Einen interessanten Plot entwickeln (am Beispiel der Drei-Akt-Struktur)

Einen interessanten Plot entwickeln (am Beispiel der Drei-Akt-Struktur)

Wie wer­den ein paar lose Ideen zu einem Plot? Was macht einen guten Plot über­haupt aus? Und wie hand­habt man meh­re­re Hand­lungs­strän­ge? – Spie­len wir das Pro­ze­de­re doch mal an einem fik­ti­ven Bei­spiel durch und wen­den der Ein­fach­heit hal­ber die Drei-Akt-Struk­tur an! Was kommt da wohl heraus?

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In einer Geschich­te pas­siert in der Regel etwas: Es gibt eine Hand­lung. Die Figu­ren wan­dern psy­chisch und viel­leicht auch phy­sisch von Punkt A nach Punkt B. Doch wie füllt man den Raum zwi­schen die­sen bei­den Punkten?

Eine Geschich­te, in der die Figu­ren ohne Hin­der­nis­se an ihr Ziel kom­men, ist schließ­lich lang­wei­lig. Und wir wol­len nicht lang­wei­lig sein.

Des­we­gen schau­en wir uns in die­sem Arti­kel an, wie wir einen anstän­di­gen Plot auf die Bei­ne krie­gen: vom Anfang bis zum Ende und evtl. sogar mit meh­re­ren Handlungssträngen.

Was macht einen guten Plot aus?

Wie bereits in einem frü­he­ren Arti­kel aus­ge­führt, gibt es einen gro­ßen Unter­schied zwi­schen Sto­ry und Plot. Zur Erinnerung:

Sto­ry ist alles, was pas­siert, in chro­no­lo­gi­scher Reihenfolge.

Der Plot besteht aus aus­ge­wähl­ten Abschnit­ten, wie sie dem Zuschau­er prä­sen­tiert werden.

Es geht beim Plot­ten also nicht so sehr um die Gescheh­nis­se an sich, son­dern viel­mehr dar­um, was der Leser zu wel­chem Zeit­punkt erfährt. Die Span­nung kann dabei auch dann stei­gen, wenn alle Betei­lig­ten ein­fach nur am Tisch sit­zen – wenn zum Bei­spiel eine Infor­ma­ti­on ent­hüllt wird, die eine völ­lig neue Per­spek­ti­ve auf die ver­gan­ge­nen und gegen­wär­ti­gen Ereig­nis­se lie­fert. Es müs­sen also nicht zwangs­läu­fig die Fet­zen flie­gen. Wie im Arti­kel über Ereig­nis­haf­tig­keit bereits erläu­tert, reicht es je nach Geschich­te voll­kom­men aus, dass L sich gegen­über Light, dem Prot­ago­nis­ten von Death Note, als sein Gegen­spie­ler outet. Für den Leser (oder Zuschau­er) ist die Infor­ma­ti­on an sich nicht ein­mal neu, aber dass Light sie so direkt und uner­war­tet ent­hüllt bekommt, ist eine span­nen­de Wendung.

In einem ande­ren Arti­kel haben wir des Wei­te­ren dar­über gespro­chen, dass ein inter­es­san­ter Plot ein Auf und Ab der Gefüh­le auf­wei­sen soll­te. Und das geht am bes­ten, wenn man den Haupt­plot mit sei­nem Haupt­kon­flikt in klei­ne­re Unter­plots und Unter­kon­flik­te zer­legt und die­se auf Sze­nen ver­teilt: Aus man­chen Unter­kon­flik­ten gehen die Figu­ren sieg­reich her­vor, aus ande­ren mit einer Nie­der­la­ge – und das mehr oder weni­ger im Wech­sel, wäh­rend die Gesamt­si­tua­ti­on sich immer mehr zuspitzt.

