Figuren-Kon­stel­la­tion: Ein sinn­volles Geflecht von Haupt- und Neben­fi­guren, ihrer Moti­va­tionen, Bezie­hungen, Rollen etc. erschaffen

Figuren-Kon­stel­la­tion: Ein sinn­volles Geflecht von Haupt- und Neben­fi­guren, ihrer Moti­va­tionen, Bezie­hungen, Rollen etc. erschaffen

Die Figuren in einer Geschichte sind idea­ler­weise wie Puz­zle­teile: Sie sind auf­ein­ander ange­passt, ergänzen sich gegen­seitig und nur zusammen ergeben sie ein voll­stän­diges Bild. Doch wie erreicht man das? Das bespre­chen wir in diesem Artikel.

Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abon­nenten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Down­load.

Letztes Jahr haben wir im Artikel über die Moti­va­tion von Figuren vor allem über Haupt­fi­guren gespro­chen. Doch was ist mit Neben­fi­guren? Und vor allem:

Wie schafft man es, dass all diese Figuren und ihre Moti­va­tionen zuein­ander passen und ein ein­ziges, rundes Ganzes ergeben?

Heute schauen wir uns an, was John Truby, der bereits die Grund­lage für den Artikel zum Thema Moti­va­tion gelie­fert hat, über das cha­racter web sagt. Wie bereits beim Thema Moti­va­tion, möchte ich Trubys Ter­mi­no­logie jedoch ein­deut­schen und statt vom cha­racter web vom Figu­ren­ge­flecht spre­chen.

Stürzen wir uns also ins Gefecht!

Wie­der­ho­lung: Moti­va­tion des Prot­ago­nisten

Wir haben ja bereits dar­über gespro­chen, dass der Prot­ago­nist ein Ziel, eine mora­li­sche und/oder psy­cho­lo­gi­sche Schwäche sowie ein mora­li­sches und/oder psy­cho­lo­gi­sches Bedürfnis braucht. Das sind wohl­ge­merkt von mir ein­ge­deutschte und leicht abge­än­derte Begriffe. Truby selbst spricht von desire, moral bzw. psy­cho­lo­gical weak­ness und moral bzw. psy­cho­lo­gical need. Ein anderer häu­figer Begriff für Ziel bzw. desire ist want.

Hier nochmal eine schnelle Defi­ni­tion dieser Begriffe:

  • Ziel (desire/want):
    Das, was die Figur errei­chen möchte und was im Falle des Prot­ago­nisten auch den Plot vor­an­treibt. Wichtig ist zumin­dest beim Prot­ago­nisten, dass er aktiv han­delt, um dieses Ziel zu errei­chen, denn pas­sive Prot­ago­nisten, die nur begehren, aber nichts tun, sind meis­tens lang­weilig.
  • Schwäche (weak­ness):
    Das, was die Figur vom Errei­chen ihres Ziels abhält. Dabei hat eine psy­cho­lo­gi­sche Schwäche nur auf die Figur selbst Aus­wir­kungen. Eine mora­li­sche Schwäche zieht auch andere Figuren in Mit­lei­den­schaft.
  • Bedürfnis (need):
    Das, was die Figur wirk­lich Es kommt in der Regel erst im Ver­lauf der Geschichte zum Vor­schein. Das Erkennen und Erfüllen des tiefen, inneren Bedürf­nisses führt zur Katharsis. Ein psy­cho­lo­gi­sches Bedürfnis ist dabei die Art und Weise, wie die Figur sich ver­än­dern muss um ihrer selbst Willen. Vom Erfüllen eines mora­li­schen Bedürf­nisses pro­fi­tieren auch andere Figuren.

So viel zur Auf­fri­schung. Eine aus­führ­li­chere Erklä­rung findet sich im Artikel [Video] über Moti­va­tion. An dieser Stelle hin­gegen gehen wir end­lich über zum Figu­ren­ge­flecht.

