Welches Genre hat Dein Roman?

Welches Genre hat Dein Roman?

Über Jahrtausende hin­weg erzählen sich die Men­schen immer die gle­ichen Geschicht­en. Und trotz­dem sind diese Geschicht­en einzi­gar­tig. Nur gehören sie eben zum sel­ben Genre. Dabei sind Gen­res so wand­lungs­freudig, dass mit­tler­weile ein regel­recht­es Chaos von Sub‑, Zwis­chen- und Nis­chen­gen­res herrscht. Wie soll man als Autor da also durch­blick­en und das richtige Genre für die eigene Geschichte bes­tim­men? Das besprechen wir in diesem Artikel.

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Wenn man darüber redet, worum es in einem Buch geht, fragt man oft nach dem Genre. Als wäre es eine Art Abkürzung:

  • Es ist ein High-Fan­ta­sy-Aben­teuer? – Okay, dann geht es da bes­timmt um eine Helden­quest!
  • Es ist ein Kri­mi? – Aha, jemand wird ermordet!
  • Es ist ein Liebesro­man? – Zwei tre­f­fen und ver­lieben sich.

Die meis­ten Men­schen kön­nen sich darauf eini­gen, dass seit Jahrhun­derten und Jahrtausenden im Grunde immer wieder diesel­ben Geschicht­en erzählt wer­den. Und natür­lich fängt man da irgend­wann an, zu kat­e­gorisieren: Geschichte X ähnelt der Geschichte Y, ich liebe Geschichte Y, also wird mir wahrschein­lich auch X gefall­en.

Genau hier set­zt dann das Buch-Mar­ket­ing an: Du magst his­torische Romane? Hier sind unsere Best­seller! Bedi­en dich!

Ander­er­seits:

Obwohl mir oft unter­stellt wird, ein großer Fan­ta­sy-Fan zu sein, tue ich mich unheim­lich schw­er damit, mein eigenes Lieblings­genre zu benen­nen. Ich mag den Her­rn der Ringe, ja, aber das ist vielle­icht das einzige Fan­ta­sy-Werk, das ich qua­si-religiös anbete. Und wenn ich mir die Klap­pen­texte von Fan­ta­sy-Büch­ern durch­lese, bin ich 80 Prozent der Zeit über am Augen­rollen. Von meinem lieb­sten Set­ting her müsste ich his­torische Romane nen­nen, vor allem wenn sie gut recher­chiert sind. Allerd­ings bin ich auch hier de fac­to meis­tens am Augen­rollen. Wenn ich also auf Teufel komm raus ein Lieblings­genre nen­nen soll, dann würde ich, aus­ge­hend von meinen Allzeit-Favoriten Der schwarze Obelisk, Der Herr der Ringe und Ver­brechen und Strafe, wahrschein­lich Klas­sik­er nen­nen. – Was natür­lich nicht sehr aus­sagekräftig ist: Denn es gibt nor­maler­weise sehr gute Gründe, warum Klas­sik­er zu solchen gewor­den sind.

Wegen dieser per­sön­lichen Erfahrung bin ich zu dem Schluss gekom­men, dass Gen­res Bull­shit sind:

Nur weil ein Buch zum sel­ben Genre gehört wie eins mein­er Lieblingswerke, heißt das in der Prax­is noch lange nicht, dass es mir gefällt. Worauf es eher ankommt, ist, dass das Buch gut ist. Und das garantiert kein einziges Genre – außer vielle­icht eben Klas­sik­er.

Und trotz­dem gibt es Gen­res. Sie sind anscheinend also doch nicht sinn­los. Deswe­gen wer­fen wir heute einen genaueren Blick darauf.

Was ist ein Genre überhaupt?

Als Begriff ist “Genre” schw­er zu definieren, weil er ger­ade im Deutschen oft mit dem Ter­mi­nus “Gat­tung” ver­mis­cht wird. Auch hat es in den ver­schiede­nen Wis­senschaften – Lit­er­atur­wis­senschaft, Medi­en­wis­senschaft, Filmwis­senschaft etc. – viele the­o­retis­che Ansätze gegeben, die sich als nicht sehr prax­is­tauglich erwiesen haben. Kon­stant ist da eigentlich nur der Ver­such,

fik­tionale Geschicht­en irgend­wie nach The­ma, Plot, Atmo­sphäre, Set­ting etc. zu kat­e­gorisieren.