Von zen­tra­ler Bedeu­tung ist aber vor allem die Prä­mis­se, denn sie ist es, die das Gebil­de, das sich Erzäh­lung oder salopp Buch nennt, zusam­men­hält. Doch auch dar­über haben wir bereits in einem frü­he­ren Arti­kel gespro­chen, daher kei­ne lan­gen Aus­füh­run­gen an die­ser Stel­le. Wor­auf ich in die­sem Zusam­men­hang aber durch­aus ein­ge­hen will, ist das The­ma der Plot­ter und der Pantser, über das wir eben­falls schon in einem frü­he­ren Arti­kel gespro­chen haben, und die spe­zi­fi­schen Her­aus­for­de­run­gen, mit denen die­se bei­den Ansät­ze ein­her­ge­hen, und wie man die­sen mit der Prä­mis­se begeg­nen kann:

  • Denn Plot­ter lau­fen ja Gefahr, dass ihre Figu­ren mecha­nisch wir­ken und ihre Gefüh­le und Ent­schei­dun­gen nicht orga­nisch ent­ste­hen, son­dern vor allem dem Plot dienen.
  • Pantser wäh­rend­des­sen kön­nen leicht den roten Faden ver­lie­ren, sodass die Figu­ren nicht mehr zuein­an­der und auch nicht mehr zum Plot passen.

Bei­des lässt sich ver­hin­dern, wenn man sich an der Prä­mis­se ori­en­tiert: Schließ­lich sind auch die zen­tra­len The­men, die Figu­ren­kon­stel­la­ti­on und deren Moti­va­tio­nen und Arcs dar­an gekop­pelt. Plot­ter kön­nen die Prä­mis­se also nut­zen, um die ein­zel­nen Bestand­tei­le ihres Werks auf­ein­an­der anzu­pas­sen, und Pants­ern weist die Prä­mis­se den Weg, wenn sie sich in ihrem Ent­de­cker­schrei­ben mal ver­hed­dern oder ihr Krit­zel­cha­os in eine kohä­ren­te Erzäh­lung umar­bei­ten wollen.

Einen Plot aufbauen

So viel also zu theo­re­ti­schem Vor­ge­plän­kel. – Nun wol­len wir es in die Pra­xis umset­zen, sprich: Wo sind Anfang und Ende, was packen wir dazwi­schen und wie machen wir es span­nend und relevant?

Dazu grei­fen wir mal unser Hel­den­team aus Teil 6 der Arche­ty­pen-und-Kli­schees-Rei­he wie­der auf. Wenn Du Dich also nicht an den Held Fritz­chen, der trotz sei­ner Abnei­gung gegen Auto­ri­tä­ten ein Team anfüh­ren muss, an den anar­chis­ti­schen Spreng­stoff­ex­per­ten Klaus, die trau­ma­ti­sier­te, aber genia­le Hacke­rin Lies­chen und die ehe­ma­li­ge Auf­trags­kil­le­rin Erna erin­nerst, schnup­pe­re ger­ne noch ein­mal in die­ses Bei­spiel hin­ein.

An die­ser Stel­le aber spin­nen wir die Idee von damals wei­ter und set­zen beim zen­tra­len The­ma ein: Es geht in der Figu­ren­kon­stel­la­ti­on ja um Auto­ri­tät, und jede Figur geht damit anders um. Der Prot­ago­nist Fritz­chen fin­det sich dabei in einem Dilem­ma wie­der, weil er – zumin­dest schein­bar – zu etwas wer­den muss, das er nicht mag. Somit besteht sein Arc – und damit auch die Haupt­hand­lung der Geschich­te – dar­in, eine gute Balan­ce zwi­schen Tyran­nei und Anar­chie zu fin­den. Eine dazu pas­sen­de Prä­mis­se könn­te zum Bei­spiel so lauten:

Um die Welt zu ret­ten, muss ein eigent­lich auf­säs­si­ger Held aus hoch­ka­rä­ti­gen Exper­ten, die sich unter­ein­an­der aber nicht lei­den kön­nen, ein funk­tio­nie­ren­des Team machen und lernt dabei, ein guter Anfüh­rer zu sein.

So weit wären wir dann. – Wie geht es weiter?