Der Prot­ago­nist vs. der Rest

Eine gute Figuren-Kon­stel­la­tion ist in erster Linie ein Netz von Figuren, die sich durch ihre Ziele, Werte, Schwä­chen, Bedürf­nisse und ihre Rolle inner­halb der Geschichte und inner­halb der fik­tiven Welt gegen­seitig ergänzen und her­aus­for­dern. Das funk­tio­niert zu einem großen Teil durch Ver­gleiche, denn durch die Ähn­lich­keiten und Unter­schiede zwi­schen den Figuren wird ihre jewei­lige Indi­vi­dua­lität her­vor­ge­hoben.

Beson­ders wichtig ist dabei das zen­trale Thema der Geschichte:

Das ist vor allem auch das zen­trale Thema der indi­vi­du­ellen Ent­wick­lung des Prot­ago­nisten und sollte daher mit seinem Ziel, seiner Schwäche und seinem Bedürfnis eng ver­knüpft sein.

In einem gut her­aus­ge­ar­bei­teten Figu­ren­ge­flecht findet sich dieses Thema auch in den Neben­fi­guren:

Je nach dem, wie wichtig sie für die Geschichte sind und wie detail­liert sie dem­nach kon­zi­piert sind, tragen auch ihre Ziele, Schwä­chen und Bedürf­nisse zur Aus­ein­an­der­set­zung mit dem zen­tralen Thema bei. Daraus ergeben sich alter­na­tive, oft kon­flikt­ge­la­dene Blick­winkel, alter­na­tive Sze­na­rios und eine Beleuch­tung des zen­tralen Themas aus unter­schied­li­chen Per­spek­tiven.

Das End­ergebnis sollte eine gründ­liche und abge­run­dete Aus­ein­an­der­set­zung mit dem zen­tralen Thema sein.

Ein posi­tives Bei­spiel ist Avatar – Der Herr der Ele­mente:

Das zen­trale Thema ist das Erwach­sen­werden und die damit ver­bun­dene Frage: Wer bin ich?

  • Der Prot­ago­nist Aang erfährt im zarten Alter von 12 Jahren, dass er der Avatar ist und die Welt retten muss. Er ist aber ledig­lich nur ein ver­spieltes Kind und muss diese Rolle als Avatar und Welt­retter erst akzep­tieren. Dann muss er die Magie zum Beherr­schen unter­schied­li­cher Ele­mente lernen und sich dabei immer wieder seinen Schwä­chen stellen und erwach­sener werden. Schließ­lich steht er vor der Wahl, ob er den Ant­ago­nisten, der die Welt bedroht, töten oder seinen pazi­fis­ti­schen Idealen treu bleiben soll. Sein zen­trales Thema ist also der Kon­flikt zwi­schen seiner sich stetig wan­delnden Per­sön­lich­keit und seiner Ver­ant­wor­tung als Avatar.
  • Auch seine Gefährtin Katara schwankt inner­lich: Auf der einen Seite ist sie das liebe und für­sorg­liche Mäd­chen, das inner­halb der Hel­den­truppe eine Art Mut­ter­rolle erfüllt. Aber auf der anderen Seite hat sie Schwie­rig­keiten zu ver­zeihen und greift manchmal selbst dann an, wenn ihr Gegen­über Reue zeigt.
  • Ihr Bruder Sokka ist in der Hel­den­gruppe der Ein­zige, der keine magi­schen Fähig­keiten besitzt. Daher hat er es mit Min­der­wer­tig­keits­kom­plexen, Füh­rungs­am­bi­tionen und Macho­ge­habe zu tun und schei­tert. Gleich­zeitig ist er der Witz­bold der Gruppe und ent­puppt sich im Ver­lauf der Geschichte als genialer Stra­tege. Erst als er seine wahren Talente erkennt, ent­wi­ckelt er sich zu dem Anführer, der er sein will.
  • Toph steht zwi­schen ihrer noblen Her­kunft und ihrer bur­schi­kosen Natur, ihrer schein­baren Hilf­lo­sig­keit (weil sie nun mal ein blindes kleines Mäd­chen ist) und ihrer beein­dru­ckenden magi­schen Fähig­keiten, die sie zu einer erfolg­rei­chen Ring­kämp­ferin und zum „Tank“ der Hel­den­gruppe machen. Außerdem geraten ihr Drang nach Unab­hän­gig­keit und die Über­be­to­nung ihrer Selbst­stän­dig­keit in Kon­flikt mit Kataras Müt­ter­lich­keit, obwohl sie die Für­sorge ihrer Freunde durchaus genießt und ihre rich­tige Mutter ver­misst.
  • Zuko schließ­lich ist der Sohn und Erbe des Ant­ago­nisten, der die Welt zer­stören will, und schwankt zwi­schen den Idealen seines Vaters sowie der Sehn­sucht nach dessen Aner­ken­nung und seinem eigenen guten Herzen.