Oder wie es Robert McK­ee in Sto­ry, seinem Klas­sik­er zum Drehbuch­schreiben, for­muliert:

“Gen­rekon­ven­tio­nen sind spez­i­fis­che Set­tings, Rollen, Ereignisse und Werte, die Einzel­gen­res und ihre Sub­gen­res definieren.”
Robert McK­ee: Sto­ry. Die Prinzip­i­en des Drehbuch­schreibens, über­set­zt von Eva Brück­n­er-Tuck­willer und Josef Zobel, Teil 2: Die Sto­ry-Ele­mente, Kapi­tel 4: Struk­tur und Genre, Die Beziehung zwis­chen Struk­tur und Genre.

Dabei fall­en heutzu­tage grob zwei Rich­tun­gen auf, für die Gen­res ver­wen­det wer­den: fürs Schreiben und fürs Mar­ket­ing. Der Gedanke ist, dass Geschicht­en des gle­ichen Gen­res feste Ele­mente enthal­ten, die das Pub­likum von diesem Genre auch erwartet. Robert McK­ee spricht davon, dass der Autor diese Erwartun­gen des Pub­likums ein­er­seits erfüllen, sie zugle­ich aber auch “zu frischen, uner­warteten Momenten führen” muss. Oder wie Blake Sny­der das zweite Kapi­tel seines Rat­ge­bers Save the Cat! offiziell betitelt: “Give me the same thing … only dif­fer­ent!” – “Gib mir das­selbe … nur anders!”

Der Kon­sens scheint zu sein:

Es gibt nur einige wenige Typen von Geschicht­en mit fes­ten (Plot-)Elementen, die jedoch der Orig­i­nal­ität hal­ber mit einem frischen Twist umge­set­zt wer­den soll­ten.

In amerikanis­chen Rat­ge­bern zum Drehbuch­schreiben geht es somit vor­rangig um Struk­turen, an denen man sich beim Schreiben ent­lang­hangeln sollte, wenn man etwas Erfol­gver­sprechen­des schreiben will.

Fürs Pub­likum – und damit auch fürs Mar­ket­ing – ist eine solche Kat­e­gorisierung nur von geringem Inter­esse. Denn dem Leser bzw. Filmzuschauer ist es her­zlich egal, nach welchen Struk­turen der Autor die Geschichte geschrieben hat. Vielmehr will er durch die Zuord­nung ein­er Geschichte zu einem bes­timmten Genre erfahren, worauf er sich ein­stellen soll. Denn wenn das Pub­likum mit falschen Erwartun­gen an eine Geschichte herange­ht, wird es ent­täuscht wer­den, sich vor den Kopf gestoßen fühlen und die Geschichte wom­öglich sog­ar nicht ein­mal ver­ste­hen.

McK­ee nen­nt hier als Beispiel den Film Mike’s Mur­der, dessen Mar­ket­ing einen Kri­mi ver­sprochen hat­te, obwohl es sich eher um einen Rei­fungsplot han­delt: “[D]ie bis­sige Mund­pro­pa­gan­da eines falsch posi­tion­ierten und ver­wirrten Pub­likums zog einem anson­sten guten Film den Boden unter den Füßen weg”, find­et McK­ee (Kapi­tel 4: Struk­tur und Genre, Beherrschung des Gen­res).

Wenn Du ein Pro­dukt an den Kun­den brin­gen willst, musst Du eben klar kom­mu­nizieren, was es ist, für wen und welch­es Prob­lem es löst.

Und wenn Du eine Geschichte an den Leser brin­gen willst, musst Du klar kom­mu­nizieren, was das für eine Geschichte ist, für wen und welche Lesebedürfnisse sie erfüllt.

Im Mar­ket­ing beze­ich­net man das als Posi­tion­ierung. Oder um es mit James N. Frey zu sagen:

“Genre bezieht sich auf die lit­er­arische Klas­si­fizierung eines Buch­es, die auf Formeln, Regeln und Ver­mark­tung­sprak­tiken des Buch­han­dels basiert.”
James N. Frey: Wie man einen ver­dammt guten Roman schreibt, über­set­zt von Ellen Schlootz und Jochen Strem­mel, Kapi­tel: 2. Die drei wichtig­sten Regeln für eine Span­nende Geschichte: Kon­flikt! Kon­flikt! Kon­flikt!, Die Gen­res, die Schubfäch­er der Lit­er­atur.