Plotstrukturen

Bestimmt bist Du schon der ein oder ande­ren Plotstruk­tur begeg­net: der Drei-Akt-Struk­tur, dem Sie­ben-Punk­te-Sys­tem, der Hel­den­rei­se … Es ist dabei im Grun­de egal, ob und wel­che die­ser Scha­blo­nen Du ver­wen­dest - zumal wir bei epi­schen Tex­ten ja ohne­hin mehr Frei­hei­ten haben, weil das Sto­rytel­ling bei Fil­men zum Bei­spiel strik­te­ren Rah­men­be­din­gun­gen wie Lauf­zeit unter­liegt und dadurch ten­den­zi­ell for­mel­haf­ter ist. Wir kön­nen über die ver­schie­de­nen Plotstruk­tu­ren auch ger­ne in eigen­stän­di­gen Arti­keln reden. Aber eins müs­sen wir immer bedenken:

Das Befol­gen einer noch so aus­ge­feil­ten Struk­tur allein ergibt noch kei­nen aus­ge­reif­ten Plot.

Denn sie sind nichts wei­ter als Werk­zeu­ge: Nut­ze also, was zu Dei­ner Geschich­te passt, und igno­rie­re, was nicht passt.

Die ein­zi­gen struk­tu­rel­len Richt­li­ni­en, die ich für 95–99 Pro­zent aller Geschich­ten in Stein mei­ßeln möch­te, wären im Grun­de die glei­chen wie auch bei ein­zel­nen Sze­nen:

  • Stei­ge mög­lichst spät in die Hand­lung ein und las­se den Haupt­kon­flikt so früh wie mög­lich beginnen.
  • Stei­ge mög­lichst früh aus der Hand­lung aus, schwa­fe­le also nicht lan­ge her­um, nach­dem der Haupt­kon­flikt auf­ge­löst wurde.
  • Spi­cke die Hand­lung nicht mit all­zu viel irrele­van­tem Fluff.

Aus­nah­men bestä­ti­gen natür­lich die Regel – bei­spiels­wei­se Peter Jack­sons Ver­fil­mung des Herrn der Rin­ge mit ihren unend­lich vie­len Enden, die aber not­wen­dig sind, um wirk­lich alle Plot­li­ni­en und The­men abzu­run­den. Und natür­lich wirst Du Dich bei leicht zu kon­su­mie­ren­der Genre­li­te­ra­tur dann doch eher an strik­te Kon­ven­tio­nen hal­ten müs­sen. Es ist eben – wie bei so vie­len ande­ren Din­gen auch – immer ein Balan­ce­akt, der für Dei­ne indi­vi­du­el­le Geschich­te indi­vi­du­ell gemeis­tert wer­den muss:

Wenn Du Dich bei­spiels­wei­se an mei­nen Arti­kel über das Schrei­ben von Seri­en erin­nerst, dann kennst Du das viel­fäl­ti­ge Spek­trum zwi­schen den Polen der epi­so­dischen und pro­gres­si­ven Geschich­ten. Und genau­so wie ein­zel­ne Tei­le bzw. Bän­de einer Rei­he im Ver­hält­nis zuein­an­der mehr oder weni­ger epi­so­disch oder pro­gres­siv sein kön­nen, bewe­gen sich auch eigen­stän­di­ge Wer­ke und ein­zel­ne Bän­de einer Rei­he irgend­wo auf dem Spek­trum: Der Hob­bit von Tol­ki­en ist ein in sich abge­schlos­se­nes Ein­zel­buch, aber der Plot ist ins­ge­samt sehr epi­so­disch mit all sei­nen Aben­teu­ern, die nur sehr lose zusam­men­hän­gen. Har­ry Pot­ter und der Stein der Wei­sen hin­ge­gen ist eher auf der pro­gres­si­ven Sei­te, weil in schein­bar harm­lo­sen Epi­so­den wie dem Besuch der Win­kel­gas­se wich­ti­ge Figu­ren wie Dra­co Mal­foy oder der zen­tra­le McGuf­fin, der Stein der Wei­sen, erst­mals auftauchen.

Die Drei-Akt-Struktur

Wen­den wir uns nun aber wie­der der Pra­xis zu und ent­schei­den uns, der Drei-Akt-Struk­tur zu fol­gen, weil sie so ein­fach ist und sich dadurch her­vor­ra­gend für Demons­tra­ti­ons­zwe­cke eignet.