Alle diese Figuren tragen einen Kon­flikt der Iden­ti­täts­fin­dung in sich. Sie müssen in ihre Rollen hin­ein­wachsen, ihr wahres Selbst erkennen und eine erwach­se­nere Iden­tität formen. Dabei ergeben sich zwi­schen ihnen immer wieder Kon­flikte, manchmal stär­kere und manchmal schwä­chere.

Funk­tionen der Figuren

Nun reicht es aber nicht, ein­fach will­kür­lich eine Hand­voll Figuren rund um das zen­trale Thema zu erschaffen, son­dern jede Figur sollte inner­halb der Geschichte auch eine bestimmte Funk­tion erfüllen. Das bedeutet vor allem:

Jede Figur und jedes Detail von ihr sollte irgendwie zur Rolle und Ent­wick­lung des Prot­ago­nisten bei­tragen.

Wenn das nicht der Fall ist, dann:

Kill your dar­lings! - Egal, wie sehr Du an der Figur oder einem Detail hängst: Wenn es nicht dem Zweck der Geschichte dient, soll­test Du es strei­chen.

Eine Figur hat nun mal keine Daseins­be­rech­ti­gung, wenn sie das zen­trale Thema nicht um einen neuen Aspekt berei­chert. Und sie hat erst recht keine Daseins­be­rech­ti­gung, wenn sie nur eine von meh­reren ähn­li­chen Figuren ist. Im letz­teren Fall kann es sich daher oft lohnen, diese Figuren, wenn sie denn unbe­dingt nötig sind, zu einer Figur zusam­men­zu­fassen.

Wenn Du beim Erschaffen einer Figur stets auf ihre Funk­tion inner­halb der Geschichte ach­test, ver­rin­gerst Du auch die Gefahr, sie ver­se­hent­lich wich­tiger zu machen als den Prot­ago­nisten. Oft sind Neben­fi­guren zwar durchaus inter­es­santer als der Prot­ago­nist. Und das ist auch voll­kommen in Ord­nung. Doch wenn sie eine wich­ti­gere Rolle spielen und den eigent­li­chen Dreh- und Angel­punkt der Geschichte bilden, läuft etwas falsch.

So viel zum Ein­stieg. Schauen wir uns nun an, welche Funk­tionen eine Figur erfüllen kann. Beachte dabei, dass in einer Geschichte – abge­sehen vom Helden und Oppo­nenten – nicht jede dieser Funk­tionen aus­ge­füllt werden muss. Aber jede Figur, deren Rolle über die eines Sta­tisten hin­aus­geht, sollte eine dieser Funk­tionen haben:

Held (Prot­ago­nist)

Die Figur des Helden bzw. Prot­ago­nisten ist direkt an den zen­tralen Kon­flikt gekop­pelt. Er treibt mit seinem Ziel die Hand­lung voran, wird aber durch seine Schwäche am Errei­chen dieses Ziels gehin­dert. Alle anderen Figuren der Geschichte fun­gieren als Oppo­nenten oder Ver­bün­dete des Helden. Oder als beides: Denn viele Wen­dungen in einer Geschichte hängen oft mit einer ver­än­derten Bezie­hung anderer Figuren zum Helden zusammen.

