Anfänge schreiben: Prolog, erstes Kapitel, erster Satz

Anfänge schreiben: Prolog, erstes Kapitel, erster Satz

Wo sollte man seine Erzäh­lung begin­nen? Am Anfang? Mit­ten­drin? Mit einem Pro­log? Was sind die Merk­male eines guten ersten Kapi­tels? Was macht einen guten ersten Satz aus? — Der Anfang entschei­det oft, ob auch der Rest der Geschichte gele­sen wird. Deswe­gen befassen wir uns in diesem Artikel mit genau diesen Fra­gen.

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Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Ein­druck. Deswe­gen gehört der Anfang ein­er Geschichte beim Schreiben zu den wichtig­sten Din­gen über­haupt. Nehmen wir uns also dieses The­mas an und sprechen in diesem Artikel all­ge­mein über Anfänge, den Sinn und Unsinn von Pro­lo­gen sowie über den ersten Satz.

Anfänge schreiben: Verführen, informieren, neugierig machen

Der Zweck eines guten Anfangs ist denkbar sim­pel:

Er soll den Inter­essen­ten dazu bewe­gen, auch den Rest der Geschichte zu lesen.

Wie das geht, haben wir etwas ober­fläch­lich bere­its in einem früheren Artikel besprochen: Da haben wir die AIDA-Formel aus dem Mar­ket­ing unter anderem auf den Anfang ange­wandt.

AIDA set­zt sich dabei zusam­men aus:

  • A → Atten­tion → Aufmerk­samkeit erre­gen
  • I → Inter­est → Inter­esse weck­en
  • D → Desire → Begehren aus­lösen
  • A → Action → zum Han­deln auf­fordern

Konkret auf Geschich­t­e­nan­fänge bezo­gen bedeutet das:

Der Anfang ein­er Geschichte bzw. ein­er Erzäh­lung bzw. eines Buch­es (was auch immer) muss etwas Beson­deres sein, sich abheben und den Leser aus seinem All­t­agstrott reißen. Er sollte ver­mit­teln, was die Geschichte zu bieten hat, und die Bedürfnisse der Ziel­gruppe ansprechen. Und nicht zulet­zt sollte er neugierig machen, Fra­gen aufw­er­fen und in den Kon­flikt ein­führen, sodass der Leser unbe­d­ingt erfahren will, wie es weit­erge­ht. Ide­al­er­weise fol­gt daraufhin die Hand­lung des Lesers, näm­lich dass er an der Geschichte kleben bleibt.

Mit anderen Worten:

Wenn Deine Geschichte mit dem Klin­geln des Weck­ers anfängt, mit dem Zäh­neputzen weit­erge­ht und der Pro­tag­o­nist anschließend in den Spiegel schaut und dabei beschrieben wird, dann ist das eine Klis­chee-Parade, die Dich als Schreiban­fänger out­et: Gefühlt die Hälfte der Geschicht­en von uner­fahre­nen Autoren begin­nt genau so. — Laaang­weilig!

Dos und Don’ts

Es geht in viel­er­lei Hin­sicht aber auch darum, eine gesunde Bal­ance zu hal­ten:

  • So ist es zwar wichtig, Fra­gen aufzuw­er­fen, doch wenn es in der ersten Szene um Holomisuh­a­sita­ms vom Plan­eten Furze­vick geht, die über Tölöw­er­ade­tas disku­tieren und sich Ger­az­i­monare als Ziel set­zen, dann ver­ste­ht der Leser nur Bahn­hof: Er braucht klare Infor­ma­tio­nen, an denen er sich fes­thal­ten kann, um dem Geschehen einiger­maßen zu fol­gen, eine Verbindung zu den Fig­uren aufzubauen und sich irgend­wie um den weit­eren Ver­lauf der Geschichte zu scheren.
  • Und damit wären wir auch schon bei der Ein­führung in die Welt und evtl. auch bei der Vorstel­lung der wichtig­sten Fig­uren. Um der Hand­lung fol­gen zu kön­nen, braucht der Leser zumin­d­est grobe Antworten auf die Fra­gen: Wer? Was? Wo? Wann? — Was im Übri­gen oft auch mit dem Auf­bauen von Atmo­sphäre ein­herge­ht. Falsch wäre allerd­ings, dem Leser alles haarklein zu erk­lären, ihn nicht mit­denken zu lassen, die Infor­ma­tio­nen also fast enzyk­lopädisch in einem fet­ten, lang­weili­gen Info-Dump abzu­laden.
  • Auch sollte der Anfang ide­al­er­weise so gewählt wer­den, dass er mit der Prämisse oder zumin­d­est mit den zen­tralen The­men etwas zu tun hat. Er fungiert nun mal automa­tisch als Ver­sprechen und sollte deswe­gen zum Rest der Geschichte passen. Wenn der Anfang ein­er Liebesgeschichte also einen Kri­mi ver­spricht, dann brauchst Du Dich nicht zu wun­dern, wenn Du Kri­mi-Fans anlockst und diese dann ent­täuscht sind, während Liebesgeschicht­en-Fans Dein Werk gar nicht erst anfassen.
  • Nicht zulet­zt sollte der Anfang natür­lich inter­es­sant sein — und das schre­it nach einem Kon­flikt. Das bedeutet nicht, dass da sofort die Fet­zen fliegen müssen, aber es sollte nicht zu lange dauern, bis Span­nung entste­ht. Denn wenn da seit­en­weise nichts passiert als Friede, Freude, Eierkuchen, dann hat der Leser irgend­wann keinen Grund zu glauben, dass in der Geschichte noch etwas Inter­es­santes passiert.

Am wichtig­sten ist aber der sog. “Hook”: der “Hak­en”, mit dem man den Leser am Text fes­thält. Denn den Leser festzuhal­ten ist ja der Sinn und Zweck eines Anfangs. Dabei kann der “Hook” selb­st alles Mögliche oder sog­ar eine Kom­bi­na­tion von allem Möglichen sein: Von ein­er inter­es­san­ten Welt, ein­er pack­enden Atmo­sphäre über span­nende Fig­uren und Sit­u­a­tio­nen bis hin zur Per­spek­tive und Sprache des Erzäh­lers kann es alles sein, was die Geschichte eben irgend­wie abhebt und einen Grund zum Weit­er­lesen liefert.

Und natür­lich sollte dieser “Hook” — oder der erste von mehreren “Hooks” — möglichst früh auftreten:

Denn je länger es dauert, bis der Leser “gehooked” ist, desto wahrschein­lich­er ist, dass er abspringt.

Ab ovo vs. in medias res

Doch genug von den Anforderun­gen an gute Anfänge. Uns inter­essiert näm­lich auch die Frage, an welch­er Stelle man über­haupt eine Erzäh­lung anfängt. Denn wie in einem früheren Artikel bere­its erläutert, unter­schei­det man aus gutem Grund zwis­chen Sto­ry und Plot:

  • Sto­ry: was passiert ist
  • Plot: die Art und Weise, wie davon erzählt wird

Während in ein­er Sto­ry alles säu­ber­lich chro­nol­o­gisch ver­läuft, kann der Plot im Prinzip an jed­er beliebi­gen Stelle begin­nen. Wenn man das Ganze aber auf die zwei grundle­gend­sten Vari­anten herun­ter­bricht, lan­det man schnell bei den vom römis­chen Dichter Horaz geprägten Wen­dun­gen ab ovo und in medias res:

  • Eine Erzäh­lung ab ovo begin­nt dort, wo auch die Sto­ry anfängt.
  • Ein Beginn in medias res (alter­na­tiv auch medias in res) ist mit­ten in der Sto­ry ange­siedelt, die Hand­lung ist also sofort in vollem Gange.

Zum Beispiel begin­nt Stolz und Vorurteil von Jane Austen ab ovo, näm­lich als der reiche Sin­gle Mr. Bin­g­ley in der Nach­barschaft der Fam­i­lie Ben­net einzieht. In medias res wäre gegeben, wenn der Roman damit anfan­gen würde, dass Eliz­a­beth Ben­net sich über Bin­g­leys Fre­und Dar­cy ärg­ert.