Sie funk­tio­niert wie folgt:

  • Der ers­te Akt dient der Expo­si­ti­on: Wir ler­nen die Figu­ren und ihre Welt ken­nen, und am Ende kommt der ers­te Wen­de­punkt, ab dem die Figu­ren kei­ne ande­re Wahl mehr haben, als sich dem zen­tra­len Kon­flikt zu stellen.
  • Der zwei­te Akt ist der längs­te und beschreibt die Kon­fron­ta­ti­on der Figu­ren mit dem zen­tra­len Kon­flikt: Sie tref­fen auf Hin­der­nis­se und erlei­den Rück­schlä­ge, doch in der Mit­te, am zen­tra­len Punkt, fin­den sie end­lich einen Ansatz für eine Lösung und arbei­ten die­se im wei­te­ren Ver­lauf her­aus. Am zwei­ten Wen­de­punkt, der Schwel­le zum drit­ten Akt, haben sie bereits einen Plan für die fina­le Schlacht und müs­sen ihn „nur noch“ umsetzen.
  • Der drit­te Akt beinhal­tet die Auf­lö­sung des zen­tra­len Kon­flikts: Nach vie­len Rück­schlä­gen haben die Figu­ren end­lich einen Plan, der tat­säch­lich funk­tio­niert, und sie gehen sieg­reich hervor.

Einen interessanten Plot entwickeln (am Beispiel der Drei-Akt-Struktur)

Wenn wir das Gan­ze nun auf unser Bei­spiel über­tra­gen, könn­ten unse­re Über­le­gun­gen so aussehen:

  • Der zen­tra­le Kon­flikt besteht ja dar­in, dass das Team nicht funk­tio­niert und Fritz­chen mit sei­ner Rol­le als Anfüh­rer nicht zurecht­kommt. Wäh­rend die Figu­ren ein­ge­führt wer­den, muss ihr dys­funk­tio­na­les Mit­ein­an­der also demons­triert wer­den und am bes­ten noch fata­le Kon­se­quen­zen haben, weil es ja um die Ret­tung der Welt geht. Des­we­gen star­ten wir im ers­ten Akt direkt mit Action: Meh­re­re Groß­städ­te der Welt sind in Gefahr, und Fritz­chen soll sie ret­ten und bekommt ein Team von hoch­ka­rä­ti­gen Pro­fis an die Sei­te gestellt. Weil das Team aber nicht funk­tio­niert, gibt es ein gran­dio­ses Schei­tern, Mil­lio­nen Tote, und das Team ist noch zer­strit­te­ner als zuvor, weil jeder die Schuld auf die ande­ren schiebt.
  • Im zwei­ten Akt berei­ten die Figu­ren eine neue Mis­si­on vor, um wei­te­re Zer­stö­run­gen zu ver­hin­dern, ste­hen sich durch ihre Strei­tig­kei­ten aber nach wie vor gegen­sei­tig im Weg. Sie erle­di­gen klei­ne­re Auf­trä­ge, beschaf­fen not­wen­di­ge Gegen­stän­de oder suchen Infor­ma­tio­nen, aber sie kom­men nicht wirk­lich vor­an. Aller­dings tref­fen sie auf ihren Unter­mis­sio­nen auf Geg­ner und Situa­tio­nen, die ihnen ihre Irr­tü­mer vor Augen füh­ren und ihre Gemein­sam­kei­ten ent­de­cken las­sen. Zum Bei­spiel könn­ten Fritz­chen und Klaus sich einem Feind stel­len, der sei­ne Unter­ge­be­nen wie ein Tyrann behan­delt und somit die Abnei­gung bei­der Hel­den gegen Auto­ri­tä­ten ver­kör­pert. Als Klaus jedoch schwer ver­letzt wird und es für Fritz­chen ein­fa­cher wäre, die Mis­si­on abzu­bre­chen und sich selbst in Sicher­heit zu brin­gen, ris­kiert er sein Leben, um Klaus zu ret­ten – weil Klaus‘ Kom­pe­ten­zen essen­ti­ell für die Haupt­mis­si­on sind und er sich außer­dem für ihn ver­ant­wort­lich fühlt. Dadurch denkt Klaus natür­lich viel bes­ser über ihn und wäh­rend sie gemein­sam ihre Wun­den lecken, ent­de­cken sie, dass sie bei­de Tyran­nei ver­ab­scheu­en, ein guter Anfüh­rer aber kein Tyrann zu sein hat. Sie ler­nen also zwi­schen Tyran­nei und posi­ti­ver Auto­ri­tät zu unter­schei­den – zwi­schen selbst­herr­li­chen Des­po­ten und Anfüh­rern, die sich vor allem als Die­ner ihres Teams begrei­fen. Sobald es Klaus ein wenig bes­ser geht, wagen die bei­den sich noch ein­mal an ihre Unter­mis­si­on und sind tat­säch­lich sieg­reich. Es beginnt also ein Umden­ken, das Team kommt sich ins­ge­samt all­mäh­lich näher und um den zwei­ten Wen­de­punkt her­um begrei­fen die ein­zel­nen Team­mit­glie­der sich gegen­sei­tig als Fami­lie.
  • Im drit­ten Akt gehen sie also als intak­tes Team in die fina­le Schlacht. Noch mehr Städ­te sind in Gefahr, alle sind ner­vös, weil sie an ihr Schei­tern am Anfang der Geschich­te den­ken, aber sie spre­chen sich auch gegen­sei­tig Mut zu. Natür­lich geht wäh­rend des End­kamp­fes dann eini­ges schief, aber die Team­mit­glie­der hel­fen sich gegen­sei­tig aus der Pat­sche, besie­gen gemein­sam den Feind und ret­ten die Welt.