Grund­sätz­lich sind in einer Geschichte natür­lich auch meh­rere Helden mög­lich. Das ist jedoch eine Her­aus­for­de­rung für beson­ders fort­ge­schrit­tene Autoren wie George R. R. Martin mit seinem Lied von Eis und Feuer, weil jeder der vielen Helden eine feine Her­aus­ar­bei­tung braucht.

Oppo­nent

Der Oppo­nent will oft das­selbe wie der Held. Auf jeden Fall aber steht er dem Helden beim Errei­chen seines Ziels im Weg und greift dessen Schwäche an. Damit ist der Oppo­nent direkt an den tiefsten Kon­flikt des Helden gekop­pelt und ihre Bezie­hung ist die wich­tigste der ganzen Geschichte.

Der Oppo­nent ist also genau auf den Helden abge­stimmt:

Der bril­lante Mus­ter­schüler Light, der Prot­ago­nist von Death Note, benutzt ein magi­sches Notiz­buch, um Ver­bre­cher zu töten und der Welt seine eigene Vor­stel­lung von Gerech­tig­keit auf­zu­zwingen. Und weil er dazu eine geheime Magie benutzt, wirkt er unan­tastbar. – Zumin­dest, bis ihm der geniale Detektiv L auf die Schliche kommt und die Geschichte sich zu einem Duell zweier Genies und zweier Vor­stel­lungen von Gerech­tig­keit ent­wi­ckelt. Dabei spielt Lights Selbst­über­schät­zung L immer wieder in die Karten.

Natür­lich gibt es oft aber nicht nur einen, son­dern meh­rere abge­stufte Oppo­nenten:

Harry Pot­ters wich­tigster Oppo­nent mag Lord Vol­de­mort sein, aber in Figuren wie Dolores Umbridge finden sich auch wei­tere, klei­nere Oppo­nenten.

Außerdem sind Oppo­nenten auch nicht immer Feinde des Helden, son­dern können auch geliebte Per­sonen sein.

Gerade in Lie­bes­ge­schichten ist der Oppo­nent des Helden oft tat­säch­lich der Love Inte­rest, wie zum Bei­spiel Fitz­wil­liam Darcy für Eliza­beth Ben­nett in Stolz und Vor­ur­teil.

Ein wei­teres Bei­spiel ist Goofy – Der Film: Hier ist Goofy der Oppo­nent seines Sohnes Max, weil er Max’ Date mit seinem Schwarm ver­hin­dert und Max’ größte Angst ver­kör­pert, so zu werden wie sein Vater. Gleich­zeitig sind die beiden jedoch immer noch Vater und Sohn und lieben sich.

Ver­bün­deter

Der Ver­bün­dete ist – wie der Name schon andeutet – der Helfer des Helden. Er steht ihm also zur Seite und ist zugleich oft auch dessen Gesprächs­partner, damit der Held durch Dia­loge seine Gedanken und Gefühle aus­drü­cken kann. Oft hat der Ver­bün­dete das­selbe Ziel wie der Held, manchmal aber auch sein eigenes.

Typi­sche Ver­bün­dete sind Frodos Gefährten im Herrn der Ringe.

Fal­scher Ver­bün­deter / geheimer Oppo­nent

Ein gutes Mittel für Plot-Twists sind Figuren, die zunächst wie Ver­bün­dete wirken, sich später aber als Oppo­nenten ent­puppen. Oft sind solche Figuren kom­plex und fas­zi­nie­rend, weil sie ein span­nendes Dilemma mit sich bringen. Und obwohl solche Figuren gegen den Helden arbeiten, ver­helfen sie ihm oft – aber nicht immer – trotzdem zum Sieg.

