und mit dem geg­ne­ri­schen Fah­rer und sei­ner Bei­fah­re­rin ins Gespräch kommt. Die Bei­fah­re­rin wird der Love-Inte­rest des Protagonisten.

Somit ist die­se Sze­ne naht­los in den Erzähl­fluss der Gesamt­ge­schich­te ein­ge­bun­den, bil­det ein logi­sches Glied zwi­schen ihren Nach­bar­sze­nen, erzählt eine in sich geschlos­se­ne klei­ne Geschich­te mit Ein­lei­tung, Haupt­teil und Schluss und auch die ein­zel­nen Etap­pen des Katz-und-Maus-Spiels sind logisch geglie­dert in in sich abge­schlos­se­ne Absätze.

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