Die­se Bei­spiel­hand­lung ist natür­lich ein biss­chen kli­schee­haft, aber ich hof­fe, dass ich das Prin­zip des Plot­tens durch die­se Ein­fach­heit umso anschau­li­cher demons­trie­ren konn­te. Und natür­lich ist der prä­sen­tier­te Plot noch sehr grob. Doch was im Grun­de nur noch zu tun bleibt, sind die Details. Und ver­schie­de­ne Men­schen sind da unter­schied­lich. Die Plot­ter wür­den die Ein­zel­hei­ten klein­ka­riert durch­plot­ten, die Pantser begnü­gen sich viel­leicht mit die­ser gro­ben Struk­tur und schrei­ben drauf­los bzw. set­zen sich an die Über­ar­bei­tung des Geschriebenen.

Mehrere Handlungsstränge und Nebenplots

Doch was tun wir, wenn der Plot etwas kom­ple­xer ist und nicht nur einen, son­dern meh­re­re Strän­ge hat?

Hier ist natür­lich zu klä­ren, was ein Hand­lungs­strang ist und was einen guten Neben­plot ausmacht …

Nun, wenn wir uns die Haupt­hand­lung als einen roten Faden bzw. als rotes Seil vor­stel­len, dann ist das ein Strang. Und wenn da noch ande­re Fäden dazwi­schen­ge­wo­ben sind, spricht man von Neben­plots. Also zu Deutsch:

Neben­hand­lungs­strän­ge bzw. Neben­plots sind Kon­flik­te und Ent­wick­lun­gen, die mehr oder weni­ger par­al­lel zum Haupt­plot ver­lau­fen und mit die­sem irgend­wie zusam­men­hän­gen. Sobald ein Neben­plot aber kom­plett unab­hän­gig vom Haupt­plot ist, kann er nicht mehr als Neben­plot gel­ten, son­dern stellt eine viel zu eigen­stän­di­ge Hand­lung dar und damit über­flüs­si­gen Fluff.

Eine inter­es­san­te Son­der­form von Neben­plots sieht man in Geschich­ten, die schein­bar kei­nen Haupt­plot haben, son­dern par­al­lel meh­re­re Geschich­ten erzäh­len. Die­se exis­tie­ren aber nie wirk­lich lose von­ein­an­der, son­dern hän­gen immer durch Figu­ren und vor allem zen­tra­le The­men zusammen:

Viel­leicht kennst Du ja den Film Er steht ein­fach nicht auf dich, in dem es kei­nen rich­ti­gen Prot­ago­nis­ten gibt, son­dern eine Hand­voll Figu­ren, die sich nur teil­wei­se unter­ein­an­der ken­nen, aber alle glei­cher­ma­ßen Her­aus­for­de­run­gen in Sachen Lie­be zu meis­tern haben. Für jede indi­vi­du­el­le Situa­ti­on in die­sem Film gibt es eine indi­vi­du­el­le Lösung, aber alle Figu­ren fin­den sie, sei es eine neue Bezie­hung, eine Tren­nung, die Ret­tung einer alten Bezie­hung oder das Wei­ter­le­ben als Sin­gle. – Doch jeder Kon­flikt und jede Lösung ist nur eine Facet­te des zen­tra­len The­mas Lie­be, der Akzep­tanz von Tat­sa­chen und der Suche nach dem, was für einen selbst das Rich­ti­ge ist.

Es gibt also vie­le Mög­lich­kei­ten, wie man Geschich­ten mit meh­re­ren Hand­lungs­strän­gen hand­ha­ben kann: In Har­ry Pot­ter zum Bei­spiel pas­siert im Hin­ter­grund sehr viel, aber weil wir die Geschich­te ja fast aus­schließ­lich aus Har­rys Sicht erle­ben, ist das zwar durch­aus rele­van­tes, aber den­noch Hin­ter­grund­ge­plät­schel. Im Herrn der Rin­ge spal­ten sich nach Die Gefähr­ten meh­re­re Neben­plots ab und nur Sam und Fro­do tra­gen den Haupt­strang, aber am Ende kom­men alle Strän­ge wie­der zusam­men. Im Lied von Eis und Feu­er krei­sen vie­le ver­schie­de­ne Strän­ge umein­an­der, jede Figur erlebt ihre höchst eige­ne Sto­ry, und doch sind alle indi­vi­du­el­len Geschich­ten Teil der Gesamt­hand­lung. In Er steht ein­fach nicht auf dich haben wir eine Art Kreis oder ein Netz von Figu­ren, die auch ihre höchst indi­vi­du­el­len Geschich­ten erle­ben, aber eine kla­re Gesamt­hand­lung bleibt aus. Und viel­leicht erin­nerst Du Dich an den Kri­mi Der Tote im Salon­wa­gen, den ich schon mal im Arti­kel über das Wech­seln von Per­spek­ti­ven ange­bracht habe, wo die Strän­ge des Detek­tivs und des Anfüh­rers einer Ter­ro­ris­ten­grup­pe par­al­lel ver­lau­fen, wäh­rend die bei­den nach einem geheim­nis­vol­len Drit­ten suchen, der die Poli­zei und die Ter­ror­grup­pe gegen­ein­an­der ausspielt.

Auf­grund die­ser Viel­falt will ich Dir in Sachen Hand­lungs­strän­ge kei­ne Regeln vor­set­zen, son­dern ein­fach nur betonen:

For­mu­lie­re das zen­tra­le The­ma und eine Prä­mis­se und hal­te Dich dar­an. – Denn sie sind das Bin­de­glied, das alle Bestand­tei­le Dei­ner Erzäh­lung zusammenhält.

Ver­giss auch nicht, dass ein Neben­plot immer noch ein Plot ist und eben­so wie der Haupt­plot eine Struk­tur braucht.

Außer­dem soll­test Du dar­auf ach­ten, dass die Neben­plots in Dei­ner Erzäh­lung eine nen­nens­wer­te Funk­ti­on erfül­len. Denn wenn man einen Neben­plot ein­fach strei­chen kann, ohne dass sich am Gesamt­werk etwas ändert, dann ist das unnö­ti­ger Fluff und gehört gestrichen.

Handlungsstränge in der Praxis

Was bedeu­tet das alles aber nun für unse­re Beispielhandlung?

Unser zen­tra­ler Kon­flikt ist neben Fritz­chens Dilem­ma ja das funk­ti­ons­un­fä­hi­ge Team – und somit bie­ten sich die Wider­sprü­che zwi­schen den ein­zel­nen Figu­ren wun­der­bar für Neben­plots an. Wäh­rend die Grup­pe im ers­ten und drit­ten Akt ja als Ein­heit auf­tritt, geht es im zwei­ten Akt um die Bewäl­ti­gung ihrer ein­zel­nen Unter­kon­flik­te. Das Aben­teu­er von Fritz­chen und Klaus ist so ein Unter­kon­flikt. Und wäh­rend die bei­den auf Mis­si­on sind, könn­ten Lies­chen und Erna eben­falls auf Mis­si­on gehen und in ihrem par­al­le­len Neben­hand­lungs­strang ihren höchst eige­nen Kon­flikt lösen:

Lies­chen ist ja in einem auto­ri­tä­ren Haus­halt auf­ge­wach­sen und daher sehr schreck­haft. Erna hin­ge­gen ist durch jah­re­lan­ges Töten abge­stumpft und wirkt wie eine Maschi­ne, die unhin­ter­fragt abso­lut jeden Befehl aus­führt. Sie hält Lies­chen für eine Lose­rin, wäh­rend Lies­chen Angst vor Ernas Kri­tik und Vor­wür­fen hat. Als sie nun zusam­men auf Mis­si­on sind, tref­fen sie auf ein wirk­lich uner­war­te­tes Hin­der­nis: auf eine jün­ge­re Auf­trags­kil­le­rin, die genau­so bru­tal aus­ge­bil­det wird wie Erna einst, aber noch nicht kom­plett abge­stumpft ist. Der knall­har­ten Maschi­ne wird also ein Spie­gel vor­ge­hal­ten, sie kann ihre trau­ma­ti­sche Ver­gan­gen­heit nicht mehr län­ger weg­sper­ren und ihre Fas­sa­de brö­ckelt, die Mis­si­on schei­tert. Erna ist fas­sungs­los und hasst sich selbst, weil sie – wie sie glaubt – genau­so „schwach“ ist wie Lies­chen. Die­se wie­der­um beginnt ihre Angst vor Erna zu ver­lie­ren, weil sie sich selbst in ihr erkennt, und zu Ernas Über­ra­schung begeg­net Lies­chen ihr mit Ver­ständ­nis und Empa­thie – das ist das ers­te Mal, dass Erna so etwas erlebt. Um den zen­tra­len Wen­de­punkt her­um, als auch Fritz­chen und Klaus zu ihrem Kon­sens fin­den, lie­gen die bei­den sich heu­lend in den Armen. Als also end­lich ein respekt­vol­les Mit­ein­an­der mög­lich ist, erfül­len sie ihre Mis­si­on beim zwei­ten Anlauf und tref­fen sich wie­der mit Fritz­chen und Klaus. Die letz­ten Kon­flik­te sind zwar noch da – aber die posi­ti­ve Ent­wick­lung ist bereits ange­sto­ßen, die Figu­ren bemer­ken nach und nach, wie die jeweils ande­ren sich ver­än­dert haben, und am Ende des zwei­ten Aktes sind sie, wie gesagt, im Grun­de eine lie­ben­de Familie.

Schlusswort

So viel also zum Ent­wi­ckeln eines Plots. Es ist dabei grund­sätz­lich egal, wo Du anfängst – ob Du nun ein­fach bestimm­te Figu­ren oder Sze­nen vor Dei­nem geis­ti­gen Auge hast oder bereits eini­ge Ideen für die grund­le­gen­de Hand­lung in Dei­nem Kopf her­um­spu­ken. Wich­tig ist, dass Du aus die­sem Sam­mel­su­ri­um von Ideen das zen­tra­le The­ma und eine Prä­mis­se her­aus­fil­tern kannst. Den Rest kannst Du dann dar­um her­um aufbauen.

Dabei müs­sen das zen­tra­le The­ma und die Prä­mis­se auch nicht in Stein gemei­ßelt sein. Es ist das Natür­lichs­te der Welt, dass sich sol­che Din­ge im Ver­lauf des Schreib­pro­zes­ses ver­än­dern. Solan­ge am Ende, vor dem fina­len Über­ar­bei­tungs­durch­lauf, alles zusam­men­passt, bist Du auf einem guten Weg.

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