Ein Bei­spiel dafür ist Wurm­schwanz aus der Harry Potter-Reihe. Ursprüng­lich die Ratte von Harrys Freund Ron, ent­puppt er sich als Anhänger von Vol­de­mort. Als er jedoch später ver­sucht Harry zu töten, zögert er und büßt dafür mit seinem eigenen Leben. Harry über­lebt und besiegt Vol­de­mort.

Fal­scher Oppo­nent / geheimer Ver­bün­deter

Ein schein­barer Oppo­nent, der sich später als Ver­bün­deter her­aus­stellt, ist dagegen ein sel­te­nerer Fall, weil er die Hand­lung für den Helden ten­den­ziell nicht noch dra­ma­ti­scher macht.

Den­noch gibt es auch hier inter­es­sante Bei­spiele wie den Seri­en­mörder und Kan­ni­balen Han­nibal Lecter in Das Schweigen der Lämmer, der der Prot­ago­nistin letzt­end­lich hilft, den Fall um den Seri­en­mörder Buf­falo Bill zu lösen.

Sub­plot-Figur

Die letzte Funk­tion, die eine Figur erfüllen kann, ist die Rolle als Sub­plot-Figur. Sie ist in der Regel eine Kon­trast­figur zum Helden, jemand mit dem­selben Pro­blem, aller­dings etwas anderer Her­an­ge­hens­weise und anderem Ergebnis. Dadurch betont die Sub­plot-Figur die Eigen­schaften und die Kon­flikte des Helden. In der Regel ist sie aber kein Ver­bün­deter.

Ein gelun­genes Bei­spiel für eine Sub­plot-Figur ist Jet in Avatar – Der Herr der Ele­mente. Bemer­kens­wert ist dabei, dass er prak­tisch zu allen Mit­glie­dern der Hel­den­gruppe einen Kon­trast bildet: Er bekämpft auf seine Weise das Böse, ist der all­seits respek­tierte Anführer seiner eigenen Gruppe und ein fähiger Krieger. Dabei kann er seinen Hass und seine Rach­sucht jedoch nicht ablegen, ist gefangen in seinem strengen Schwarz-Weiß-Denken und nimmt in seinem Kampf gegen das, was er für das Böse hält, not­falls auch den Tod Unschul­diger in Kauf. Diese Unfä­hig­keit, sich zu ver­än­dern und ein bes­seres Ich zu ent­wi­ckeln, wird ihm schließ­lich zum Ver­hängnis.

Archetyp der Figur

Abge­sehen von der Funk­tion emp­fiehlt Truby auch den Gebrauch von Arche­typen. Die Arche­typen, die er in seinem Modell vor­stellt, sind:

  • Prinz, König/Vater, Königin/Mutter, weiser alter Mann/weise alte Frau/Mentor/Lehrer, Krieger, Magier/Schamane, Gauner, Künstler/Clown, Lieb­haber, Rebell

Diese Arche­typen sind natür­lich geschlechts­neu­tral und auch nicht zwangs­läufig wört­lich zu ver­stehen. So kann ein „Prinz“ zum Bei­spiel auch eine „Prin­zessin“ sein und muss nicht unbe­dingt eine könig­liche Ahnen­reihe haben. Wichtig ist bei Arche­typen ein­fach, dass sie bestimmte Muster ver­kör­pern, bestimmte Stärken und Schwä­chen, die der Zuschauer schnell iden­ti­fi­zieren und zuordnen kann. So kann die Cha­rak­te­ri­sie­rung der Figuren deut­lich abge­kürzt werden.

