Jahr für Jahr hauen Autoren, Hollywood und andere Medien Geschichten über „starke Frauen“ heraus. Sie sollen einer Nachfrage nach weiblichen Vorbildern entgegenkommen, tun dies jedoch oft mehr schlecht als recht. Das aktuellste Beispiel ist Rey, die Heldin der neuesten Star Wars Trilogie. Ist sie wirklich eine Mary Sue? Und warum ist Mulan, die seit 20 Jahren Mädchen und Frauen begeistert, eine bessere Identifikationsfigur? Und überhaupt: Worauf kommt es an, wenn man Geschichten über „starke Frauen“ schreibt?
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In den letzten Jahren werden kriegerische Frauen immer öfter in den Vordergrund gerückt, und die neuesten Star Wars-Filme haben mich inspiriert, meinen eigenen Senf hinzuzugeben.
Doch eigentlich hat dieser Artikel eine sehr lange Vorgeschichte …
Mädchen brauchen „starke Frauen“
In meiner Kindheit kannte ich keine Märchenheldinnen, mit denen ich mich identifizieren konnte. Diese ganzen glitzerrosa Prinzessinnen, Feen und Konsorten fand ich blöd. Es gab durchaus Protagonisten, die ich interessant fand, aber sie waren alle männlich. Ich hatte aber das Bedürfnis nach einer weiblichen Heldin.
Tja. Und dann kam sie: Fa Mulan. Und nach all den Jahren bin ich immer noch ein Fan von ihr.
Ich finde also durchaus, dass an dem Vorwurf, die Rolle der Frauen sei in den Medien auf einige wenige Muster reduziert, sehr viel dran ist. Da ist nicht nur meine eigene Biografie, wo ich jahrelang auf Mulan warten musste, sondern auch die zahlreichen Klischees wie:
- Pink Means Feminine
- The Smurfette Principle
- Men Are Generic, Women Are Special
- Men Are Strong, Women Are Pretty
- …
All diese Klischees sind Klischees, weil es tatsächlich Geschlechterdarstellungen sind, auf denen ständig herumgeritten wird. Und um hier meine persönliche weibliche Seite zu beleuchten: Ich hatte als Kind durchaus das Gefühl, dass die Gesellschaft mir Verhaltensweisen aufzwingen wollte, die nicht zu mir passten. Ich wollte einfach nicht diese hübsche Feenprinzessin sein, die passiv auf ihren Prinzen wartet. Deswegen finde ich die Forderung nach starken Frauen sehr berechtigt.
Das Problem ist nur: Diese Forderung wird in den Medien systematisch missverstanden.
„Starke Frauen“ und Mary Sues
Ein Paradebeispiel für ein solches Missverständnis ist Rey aus der neuesten Star Wars-Trilogie:
- Sie ist beliebt und geschätzt bei allen „Guten“: Zwischen ihr und dem legendären Han Solo aus der ursprünglichen Trilogie zum Beispiel entwickelt sich ein Vater-Tochter-Verhältnis.
- Sie ist auch eine gute Raumschiffpilotin, obwohl sie vorher nie ein Schiff geflogen hat.
- Dazu ist sie auch eine gute Technikerin: Ja, sie hat jahrelang in alten Raumschiffen herumgeschnüffelt, aber ein altes Raumschiff auseinanderzunehmen und an einem funktionierenden Raumschiff herumzuwerkeln sind zwei verschiedene Dinge.
- Außerdem beherrscht sie die Macht und kämpft gut mit dem Lichtschwert
ohne nennenswertes Training. Die Jedi-Ritter brauchen dafür normalerweise jahrelange Übung. - Sie erleidet für ihr Handeln auch keine nennenswerten Konsequenzen. Sie wird zwischendurch zwar von Kylo Ren entführt, aber bei dem Verhör kann sie sich ihm widersetzen, entdeckt ihre Jedi-Fähigkeiten und kann so relativ leicht entkommen. Luke und Anakin hingegen haben ihrerzeit ihre Hände verloren.
- Anzumerken ist auch, dass es zwischen ihr und dem gutaussehenden Antagonisten Kylo Ren zu knistern scheint. Er ist also ein dunkler Prinz und er entwickelt einfach mal eben Interesse an ihr.
- Und nicht zuletzt: Zumindest im ersten Film noch hat Rey eine geheimnisvolle Herkunft. Im zweiten Film gibt es mehr Informationen, aber inwiefern sie stimmen, zeigt sich im letzten Teil.
Nun, wenn ich mir diese Punkte so ansehe, komme ich zu dem Schluss:
Rey ist eine Mary Sue.
(Eine idealisierte Figur, die alle anderen in den Schatten stellt.)
Das kann man bewerten wie man will: Man kann Rey mögen, man kann sie nicht mögen … Es ist Geschmackssache. Allerdings sind Mary Sues nicht die Art von Heldinnen, die unsere Gesellschaft braucht. Warum? – Das wird etwas später noch deutlich.
Kommen wir zunächst erstmal zu Mulan …
Eine inspirierende „starke Frau“
Mulan ist ganz anders als Rey:
- Mulan ist ein „einfaches Mädchen“ (zumindest nach heutigen Maßstäben): Sie ist nicht superreich, sie ist nicht superarm. Sie hat eine Mama, einen Papa, die coolste Oma aller Zeiten und einen Hund.
- Vor allem in der ersten Hälfte der Geschichte scheitert sie regelmäßig.
- Alles, was sie am Ende kann, muss sie erst lernen.
- Ansehen und Bewunderung, unter anderem auch von Menschen, die später ihre besten Freunde werden, muss sie sich hart erarbeiten.
- Auch den „Prinzen“ muss sie sich verdienen. Seine Zuneigung zu ihr als Frau wird erst deutlich, wenn sie China und auch sein eigenes Leben gerettet hat.
Durch das alles hat Mulan sehr viel Identifikationspotential: Sie muss sich erst entwickeln und das wiederum sendet die Botschaft:
Jede Frau kann so cool werden wie Mulan.
Während Rey also Schritt für Schritt erfährt, wie supertoll und begabt sie ist, ist Mulan am Anfang nichts Besonderes, sondern macht aktiv das Beste aus sich. Deswegen ist Mulan eine Figur, die inspiriert und motiviert.
„Starke Frau“ ≠ „starke Frau“
Wenn wir also nun Rey und Mulan direkt miteinander vergleichen, merken wir Folgendes:
- Rey hat angeborene Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten machen sie definitiv zu einer starken Frau. Aber: Sie entwickelt sich nicht. Sie entdeckt ihre Fähigkeiten, aber sie entwickelt sie nicht. Deswegen ist Rey als Figur eher schwach.
- Mulan hingegen muss lernen. Sie ist stark, weil sie sich entwickelt Deswegen ist Mulan vor allem eine starke Figur.
Worauf es bei „starken Frauen“ ankommt
Und damit komme ich auch zur Botschaft, die ich mit diesem Artikel senden möchte:
Die Forderung nach „starken Frauen“ ist immer auch eine Forderung nach starken weiblichen Figuren, die Frauen und Mädchen als Vorbild und Motivation dienen können.
Eine Mary Sue, die perfekt auf die Welt gekommen ist und es einfach noch nicht wusste, motiviert nicht. Denn nur die wenigsten von uns kommen perfekt auf die Welt. Damit kann man sich nicht identifizieren.
Eine Figur hingegen, die sich entwickelt, motiviert einen, an sich zu arbeiten und das Beste aus sich herauszuholen.