Doch selb­st wenn wir uns vielle­icht darauf eini­gen, dass man zwis­chen struk­turellen Gen­res für Autoren und Mar­ket­ing-Gen­res unter­schei­den kann, bleiben die bei­den Def­i­n­i­tio­nen schwammig:

Denn gefühlt jed­er Schreibrat­ge­ber, jede The­o­rie, jede Plat­tform und jed­er Ver­lag hat ein höchst eigenes Kat­e­gorisierungssys­tem.

Wer­fen wir also einen Blick auf dieses Durcheinan­der …

Welche Genres gibt es?

Das, was einem als Laie am schnell­sten in den Sinn kommt, wenn man an Gen­res denkt, sind die typ­is­chen Film­gen­res, die sich nicht auf der Grund­lage irgendwelch­er The­o­rien, son­dern durch Beobach­tun­gen des Mark­tes ergeben haben. Robert McK­ee hat sie ein wenig sys­tem­a­tisiert:

  • Zunächst lis­tet er einige weitest­ge­hend selb­sterk­lärende Gen­res auf: Liebesgeschichte, Hor­ror­film, mod­ernes Epos, West­ern, Kriegs­film, Rei­fungsplot, Erlö­sungsplot, Bestra­fungsplot, Prü­fungsplot, Erziehungsplot, Desil­lu­sion­ierungsplot. Diese Gen­res haben natür­lich auch Sub­gen­res, aber da wür­den wir uns viel zu sehr in Details ver­graben.
  • Die Liste wird fort­ge­set­zt mit “Mega­gen­res”, deren Sub­gen­res noch weit­er gefächert sind: Komödie, Ver­brechen, Gesellschafts­dra­ma, Actionfilm/Abenteuerfilm.
  • Weit­er­hin spricht McK­ee von “Supra-Gen­res”, die “eine Vielzahl autonomer Gen­res” enthal­ten: His­to­rien­film, Biogra­phie, Doku-Dra­ma, Pseu­do­doku­men­ta­tion, Musi­cal, Sci­ence-Fic­tion, Sport­genre, Fan­ta­sy, Ani­ma­tion.
  • Schließlich nen­nt er noch den Kun­st­film.

Weil diese Gen­res aus der Prax­is des wan­del­freudi­gen Mark­tes ent­standen sind, ist diese Kat­e­gorisierung natür­lich keineswegs sta­tisch, son­dern passt sich immer an die aktuellen Entwick­lun­gen an. So skizziert McK­ee die Entwick­lung des West­erns vom “Sit­ten­stück” zum Gesellschafts­dra­ma, wie wir es zum Beispiel von Der mit dem Wolf tanzt ken­nen. Die Gen­res und ihre Ele­mente wan­deln sich, ver­mis­chen sich und manch­mal entste­hen auch neue Gen­res und Sub­gen­res.

Einen anderen Ansatz ver­fol­gt Blake Sny­der, der alle Filme der Welt in nur zehn eher plotzen­tri­erte Gen­res einord­net. Und weil es ein selb­ster­schaf­fenes Sys­tem ist, sind die Namen der Gen­res entsprechend kreativ:

  • Mon­ster in the House, Gold­en Fleece, Out of the Bot­tle, Dude with a Prob­lem, Rites Of Pas­sage, Bud­dy Love, Why­dunit, The Fool Tri­umphant, Insti­tu­tion­al­ized, Super­hero.

Diese Gen­res sind deut­lich weniger selb­sterk­lärend und, wie gesagt, sehr auf die Hand­lung reduziert. Dadurch lan­den zum Beispiel Schindlers Liste und Stirb langsam im sel­ben Genre, näm­lich Dude with a Prob­lem: Es geht Sny­der eben nicht darum, dass das eine ein His­to­rien­dra­ma und das andere ein Action­thriller ist, son­dern dass sie der­sel­ben Hand­lungsstruk­tur fol­gen. Das macht dieses Sys­tem natür­lich weniger brauch­bar fürs Mar­ket­ing – ganz abge­se­hen davon, dass die meis­ten Filmzuschauer mit den Gen­re­na­men nichts anfan­gen kön­nen – und es ist somit klar, dass dieses Mod­ell sehr speziell für Autoren gedacht ist, näm­lich als Werkzeug zum Plot­ten. Als solch­es ver­di­ent es einen eigen­ständi­gen Artikel, weswe­gen wir eine weit­ere Erläuterung der Snyder’schen Gen­res an dieser Stelle verta­gen und stattdessen zu den Gen­res des deutschen Buch­mark­tes überge­hen …