Wichtig ist dabei auch, dass nicht jede Figur einem Archetyp ent­spre­chen muss. – Nur, wenn es sich wirk­lich anbietet. Und damit aus den Arche­typen keine Ste­reo­type werden, emp­fiehlt Truby indi­vi­du­elle Details. So sind bei­spiels­weise Mor­pheus aus Matrix und Dum­ble­dore aus Harry Potter beides Men­toren, aber die sind grund­ver­schieden. Hilf­reich ist dabei auch, meh­rere Arche­typen mit­ein­ander zu ver­knüpfen. Bei­spiels­weise sind in Mor­pheus auch ein Vater, ein Magier und ein Rebell erkennbar.

Es ver­steht sich von selbst, dass die gewählten Arche­typen und ihre indi­vi­du­ellen Details eng mit dem zen­tralen Thema ver­knüpft sein und eine eigene Her­an­ge­hens­weise an das Pro­blem haben sollten. Auch muss man, wie ich finde, nicht unbe­dingt an Trubys Arche­typen-System fest­halten, son­dern kann an Arche­typen und deren Varia­tionen alles ver­wenden, was man in anderen Geschichten so beob­achtet.

Figuren-Kon­stel­la­tionen und Kon­flikte

Wie gesagt, Neben­fi­guren, die eine nen­nens­werte Rolle spielen, sollten pas­send zum Prot­ago­nisten erschaffen werden. Wie detail­liert ihr Ziel, ihre Schwäche und ihr Bedürfnis her­aus­ge­ar­beitet werden sollen, hängt jedoch von ihrer Wich­tig­keit ab. Wäh­rend ein guter Oppo­nent um eine detail­lierte Her­aus­ar­bei­tung nicht her­um­kommen sollte, braucht der Bus­fahrer, der den Prot­ago­nisten nur zur und von der Schule karrt, kein nen­nens­wer­teres Ziel als die Bus­in­sassen sicher von A nach B zu bringen.

Aber zurück zu den wich­ti­geren Figuren: Zusätz­lich zu Ziel, Schwäche und Bedürfnis emp­fiehlt Truby, auch die Werte und den sozialen bzw. gesell­schaft­li­chen Status einer Figur aus­zu­for­mu­lieren. Aller­dings kommt man um Über­le­gungen dar­über wohl kaum herum, wenn man Ziel, Schwäche und Bedürfnis defi­niert. Nichts­des­to­trotz tragen Werte und Status eben­falls dazu bei, die Figuren klarer von­ein­ander abzu­grenzen.

Und das wie­derum hebt das Kon­flikt­po­ten­tial unter ihnen stärker hervor. Unter­schied­liche Ziele, Schwä­chen und Bedürf­nisse sind ja schön und gut, aber ich würde sagen, es sind vor allem unter­schied­liche Werte und Macht­ver­hält­nisse, durch die Kon­flikte wirk­lich sichtbar werden.

Sehen wir uns zum Bei­spiel noch einmal Goofy – Der Film an:

Max will das Herz seiner Mit­schü­lerin Rox­anne erobern (Ziel). Seine Schwäche ist seine Angst, so zu werden wie sein Vater, und die daraus resul­tie­rende Unsi­cher­heit und stel­len­weise Ableh­nung seines Vaters. Sein inneres Bedürfnis ist Ehr­lich­keit (denn in seiner Unsi­cher­heit hat er viele Lügen zusam­men­ge­sponnen) sowie seinen Vater und den Goofy in sich zu akzep­tieren.

Goofy selbst macht sich ein­fach nur Sorgen um seinen Sohn und will seine Bezie­hung zu ihm stärken (Ziel). Seine Schwäche ist das Klam­mern an seinem Sohn und die stän­digen Ein­mi­schungen in dessen Leben. Sein inneres Bedürfnis ist, seinen Sohn als eigen­stän­diges Wesen zu respek­tieren und ihm zu ver­trauen.

