World-Buil­ding: Hier­ar­chien und Macht­struk­turen inner­halb von Gruppen und Gesell­schaften

World-Buil­ding: Hier­ar­chien und Macht­struk­turen inner­halb von Gruppen und Gesell­schaften

Wo immer Gruppen ent­stehen, kris­tal­li­siert sich bald eine Rang­ord­nung heraus. Und obwohl solche Rang­ord­nungen oft for­malen Regeln unter­worfen sind, spielen auch unter­schwel­lige und unter­be­wusste Dyna­miken eine Rolle. Beim World-Buil­ding und beim Erschaffen von Figuren müssen wir auf solche Fein­heiten achten. Schauen wir uns also an, wie Hier­ar­chien und Macht­struk­turen funk­tio­nieren …

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Wo immer sich eine Gruppe zusam­men­findet, haben einige Mit­glieder mehr zu sagen als andere. Ob es eine Clique von Freunden ist oder eine ganze Gesell­schaft: Men­schen, Tiere oder Fan­ta­sie­wesen bilden Gruppen, um gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Und jemand muss nun mal den Strang aus­wählen.

Wer genau den Strang aus­wählt, hängt von vielen Fak­toren ab. Schauen wir uns also an, wie und warum Hier­ar­chien ent­stehen, wie sie funk­tio­nieren und was einen guten Anführer aus­macht.

Sinn und Ent­ste­hung

Einer meiner abso­luten Lieb­lings­filme, Master and Com­mander, spielt an Bord des eng­li­schen Kriegs­schiffes HMS Sur­prise wäh­rend der Napo­leo­ni­schen Kriege. Unter dem Kom­mando von Cap­tain Jack Aubrey macht die HMS Sur­prise Jagd auf ein haus­hoch über­le­genes fran­zö­si­sches Kaper­schiff, die Acheron.

Der Film beginnt eines Mor­gens vor der Küste Bra­si­liens, als die Matrosen der HMS Sur­prise und der dienst­ha­bende Wach­of­fi­zier Hollom etwas im Nebel zu sehen glauben. Mid­shipman Hollom, der mit seinen 30 Jahren immer noch nicht zum Leut­nant auf­ge­stiegen ist, muss ent­scheiden, ob die Crew gefechts­klar machen soll, ist sich jedoch nicht sicher, ob das geheim­nis­volle Etwas eine Bedro­hung ist. Mid­shipman Calamy, noch ein Teen­ager, gesellt sich dazu und drängt ihn zu einer Ent­schei­dung. Als Hollom jedoch wei­terhin zögert, dreht sich Calamy zur Crew um gibt den Befehl, gefechts­klar zu machen.

Kurze Zeit später, als die HMS Sur­prise kampf­be­reit ist, beginnt der Beschuss. Das Etwas im Nebel ent­puppt sich als die feind­liche Acheron, die der Sur­prise auf­ge­lauert hat. Hätte Calamy Hollom seinen Zwei­feln über­lassen, wären die 197 Seelen an Bord der Sur­prise gelie­fert gewesen.

Master and Com­mander gilt als his­to­risch authen­ti­sche Dar­stel­lung des Mikro­kosmos Kriegs­schiff Anfang des 19. Jahr­hun­derts. Und Hier­ar­chie spielt in diesem Mikro­kosmos eine zen­trale Rolle: Fast 200 Mann müssen wie ein ein­ziger Orga­nismus funk­tio­nieren, wenn sie den Krieg auf hoher See über­leben wollen. Die Offi­ziere und Unter­of­fi­ziere müssen schnell Ent­schei­dungen fällen. Die Matrosen haben ohne Dis­kus­sion zu gehor­chen. Und wenn ein Offi­zier oder Unter­of­fi­zier kei­nerlei Füh­rungs­qua­li­täten zeigt und die Matrosen ihn nicht respek­tieren, dann zer­legt die Gemein­schaft sich selbst von innen heraus.

Genau das ist, was mit Mid­shipman Hollom pas­siert: Sein Selbst­be­wusst­sein liegt irgendwo bei null, er sehnt sich nach Bestä­ti­gung und ver­sucht, sich bei der Crew anzu­bie­dern. Des­wegen haben die Männer keinen Respekt vor ihm. Sie gehor­chen ihm formal, aber als die Sur­prise eine Pech­strähne durch­macht, erklären sie ihn zum Sün­den­bock und mobben ihn in den Selbst­mord.

Das kom­plette Gegen­teil ist Cap­tain Aubrey. Er ver­steht die Wich­tig­keit von Hier­ar­chie auf dem Schiff und setzt sie – wenn nötig – mit eiserner Faust durch. Als ein betrun­kener Matrose gegen­über dem rang­hö­heren Hollom nicht salu­tiert und ihn statt­dessen sogar anrem­pelt, lässt er den Mann tra­di­ti­ons­gemäß aus­peit­schen. Doch grund­sätz­lich liebt Aubrey sein Schiff und seine Crew, ist groß­zügig, kame­rad­schaft­lich und trauert auf­richtig um die Toten nach einem Gefecht. Und er ist auch selbst nicht froh, als er sich gezwungen sieht, den betrun­kenen Matrosen zu bestrafen. Kurzum: Er hat einen Auf­trag und geht ihm pflicht­be­wusst nach, lässt dabei aber auch nicht das Wohl­ergehen seiner Männer aus den Augen.

Das ist es zumin­dest, was die meisten seiner Männer sehen: Aubrey ist beliebt. Sein bester Freund, der Schiffs­arzt Ste­phen Maturin, hin­ter­fragt ihn jedoch und warnt ihn immer wieder davor, in die Tyrannei abzu­rut­schen. Aubrey ist näm­lich sehr ambi­tio­niert und will die Acheron unbe­dingt besiegen. Obwohl der Feind haus­hoch über­legen ist, setzt er sich gegen die Rat­schläge seiner Offi­ziere durch und nimmt den Kampf auf. Er geht große Risiken ein, setzt das Leben seiner Männer aufs Spiel und ist damit der­je­nige, der eigent­lich für die Pech­strähne der Sur­prise ver­ant­wort­lich ist. Doch weil die Crew ihn so sehr liebt, sucht sie sich, wie gesagt, einen anderen Sün­den­bock.

Damit ist Master and Com­mander nicht nur eine wun­der­bare Dar­stel­lung vom Leben auf einem eng­li­schen Kriegs­schiff Anfang des 19. Jahr­hun­derts mit all den über­le­bens­not­wen­digen Hier­ar­chien, son­dern setzt sich auch mit der toxi­schen Wir­kung dieser Hier­ar­chien aus­ein­ander.

For­male Hier­ar­chien und fak­ti­sche Hier­ar­chien

Nicht zuletzt wird in Master and Com­mander deut­lich, dass for­male Hier­ar­chien und fak­ti­sche Hier­ar­chien zwei ver­schie­dene paar Schuhe sind:

Schon Tiere, die sich in Gruppen zusam­men­finden, haben meis­tens jemanden, der das Sagen hat. Und auch Men­schen scheinen einen sol­chen hier­ar­chi­schen Instinkt zu besitzen:

Break­fast Club zum Bei­spiel wird u. a. sehr ein­drück­lich gezeigt, wie zwei männ­liche Exem­plare der Spe­zies Homo sapiens um die Stel­lung des Alpha­männ­chens kon­kur­rieren. Dazu hört auch der Kampf um die Auf­merk­sam­keit des Alpha­weib­chens Claire. Das ist eine Dynamik, die ganz natür­lich ent­steht, obwohl es gar keine Not­wen­dig­keit gibt: Bei der Gruppe han­delt es sich um fünf Schüler, die an einem Samstag nach­sitzen müssen, nicht mehr.

Was den Men­schen jedoch unter­scheidet, ist, dass die hier­ar­chi­sche Posi­tion eben auch eine for­male Kom­po­nente hat: Wird im Tier­reich der Kom­pe­ten­teste zum Anführer, zählen bei Men­schen auch Dinge wie Abstam­mung, Alter, Dienst­grad, Aus­sehen, Auf­treten etc. Und so kommt es auch häufig vor, dass hier­ar­chisch höhere Posi­tionen von Leuten besetzt werden, die über­haupt nicht passen:

  • In Klasse 7–8 hatte ich zum Bei­spiel einen Phy­sik­lehrer, bei dem die Schüler wäh­rend des Unter­richts rein und raus spa­ziert sind. Jeder hat gemacht, was er will, und sich in voller Laut­stärke mit seinem Nach­barn unter­halten. Dem Unter­richt zu folgen war unmög­lich. Und einmal war ich sogar die ein­zige, die zur Phy­sik­stunde auf­ge­kreuzt ist. Ja, auf der einen Seite waren meine Mit­schüler offenbar unfähig, diesem Lehrer auch nur ein Minimum an zwi­schen­mensch­li­chem Respekt ent­ge­gen­zu­bringen. Aber ande­rer­seits ist jemand, der kei­nerlei Auto­rität aus­strahlt und sich nicht durch­setzen kann, im Leh­rer­beruf ein­fach nur falsch. Kinder haben ein feines Gespür für Schwäche und nutzen sie aus, so sehr man sie auch zu zivi­li­siertem Mit­ein­ander erziehen mag.
  • Ein anderes Extrem sind Nar­zissten, die Stu­dien zufolge tat­säch­lich über­pro­por­tional häufig in Macht­po­si­tionen ver­treten sind. Müssen sich die Anführer im Tier­reich erst beweisen, kommt man unter Men­schen sehr weit, wenn man gut täu­schen kann. Nar­zissten streben nicht des­wegen Macht­po­si­tionen an, weil sie auf die Ver­ant­wor­tung scharf sind und die Gruppe zum Erfolg führen wollen, son­dern sie sehnen sich nach Kon­trolle per se, um ihre tief­sit­zende Angst zu kom­pen­sieren, sowie nach Auf­merk­sam­keit und Bewun­de­rung als Gegen­ge­wicht zu ihrem mons­trösen Min­der­wer­tig­keits­kom­plex. Und das Pro­blem bei Nar­zissten ist, dass sie oft über gute schau­spie­le­ri­sche Fähig­keiten ver­fügen: Sie lügen, täu­schen Kom­pe­tenz vor und spinnen Intrigen, um Kon­kur­renten aus­zu­schalten. Und wenn sie die ersehnte Macht­po­si­tion end­lich errei­chen, fahren sie Pro­jekte gegen die Wand, ver­giften das Team und fühlen sich dabei groß­artig. Denn am Schei­tern des Pro­jekts sind immer andere schuld, nie­mals sie selbst.

Hier­ar­chi­sche Instinkte

Diese Dua­lität von for­malen und fak­ti­schen Hier­ar­chien scheint ein ewiges Pro­blem des Men­schen zu sein. Die Not­wen­dig­keit von Hier­ar­chien an sich ist dem Men­schen durchaus bewusst und er ver­sucht, sie in feste Struk­turen zu pressen, die bestimmen, wer unter wel­chen Bedin­gungen auf­steigen darf. Bloß miss­achten diese Struk­turen oft die tie­ri­sche Kom­po­nente des Men­schen, der die Kom­pe­tenz anderer unbe­wusst immer noch nach den Kri­te­rien der Jäger und Sammler beur­teilt: Oft genug kann man beob­achten, wie in Teams eben nicht auf den Experten in einer bestimmten Frage gehört wird, son­dern auf die ver­meint­lich stär­kere Per­sön­lich­keit bzw. auf die Person, die als kom­pe­tenter wahr­ge­nommen wird. Und mensch­liche Wahr­neh­mung lässt sich allzu leicht täu­schen.

  • Eine große Rolle spielen dabei das Aus­sehen und Auf­treten: Die optisch attrak­ti­vere oder zumin­dest gepfleg­tere Person ist im Vor­teil, weil ihr auf unter­be­wusster, tie­ri­scher Ebene bes­sere Gesund­heit und dadurch mehr Stärke unter­stellt wird. Jemand, der langsam und deut­lich spricht, sendet das Signal aus, ein starkes Raub­tier zu sein, das sich vor nie­mandem zu fürchten braucht. Auf etwas weniger ani­ma­li­sche Weise wird auch die Klei­dung als Sta­tus­symbol wahr­ge­nommen.
  • Auch ange­bo­rene kör­per­liche Merk­male, für die das Indi­vi­duum nichts kann, werden für unbe­wusste Rück­schlüsse auf die Kom­pe­tenz miss­braucht: Frauen werden nach­weis­lich im Schnitt weniger ernst genommen als Männer, großen Men­schen bringt man ten­den­ziell mehr Respekt ent­gegen, wäh­rend Klein­wüch­sige darum kämpfen müssen, als Erwach­sene ernst genommen zu werden, Men­schen mit tie­ferer Stimme nimmt das Tier in uns offenbar als stärker wahr usw.

Nichts – gar nichts – davon hat etwas mit tat­säch­li­cher Kom­pe­tenz zu tun. Zumin­dest nicht in unserer Zeit. Es mag sein, dass in der Stein­zeit kör­per­liche Stärke eine Kern­kom­pe­tenz eines guten Anfüh­rers war, aber wenn es bei­spiels­weise um wirt­schaft­liche Ent­schei­dungen geht, sollten wir auf Men­schen hören, die sich mit Wirt­schaft aus­kennen. Aber fak­tisch reicht fach­liche Kom­pe­tenz eben nicht aus: Der Anführer muss auch auf rein instink­tiver, ani­ma­li­scher Ebene über­zeugen.

Bis wir alle gelernt haben, uns gegen­seitig als gleich­wer­tige Men­schen wahr­zu­nehmen, wird es noch sehr lange dauern. Und bis dahin können wir noch so fleißig for­male Hier­ar­chie­mo­delle erfinden und per­fek­tio­nieren – fak­tisch hören werden wir wei­terhin auf die stein­zeit­li­chen Alpha­männ­chen.

Herr­schafts­formen und Macht­struk­turen

Doch was für for­male und fak­ti­sche Hier­ar­chie­mo­delle gibt es über­haupt? – Auf jeden Fall: zu viele zum Auf­zählen. Aber hier ein grober Über­blick:

Fami­li­en­dy­na­miken

Familie ist ein ver­hält­nis­mäßig kleiner Kreis von Men­schen, in dem man sich gut kennt. Des­wegen spielt die Per­sön­lich­keit hier wohl die größte Rolle. So kann der Ehe­mann und Vater in einer patri­ar­chalen Gesell­schaft das for­male Fami­li­en­ober­haupt sein, aber oft genug ist es die Ehe­frau und Mutter, die aus dem Hin­ter­grund heraus den Ton angibt. In vielen patri­ar­chalen Gesell­schaften geht das sogar so weit, dass die erwach­senen Söhne nicht mal den kleinen Finger rühren können, wenn ihre Frau Mama dagegen ist.

Frauen haben also durchaus etwas zu sagen in patri­ar­chalen Gesell­schaften, nur meis­tens beschränkt sich ihr Ein­fluss­be­reich auf Haus­halt und Familie, unab­hängig von ihren per­sön­li­chen Vor­lieben und Talenten. Wenn es sich jedoch um eine sehr ein­fluss­reiche Familie han­delt und der „Haus­halt“ ein ganzer Staat ist, dann kann die Königin oder Köni­gin­mutter durchaus das fak­ti­sche Staats­ober­haupt sein, auch wenn es ihr Ehe­mann oder Sohn ist, der auf dem Thron sitzt. Und wenn der männ­liche Herr­scher wie ein Kind mit seinen Zinn­sol­daten spielt und bei seinen Unter­tanen unbe­liebt ist, kann es durchaus auch vor­kommen, dass seine Ehe­frau ihn mal eben ent­thront, sich selbst die Krone auf­setzt und jahr­zehn­te­lang erfolg­reich regiert und ihre Lieb­haber wech­selt wie Unter­wä­sche (siehe Katha­rina II. und Peter III. von Russ­land).

Doch auch unter Män­nern ist nicht alles ein­deutig. Ist es oft üblich, dass der älteste Sohn nach dem Tod des Vaters zum Fami­li­en­ober­haupt auf­steigt, greift diese Tra­di­tion den­noch nicht immer. Napo­leon Bona­parte war zum Bei­spiel nur der zweit­äl­teste Sohn, wurde nach dem Tod seines Vaters aber das Ober­haupt der Familie – im Alter von nur 15 Jahren. Ein fik­tives, aber trotzdem überaus glaub­wür­diges Bei­spiel ist Michael Cor­leone, der in Der Pate als jüngster Sohn nach dem Tod seines Vaters zum neuen Mafia­boss auf­steigt.

Herr­schafts­formen

Geht es aber nun um Macht­struk­turen in einem ganzen Staat, spielen For­ma­li­täten eine grö­ßere Rolle. Zumin­dest ist die Rol­len­ver­tei­lung und Herr­schafts­nach­folge wesent­lich ela­bo­rierter als ein­fach nur „Vater“ oder „ältester Sohn“. Natür­lich ist nie­mals zu ver­gessen, dass die herr­schenden Eliten durchaus den Macht­struk­turen ihrer jewei­ligen Fami­lien unter­worfen sind, aber welche Fami­lien zu den herr­schenden Eliten gehören, vari­iert von System zu System.

Du kennst viele Vari­anten: Demo­kratie (Herr­schaft des Volkes), Mon­ar­chie (Allein­herr­schaft), Aris­to­kratie (Besten- bzw. Adels­herr­schaft), Olig­ar­chie (Herr­schaft weniger), Anar­chie (Herr­schaft von nie­mandem) …

Aller­dings gibt es auch weniger bekannte „Kra­tien“: Geron­to­kratie (Herr­schaft der Alten, Ältes­tenrat), Tech­no­kratie (Herr­schaft der Wis­sen­schaft und Technik), Epis­to­kratie (Phi­lo­so­phen­herr­schaft), Theo­kratie (Got­tes­herr­schaft), Meri­to­kratie (Herr­schaft durch aner­kannte Leis­tungen), Algo­kratie (Herr­schaft von Algo­rithmen) …

Natür­lich sind bei all diesen Herr­schafts­formen auch Kom­bi­na­tionen mög­lich: Ein Mon­arch kann zugleich ein Phi­lo­soph sein (Epis­to­kratie), jemand, der sich ver­dient gemacht hat, kann in einer Demo­kratie zum Staats­ober­haupt gewählt werden (Meri­to­kratie) und ein span­nender Fall ist die Wahl­mon­ar­chie, wie sie bei­spiels­weise im Hei­ligen Römi­schen Reich (deut­scher Nation) und in der Adels­re­pu­blik Polen-Litauen prak­ti­ziert wurde.

Damit kann ein bestimmtes Herr­schafts­kon­zept auch ver­schie­dene Gesichter haben: Wenn das Volk in einer Demo­kratie unmit­telbar über poli­ti­sche Sach­fragen abstimmt, dann ist das eine direkte Demo­kratie. Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hin­gegen ist eine reprä­sen­ta­tive Demo­kratie, d. h. wir wählen Ver­treter, die für uns Ent­schei­dungen fällen. Eine nega­tive Spielart der Demo­kratie wäre die Och­lok­ratie, die Pöbel­herr­schaft, bei der jede unqua­li­fi­zierte, selbst­süch­tige Dumpf­backe und ihr Hund mit­ent­scheiden dürfen.

Betonen sollten wir außerdem, dass es natür­lich oft einen Unter­schied gibt zwi­schen dem, was auf dem Papier steht, und dem, wie die Herr­schaft in einem kon­kreten Fall tat­säch­lich funk­tio­niert. Denn seien wir ehr­lich: Einige Demo­kra­tien haben in der Praxis doch einen olig­ar­chi­schen oder gar klep­to­kra­ti­schen Bei­geschmack.

Diese Abwei­chungen von der offi­zi­ellen Herr­schafts­form würden die ent­spre­chenden Staaten aber natür­lich nie­mals offen zugeben. Erst recht nicht, wenn es sich de facto um Sys­teme wie die Kaki­sto­kratie oder die Por­no­kratie han­delt.

  • Die Kaki­sto­kratie ist dabei genau das, wonach es sich anhört: Herr­schaft der Kaka bzw. der Schlech­testen. So habe ich per­sön­lich zum Bei­spiel hin und wieder das Gefühl, in einer Kaki­sto­kratie zu leben, in der vor allem die dümmsten, inkom­pe­ten­testen, rück­sichts­lo­sesten, ver­lo­gensten und geld­gie­rigsten Men­schen an die Macht kommen.
  • Die Por­no­kratie ist fast das, wonach es sich anhört: Mätres­sen­herr­schaft. Berühm­testes Bei­spiel: das Papsttum im 10. Jahr­hun­dert.

Wenn Du Dich über die ver­schie­denen „Kra­tien“ weiter infor­mieren möch­test, hier eine Liste der Herr­schafts­formen. Selbst die Biero­kratie (Herr­schaft des Bieres) wurde da nicht ver­gessen.

Herr­schaft durch­setzen

Kommen wir aber nun zur Praxis: Denn egal, wie eine Hier­ar­chie auf dem Papier aus­sehen mag und wie man sie de facto nennen möchte – in der Regel sind die Dyna­miken viel kom­plexer. Nicht nur, weil das Fak­ti­sche manchmal vom For­malen abweicht, son­dern auch, weil das Fak­ti­sche eben nicht immer ein­deutig ist und viele Aspekte eine Rolle spielen.

So ist die Lehns­py­ra­mide, wie sie im Geschichts­un­ter­richt auf­taucht, ziem­li­cher Unsinn. Wäh­rend meines Stu­diums besuchte ich eine Vor­le­sung zum Thema Lehns­wesen im Mit­tel­alter und in der aller­ersten Sit­zung teilte der Dozent, Prof. Dr. Steffen Pat­zold, Kopien einer Seite aus einem baden-würt­tem­ber­gi­schen Schul­buch aus. Und dann ging er den Text Satz für Satz durch und erklärte, was daran falsch oder ungenau ist.

Die ein­zelnen Punkte aus­führ­lich zu erläu­tern würde den Rahmen dieses Arti­kels sprengen, daher fasse ich nur grob und plump zusammen, was ich wäh­rend meines Bachelor-Stu­diums mit Haupt­fach Geschichts­wis­sen­schaft über mit­tel­al­ter­liche Herr­schafts­sys­teme gelernt habe:

Zunächst erst mal sollte die Tiefe einer Bezie­hung zwi­schen Vasall und Lehns­herr nicht über­be­wertet werden: Wenn der Vasall „ewige Treue“ schwörte, dann bedeu­tete es eher, dass er seinen Herrn nicht mal eben abste­chen würde. Mehr nicht. Damit hin­derte ihn auch nichts daran, meh­rere Lehns­herren zu haben, die even­tuell sogar ver­feindet waren. Denn ursprüng­lich han­delte es sich beim Lehns­wesen wohl um ein Wirr­warr von ganz banalen Geschäfts­be­zie­hungen, die erst mit der Zeit eine hier­ar­chi­sche Struktur bekommen haben.

Inmitten dieses Gewirrs von Geschäfts­be­zie­hungen war der König auch längst nicht die mäch­tigste Figur im Reich. Adlige, die rei­cher waren als er und auch besser ver­netzt, hatten fak­tisch mehr zu sagen bzw. konnten unab­hängig vom König ihr Ding machen. Bzw. der König brauchte ihre Unter­stüt­zung, wenn er etwas durch­setzen wollte. Und diese Unter­stüt­zung bekam er zum Bei­spiel durch Ver­hand­lungen, Ver­spre­chen und stra­te­gi­sche Ehen. Unterm Strich war die mit­tel­al­ter­liche „Hier­ar­chie­ord­nung“ also eher ein Netz von geschäft­li­chen und per­sön­li­chen Bezie­hungen, in dem alle irgendwie von­ein­ander abhängig waren, und wo der König nur den Kno­ten­punkt dar­stellte, nicht die Spitze einer Pyra­mide.

Vor allem musste ein mit­tel­al­ter­li­cher König auch vor Ort prä­sent sein, um seine Macht aus­zu­üben. Denn die Befol­gung seiner Erlasse und Gesetze musste ja kon­trol­liert werden. Damit waren die mit­tel­al­ter­li­chen Könige sehr viel unter­wegs und rich­tige Haupt­städte konnten erst ent­stehen, als auch die Macht zen­tra­li­sierter wurde und die Hier­ar­chien rigider. Eine der wich­tigsten Vor­aus­set­zungen dafür war wie­derum die Wei­ter­ent­wick­lung der Infra­struktur: Denn erst wenn ein Herr­scher die Mög­lich­keit hat, relativ schnell mit seinen Ver­tre­tern vor Ort zu kom­mu­ni­zieren, kann er es sich leisten, dau­er­haft in seiner Lieb­lings­re­si­denz zu hausen.

Das war nur ein sehr grobes und abs­traktes his­to­ri­sches Bei­spiel von unzäh­ligen.

Und egal, wel­ches Hier­ar­chie­system Du Dir aus der Geschichte oder Gegen­wart her­aus­pickst: Wenn Du auch nur ein biss­chen in die Tiefe gräbst, ent­puppt es sich meis­tens als kom­pli­ziert.

Hier­ar­chie­fak­toren

Das­selbe gilt im Prinzip auch für klei­nere Gruppen. Zwar spielen Dinge wie die Infra­struktur bei einem Hel­den­team, bei dem alle Mit­glieder immer zusammen unter­wegs sind, eher weniger eine Rolle. Dafür sind andere Fak­toren aber umso wich­tiger:

  • An aller­erster Stelle sind da natür­lich Kultur, Tra­di­tionen und Werte: Wird der Adel beson­ders respek­tiert, dann werden die Adligen in der Gruppe sicher­lich etwas zu sagen haben. Respek­tiert man alte Men­schen, dann wird der alte Greis ver­mut­lich das letzte Wort haben. Werden magi­sche Fähig­keiten beson­ders wert­ge­schätzt, wird man vor allem auf die Hexe hören.
  • Eng daran gekop­pelt ist auch die Men­ta­lität: So sind die Deut­schen ja u. a. für ihre Auto­ri­täts­hö­rig­keit bekannt. Bereits Napo­leon schätzte seine deut­schen Sol­daten, weil sie im Gegen­satz zu den Fran­zosen, die ja gerade erst eine Revo­lu­tion hinter sich hatten, weniger zu Befehls­ver­wei­ge­rung neigten. Höchs­tens unter Ein­fluss von Alkohol. Damit haben for­male Hier­ar­chien unter auto­chthonen Deut­schen ten­den­ziell mehr Gewicht als in anderen Gesell­schaften.
  • Und natür­lich ist da auch der Faktor von roher Gewalt: Denn Dein Gegen­über mag eine noch so wich­tige, ein­fluss­reiche Person sein und noch so beein­dru­ckende Titel haben, aber wenn Du eine Pis­tole hast und er nicht, dann hast Du das Sagen. Umge­kehrt wie­derum kann es auch für den for­malen Anführer manchmal nötig sein, seine Macht mit Gewalt durch­zu­setzen: So war der Schrift­steller Ernst Jünger wäh­rend des Ersten Welt­krieges ein offenbar fähiger, beliebter und mehr­fach aus­ge­zeich­neter Leut­nant. Und nichts­des­to­trotz beschreibt er in seinem Buch In Stahl­ge­wit­tern, wo er kurz nach dem Krieg seine Erin­ne­rungen nie­der­ge­schrieben hat, eine Situa­tion, in der er sich gezwungen sah, flie­hende Sol­daten mit seiner Pis­tole zu bedrohen, damit sie ste­hen­blieben und die Stel­lung hielten. Später begeg­nete er einem anderen Offi­zier, der das­selbe tat.

Und das sind nur einige Bei­spiele für Dinge, die die Hier­ar­chie inner­halb einer Gruppe beein­flussen können. Welche Fak­toren in Deinem Werk rele­vant sein sollen, ist Dir über­lassen. Doch der wohl wich­tigste Faktor, an dem nichts vor­bei­führt und den wir bereits bei der Bespre­chung von Master and Com­mander ange­schnitten haben, ist die Per­sön­lich­keit. Reden wir also etwas aus­führ­li­cher dar­über …

Macht und Per­sön­lich­keit

Sicher­lich brennt Dir seit meinen Aus­füh­rungen über hier­ar­chi­sche Instinkte der ein oder andere Ein­wand unter den Nägeln: Viel­leicht kennst Du per­sön­lich Frauen, vor denen alles stramm steht, und zwar nicht aus­schließ­lich in Haus und Familie. Viel­leicht kennst Du Klein­wüch­sige oder auch etwas klein gera­tene Nor­mal­große, die durch­set­zungs­fä­hige Chefs sind. Und viel­leicht hast Du Master and Com­mander gesehen und denkst die ganze Zeit an Mid­shipman Lord Wil­liam Bla­keney, der mit seinen ca. 13 Jahren zu den jüngsten Crew­mit­glie­dern gehört, seinem Alter ent­spre­chend eine kind­liche Stimme hat und dem am Anfang des Films der rechte Arm ampu­tiert wird: In der finalen Schlacht hat er ein Kom­mando und führt einen Trupp wesent­lich älterer Matrosen in den Kampf.

Was macht eine Füh­rungs­per­sön­lich­keit also aus?

Bezie­hungen

Bei den mit­tel­al­ter­li­chen Königen haben wir ja bereits gesehen, dass Bezie­hungen eine große Rolle spielen. Und dieses Prinzip gilt nicht nur im Mit­tel­alter, son­dern immer und überall:

Wer die meisten Freunde bzw. Anhänger hat, hat am meisten zu sagen.

Es ist zum Bei­spiel egal, dass Fritz­chen offi­ziell zum Anführer bestimmt wurde, wenn die meisten Team­mit­glieder eher Lies­chen respek­tieren. Außer Fritz­chen ist schwer bewaffnet und die anderen nicht. In dem Fall muss Fritz­chen sich aber vor einer Meu­terei fürchten und wird ver­mut­lich nachts nicht schlafen können, weil man dann seine Waffen stehlen und gegen ihn richten könnte.

Bezie­hungen beruhen jedoch nicht immer auf per­sön­li­cher Sym­pa­thie – zumin­dest nicht aus­schließ­lich. Es können auch zum Bei­spiel gemein­same poli­ti­sche Inter­essen sein: So kommt es durchaus vor, dass Men­schen sich mit ihren Feinden gegen einen noch grö­ßeren gemein­samen Feind ver­bünden. Auch Ideo­lo­gien und spe­ziell Reli­gion spielen oft eine wich­tige Rolle: In vor­christ­li­cher Zeit lei­teten Anführer ihre Abstam­mung gerne von den Göt­tern her – und wer die Gott­heit, von der Du angeb­lich abstammst, respek­tiert, wird auch Dich respek­tieren. In christ­li­cher Zeit wie­derum ist man König von Gottes Gnaden – wer also ein gläu­biger Christ ist, soll Gottes Willen respek­tieren und Dir gehor­chen. Und wenn Deine Pläne mit der christ­li­chen Ideo­logie in Kon­flikt geraten, folgst Du dem Bei­spiel von Hein­rich VIII. von Eng­land und führst in Deinem Land eine neue Ver­sion des Chris­ten­tums ein.

Empa­thie

Um Men­schen beein­flussen und um sich scharen zu können, soll­test Du idea­ler­weise sowohl über eine starke kogni­tive als auch über eine affek­tive Empa­thie ver­fügen. Kogni­tive Empa­thie ist dabei die Fähig­keit, die Gefühle anderer Men­schen wahr­zu­nehmen und zu ver­stehen. Affek­tive Empa­thie ist die Fähig­keit, die Gefühle anderer Men­schen auch selbst nach­zu­fühlen. Der Unter­schied wird beson­ders deut­lich, wenn eine dieser Empa­thien beein­träch­tigt ist:

  • So werden bei Autisten ange­bo­rene Defi­zite in der kogni­tiven Empa­thie beob­achtet. Sie haben oft Schwie­rig­keiten, die Gefühle anderer Men­schen zu erkennen und auch eigene Gefühle zu äußern. Ihre affek­tive Empa­thie ist jedoch nicht betroffen und einigen Unter­su­chungen zufolge oft sogar über­durch­schnitt­lich stark aus­ge­prägt, sodass Autisten, wenn sie denn die Gefühle eines anderen Men­schen ver­standen haben, sehr intensiv mit­fühlen. Unterm Strich sind das also sehr emo­tio­nale, mit­füh­lende Men­schen, die meis­tens sehr ehr­lich, idea­lis­tisch und loyal sind, von der Außen­welt jedoch leider oft als kalt und arro­gant miss­ver­standen und abge­lehnt werden. Zwar ist kogni­tive Empa­thie erlernbar und soge­nannte „hoch­funk­tio­nale Autisten“ können sich auch ziem­lich erfolg­reich als neu­ro­ty­pisch (nicht autis­tisch) tarnen – tat­säch­lich inter­es­sieren sich viele Autisten für Psy­cho­logie, weil sie die Men­schen um sich herum und auch sich selbst ver­stehen wollen -, aber weil ihre kogni­tive Empa­thie ange­lernt und nicht „natür­lich“ ist, laufen sie Gefahr, als unau­then­tisch wahr­ge­nommen zu werden. Außer sie haben Schau­spiel­ta­lent. (Tat­säch­lich gehört Schau­spie­lern zu den Lieb­lings­be­rufen von Autisten, weil sie sich in ihrem Alltag ohnehin ständig ver­stellen müssen.)
  • Das Gegen­teil von Autisten sind Psy­cho­pa­then und Nar­zissten: Sie ver­fügen über kogni­tive Empa­thie, aber die affek­tive Empa­thie ist beein­träch­tigt. Soll heißen: Sie sehen, was andere Men­schen fühlen, aber es ist ihnen egal. Außerdem können sie nach außen hin wun­derbar Gefühle simu­lieren, häufig zu Mani­pu­la­ti­ons­zwe­cken. Wäh­rend Psy­cho­pa­then trotz sta­tis­tisch höherer Nei­gung zu kri­mi­nellem oder ander­weitig aso­zialem Ver­halten nicht zwangs­läufig Schaden anrichten, sind Nar­zissten durch und durch toxisch, weil sich alles in ihrem Leben um ihr Ego dreht. Das heißt: Ein „gut­ar­tiger“ Psy­cho­path könnte zum Bei­spiel ein Feu­er­wehr­mann sein, der uner­schro­cken in bren­nende Häuser geht, sich von den Schmer­zens­schreien der Opfer nicht durch­ein­an­der­bringen lässt und knall­hart die Ret­tungs­ak­tion durch­zieht und dafür als Held gefeiert wird. Ein Nar­zisst hin­gegen wird diesen Beruf wahr­schein­lich gar nicht erst ergreifen, weil: O mein Gott, er wird doch nicht sein Leben für andere aufs Spiel setzen! Lieber lässt er die Ret­tungs­ak­tion von jemand anderem durch­führen und schmückt sich nachher mit dessen Lor­beeren.

Ein guter Anführer braucht, wie gesagt, beide Arten von Empa­thie, denn ohne kogni­tive Empa­thie wird er Schwie­rig­keiten haben, mit anderen Men­schen zu inter­agieren, und ohne affek­tive Empa­thie kommt er zwar durchaus in eine Macht­po­si­tion, ent­puppt sich jedoch mit großer Wahr­schein­lich­keit als Monster.

Einer der Gründe, warum kogni­tive Empa­thie zu Füh­rungs­po­si­tionen ver­hilft, ist, dass sie einem ermög­licht, andere Men­schen mehr oder weniger bewusst zu beein­dru­cken. Selbst­be­wusst­sein zum Bei­spiel ist zwei­fellos wichtig für einen guten Anführer, aber ein Autist kann noch so selbst­be­wusst sein – wenn er seine kogni­tive Empa­thie nicht trai­niert, wirkt er wie ein Alien und wird nicht akzep­tiert. Davon, dass das Selbst­be­wusst­sein von Autisten durch die jah­re­lange Ableh­nung durch ihr Umfeld oft zer­stört ist, ganz zu schweigen. Psy­cho­pa­then und Nar­zissten hin­gegen müssen nicht unbe­dingt echtes Selbst­be­wusst­sein haben, denn sie können es sehr gut dar­stellen. Auch können sie sehr über­zeu­gend ihre ver­meint­li­chen Fähig­keiten zur Schau stellen und anderen Men­schen durch gut plat­zierte Kom­pli­mente ein gutes Gefühl geben und sich per­sön­liche Sym­pa­thie sichern. Des­wegen fallen andere Men­schen so oft auf sie herein.

Kurzum: Kogni­tive Empa­thie ver­hilft zu Cha­risma. Manche Men­schen haben es von Natur aus, andere können es trai­nieren und wieder andere können die Theorie lernen, um ihre fik­tiven Figuren cha­ris­ma­tisch zu machen. Ich emp­fehle an dieser Stelle die You­Tube-Kanäle Rede­Fa­brik und Cha­risma on Com­mand.

Ent­schei­dungs­fä­hig­keit

Wäh­rend Cha­risma und Bezie­hungs­pflege einem helfen, Macht auf­zu­bauen und zu sta­bi­li­sieren, kommt es bei der Aus­übung von Macht vor allem auf Kom­pe­tenz an: Neben Fach­kennt­nissen im jewei­ligen Bereich sind das vor allem Intel­li­genz und Ent­schei­dungs­fä­hig­keit. Zu Deutsch:

Ein guter Anführer weiß, was zu tun ist, und tut es auch.

Und wenn er nicht weiß, was zu tun ist, dann findet er es heraus und lässt sich not­falls von anderen intel­li­genten Leuten beraten. Hier wie­derum ist seine kogni­tive Empa­thie bzw. Men­schen­kenntnis wichtig, damit er sich kom­pe­tente Berater aus­wählt und keine reinen Selbst­dar­steller. Daher gehört zu einem guten Anführer auch eine Por­tion Beschei­den­heit bzw. die Fähig­keit, anderen mehr Intel­li­genz und Fach­kennt­nisse ein­zu­räumen als sich selbst. Denn ein guter Anführer muss nun mal nicht in allem der Beste sein. Streng­ge­nommen kann er Intel­li­genz, Fach­kennt­nisse und Bezie­hungs­pflege sogar anderen über­lassen. Aber er muss die besten Ent­schei­dungen fällen.

Um also wieder auf das kon­krete Bei­spiel von Lord Bla­keney zu spre­chen zu kommen: Er mag ein Kind sein, aber er ist auch die viel­leicht empa­thischste Figur im ganzen Film und genießt des­wegen von allen Seiten Sym­pa­thie, eignet sich als Offi­zier in Aus­bil­dung aktiv Kom­pe­tenzen als See­mann und Soldat an, beweist wie­der­holt Tap­fer­keit, bei­spiels­weise, als er die Ampu­ta­tion seines Arms über­steht (ohne Anäs­thesie, wohl­ge­merkt!), und reagiert auf die Wen­dungen des finalen Gefechts schnell und kor­rekt. Mit anderen Worten: Er ist das bad­as­sigste Kind, das jemals über die Lein­wände und Bild­schirme geflim­mert ist, und das ganz ohne Super­kräfte oder ander­wei­tigen Schnick­schnack. Jemandem wie ihm folgt man bis ans Ende der Welt.

Schluss­wort

Wie Du also siehst,

beein­flussen das World-Buil­ding und das Erschaffen von Figuren sich gegen­seitig.

Wie eine Gruppe hier­ar­chisch auf­ge­baut ist, hängt teil­weise mit den Per­sön­lich­keiten der Figuren zusammen und diese wie­derum werden von ihrer jewei­ligen gesell­schaft­li­chen Posi­tion beein­flusst: Jemand, der von Geburt an gewohnt ist, dass man ihn ernst nimmt, ist meis­tens selbst­be­wusster und kann seine ange­bo­rene Posi­tion in der Hier­ar­chie besser ver­tei­digen. Ande­rer­seits aber kann jemand, der sich seine Stel­lung erst erkämpfen muss, seinen Cha­rakter öffent­lich unter Beweis stellen und dadurch andere beein­dru­cken und hinter sich scharen. Die Mög­lich­keiten sind unbe­grenzt und dieser Artikel soll nur als Anre­gung dienen.

Ansonsten ist auch zu bedenken, dass die hier­ar­chi­sche Posi­tion einer Figur durchaus gruppen- und situa­ti­ons­ab­hängig ist:

So mag Ludwig Breyer aus Remar­ques Der Weg zurück in den Schüt­zen­gräben des Ersten Welt­krieges ein respek­tierter und orden­be­hängter Leut­nant gewesen sein, der im Allein­gang einen Panzer lahm­ge­legt hat, aber bei der Regi­ments­zu­sam­men­kunft nach dem Krieg ist er wieder ein Schüler, der noch seinen Abschluss nach­holen muss. Sein ehe­ma­liger Bur­sche hin­gegen ist „Groß­in­stal­la­teur mit Was­ser­spü­lung und flotter Lage an der Haupt­ge­schäfts­straße“ und „klopft [Ludwig] behäbig auf die Schulter“. Und ein schlechter Unter­of­fi­zier ist im zivilen Leben Ober­lehrer und „erkun­digt sich über­legen nach […] Lud­wigs Examen“.
Erich Maria Remarque: Der Weg zurück, Vierter Teil, IV.

Und zu guter Letzt: Aus der Krea­tiv­Crew kam die Frage, wie das Prinzip „Show, don’t tell“ bei Hier­ar­chien funk­tio­niert. Weil man diese Frage aber zu allen Aspekten des World-Buil­dings stellen kann, schreit sie nach einem eigenen Artikel. Zwar habe ich bereits einen Artikel zu Expo­si­tion, World-Buil­ding und Info-Dum­ping, wo es auch um „Show, don’t tell“ geht, aber er ist schon alt und hat durchaus Ver­bes­se­rungs­po­ten­tial. Des­wegen ist diese Frage, bezogen auf World-Buil­ding all­ge­mein, jetzt offi­ziell auf der The­men­liste.

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