Umgekehrt begin­nt Im West­en nichts Neues von Erich Maria Remar­que in medias res, näm­lich kurz nach­dem Paul Bäumer und seine Kam­er­aden an der Front abgelöst wur­den. Erst später wird berichtet, wie sie motiviert wur­den, sich frei­willig zum Kriegs­di­enst zu melden, und wie ihre Aus­bil­dung zu Sol­dat­en ver­lief. Ab ovo wäre gewe­sen, wenn der Roman im Klassen­z­im­mer begonnen hätte, als die dama­li­gen Schuljun­gen der Gehirn­wäsche durch ihren Lehrer aus­ge­set­zt waren.

Allerd­ings muss darauf hingewiesen wer­den, dass das, was man als Anfang ein­er Sto­ry betra­chtet, stets davon abhängt, wo man die Schw­er­punk­te set­zt:

Denn dreht sich alles um das Ver­heirat­en der Ben­net-Töchter, begin­nt die Sto­ry mit dem Auf­tauchen geeigneter Heiratskan­di­dat­en. Set­zt man jedoch den Schw­er­punkt auf die mis­er­able finanzielle Lage der Ben­nets, müsste man beschreiben, wie sie sich entwick­elt, als Mr. und Mrs. Ben­net fünf Töchter, aber keine Söhne bekom­men.

Außer­dem soll­ten der Voll­ständigkeit hal­ber auch in ulti­mas res, in nuce und die Invo­ca­tio genan­nt wer­den. Diese Begriffe beze­ich­nen eine Erzäh­lung, die mit dem Ende begin­nt, einen Anfang, der Anspielun­gen auf den späteren Ver­lauf enthält, und den Beginn mit ein­er Anrufung, ein­er Begrün­dung für den Erzäh­lakt oder ander­weit­igem Vorge­plänkel. Ich per­sön­lich halte sie jedoch weniger für eigen­ständi­ge Typen, son­dern eher für eine spezielle Form des anachro­nis­tis­chen Anfangs, also in medias res, bzw. für eine stilis­tis­che Entschei­dung. Deswe­gen beschränke ich mich lieber auf ab ovo und in medias res, d. h. auf die Entschei­dung zwis­chen einem chro­nol­o­gis­chen Anfang und einem anachro­nis­tis­chen.

Einen geeigneten Anfang finden

Doch welch­er Ansatz eignet sich für konkret Deine Geschichte? Das kannst natür­lich nur Du selb­st wis­sen, denn nur Du weißt, welche möglichen Start­punk­te es in der Sto­ry über­haupt gibt. Den­noch soll­test Du einige Dinge bedenken, wenn Du den Punkt auswählst, an dem der Plot begin­nen soll:

  • Grund­sät­zlich sollte es ein Moment sein, der die bere­its genan­nten Qual­ität­skri­te­rien für einen guten Anfang am ehesten erfüllt. Und wenn ein solch­er Moment noch nicht existiert, dann schau Dir die Qual­ität­skri­te­rien noch ein­mal an und nutze sie als Grund­lage, um einen solchen Moment zu erschaf­fen. Fokussiere Dich dabei vor allem auf Deine Prämisse, denn nur wenn Du weißt, worum es in Dein­er Geschichte geht, kannst Du auch beurteilen, welch­er Moment ein geeigneter Anfang wäre.
  • Achte beson­ders darauf, dass die Hand­lung möglichst bald los­ge­ht. Soll heißen: Ein guter Anfang ist der Moment, ab dem es inter­es­sant wird, bzw. kurz davor.
  • Manche Geschicht­en sind jedoch mit einem langsamen Anfang bess­er bedi­ent, zum Beispiel wenn kom­plex­es World-Build­ing erforder­lich ist, weil der Leser son­st den Rest der Geschichte nicht ver­ste­ht. In diesem Fall soll­test Du darauf acht­en, dass der noch so schlep­pende Anfang immer noch die Qual­ität­skri­te­rien erfüllt, sei es durch pack­ende Fig­uren, span­nende Kon­flik­te oder was auch immer. Not­falls kann es auch helfen, der eigentlichen Hand­lung einen Pro­log voranzustellen, in dem die span­nen­den Dinge, die in der Geschichte noch passieren, schon mal angedeutet wer­den. Dazu aber gle­ich noch aus­führlich­er.
  • Generell soll­test Du Dir während des Schreibens aber nicht allzu sehr einen Kopf machen. Zunächst ist es ein­fach nur wichtig, dass Du irgend­wie anfängst und Deinen Ersten­twurf been­d­est. Später, beim Über­ar­beit­en, kannst Du die Szenen immer noch ver­schieben oder kom­plett neue Pas­sagen schreiben. Und weil Du zu dem Zeit­punkt schon die ganze Geschichte niedergeschrieben haben wirst, soll­test Du auch eine bessere Ahnung haben, welch­er Anfang am besten passt.

Prologe

Nun ist aber bere­its das Stich­wort “Pro­log” gefall­en und wir wollen auch direkt darauf einge­hen: Wann ist ein Pro­log sin­nvoll und wann sollte die Geschichte ganz nor­mal mit dem ersten Kapi­tel anfan­gen?

Klären wir zu nächst die Frage, was ein Pro­log über­haupt ist:

Wörtlich über­set­zt aus dem Griechis­chen bedeutet es “Vor­wort” — aber meis­tens meint man damit eine ganz bes­timmte Art von Vor­wort, näm­lich ein Kapi­tel vor dem ersten Kapi­tel, das dem Leser ver­mit­telt, was er vor der Lek­türe der eigentlichen Geschichte wis­sen sollte.

Solche “Vor­worte” sind feste Bestandteile ihrer jew­eili­gen Geschicht­en und sollen neugierig machen. Nichts­destotrotz heben sie sich oft vom Rest der Geschichte ab: Nicht nur durch die Über­schrift “Pro­log” statt “Kapi­tel 1”, son­dern weil sie beispiel­sweise aus ein­er anderen Per­spek­tive erzählen, in ein­er anderen Zeit spie­len oder eine Leg­ende oder Prophezeiung wiedergeben, die in der eigentlichen Geschichte rel­e­vant wird.

Vorsicht: Ist ein Prolog wirklich notwendig?

Doch so nett Pro­loge auch klin­gen mögen, schwingt hier oft die Gefahr von Kitsch und Klis­chee mit. Beson­ders Flash­backs, Leg­en­den und Prophezeiun­gen wer­den infla­tionär benutzt, obwohl sie für die konkrete Geschichte gar nicht notwendig sind.

Ein cringiges Beispiel find­et sich im deutschen Block­buster Der Rote Baron, dessen erste Szene den Pro­tag­o­nis­ten Man­fred von Richthofen als Kind zeigt, wie er ein Flugzeug sieht, auf seinem Pferd hin­ter­her­re­it­et und die Arme aus­bre­it­et, als würde er fliegen. Offen­bar ist es sein Kind­heit­straum, Pilot zu wer­den. — Doch das spielt im weit­eren Ver­lauf des Films keine Rolle — und dass Richthofen gerne fliegt und seine Kampfein­sätze im Ersten Weltkrieg als eine Art Sport ansieht, kommt in vie­len anderen Szenen der eigentlichen Geschichte ein­deutig rüber. Der “Pro­log” mit Richthofens Kind­heit ist also eine völ­lig über­flüs­sige und dazu auch noch superk­itschige Szene.

Ich sage nicht, dass Flash­backs und geheimnisvoller mys­tis­ch­er Krim­skrams keine guten Pro­loge hergeben kön­nen, aber abge­se­hen davon, dass sie viel zu häu­fig ver­wen­det wer­den, soll­test Du generell über­prüfen, ob Deine Geschichte über­haupt einen Pro­log braucht:

Wenn er gestrichen wer­den kann, ohne dass die Geschichte etwas ver­liert, dann sollte er eben gestrichen wer­den.

Ein struk­turelles Argu­ment für einen Pro­log wurde bere­its erwäh­nt, näm­lich dass er sin­nvoll sein kann, wenn die eigentliche Geschichte — aus welchen Grün­den auch immer — nur langsam ins Rollen kommt und der Leser schon mal einen Vorgeschmack bekom­men soll, was ihn später erwartet. Zum Beispiel kön­nte ein Pro­log, in dem blutige Fet­zten fliegen, im Zusam­men­spiel mit einem idyl­lis­chen ersten Kapi­tel Span­nung erzeu­gen, weil man da durch den bluti­gen Pro­log ja im Hin­terkopf hat, dass die Idylle bald ein Ende nimmt.

Außer­dem kön­nte ein Pro­log auch eine alter­na­tive Per­spek­tive auf die eigentliche Geschichte liefern, sodass man das Geschehen der eigentlichen Geschichte zwar durch die Augen des Pro­tag­o­nis­ten beobachtet, aber gle­ichzeit­ig weiß, dass man die Dinge auch anders sehen kön­nte. Auch kön­nen Pro­loge schon mal ein wenig World-Build­ing leis­ten, wenn es für das Ver­ständ­nis des ersten Kapi­tels notwendig ist.

Ein Beispiel für einen guten Pro­log find­et sich in Das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Mar­tin: Während die anderen Kapi­tel wiederkehrende Reflek­tor­fig­uren haben, fungiert der Nachtwächter Will nur hier als Reflek­tor. Durch seine Augen bekommt der Leser bere­its einen ersten Ein­blick in die Welt, in der die Buchrei­he spielt, und sieht die Anderen, die Weißen Wan­der­er, deren Exis­tenz in der eigentlichen Geschichte sys­tem­a­tisch angezweifelt wird. Und da der Leser ja weiß, dass sie wirk­lich existieren und eine Bedro­hung darstellen, trägt das in den späteren Kapiteln zur Span­nung bei.

Übri­gens muss ein Pro­log auch nicht unbe­d­ingt “Pro­log” als Über­schrift haben:

So gibt es in der Har­ry Pot­ter-Rei­he manch­mal De-fac­to-Pro­loge, strenggenom­men erste Kapi­tel, die aber eine andere Reflek­tor­fig­ur haben als Har­ry und dem Leser Infor­ma­tio­nen ver­mit­teln, die später rel­e­vant wer­den, von denen Har­ry aber noch nichts weiß.

Inter­es­sant sind auch Dinge wie “Ein­gang” und “Aus­gang” in Remar­ques Der Weg zurück, die fak­tisch den Pro­log und den Epi­log darstellen und eine Art Rah­men für den titel­geben­den Weg zurück ins zivile Leben bilden: Der “Ein­gang” zeigt das Ende des Ersten Weltkriegs, der “Aus­gang” zeigt, wie die über­leben­den Fig­uren sich mit dem zivilen Leben arrang­iert haben, und alles dazwis­chen zeigt ihre Schwierigkeit­en nach ihrer Rück­kehr von der Front.

Einen Prolog schreiben

Bevor Du also einen Pro­log ein­baust, soll­test Du genau über­legen, welche Funk­tion er für die Geschichte erfüllt. Die Möglichkeit­en sind hier­bei gren­zen­los: von einem Vor­wort, in dem ein ange­blich­er Her­aus­ge­ber behauptet, die Ereignisse in der Geschichte wären real, bis hin zu Pro­lo­gen, die fak­tisch ganz reg­uläre Kapi­tel sind, ist alles erlaubt.

Was für Deine Geschichte das Richtige ist, hängt aber von Deinem indi­vidu­ellen Werk ab. Wichtig ist nur, dass der Pro­log, sofern Du ihn ein­baust, rel­e­vant ist und die Geschichte bere­ichert und außer­dem natür­lich auch die Qual­ität­skri­te­rien für einen guten Anfang erfüllt. Und wenn Deine Geschichte wun­der­bar ohne Pro­log auskommt oder Dir kein Pro­log ein­fällt, dann lass ihn weg: Das wäre eine poten­tielle Klis­cheefalle weniger.

Der erste Satz

Aber egal, ob Dein Werk mit einem Pro­log oder direkt mit dem ersten Kapi­tel begin­nt: Den Anfang ein­er jeden Geschichte bildet der erste Satz. Und weil es, wie gesagt, keine zweite Chance für einen ersten Ein­druck gibt, muss er möglichst per­fekt sein. Denn von ihm hängt sehr stark ab, ob auch der zweite Satz und schließlich der Rest der Geschichte gele­sen wird.

Wie schreibt man also einen guten ersten Satz?

Arten von ersten Sätzen

In seinem Buch ‘Jemand musste Josef K. ver­leumdet haben …’: Erste Sätze der Weltlit­er­atur und was sie uns ver­rat­en zer­legt Peter-André Alt, wie der Titel schon sagt, erste Sätze aus der Weltlit­er­atur und ord­net sie in ver­schiedene Kat­e­gorien ein. Diese wären:

  • eine Anrufung der Göt­ter, damit sie dem Dichter während des Schöp­fung­sprozess­es beis­te­hen, wie sie in der Antike üblich war,

“Sage mir, Muse, die Tat­en des viel­ge­wan­derten Mannes, | Welch­er so weit geir­rt, nach der heili­gen Tro­ja Zer­störung, | Viel­er Men­schen Städte gesehn, und Sitte gel­ernt hat, | Und auf dem Meere so viel’ unnennbare Lei­den erduldet, | Seine Seele zu ret­ten, und sein­er Fre­unde Zurück­kun­ft.”
Homer: Odyssee, Über­set­zung von Johann Hein­rich Voß, 1. Gesang.

  • ein Vor­wort eines ange­blichen Her­aus­ge­bers, der behauptet, bei dem Text würde es sich um reale Aufze­ich­nun­gen han­deln, was beson­ders für die frühe Neuzeit charak­ter­is­tisch ist,

“Lemuel Gul­liv­er, der Ver­fass­er dieser Reisen, ist mein alter, intimer Fre­und, auch ver­wandtschaftliche Beziehun­gen beste­hen zwis­chen uns von müt­ter­lich­er Seite.”
Jonathan Swift: Gul­liv­ers Reisen zu mehreren Völk­ern der Welt, Über­set­zung von Franz Kot­tenkamp, Der Her­aus­ge­ber an den Leser.

  • eine Behaup­tung, durch die der Erzäh­ler Autorität und Weltken­nt­nis ausstrahlt,

“Es ist eine Wahrheit, über die sich alle Welt einig ist, daß ein unbe­weibter Mann von einigem Ver­mö­gen unbe­d­ingt auf der Suche nach ein­er Lebens­ge­fährtin sein muß.”
Jane Austen: Stolz und Vorurteil, Über­set­zung von Karin von Schwab, 1. Kapi­tel.

  • die Beschrei­bung ein­er Fig­ur,

“An einem Orte der Man­cha, an dessen Namen ich mich nicht erin­nern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Junker, ein­er von jenen, die einen Speer im Lanzengestell, eine alte Tartsche, einen hagern Gaul und einen Wind­hund zum Jagen haben.”
Miguel de Cer­vantes Saave­dra: Der sin­nre­iche Junker Don Qui­jote von der Man­cha, Über­set­zung von Lud­wig Braun­fels, 1. Buch, 1. Kapi­tel.

  • Angaben zu Ort und Zeit,

“In ein­er Stadt, die ich aus mancher­lei Grün­den wed­er nen­nen will, noch mit einem erdichteten Namen beze­ich­nen möchte, befand sich unter anderen öffentlichen Gebäu­den auch eines, dessen sich die meis­ten Städte rüh­men kön­nen, näm­lich ein Armen­haus.”
Charles Dick­ens: Oliv­er Twist, Über­set­zung von von Carl Kolb, 1. Kapi­tel.

  • die Beschrei­bung ein­er Sit­u­a­tion,

“Alice fing an sich zu lang­weilen; sie saß schon lange bei ihrer Schwest­er am Ufer und hat­te nichts zu tun.”
Lewis Car­roll: Alice im Wun­der­land, Über­set­zung von Antonie Zim­mer­mann, 1. Hin­unter in den Kan­inchen­bau.

  • ein plöt­zlich­es Ereig­nis,

“In M…, ein­er bedeu­ten­den Stadt im oberen Ital­ien, ließ die ver­witwete Mar­quise von O…, eine Dame von vortr­e­f­flichem Ruf, und Mut­ter von mehreren wohler­zo­ge­nen Kindern, durch die Zeitun­gen bekan­nt machen: daß sie, ohne ihr Wis­sen, in andre Umstände gekom­men sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Fam­i­lien­rück­sicht­en, entschlossen wäre, ihn zu heirat­en.”
Hein­rich von Kleist: Die Mar­quise von O…

  • Span­nungsauf­bau,

“Im Früh­ling des Jahres 1894 war das gesamte Lon­don neugierig und die Ober­schicht in der ganzen Welt bestürzt über den Mord am ehren­werten Ronald Adair, der unter den ungewöhn­lich­sten und rät­sel­haftesten Umstän­den zu Tode kam.”
Arthur Conan Doyle: Das leere Haus, Über­set­zung von Alexan­der Wlk.

  • Stim­mungsauf­bau,

“Es war ein schön­er Som­mer­abend, als Flo­rio, ein junger Edel­mann, langsam auf die Tore von Luc­ca zuritt, sich erfreuend an dem feinen Dufte, der über der wun­der­schö­nen Land­schaft und den Tür­men und Däch­ern der Stadt vor ihm zit­terte, sowie an den bun­ten Zügen zier­lich­er Damen und Her­ren, welche sich zu bei­den Seit­en der Straße unter den hohen Kas­tanien­alleen fröh­lich schwär­mend ergin­gen.”
Josef von Eichen­dorff: Das Mar­mor­bild.

  • Sprechak­te,

Loli­ta, Licht meines Lebens, Feuer mein­er Lenden.”
Vladimir Nabokov: Loli­ta, Über­set­zung von Helen Hes­sel, Maria Carls­son, Kurt Kusen­berg, Hein­rich Maria Ledig-Rowohlt, Gre­gor von Rez­zori, Dieter E. Zim­mer, 1. Teil, 1.

  • Unwahrschein­lich­es,

“Als Gre­gor Sam­sa eines Mor­gens aus unruhi­gen Träu­men erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem unge­heueren Ungeziefer ver­wan­delt.”
Franz Kaf­ka: Die Ver­wand­lung.

  • Kitsch und Triv­iales,

“Im Schat­ten des Haus­es, in der Sonne des Flußufers bei den Booten, im Schat­ten des Sal­waldes, im Schat­ten des Feigen­baumes wuchs Sid­dhartha auf, der schöne Sohn des Brah­ma­nen, der junge Falke, zusam­men mit Govin­da, seinem Fre­unde, dem Brah­ma­nen­sohn.”
Her­mann Hesse: Sid­dhartha. Eine indis­che Dich­tung, 1. Teil, Der Sohn des Brah­ma­nen.

  • Ironie,

“An dem Mor­gen, als die let­zte Lis­bon-Tochter Selb­st­mord beg­ing – Mary dies­mal, mit Schlaftablet­ten wie Therese –, wussten die San­itäter schon genau, wo die Schublade mit den Messern war, wo der Gash­erd und wo im Keller der Balken, an dem man das Seil fes­t­binden kon­nte.”
Jef­frey Eugenides: Die Selb­st­mord-Schwest­ern, Über­set­zung von Mechtild Sand­berg-Cilet­ti, Eike Schön­feld, 1.

  • ein Spiel mit Anfang und Ende.

“Die Ewige Wiederkehr ist ein geheimnisvoller Gedanke, und Niet­zsche hat damit manchen Philosophen in Ver­legen­heit gebracht: alles wird sich irgend­wann so wieder­holen, wie man es schon ein­mal erlebt hat, und auch diese Wieder­hol­ung wird sich unendlich wieder­holen!”
Milan Kun­dera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Über­set­zung von Susan­na Roth, Erster Teil: Das Leichte und das Schwere, I.

Sicher­lich kön­nen wir uns darauf eini­gen, dass viele erste Sätze wohl in mehrere Kat­e­gorien passen. Und eben­so müssten wir uns darauf eini­gen kön­nen, dass die ersten Sätze oft von den Kon­ven­tio­nen ihrer jew­eili­gen Zeit bee­in­flusst wer­den. Welche Art von ersten Sätzen ist also für den heuti­gen Leser geeignet, der sich in einem über­sät­tigten Markt bewegt und bekan­nter­maßen die Aufmerk­samkeitss­panne eines Gold­fischs hat?

Der Bestseller-Code

In ein­er früheren Rei­he habe ich bere­its das Buch Der Best­sellder-Code von Jodie Archer und Matthew L. Jock­ers zusam­menge­fasst, die ca. 5000 Best­seller und Nicht-Best­seller durch einen Algo­rith­mus gejagt haben, um her­auszufind­en, was die Gemein­samkeit­en von verkauf­sstarken Büch­ern sind. Auch über erste Sätze gab es Erken­nt­nisse und ich habe sie in Teil 3 zusam­menge­fasst. Hier aber zur Auf­frischung noch ein­mal:

  • Der ide­ale erste Satz ist kurz, ein­fach und klar struk­turi­ert.
  • Er wirkt authen­tisch, der Erzäh­ler strahlt durch seine Gewis­sheit Autorität aus, aber auch Witz macht sich gut, wenn es darum geht, die Aus­sage schein­bar müh­e­los auf den Punkt zu brin­gen.
  • Und nicht zulet­zt enthält der erste Satz gerne den gesamten Kon­flikt des Romans und ver­spricht Hand­lung.

Oder noch kürz­er zusam­menge­fasst:

Der erste Satz ist leicht und angenehm zu lesen, sendet eine klare Botschaft und gibt einen Vorgeschmack auf das ganze Werk.

Tipps für den ersten Satz

Wie Du Dir aber sicher­lich bere­its denken kannst, sind gelun­gene erste Sätze so indi­vidu­ell wie die Werke, zu denen sie gehören, und ich bezwei­fle, dass es ein Paten­trezept dafür geben kann. Aber hier trotz­dem ein paar Tipps:

  • Du wirst wahrschein­lich nicht beim ersten Anlauf den per­fek­ten ersten Satz for­mulieren. Ver­suche es also gar nicht erst.
  • Über­lege eher, wom­it Du generell anfan­gen willst, ab ovo oder in medias res, mit ein­er Szene, einem Schau­platz, ein­er Fig­ur, ein­er Behaup­tung oder wom­it auch immer, lasse Dich von Alts Typolo­gie inspiri­eren und achte auf die AIDA-Formel.
  • Der per­fek­te erste Satz oder zumin­d­est Ideen dafür kom­men oft erst mit der Zeit im Laufe des Schreibens. Auch wirst Du den Anfang wom­öglich ohne­hin mehrmals über­ar­beit­en und Szenen und Absätze umstellen. Deswe­gen muss der erste Satz erst am Ende des Schreib- bzw. sog­ar Über­ar­beitung­sprozess­es wirk­lich fest­ste­hen.
  • Und wenn Du Dich zwis­chen mehreren Ideen nicht entschei­den kannst oder ein­fach wis­sen willst, ob Deine Idee etwas taugt, kannst Du Deinen ersten Satz bzw. Deine Ideen ja anderen Leuten vor­tra­gen und sie fra­gen, ob das nach einem inter­es­san­ten Buch klingt.

Schlusswort

So viel zu Anfän­gen von Geschicht­en. — Wie Du siehst, ein wichtiges The­ma, bei dem es sehr viel zu beacht­en gibt. Ein miss­lun­gener Anfang bedeutet zwar nicht automa­tisch, dass Deine Geschichte nicht gele­sen wird: Denn auch Titel, Cov­er, Klap­pen­text und gute Kri­tiken haben einen Ein­fluss darauf, ob Deine Geschichte Inter­esse weckt. Aber der Anfang ist den­noch ein wesentlich­er Fak­tor, der über den Erfolg Deines Buch­es entschei­det. Wäh­le ihn also weise.

Anson­sten schre­it vor allem das The­ma der ersten Sätze nach beson­ders vie­len Beispie­len, die aber nicht in aus­re­ichen­dem Maße in diesem einen The­o­rie-Artikel behan­delt wer­den kön­nen. Deswe­gen möchte ich am 22.08.2021 gerne in einem exk­lu­siv­en Livestream für Steady-Mit­glieder mehr auf die Prax­is einge­hen und über eine Auswahl konkreter erster Sätze reden, gerne auch über Ein­sendun­gen aus der Com­mu­ni­ty, seien es erste Sätze aus Lieblings­büch­ern oder eige­nen Werken. Über Deine Teil­nahme und gle­ichzeit­ige finanzielle Unter­stützung würde ich mich sehr freuen!

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