Max und Goofy haben also unter­schied­liche Werte: Bei Max dreht sich alles um sein Pri­vat­leben, Goofy legt äußerst starken Wert auf Familie. – Kon­flikt! Und auch ihr unter­schied­li­cher Status ist wichtig: Als Vater hat Goofy das Sagen, Max muss sich zäh­ne­knir­schend beugen, lügen, rebel­lieren. – Kon­flikt, Kon­flikt, Kon­flikt!

Wie bereits gesagt, Oppo­si­tion und Kon­flikt bedeuten nicht zwangs­läufig Feind­schaft. Held und Oppo­nent sind schließ­lich nur Funk­tionen inner­halb einer Geschichte. In ihrem Leben ins­ge­samt sind Max und Goofy eine lie­bende Familie. Und das kommt pas­sen­der­weise durch den Sub­plot eines befreun­deten Vater-Sohn-Paares zum Vor­schein:

Karlo und sein Sohn KJ bilden näm­lich einen starken Kon­trast zur kon­flikt­rei­chen, aber den­noch lie­be­vollen Bezie­hung zwi­schen Goofy und Max: Der Vater Karlo ist ein selbst­herr­li­cher Dik­tator und KJ ist ein durch­dres­sierter Untertan. Karlo ist zudem auch ein wei­terer Oppo­nent für Goofy und Max, weil seine ehr­lich gemeinten, aber den­noch zwei­fel­haften Erzie­hungs­rat­schläge die Kon­flikte zwi­schen den beiden Goofs anheizen.

Das illus­triert auch einen wei­teren Rat­schlag Trubys, näm­lich ein ganzes Netz von Oppo­si­tionen zu erschaffen:

Figuren-Konstellation: Ein sinnvolles Geflecht von Haupt- und Nebenfiguren, ihrer Motivationen, Beziehungen, Rollen etc. erschaffen

Alle Oppo­nenten greifen dabei die Schwäche des Helden jeweils auf ihre eigene Weise an und sind dabei idea­ler­weise auch selbst in Oppo­si­tion zuein­ander. Der ein­fachste Fall wäre hier ein Sze­nario wie ein Wett­kampf, bei dem die Oppo­nenten buch­stäb­lich gegen­ein­ander antreten. Mög­lich sind aber auch weniger offen­sicht­liche Oppo­si­tionen wie im Goofy-Film, wo alle vier erwähnten Figuren ja im Grunde befreundet sind.

Im Prinzip kommt es bei Kon­flikten aber vor allem auf das Thema an. Wenn das Thema eine Eltern-Kind-Bezie­hung ist, dann ist ein solch ein­fa­cher, typi­scher Kon­flikt wie zwi­schen Goofy und Max sehr wir­kungs­voll. Wenn es aber um die Ret­tung der Welt ginge, würde dieser Kon­flikt aber nur als kleiner Neben­aspekt etwas taugen. Für eine wirk­lich wich­tige Oppo­si­tion müsste es dann schon ein Vater-Sohn-Kon­flikt sein wie zwi­schen Zuko und seinem Vater in Avatar: Goofy müsste der böse Over­lord sein, der seinen Sohn sys­te­ma­tisch miss­han­delt hat, und der Sohn müsste sich auf die Seite des Wider­standes schlagen.

Aus­blick: Heldengruppen/Teams

So viel zu Trubys Ansicht zum Thema, gewürzt mit ein wenig eigenem „Senf“. In der Krea­tiv­Crew ist zwi­schen den Zeilen jedoch mehr­mals das Inter­esse an Gruppen von Figuren ange­klungen. An Figuren, die mit­ein­ander zusam­men­ar­beiten, um ein bestimmtes Ziel zu errei­chen. Denn auch hier ist es wichtig, die Figuren auf­ein­ander anzu­passen, und es gibt auch hier Kon­stel­la­tionen, die sich bewährt haben. Ich bin daher mal so dreist und plane dieses Thema für das zweite Halb­jahr 2020 ein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert