World-Buil­ding und Info-Dump: Direkte und indi­rekte Expo­si­tion, „Show“ und „Tell“

World-Buil­ding und Info-Dump: Direkte und indi­rekte Expo­si­tion, „Show“ und „Tell“

Früher oder später musst Du dem Leser Dein World-Buil­ding erklären. Dabei ist soge­nanntes Info-Dum­ping, erklä­rende Fron­tal­vor­träge, bekann­ter­maßen eine schlechte Idee. — Aber wie machst Du es besser? Welche Methoden gibt es, um dem Leser die not­wen­digen Infor­ma­tionen näher­zu­bringen, und welche Tricks kannst Du dabei anwenden? Darum geht es in diesem Artikel.

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So genial Der Herr der Ringe von J. R. R. Tol­kien auch ist — die Ein­füh­rung dieses Klas­si­kers ist berüch­tigt. Ein guter Teil der Leser­schaft über­springt sie sogar ein­fach: Denn diese Men­schen wollen die Geschichte lesen und keinen fik­tional-wis­sen­schaft­li­chen Auf­satz über Pfei­fen­kraut.

Wir lernen also:

Sofern Du nicht J. R. R. Tol­kien heißt, soll­test Du dem Leser keine fik­tional-wis­sen­schaft­li­chen Auf­sätze um die Ohren hauen.

Solche Fron­tal­vor­träge, in denen ein­fach nur erklärt wird, wie die fik­tive Welt funk­tio­niert, ansonsten aber nichts pas­siert, nennt man Info-Dump. Und in 99 % aller Fälle ist der­maßen lieblos hin­ge­knallter Info-Dump eher abschre­ckend. Des­wegen stellt sich die Frage:

Wie sollen wir unseren Lesern erklären, wie die Welt in einer Geschichte funk­tio­niert, ohne sie zu über­for­dern?

Das bespre­chen wir in diesem Artikel.

Direkte und indi­rekte Expo­si­tion

Wenn Du hier schon etwas länger dabei bist, dann kennst Du sicher­lich den alten Artikel, in dem wir uns schon einmal mit diesem Thema befasst haben. Aber weil der Artikel, wie gesagt, schon alt ist und ich das Ganze ohnehin etwas struk­tu­rierter dar­stellen möchte, wagen wir hiermit einen neuen Anlauf und reden zunächst über direkte und indi­rekte Expo­si­tion:

  • Unter direkter Expo­si­tion ver­stehen wir fron­tale Erklä­rungen, wie die Welt funk­tio­niert, wie die Ver­gan­gen­heit der Figuren aus­sieht etc.
  • Unter indi­rekter Expo­si­tion ver­stehen wir eine Dar­stel­lung der Funk­ti­ons­weise der Welt, der Vor­ge­schichten der Figuren etc., die eher subtil statt­findet.

Was meine ich aber damit?

  • Wenn der Erzähler einen langen Vor­trag dar­über hält, wer bzw. was Holo­mis­u­ha­si­tams sind, wo sie her­kommen, was sie fressen und so weiter, dann ist das eine sehr direkte Expo­si­tion. Solche Pas­sagen sind im Grunde Lexi­kon­ar­tikel zu einem Thema, von dem man nicht weiß, warum es einen über­haupt inter­es­sieren sollte.
  • Nun kann der Erzähler einen sol­chen Vor­trag auch einer Figur in den Mund legen: Dann ist es eben Prof. Dr. Fritz­chen, der seine Stu­denten — und nebenher auch den Leser — über Holo­mis­u­ha­si­tams auf­klärt. Das ist meis­tens genauso unspan­nend wie der Lexi­kon­ar­tikel.

Das Pro­blem bei sol­chen Vor­trägen besteht darin, dass die Erzäh­lung pau­siert: Es pas­siert ein­fach nichts, die Geschichte steht still, wäh­rend der Kopf des Lesers mit nackten Infor­ma­tionen voll­ge­stopft wird. Wenn Du das Ganze also dyna­mi­scher gestalten möch­test, kannst Du Expo­si­tion und Hand­lung ver­binden:

  • Wenn in der Geschichte eine Inva­sion der Erde durch Holo­mis­u­ha­si­tams statt­findet, schweben die Haupt­fi­guren in Lebens­ge­fahr: Es gibt also einen Kon­flikt, jede Menge Fra­ge­zei­chen, der Leser fie­bert mit und will Ant­worten und Lösungen. Und da kommt nun Prof. Dr. Fritz­chen daher und gibt in span­nungs­ge­la­denen Dia­logen kurze, auf das Rele­vante redu­zierte Ant­worten und Lösungs­mög­lich­keiten, die die Haupt­fi­guren wie­derum vor Ent­schei­dungen stellen, für die sie noch mehr Infor­ma­tionen über Holo­mis­u­ha­si­tams brau­chen. Bei diesem Ansatz werden die Infor­ma­tionen also nicht ein­fach hin­ge­knallt, son­dern sie lie­fern ersehnte Ant­worten und treiben den Plot voran.
  • Eine noch weniger auf­dring­liche Form des World-Buil­dings wäre, das Wesen der Holo­mis­u­ha­si­tams in Aktion zu zeigen, ganz nach dem Prinzip: „Show, don’t tell!“. Wenn ein Holo­mis­u­ha­sitam zum Bei­spiel einen Men­schen mit Haut und Haaren ver­schlingt, dann wissen die Figuren und mit ihnen auch die Leser schon mal, wovon sie sich ernähren.

Nun habe ich aber einige dieser Ansätze als posi­tiver dar­ge­stellt als andere. Ich möchte aller­dings betonen, dass das ledig­lich Ten­denzen sind, die „nur“ in gefühlt 99 % aller Fälle zutref­fend sind. Denn Aus­nahmen gibt es immer und wenn Prof. Dr. Fritz­chen zum Bei­spiel einen genialen Sinn für Humor hat und sein Fron­tal­vor­trag mich zum Lachen bringt, lese ich ihn sehr, sehr gerne.

„Show“ und „Tell“

Ansonsten wird Dir, wenn Du die Welt der Lite­ratur beob­ach­test, auf­fallen, dass all diese Ansätze in der Regel mit­ein­ander kom­bi­niert werden. Auch wenn man nor­ma­ler­weise „Show, don’t tell!“ sagt, hat „Tell“ seinen recht­mä­ßigen und äußerst wich­tigen Platz im Sto­rytel­ling. Eben weil man dabei sehr viel Infor­ma­tion auf sehr wenig Raum unter­bringen kann, eignet sich „Tell“ zum Bei­spiel für Infor­ma­tionen, die nicht unbe­dingt von zen­traler Bedeu­tung sind und somit keine geson­derte Szene recht­fer­tigen:

Wenn es in der Geschichte also bei­spiels­weise nicht um eine Inva­sion von men­schen­fres­senden Holo­mis­u­ha­si­tams geht, die Infor­ma­tion über ihre Ernäh­rung aber trotzdem irgendwie wichtig ist, brauchst Du keine ganze Szene, in der ein Holo­mis­u­ha­sitam einen Men­schen frisst. Im Gegen­teil, „Show“ um des „Show“ willen, wenn eine Szene nichts weiter tut, als eine semi-wich­tige Infor­ma­tion zu ver­mit­teln, dann ist sie ein reiner Filler und wird den Leser eher nerven. Daher bist Du in diesem Fall besser beraten, wenn Du Prof. Dr. Fritz­chen ein­fach sagen lässt: „Holo­mis­u­ha­si­tams fressen Men­schen.“

Bei der Ent­schei­dung, ob Du eine Infor­ma­tion direkt oder indi­rekt durch „Show“ oder „Tell“ ver­mit­telst, spielt die Rele­vanz also eine wesent­liche Rolle — und mit der Rele­vanz auch die Prä­misse und der zen­trale Kon­flikt. Die Faust­regel lautet dabei:

Was von zen­traler Bedeu­tung ist, sollte durch eine prä­gnante Szene gezeigt werden.

Was nicht von zen­traler Bedeu­tung ist, kann durch ein­fa­ches „Tell“ abge­knus­pert werden.

Wenn Du Dich für „Tell“ ent­schei­dest, musst Du aber auch hier auf die Rele­vanz achten und den Fron­tal­vor­trag auf das Wesent­liche redu­zieren.

Beson­ders schön kommt dieser Punkt in einem Video-Essay von Pentex Pro­duc­tions rüber, in dem die Pro­loge vom Herrn der Ringe von Peter Jackson und vom Herrn der Ringe von Ralph Bakshi ver­gli­chen werden. Einer der Gründe, warum der Jackson-Prolog funk­tio­niert und der von Bakshi nicht, ist, dass Peter Jackson aus seinem Prolog alles gestri­chen hat, was der Zuschauer ganz am Anfang noch nicht zu wissen braucht. Bestimmte Ein­zel­heiten wie zum Bei­spiel Elronds Ver­such, Isildur zum Zer­stören des Einen Rings zu bewegen, oder Smé­a­gols Vor­ge­schichte, werden erst später an pas­senden Stellen ergänzt. Bakshi hin­gegen hat gefühlt alles, was es an Vor­ge­schichte zu wissen gibt, in einen viel zu langen und lang­at­migen Prolog gequetscht — wes­wegen sein Film direkt mit Lan­ge­weile beginnt.

Ob eine zu ver­mit­telnde Infor­ma­tion von essen­ti­eller Bedeu­tung ist, also „Show“ erfor­dert, erkennst Du übri­gens unter anderem daran, dass sich bei wirk­lich essen­ti­ellen Dingen kon­krete Szenen zum „Showen“ nahezu von selbst auf­drängen — eben weil sie direkt an die Prä­misse und den zen­tralen Kon­flikt gekop­pelt sind.

Wenn wir also zu unserer Holo­mis­u­ha­sitam-Inva­sion zurück­kehren und die Bedro­hung durch diese men­schen­fres­senden Aliens den zen­tralen Kon­flikt dar­stellt, wirst Du kaum umhin können, als einen Holo­mis­u­ha­sitam in einer kon­kreten Szene einen Men­schen ver­speisen zu lassen. Oder Prof. Dr. Fritz­chen und sein Team finden die Über­reste einer sol­chen Mahl­zeit. Aber so oder so wirst Du ja Atmo­sphäre und Angst vor den Aliens auf­bauen müssen und das kannst Du eben mit der Ver­mitt­lung von Infor­ma­tionen kom­bi­nieren.

Die Rolle der Erzähl­per­spek­tive

Nun spielt es vor allem, aber nicht nur in Fan­tasy und Sci­ence Fic­tion auch eine Rolle, ob die Reflek­tor­figur sozu­sagen zu den Ein­ge­bo­renen der fik­tiven Welt gehört oder nicht. Genauer gesagt: ob sie sich in der fik­tiven Welt aus­kennt oder nicht.

Um es mal ganz simpel zu erklären:

  • Wenn die Reflek­tor­figur sich in der fik­tiven Welt nicht aus­kennt, dann hat sie den­selben Kennt­nis­stand wie der Leser. Und ebenso wie der Leser will sie Ant­worten. Es ist also ganz natür­lich, wenn sie — stell­ver­tre­tend für den Leser — Fragen stellt und sich Vor­träge anhört.
  • Wenn die Reflek­tor­figur hin­gegen sich in der fik­tiven Welt bes­tens aus­kennt, gibt es eine Dis­kre­panz zwi­schen dem Kennt­nis­stand der wis­senden Figur und dem des unwis­senden Lesers. Der Leser stellt sich also Fragen, die die Figur nie­mals stellen würde. — Wie beant­wortet man in einem sol­chen Fall also die Fragen des Lesers, ohne dass es unna­tür­lich wirkt?

Unge­schickte Autoren igno­rieren diese Pro­ble­matik ein­fach und greifen auf das ner­vige Phä­nomen der As-you-know-Erzähl­si­tua­tionen zurück: also Szenen, in denen Figuren sich gegen­seitig Dinge erklären, über die sie bereits bes­tens Bescheid wissen. Auch wenn in sol­chen Gesprä­chen mög­li­cher­weise durchaus wich­tige Infor­ma­tionen ver­mit­telt werden, lesen sie sich so logisch und ele­gant wie wenn ein Tier­arzt zum anderen sagt: „Wie du ja weißt, sind Hunde Vier­beiner und haben somit eine andere Ana­tomie als wir Men­schen …“ — Absurd, oder? Des­wegen macht es auch wenig Sinn, wenn Prof. Dr. Fritz­chen in unserer Geschichte Prof. Dr. Lies­chen, die schon ihr ganzes Leben lang Holo­mis­u­ha­si­tams erforscht, über die Ernäh­rungs­ge­wohn­heiten von Holo­mis­u­ha­si­tams auf­klärt.

Ein funk­tio­nales, aber meis­tens unge­schicktes Mittel, wich­tige Erklä­rungen für den Leser ein­zu­bauen, ist, die Erklä­rungen ein­fach direkt von der Erzähl­in­stanz info-dumpen zu lassen: „Es war einmal der Planet Fur­ze­vick, und dort lebten men­schen­fres­sende Holo­mis­u­ha­si­tams …“ — Wie gesagt, es gibt Aus­nahmen, in denen sol­ches fron­tales Info-Dum­ping inter­es­sant sein kann, aber in 99 % der Fälle ist es das eben nicht. Und wenn man auch keine Reflek­tor­figur hat, die Fragen stellen kann …

Indi­rekte Expo­si­tion in Dia­logen

… kann man oft auf Neben­fi­guren zurück­greifen. Denn ja, Prof. Dr. Lies­chen braucht keine Auf­klä­rung über Holo­mis­u­ha­si­tams. Aber Gene­ral­leut­nant Kläu­schen, dessen Sol­daten die Inva­sion stoppen müssen, hat von diesen Krea­turen keine Ahnung. Des­wegen müssen Prof. Dr. Fritz­chen und Prof. Dr. Lies­chen ihm alles ver­ständ­lich, aber trotzdem kurz erklären — denn die Zeit drängt. Dafür kann Gene­ral­leut­nant Kläu­schen den beiden nerdigen Wis­sen­schaft­lern zeigen, wie Plas­ma­pis­tolen funk­tio­nieren. — Und schon kennt sich der Leser in gleich meh­reren Fach­be­rei­chen der fik­tiven Welt aus.

Aber nun erhöhen wir den Schwie­rig­keits­grad und strei­chen Gene­ral­leut­nant Kläu­schen aus der Geschichte. Die Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung muss also zwangs­weise in einem Gespräch zwi­schen Prof. Dr. Fritz­chen und Prof. Dr. Lies­chen erfolgen. — Was tun wir?

Dass beide Gesprächs­partner sich mit der Materie aus­kennen, bedeutet nicht auto­ma­tisch, dass sie all­ge­mein bekannte Dinge nicht trotzdem anspre­chen können. Sie würden sich gegen­seitig keine Fron­tal­vor­träge halten, aber das Anspre­chen bekannter Tat­sa­chen, um einen Gedanken zu unter­mauern, ist durchaus natür­lich. Zum Bei­spiel, wenn Prof. Dr. Fritz­chen und Prof. Dr. Lies­chen einen ein­zelnen Holo­mis­u­ha­sitam sichten und eine Dis­kus­sion beginnen, ob sie wegen eines ein­zigen, aber trotzdem Men­schen­fres­sers schon Alarm schlagen sollen. In dieser Dis­kus­sion lassen sich viele Infor­ma­tionen unter­bringen, getarnt als Argu­mente. Und vor allem treiben diese Infor­ma­tionen auch den Plot voran, weil es ja um eine wich­tige Ent­schei­dung geht.

Indi­rekte Expo­si­tion in Mono­logen

Machen wir das Ganze aber noch schwie­riger und lassen Prof. Dr. Fritz­chen ganz allein nach Lösungen suchen. Ohne Dis­kus­sionen mit Prof. Dr. Lies­chen lassen sich Infor­ma­tionen nicht ein­fach mal eben in Dia­logen unter­bringen. Prof. Dr. Fritz­chens ein­ziger Gesprächs­partner ist Prof. Dr. Fritz­chen selbst. Und wenn wir die Erklä­rungen nicht direkt durch die Erzähl­in­stanz ver­mit­teln wollen, können gerade wir Pro­sa­isten auf innere Mono­loge und Gedan­ken­ströme zurück­greifen.

Wenn Prof. Dr. Fritz­chen auf der Suche nach Lösungs­an­sätzen ist, dann wird er wahr­schein­lich nicht ein­fach nur her­um­sitzen und grü­beln, son­dern sich in seinem Labor oder seinen Büchern nach Anre­gungen umschauen. Und da kann man sowas unter­bringen wie zum Bei­spiel:

Fritz­chen schlug das Lexikon auf und über­flog den Artikel über Holo­mis­u­ha­si­tams. „Stammen vom Pla­neten Fur­ze­vick“, stand da, „… schleimig … schweben einen halben Meter über dem Boden … fressen Men­schen …“ — Nichts, was er nicht bereits wusste. Fritz­chen wollte das Lexikon also wieder zuklappen, als sein Blick auf die Worte „Siehe auch“ fiel: Einige große Schlachten wurden da auf­ge­zählt. Und ja, wieso nicht? Auch wenn keine der Schlachten gegen Holo­mis­u­ha­si­tams erfolg­reich gewesen war, konnte er sie doch trotzdem durch­stu­dieren und aus den dama­ligen Feh­lern lernen …

Hier ist das Info-Dum­ping auf einige wenige Satz­fetzen beschränkt, also maximal auf das Wesent­liche redu­ziert, indem gezeigt wird, wie die Reflek­tor­figur die ihr bekannten Infor­ma­tionen schnell abklap­pert und bei­sei­te­schiebt. Dabei werden dem Leser aber viele Infor­ma­tionen ver­mit­telt.

Pass also gut auf, wenn Du in einer Geschichte Stellen fin­dest, wo eine Figur einen für sie all­täg­li­chen Sach­ver­halt beob­achtet: Bestimmt geht es hier nicht nur darum, die Innen­welt der Figur dar­zu­stellen und/oder Atmo­sphäre auf­zu­bauen, son­dern auch um World-Buil­ding.

„Show“ beim World-Buil­ding

Bei all diesen Spie­le­reien mit der Erzähl­per­spek­tive wird Dir aber sicher­lich auf­ge­fallen sein, dass es sich um — sei es auch noch so sub­tiles — „Tell“ han­delt. Wie funk­tio­niert aber „Show“?

Die direkte „Show“-Herangehensweise haben wir bereits ange­schnitten: Wenn Holo­mis­u­ha­si­tams als Men­schen­fresser dar­ge­stellt werden sollen, dann lass einen Holo­mis­u­ha­sitam in einer kon­kreten Szene einen Men­schen fressen. Viel World-Buil­ding findet aber auch sehr subtil, ganz nebenher, statt. Dabei han­delt es sich meis­tens nicht um essen­ti­elle Infor­ma­tionen, son­dern eher um atmo­sphä­ri­sche Details, die die fik­tive Welt lebendig wirken lassen.

Wie bereits gesagt, soll­test Du kein „Show“ um des „Show“ willen betreiben, also Dir nicht für eher irrele­vante Details ganze Szenen aus­denken. Ebenso macht es wenig Sinn, diese irrele­vanten Details aus­führ­lich zu „tellen“. Sie nur knapp und/oder indi­rekt zu „tellen“ durch Dia­loge oder innere Mono­loge ist aber durchaus eine Option.

Oder aber Du sprichst diese Dinge gar nicht an, son­dern streust statt­dessen Hin­weise und lässt den Leser selbst mit­denken

Prin­zi­pien und Hin­ter­gründe zeigen

Denn der Leser ist nicht dumm und wenn er zum Bei­spiel in Tol­kiens Hobbit eine Gruppe von Zwergen mit Namen wie Thorin, Balin, Dwalin, Ori, Nori, Dori, Óin, Glóin und so weiter antrifft, dann musst Du ihm nicht noch explizit ver­mit­teln, dass ein Zwerg in diesem Uni­versum nicht gerade Franky heißen würde. Wenn Du Dich außerdem mit alt­nor­di­schen Namens­tra­di­tionen aus­kennst oder Dir wenigs­tens den ein oder anderen Zwer­gen­stamm­baum mit all den alli­te­rie­renden und rei­menden Namen ange­sehen hast,wirst Du Dir selbst denken können, dass Óin und Glóin Brüder sind.

Auch die Namen von Orten können viel erzählen. In meiner Stadt gibt es zum Bei­spiel eine Straße mit dem Namen „Am Bran­dende“. — Muss ich Dir da noch extra erzählen, dass die Stadt in ihrer jahr­hun­der­te­langen Geschichte ein paar Mal gebrannt und einer der Brände in der Gegend dieser Straße auf­ge­hört hat? In einer Geschichte ließe sich also schon allein durch die Erwäh­nung eines sol­chen Stra­ßen­na­mens sehr viel World-Buil­ding betreiben.

Wenn Du die Funk­ti­ons­weise von Gesell­schaften nebenher „showen“ möch­test, dann achte darauf, wie die Figuren mit­ein­ander inter­agieren. Gibt es zum Bei­spiel bestimmte Rituale und Höf­lich­keits­normen? In einem frü­heren Artikel haben wir über Hier­ar­chien und Macht­struk­turen gespro­chen. Wenn Du also solche Struk­turen her­aus­ge­ar­beitet hast, dann zeige sie am Ver­halten der Figuren: Wenn wäh­rend einer Schlacht gegen die Holo­mis­u­ha­si­tams alle Figuren die Befehle von Gene­ral­leut­nant Kläu­schen befolgen, dann sagt das etwas über seinen Platz in der Gesell­schaft aus. Wenn Gene­ral­leut­nant Kläu­schens Befehle aber mit einem Augen­rollen ange­nommen und nur halb­herzig aus­ge­führt werden, wäh­rend das Fritz­chen-Lies­chen-Duo kaum etwas tun muss, damit die anderen seine Ideen umsetzen, zeigt das eine Dis­kre­panz zwi­schen Kläu­schens for­malem Kom­man­do­posten und seiner tat­säch­li­chen Rolle im Kampf mit den Aliens.

Denke daran, dass Men­schen grund­sätz­lich anpas­sungs­fä­hige Wesen sind. Und Anpas­sung funk­tio­niert durch Beob­ach­tung. Wenn Du Dir also den Kopf zer­brichst, wie Du irgend­welche Prin­zi­pien und Funk­ti­ons­weisen dar­stellst, dann kannst Du auf eigene Erfah­rungen zurück­greifen: Denn zwar bereisen wir keine fik­tiven Welten, aber jeder kennt es, dass man, wenn man in eine neue Gegend und/oder Gruppe kommt, die Gepflo­gen­heiten darin zunächst einmal auf sich wirken lässt. Man betrachtet die großen und die kleinen Dinge, ahmt die Ein­hei­mi­schen nach und ver­sucht, sie zu ver­stehen:

Wenn Du zum Bei­spiel nach Japan kommst, wirst Du keinen Rei­se­führer gelesen haben müssen, um fest­zu­stellen, dass Ver­beu­gungen dort als wich­tige Höf­lich­keits­geste gelten. Du merkst es ein­fach, weil die Men­schen um Dich herum sich ständig vor­ein­ander ver­beugen. Und wenn Du ein anstän­diger, höf­li­cher Mensch bist, beob­ach­test Du, in wel­chen Situa­tionen sie es tun, und fängst irgend­wann an, Dich in sol­chen Situa­tionen eben­falls zu ver­beugen.

Genau das­selbe tut der Leser mit der fik­tiven Welt in Deiner Geschichte.

Über­lege also, welche Dinge Dir auf­fallen, wenn Du andere beob­ach­test, und dann hast Du schon mal ein paar Ideen, welche Dinge Du in Deiner Geschichte ein­fach nebenher ein­streuen kannst.

Visu­elles zeigen

Manche Dinge sind aber auch rein visuell: Eine Land­schaft zum Bei­spiel kannst Du nicht „in Aktion“ zeigen, weil sie sta­tisch ist. Sie kann höchs­tens als Meta­pher für die inneren Vor­gänge in der Seele der Reflek­tor­figur dienen — aber an sich exis­tiert sie ein­fach und kann nur beschrieben werden.

Ebenso wie „Tell“ laufen allzu aus­schwei­fende Beschrei­bungen aber Gefahr, zu reinem Info-Dump zu ver­kommen. Des­wegen habe ich in einem frü­heren Artikel gesagt:

Die besten Beschrei­bungen sind kurz, kna­ckig und treffen den Nagel auf den Kopf.

Ich meine, wenn Du das sel­tene Talent hast, beson­ders ästhe­tisch, humor­voll oder ander­weitig inter­es­sant zu beschreiben, und eine solche Beschrei­bung auch zu Deiner Geschichte und der kon­kreten Text­stelle passt, dann spricht nichts dagegen, dieses Talent zu nutzen. Gene­rell soll­test Du aber nicht schwa­feln.

Tipps für gute Beschrei­bungen fin­dest Du übri­gens im besagten frü­heren Artikel. Worauf Du aber außerdem noch achten soll­test, ist, wo Du diese Beschrei­bungen plat­zierst — denn über eine Landschafts‑, Stadt- oder Was-auch-immer-Beschrei­bung, die gefühlt aus hei­terem Himmel fällt, freut sich nie­mand. Des­wegen sollte eine Beschrei­bung da auf­tau­chen, wo sie rele­vant ist: Wenn Deine Figuren zum Bei­spiel ein Gebirge durch­queren, bietet es sich an, den Leser ihren Bli­cken folgen zu lassen und mit ihnen zusammen die Berge zu betrachten. Außerdem können gerade Land­schafts­be­schrei­bungen gut in Dia­logen unter­ge­bracht werden, wenn die Figuren eine Rei­se­route, eine Schlacht, den Bau eines Hauses oder Ähn­li­ches planen und dabei die Beson­der­heiten der Land­schaft berück­sich­tigen müssen.

Wie vorhin kurz erwähnt, können Beschrei­bungen auch die inneren Vor­gänge der Figuren spie­geln oder ander­weitig zum Auf­bauen einer Stim­mung genutzt werden: Wenn Du zum Bei­spiel eine trost­lose Stim­mung auf­bauen möch­test, lohnt es sich, eine trost­lose Umge­bung zu skiz­zieren. Häufig finden sich solche atmo­sphä­ri­schen Beschrei­bungen am Anfang einer Szene, weil dem Leser ja unter anderem ver­mit­telt werden muss, wo die Szene über­haupt statt­findet — und atmo­sphä­ri­sche Beschrei­bungen lassen sich eben gut an die Nen­nung des Hand­lungs­ortes kop­peln.

Und natür­lich musst Du eine Sache auch nicht kom­plett an einer ein­zigen Stelle beschreiben, son­dern es ist sogar durchaus sinn­voll, die Beschrei­bung häpp­chen­weise zu streuen: Wenn die Stadt Düs­ter­hausen zum ersten Mal erwähnt wird, reicht es sicher­lich, wenn die Figuren, die schon mal dort gewesen sind, sich abfällig dar­über äußern. Sobald die Reflek­tor­figur die Stadt zum ersten Mal betritt, kannst Du aus­führ­li­cher auf die Düs­ternis von Düs­ter­hausen ein­gehen.

Die Magie der Mon­tage

Nicht zuletzt können wir, wenn wir, wenn wir von Sub­ti­lität und „Show“ reden, uns auch vom Genre Film inspi­rieren lassen. In einem frü­heren Artikel bin ich bereits auf Mon­ta­ge­tech­niken ein­ge­gangen. Diese sind vor allem des­wegen inter­es­sant, weil sie gerne zusätz­liche Bedeu­tungen erschaffen oder bereits vor­han­dene Bedeu­tungen ver­tiefen.

Zum Bei­spiel wird in der Ver­fil­mung von Remar­ques Der Weg zurück von 1937 relativ weit am Anfang zwi­schen den Kampf­hand­lungen an der Front und der Unter­zeich­nung des Waf­fen­still­stands vom 11. November 1918 umher­ge­sprungen. An sich han­deln die Szenen an der Front ein­fach nur von Krieg und Tod. Die Szenen, in denen sich die Dele­ga­tionen treffen und den Waf­fen­still­stand unter­zeichnen, han­deln von Ver­hand­lungen und Ver­trägen. Wenn man zwi­schen den beiden Schau­plätzen aber hin und her schaltet, also eine soge­nannte Par­al­lel­mon­tage macht, ergibt sich eine dritte Bedeu­tung: Wäh­rend die Laber­di­plo­maten über die Ver­trags­be­din­gungen dis­ku­tieren und Papier­chen bekrit­zeln und sich dabei nicht allzu sehr beeilen, ist das Sterben an der Front beson­ders sinnlos, weil es vor dem Hin­ter­grund des ohnehin ver­lo­renen Kriegs und des anste­henden Waf­fen­still­stands mehr denn je irrele­vant ist, ob ein kon­kreter Schüt­zen­graben erobert wird oder nicht.

Durch Mon­tage kannst Du also bestimmte Sach­ver­halte zeigen, ohne sie explizit zu erklären oder auch nur zu erwähnen. Der Leser zieht seine Schlüsse ein­fach selbst ange­sichts der bloßen Kom­bi­na­tion und Anord­nung der Szenen.

Dabei können Mon­ta­ge­tech­niken nicht nur auf Szenen, son­dern auch auf die Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung inner­halb einer ein­zigen Szene ange­wandt werden:

Zum Bei­spiel gibt es in der Spe­cial Extended Edi­tion von Der Herr der Ringe: Die Gefährten eine Szene, in der Ara­gorn ein Lied summt. Als Frodo ihn über die Figur in diesem Lied aus­fragt, erzählt Ara­gorn in Kurz­form die Geschichte von Beren und Lúthien, einer Liebe zwi­schen Mensch und Elbin. Später stellt sich heraus, dass dabei Ara­gorns eigene Geschichte ange­deutet wurde, weil er als Mensch mit der Elbin Arwen ver­lobt ist — beide übri­gens sogar direkte Nach­fahren von Beren und Lúthien. Somit ist diese Szene nicht ein­fach nur atmo­sphä­risch und zeigt etwas vom Wan­der­alltag der kleinen Gruppe, son­dern die Bin­nen­er­zäh­lung cha­rak­te­ri­siert Ara­gorn und ordnet ihn in ein noch viel grö­ßeres World-Buil­ding ein. Die Szene trans­por­tiert also Zusam­men­hänge, die weder im Dialog zwi­schen Frodo und Ara­gorn noch in der Bin­nen­er­zäh­lung an sich genannt werden.

Schau Dich also in anderen Gat­tungen um und lass Dich inspi­rieren! Denn letzt­end­lich ist Ori­gi­na­lität nichts weiter als eine neue Kom­bi­na­tion alt­be­kannter Dinge.

Schluss­wort

Wie Du siehst, erfor­dert das Ein­binden des World-Buil­dings in die Geschichte sehr viel Fin­ger­spit­zen­ge­fühl und Übung. Ich hoffe aber, dass dieser Artikel Dir eine kleine Hilfe sein kann.

Ansonsten möchte ich mal wieder die Wich­tig­keit der Ziel­gruppe anspre­chen. Denn jede Ziel­gruppe hat einen anderen Wis­sens­stand und wäh­rend Du gegen­über einer Ziel­gruppe auf aus­führ­li­chere Erklä­rungen ver­zichten kannst, sind solche Erklä­rungen gegen­über einer anderen Ziel­gruppe über­le­bens­not­wendig. Es geht dabei nicht nur um wis­sen­schaft­liche Fach­be­griffe in Sci­ence-Fic­tion-Set­tings, son­dern auch um Geschichten, die in unserer eigenen Welt, aber dafür in einer bestimmten Kultur, Epoche oder in einem bestimmten Milieu spielen.

Zum Bei­spiel lesen und ver­stehen West­eu­ro­päer rus­si­sche Klas­siker wie Krieg und Frieden oft ein wenig anders als Russen, weil ihnen der kul­tu­relle Kon­text fehlt, dessen Kenntnis von den Autoren aber selbst­ver­ständ­lich vor­aus­ge­setzt wurde. Hätten sie primär für West­eu­ro­päer geschrieben, hätten sie expli­zite und/oder sub­tile Erläu­te­rungen ein­ge­baut. Ebenso fällt mir auf, wie sich mein Ver­ständnis von Anime mit zuneh­mender Kenntnis der japa­ni­schen Kultur ver­än­dert.

Ver­giss also nie, für wen Du Deine Geschichte schreibst, denn daraus ergibt sich auch, welche Teile des World-Buil­dings Du wie ein­führen musst.

Und apropos Ein­füh­rungen: World-Buil­ding ist ja gerade am Anfang der Geschichte, wenn der Leser mit der Welt noch gar nicht ver­traut ist, von beson­derer Wich­tig­keit. Doch was macht einen guten Anfang über­haupt aus? Das haben wir in einem frü­heren Artikel schon bespro­chen und ich lade Dich herz­lich ein, dort vor­bei­zu­schauen.

3 Kommentare

  1. Eigent­lich hatte ich Lust, den Bei­trag ganz zu lesen, weil er inter­es­sante Aus­füh­rungen zu bieten ver­sprach. Leider werden in dem Bei­trag zu viele Abso­lu­tismen ver­wendet oder auch steu­ernde Suggestivfragen(Beispiel: „(…) Lexi­kon­ar­tikel zu einem Thema, von dem man nicht weiß, warum es einen über­haupt inter­es­sieren sollte.“) Dieses Vor­gehen durch­zieht den gesamten Text, soweit ich beim Quer­lesen fest­stellen konnte. Was also eine anre­gende Ein­füh­rung in den Gegen­stand „World­buil­ding“ sein könnte, wird in meinen Augen zum Vor­trag einer ver­meint­li­chen „Auto­rität“, deren Exper­tise offenbar nicht hin­ter­fragt werden soll. Schade!

    socialmeder
    1. Vielen Dank fürs Feed­back!
      Wenn Du meine „Autorität“/Expertise hin­ter­fragen möch­test, dann gerne — was wäre sonst der Sinn dieses Kom­men­tar­be­reichs? Ich weiß nicht, ob es Dir beim Quer­lesen auf­ge­fallen ist, aber ich ten­diere prak­tisch immer dazu, meine Bewer­tungen und Emp­feh­lungen zu rela­ti­vieren, betrachte meine Ansichten also nicht als das Non plus ultra, son­dern höchs­tens nur als Ergebnis jang­jäh­riger empi­ri­scher Beob­ach­tung von Ten­denzen. Wenn Du einige der von mir beob­ach­teten Ten­denzen anders siehst, wäre ein Aus­tausch sicher berei­chernd.

    2. Ich ver­stehe diesen Ein­wand nicht. Der Artikel gibt einem eine sehr gute Ein­füh­rung in das Thema und erklärt, welche Ansätze schnell zu Lan­ge­weile führen, sogar unna­tür­lich wirken, und wie man rele­vante Infor­ma­tionen direkt, indi­rekt oder subtil ein­bringen kann.

      Würde hin­gegen da stehen, dass man machen kann, was man will, und alles irgendwie schon passt, dann würde es ja gar nichts bringen, diesen Aritkel zu lesen.

      Es geht hier um Technik. Das ist wie beim Hand­werk. Zuerst lernt man, den Hobel richtig herum zu halten, bevor man ver­sucht, ihn für irgend­etwas Krea­tives zu mis­brau­chen. Und letz­teres müssen auch die wenigsten je tun, um kreativ zu sein.

      Stefan Steinegger

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