Genres des deutschen Buchmarktes

Im Gegen­satz zu McK­ee und Sny­der, die sich expliz­it an Drehbuchau­toren (und ein wenig auch an Schreiber­linge generell) wen­den, also Gen­res als eine Art Schreibkom­pass begreifen, befind­en wir uns auf den Web­sites deutsch­er Ver­lage in buch­stäblichen Einkauf­skat­a­lo­gen, die ihrer Natur gemäß ganz klar auf den Käufer aus­gerichtet sind. Wenn wir hier solche Kat­e­gorien wie Bilder­büch­er, Comics, Graph­ic Nov­els, Hör­büch­er, Lyrik, Antholo­gien, Dra­men, Sach­büch­er und Geschenkbüch­er sowie Sachen wie Best­seller, Klas­sik­er, Bel­letris­tik und son­stige Bel­letris­tik weglassen, dann kristallisieren sich zwei Typen von Gen­res her­aus: all­ge­meine Gen­res, die in jedem der großen Ver­lage vertreten sind, und Nis­chen- bzw. Sub­gen­res, deren Exis­tenz bzw. Aufteilung sich je nach Ver­lag unter­schei­det.

Ich habe also nun die Web­sites von S. Fis­ch­er, Rowohlt, Ull­stein, Droe­mer Knaur, dtv, Bastei Lübbe und Kiepen­heuer & Witsch durch­forstet und fol­gende stan­dard­mäßige “Kon­sens-Gen­res” fest­gestellt:

  • Gegen­wart­slit­er­atur, Unter­hal­tungsro­mane, Liebesro­mane, his­torische Romane, Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy, Erzäh­lun­gen und Kurzgeschicht­en, Kri­mi, Thriller, Kinder- und Jugend­buch.

Und hier eine Auflis­tung aller weit­eren Gen­res, die auf den Web­sites der genan­nten Ver­lage aufge­lis­tet wer­den. Manche gibt es dabei bei mehreren Ver­la­gen, manche nur bei einem. Es ist also eine reine Quer­beet-Samm­lung:

  • regionale Romane, Fam­i­lien­ro­mane bzw. Fam­i­lien­sagas, heit­ere und humor­volle Romane, Par­o­di­en, Reise und Aben­teuer, Mythen, Sagen und Leg­en­den, biografis­che Romane, klas­sis­che Krim­i­nal­ro­mane, Region­alkri­mi, Ermittler‑, Detek­tiv- und Polizeikri­mi, his­torische Krim­i­nal­ro­mane, Cosy Crime, humor­volle Krim­i­nal­ro­mane, Skan­di­navis­che Span­nung, Spi­onageth­riller, Tech­nothriller, Polit­thriller und Jus­tizthriller, Psy­chothriller, Feel-Good-Romane, heit­ere Liebesro­mane, his­torische Liebesro­mane, ero­tis­che Romane, große Gefüh­le, Romance, Saga, New Adult, Roman­tic Fan­ta­sy bzw. roman­tis­che Fan­ta­sy, roman­tis­che Span­nung, epis­che Fan­ta­sy, his­torische Fan­ta­sy, magis­ch­er Real­is­mus, Fan­ta­sy Romance, Dark Romance, Urban Fan­ta­sy, Apoka­lypse, Space Opera, Zeitreisen.

Mit welchen Gen­res und Sub­gen­res ein Ver­lag arbeit­et, hängt natür­lich sehr stark davon ab, was er im Ange­bot hat. So kann ein Ver­lag ja noch so groß sein und ein noch so vielfältiges Pro­gramm haben, aber Zeitreisen weist er nur dann als eigen­ständi­ges Genre aus, wenn er genug Büch­er hat, um diese Kat­e­gorie zu füllen. Son­st wan­dern die entsprechen­den Büch­er ein­fach nach Fan­ta­sy und Sci­Fi.

Abge­se­hen von den großen Ver­la­gen gibt es natür­lich auch kleine Nis­chen­ver­lage, deren Gen­rekat­e­gorisierung wesentlich fokussiert­er aus­fällt: Manche Stan­dard­gen­res fehlen, aber dafür gibt es wirk­lich sehr spez­i­fis­che Kat­e­gorien. Der Sci­ence-Fic­tion- und Fan­ta­sy-Ver­lag In Farbe und Bunt lis­tet zum Beispiel fol­gende Gen­res:

  • Star Trek-Büch­er, Hor­ror, Thriller, Sci­ence-Fic­tion, Mys­tery, Fan­ta­sy, Liebe, Kinder und Jugendliche.

Bei den Gen­res geht es also vor allem darum, wer was kat­e­gorisiert. Es gibt somit auch auf dem deutschen Buch­markt kein ein­heitlich­es Sys­tem, son­dern nur ein reines Genre-Chaos …

Subgenres, Zwischengenres, Mischgenres, Nischengenres …

Unterm Strich liegen alle Vor- und Nachteile von Gen­res im Mar­ket­ing-Sinne darin begrün­det, wie sie entste­hen:

Es wird beobachtet, dass mehrere Geschicht­en irgendwelche gemein­samen Merk­male haben, dieses Set von Merk­malen bekommt einen Namen … et voilà, wir haben ein neues Genre!

Das trifft beson­ders Sub­gen­res und Sub­gen­res von Sub­gen­res. Denn wie wir bere­its gese­hen haben, gibt es in der Buch­branche dur­chaus eine Art Kon­sens, was die großen Haupt­gen­res sind. Richtig unüber­sichtlich wird es, wenn wir inner­halb eines einzi­gen Haupt­gen­res Strö­mungen und Mis­chun­gen mit anderen Gen­res aus­machen. Und wenn es bei den Def­i­n­i­tio­nen keine Einigkeit gibt …

Nehmen wir zum Beispiel das Genre his­torische Fan­ta­sy: Hier trifft man, je nach­dem, wo man recher­chiert, auf mehrere Def­i­n­i­tio­nen, wobei manch­mal alle genan­nt wer­den, oft aber nur eine oder einige wenige. So wäre eine Def­i­n­i­tion, dass his­torische Fan­ta­sy eine Mis­chung aus his­torischem Roman und Fan­ta­sy darstellt: Es geht um echte his­torische Epochen und Ereignisse, bloß mit magis­chen Ele­menten. Oder es han­delt sich um ein Was-wäre-Wenn-Szenario, in dem die Geschichte an irgen­deinem Punkt einen alter­na­tiv­en Pfad eingeschla­gen hat. Eine weit­ere Def­i­n­i­tion schließt auch High-Fan­ta­sy-Werke mit ein, also Geschicht­en über andere Wel­ten als unsere eigene, die jedoch so real­is­tisch präsen­tiert wer­den, wie man es eher in einem his­torischen Roman erwarten würde – als his­torisch­er Roman aus ein­er anderen, magis­chen Welt sozusagen. Blicke da mal ein­er durch!

Ver­wirrend wird es auch, wenn in zwei Haupt­gen­res äußerst ähn­liche Sub­gen­res entste­hen:

Was ist zum Beispiel der Unter­schied zwis­chen Roman­tic Fan­ta­sy – oder kurz: Roman­ta­sy – und Fan­ta­sy Romance? Grob gesagt: Roman­ta­sy ist ein Sub­genre von Fan­ta­sy, Fan­ta­sy Romance ist ein Sub­genre von Romance, während Romance wiederum ein Sub­genre des Liebesro­mans ist. Soll heißen: Bei Roman­ta­sy ste­hen eher die fan­tastis­chen Ele­mente im Vorder­grund, bei der Fan­ta­sy Romance hinge­gen ist der Fan­ta­sy-Anteil nur schmück­endes Bei­w­erk für die Liebesgeschichte, die auch unbe­d­ingt gut aus­ge­hen muss, weil es ja son­st keine Romance ist – eine Romance endet näm­lich immer gut, während Liebesro­mane generell auch Tragö­di­en sein kön­nen. Wie Du also so siehst, ist das alles eine ziem­liche Haarspal­terei.

Noch “spaßiger” wird es mit Gen­res, die in viel­er­lei Hin­sicht beina­he schon Syn­onyme sind:

Man denke da zum Beispiel an die Gen­res Bil­dungsro­man, Entwick­lungsro­man, Erziehungsro­man, Adoleszen­zro­man, Ini­ti­a­tion­sro­man und Com­ing of Age. Unterm Strich geht es hier über­all um den Entwick­lung­sprozess eines meist jugendlichen Pro­tag­o­nis­ten; die Frage ist nur, wo man die Schw­er­punk­te set­zt und welchen The­o­retik­ern man fol­gt. Und da kön­nen manche noch so sehr mit Schaum vorm Mund argu­men­tieren, dass der Bil­dungsro­man ein Sub­genre des Entwick­lungsro­mans ist – es gibt min­destens genau­so viele Leute, die mit Schaum vorm Mund argu­men­tieren, dass der Bil­dungsro­man ein ver­wandtes, aber den­noch eigen­ständi­ges Genre ist.

Das Prob­lem ist eben, wie gesagt, dass die Gen­res kein zen­tral geregeltes Sys­tem sind. Jed­er, der Lust dazu hat bzw. es für nötig hält, führt neue Begriffe ein, die dann – mit ein biss­chen Glück – auch von anderen aufge­grif­f­en wer­den. Und weil über die Begriffe für die Haupt­gen­res weitest­ge­hend ein Kon­sens herrscht, trifft die Genre-Schaf­fungswut vor allem Nis­chen­gen­res wie beispiel­sweise den Arztro­man oder Gun­pow­der Fan­ta­sy. Wann immer ein Detail in mehreren Werken eine nen­nenswerte Rolle spielt, entste­ht ein neues Genre. Somit kannst auch Du selb­st zum Beispiel eine Hand­voll Thriller zusam­men­su­chen, in denen Qui­etschen­ten vorkom­men, und dann nennst Du das Ganze Qui­etschen­ten­thriller. – Wobei es mich nicht ein­mal mehr wun­dern würde, wenn es so etwas schon gibt.

Ich bitte daher um Ver­ständ­nis, dass ich an dieser Stelle keine umfassende Beschrei­bung einzel­ner Gen­res und Sub­gen­res sowie ihrer Zwis­chen- und Mis­chgen­res geben kann. So etwas kann ganze Mono­grafien füllen und man wird immer noch nicht alles abgedeckt haben, eben weil Gen­res sich immer weit­er entwick­eln und es unendlich viele davon gibt.

Wenn Du Dir also den Kopf darüber zer­brichst, in welche Gen­res Du Dein eigenes Buch einord­nen sollst, wirst Du nicht darum herumkom­men, die spez­i­fis­chen Gen­res und Sub­gen­res, die für Dein Buch über­haupt infrage kom­men, genauestens zu recher­chieren.

Allerd­ings soll­test Du Dir das Leben auch nicht schw­er­er machen als unbe­d­ingt nötig: Denke immer daran, wozu Gen­res – bzw. Mar­ket­ing-Gen­res – über­haupt da sind …

Was macht man mit Genres?

Was man mit Gen­res für Autoren, also im Sinne von Geschicht­en­struk­turen, macht, ist klar: Als Autor sucht man sich ein Genre bzw. einen bes­timmten Geschich­t­en­typ aus und ori­en­tiert sich beim Schreiben daran, im Ver­trauen, dass es sich um eine Struk­tur han­delt, die sich im Ver­lauf von Jahrhun­derten und Jahrtausenden bewährt hat.

Bei Mar­ket­ing-Gen­res ist es schon schwieriger, denn wenn man als Autor nach Gen­res sucht, die das eigene Buch am besten beschreiben, dann macht man direkt einen entschei­den­den Fehler:

Mar­ket­ing-Gen­res sind eben nicht dazu da, um Dein Buch möglichst exakt zu beschreiben, son­dern um Dein Werk auf dem Markt zu posi­tion­ieren und somit Erwartun­gen zu schüren, die Dein Buch erfüllt, ide­al­er­weise aber auch mit einem inter­es­san­ten Twist würzt.

Ver­set­ze Dich ein­mal in die Lage Deines Lesers: Er hat nur eingeschränkt Zeit und möchte zunächst wenig­stens grob wis­sen, ob das Buch über­haupt etwas für ihn ist. Er möchte auch wis­sen, mit welch­er Stim­mung und welchem intellek­tuellen Anspruch er rech­nen muss: Vielle­icht möchte er nach einem lan­gen, harten Arbeit­stag ein­fach nur schmök­ern oder hat ger­ade erst schwere Kost gele­sen und schaut sich deswe­gen nach einem seicht­en Unter­hal­tungsro­man um. Oder es ist das Gegen­teil der Fall: Er ist intellek­tuell aus­ge­hungert und will etwas Hochkom­plex­es. Vor allem aber möchte er nicht ent­täuscht wer­den.

Und Du selb­st willst sicher­lich auch, dass Deine Geschichte von Dein­er Ziel­gruppe gele­sen wird, die genau die Geschichte erwartet, die Du geschrieben hast, die Dein Werk ver­ste­ht und somit auch nicht ent­täuscht wer­den wird und ide­al­er­weise pos­i­tive Rück­mel­dun­gen hin­ter­lässt.

In dieser Hin­sicht sind manche Gen­res sin­nvoller als andere: Das Sub­genre Gun­pow­der Fan­ta­sy mag sin­nvoll sein, wenn man all­ge­mein ver­schiedene Fan­ta­sy­w­erke miteinan­der ver­gle­icht und zum Beispiel Möglichkeit­en aufzählt, um das klis­chee­hafte Pseudomit­te­lal­ter-Set­ting zu ver­mei­den. Aber nur wenige Leser wer­den sich für ein Buch entschei­den, ein­fach weil darin Schießpul­ver vorkommt. Dass Dein Set­ting an die Neuzeit angelehnt ist, kannst Du get­rost in den Klap­pen­text aus­lagern: Bei der Frage nach dem Genre freut sich der Leser eher über konkrete Angaben, ob es sich um einen Thriller, eine Liebesgeschichte, eine Par­o­die oder sonst­was han­delt.

Soll also heißen:

Gib die Gen­res an, die am besten die The­men, die Hand­lung und die Atmo­sphäre Deines Buch­es kom­mu­nizieren.

Es geht also darum, welch­es Wer­bev­er­sprechen Du Deinen Lesern machen willst. Welche Gefüh­le und Bedürfnisse Du bedi­enst. Für wen Du das Ganze über­haupt geschrieben hast.

So ist Har­ry Pot­ter zum Beispiel von der Struk­tur her eine Krim­is­erie, weil es zumin­d­est in den ersten Büch­ern sehr stark um das Enthüllen und Zusam­men­puzzeln von Geheimnis­sen und das Stellen von Tätern geht, aber in der Regel wird es als Fan­ta­sy- und Jugend­buch verkauft: Der Fokus liegt klar auf dem magis­chen Set­ting und der Ziel­gruppe. Die Krim­is­pan­nung wirkt eher unauf­fäl­lig im Hin­ter­grund: Die Leser kaufen das Buch, weil sie ein magis­ches Aben­teuer für Kinder und Jugendliche erwarten, aber zusät­zlich bekom­men sie auch noch die Span­nung eines Krim­i­nal­ro­mans. Das ist ein Beispiel, wie die Erwartun­gen der Leser übertrof­fen wer­den kön­nen: Man richte das Buch expliz­it an ein­er bes­timmten Ziel­gruppe aus, würze das Ganze aber noch mit anderen Ele­menten.

John Tru­by bemerkt in seinem Rat­ge­ber The Anato­my of Sto­ry, dass Geschicht­en meis­tens tat­säch­lich eine Kom­bi­na­tion aus zwei oder drei Gen­res darstellen. Das wirkt auf den ersten Blick wie ein Wider­spruch zu der Beobach­tung, dass Gen­remis­chun­gen sich schlechter verkaufen als Gen­reromane, die die Ele­mente ihrer jew­eili­gen Gen­res akribisch abar­beit­en und somit exakt das abliefern, was ihr Genre ver­spricht. Die Leben­szeit der Leser ist näm­lich begren­zt und im Zweifels­fall kaufen sie keine Katze im Sack, son­dern ein Buch, von dem sie genau wis­sen, was es ihnen gibt.

Doch wie wir ger­ade am Beispiel von Har­ry Pot­ter gese­hen haben, kann man einen sub­tilen Gen­remix abliefern, der die Erwartun­gen an das expliz­it angegebene Genre abso­lut erfüllt, dabei aber auch andere Ele­mente enthält. Es gibt näm­lich einen Grund, warum Gen­re­lit­er­atur bei all ihrem kom­merziellen Erfolg eher als lit­er­arisches Fast Food gilt und oft Ver­ach­tung ern­tet: In jedem McDonald’s bekommt man die exakt sel­ben Plas­tik­burg­er, und das ist der größte Vor- und zugle­ich Nachteil dieser Kette. Eben­so wie die Exotik der größte Vor- und gle­ichzeit­ig Nachteil eines exo­tis­chen Restau­rants ist: Die Leute sind vielle­icht neugierig, aber sie sind sich nicht sich­er, was sie bekom­men. Ver­gle­iche damit aber ein Restau­rant, das die bere­its von McDonald’s und anderen Fast-Food-Ket­ten bekan­nten Burg­er anbi­etet, aber mit einem inter­es­san­ten Twist: Die Kun­den wis­sen, was sie bekom­men, sind aber auch neugierig auf die exo­tis­che Neuerung.

Entschei­de also selb­st, welche kom­merziellen Risiken Du einge­hen möcht­est und welche nicht. Aber bedenke, dass Leser – und damit auch Buch­hand­lun­gen, Ver­lage und Agen­turen – vor allem Ori­en­tierung wollen. Wenn Du Dich an einem einzi­gen Genre fes­tkrallst und alle denkbaren Gen­rekon­ven­tio­nen erfüllst, pro­duzierst Du ein Bün­del von Klis­chees, auf das man ver­mut­lich her­ab­blick­en wird. Aber wenn Du kein klares Genre für Dein Werk benen­nen kannst, lei­det das Mar­ket­ing und wom­öglich kannst Du Dein Buch nicht ein­mal veröf­fentlichen: Ein­er der Gründe, warum Ver­lage manch­mal gute Manuskripte ablehnen, ist, dass diese Manuskripte sich nicht klar einem Genre zuord­nen lassen. Die Ver­lage haben also buch­stäblich keine Ahnung, wie sie diese Manuskripte ver­mark­ten sollen, und da ist ein Flop eigentlich vor­pro­gram­miert. Deswe­gen wollen Ver­lage das Risiko auch nicht einge­hen.

Ein Gen­remix ist also schön und gut,

aber eventuell soll­test Du Dir die Prämisse Deines Werkes anschauen und bes­tim­men, worauf der Haupt­fokus liegt. Welch­es Genre den roten Faden Deines Buch­es am besten wider­spiegelt. Welche Erwartun­gen Deine Geschichte erfüllt.

Die Krim­istruk­tur in Har­ry Pot­ter mag noch so sehr für Span­nung sor­gen – aber es geht primär um das Erwach­sen­wer­den mit Kindern und Jugendlichen als Ziel­gruppe. Deswe­gen ist es ein Kinder- und Jugend­buch.

Und wenn Du Dein Manuskript an einen Ver­lag schickst, ist es sin­nvoll, sich die Veröf­fentlichun­gen des Ver­lags anzuse­hen und Dein Manuskript in eins sein­er Gen­res einzugliedern: Ein­er­seits soll­test Du ohne­hin sicherge­hen, dass Dein Buch zum Ver­lagspro­gramm passt und dass der Ver­lag die Gen­res, die er abdeckt, auch tat­säch­lich so ver­ste­ht wie Du. Gle­ichzeit­ig erle­ichterst Du dem Ver­lag aber auch die Einord­nung Deines Manuskripts, was zumin­d­est eine Hürde für die Annahme Deines Textes beseit­igt.

Schlusswort

So haben wir also über Gen­res gere­det, ohne all die vie­len Haupt- und vor allem Sub­gen­res kleinkari­ert zu sys­tem­a­tisieren. Es gibt jedoch zahlre­iche unter­schiedlich fil­igrane Über­sicht­en im Inter­net, weswe­gen ich Dir ein­fach empfehlen würde, das zen­trale Haupt­genre Deines Manuskripts zu benen­nen und dann in dessen Sub­gen­res zu wühlen, bis Du eins find­est, das Deine Ziel­gruppe am ehesten anspricht und dessen Kon­ven­tio­nen Dein Buch am ehesten erfüllt. Ori­en­tiere Dich dabei, wie gesagt, an Dein­er Prämisse.

Außer­dem soll­test Du beson­ders in dem Genre, in dem Du schreib­st, viel lesen. So entwick­elst Du über­haupt erst ein Gefühl für dessen Kon­ven­tio­nen sowie auch für aus­ge­lutschte Klis­chees. Und wenn es dabei um Gen­res im Sinne von Geschicht­en­struk­turen geht, kannst Du anhand von bewährten Werken prüfen, was Du noch verbessern kannst, was Dein­er Geschichte eventuell noch fehlt oder was gestrichen wer­den sollte.

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