Wenn wir eine Geschichte schreiben, wollen wir, dass sie auch gelesen wird. Nicht immer erreichen wir jedoch eine nennenswerte Leseranzahl. Wie können wir unsere Geschichte (und das Drumherum) also so schreiben, dass sie Leser gewinnt und auch hält? In diesem Artikel nehmen wir den Titel, den Klappentext, den Anfang und den Inhalt der Geschichte unter diesem Gesichtspunkt unter die Lupe.
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Es gibt da eine Frage, über die zumindest ich in Autoren-Communities wohl am häufigsten stolpere:
Warum liest niemand meine Geschichte?
Dabei ist mir in all den Jahren aufgefallen, dass die Anzahl der Leser nicht immer mit der Qualität einer Geschichte zu begründen ist:
- Ja, wenig Leser kann bedeuten, dass die Geschichte schlecht ist.
- Aber es fällt auf: Vor allem auch gute Geschichten sind häufig betroffen.
Der Grund ist vielleicht eher (u.a.) …
… dass die Geschichte nicht so geschrieben ist, dass sie viel Aufmerksamkeit wecken und halten kann.
Was können wir also tun, um das zu vermeiden? Das heißt:
Wie können wir unsere Geschichte (und das Drumherum) so schreiben, dass sie viel Aufmerksamkeit weckt und auch hält?
In diesem Artikel bedienen wir uns einer Formel, die auf den ersten Blick nichts mit dem Schreiben zu tun hat …
Schreiben und Marketing
Wenn man Leser gewinnen will, muss man Marketing machen:
- Man muss Aufmerksamkeit auf die Geschichte lenken:
Denn wenn niemand die Geschichte kennt, kann auch niemand sie gut finden und weiterempfehlen. - Die Geschichte muss den Leser aber auch „festhalten“:
Wenn der Leser die Geschichte nach dem ersten Kapitel abbricht, wird er sie ebenfalls nicht weiterempfehlen.
Was aber heißt denn nun „Marketing“?
- Als erstes denkt man da natürlich an die „klassischen“ Mittel:
Werbung, Messen, Blogs, Webseite, Facebook-Fanpage, Cover etc. - Aber zu bedenken ist auch: Marketing beginnt schon beim Produkt selbst!
Titel, Klappentext / Inhaltsbeschreibung, Anfang der Geschichte, Inhalt der Geschichte
Und wenn das Buch selbst bereits Marketing ist: Inwiefern kann man Marketing schon beim Schreiben betreiben? Was kann man als Autor vom Marketing lernen und welche Ideen und Anregungen kann man mitnehmen?
Die AIDA-Formel
Sehr hilfreich, wenn man Kunden (bzw. Leser) anlocken will, ist die AIDA-Formel:
- A → Attention → Aufmerksamkeit erregen
- I → Interest → Interesse wecken
- D → Desire → Begehren auslösen
- A → Action → zum Handeln auffordern
Die AIDA-Formel kann sich zum einen auf die gesamte „Customer Journey“ vom Werbebanner bis zum Kauf eines Produkts beziehen, aber auch auf einzelne Schritte, zum Beispiel ein einzelnes Banner, angewandt werden.
Die ideale „Customer Journey“
Betrachten wir zum besseren Verständnis zunächst die …
Ideale „Customer Journey“ eines Kunden
Die ideale Customer Journey eines Kunden beginnt meistens mit Attention.
- Das sind zum Beispiel auffällig gestaltete Schaufenster, Newsletter, Werbebanner, Flyer …
Dann geht es weiter mit Interest.
- Das sind erste Detailinformationen, zum Beispiel in einem Produktkatalog Online-Shop (der ja de facto ein digitaler Katalog ist).
Aus den Informationen entsteht idealerweise das Desire:
- Man kommuniziert dem Kunden ganz klar den Mehrwert des Produkts (zum Beispiel dass es ihn erfolgreich macht, schöner macht, ihm hilft, den Alltag zu bewältigen …), und dadurch weckt man beim Kunden einen Besitzwunsch.
Und um diesen Besitzwunsch zu stillen, geht der Kunde zu „Action“ über …
- … und kauft das Prudukt, bucht die beworbene Reise, etc.
Und wenn das Prinzip jetzt klar ist, betrachten wir nun analog dazu die …
Ideale „Customer Journey“ eines Lesers
Sie beginnt damit, dass man auf das Buch aufmerksam wird (Attention).
- Man sieht Titel und Cover und denkt sich: „Wow!“
Dann geht es weiter mit Interest:
- Man dreht das Buch um und liest den Klappentext (/Inhaltsbeschreibung):
„Klingt interessant!“
Der nächste Schritt ist Desire:
- Man klappt das Buch auf und liest den Anfang der Geschichte:
Dieser ist spannend und man denkt sich: „Wie geht es weiter?“
Daraus entsteht der Besitzwunsch.
Also kauft man das Buch und verschlingt es (Action: Inhalt der Geschichte).
Die AIDA-Formel bei Einzelschritten
Wendet man die AIDA-Formel aber nun auf die Einzelschritte an … Schauen wir uns zum besseren Verständnis erstmal an, was es in der Werbebranche bedeutet:
AIDA: In der Werbebranche
Ein einzelnes Werbemittel (z.B. Werbebanner, Flyer, Werbespot …) sollte nach Möglichkeit alle vier Punkte erfüllen:
Bei Attention versucht man ja Aufmeksamkeit zu erregen, d.h. :
- Man hantiert mit grellen Farben, süßen Tierbildern, Animationen
Interest verlangt erste Informationen:
- Was ist das Produkt? Wozu ist es gut? Welche Besonderheiten hat es?
Bei Desire kommt das Werbeversprechen ins Spiel, zum Beispiel:
- Werbespot: Ein glückliches Kind spielt mit Spielzeug XY.
Botschaft zwischen den Zeilen: „Spielzeug XY mach Kinder glücklich!“
Bei der Komponente Action schließlich wird der Kunde zum Handeln aufgefordert. Das hier sind sog. „Call to Actions“ und ich bin mir sicher, jeder von euch ist tagtäglich mit ihnen konfrontiert:
So viel zur klassischen Werbung.
Wie wenden wir aber nun das Ganze auf die eigene Geschichte an?
AIDA: Titel
Attention: Aufmerksamkeit erregt ein Titel, der …
- … ungewöhnlich, auffällig und prägnant ist.
Interest entsteht durch einen Titel, der …
- … neugierig macht.
Desire entsteht, wenn …
- … der Titel ein Geheimnis andeutet, das es zu lüften gibt, Fragen aufwirft, auf die man eine Antwort will, oder den Leser herausfordert.
Action ist in Bezug auf Bücher insgesamt natürlich schwierig. Allerdings gibt es durchaus Werke, die es umsetzen, indem der Titel zum Beispiel …
- … selbst als „Call to Action“ formuliert ist:
Ein sowjetischer Antikriegsfilm heißt zum Beispiel Komm und sieh (alternativ: Geh und sieh).
AIDA: Klappentext
Attention: Aufmerksamkeit weckt und hält ein Klappentext vor allem dadurch, dass …
- … er sich von anderen Klappentexten abhebt, „knackig“ ist und sich leicht lesen lässt.
Interest: Interesse weckt ein Klappentext indem …
- … er erste Informationen zum Inhalt des Buches gibt. Es versteht sich von selbst, dass hier Punkte angesprochen werden sollten, die für das Zielpublikum relevant sind.
Desire: Das Begehren, das Buch zu lesen, entsteht durch …
- … Fragen, die das Buch zu beantworten verspricht, aber auch durch direkt oder zwischen den Zeilen formulierte Versprechen von einem einzigartigen Abenteuer, einer ergreifenden Liebesgeschichte etc.
Action: Und nicht zuletzt tauchen in Klappentexten oft tatsächlich „Call to Actions“ auf:
- Zum Beispiel: „Tauche ein in die wunderbare Welt von …“
Das ist natürlich ein sehr abgedroschenes Beispiel, das meiner Meinung nach besser nicht verwendet werden sollte. Aber wenn euch ein origineller „Call to Action“ für euer Buch einfällt – warum nicht?
AIDA: Anfang der Geschichte
Attention: Aufmerksamkeit weckt man am einfachsten dadurch, dass …
- … etwas Unerhörtes / Spektakuläres / Bemerkenswertes passiert. Oder die erzählte Welt ist ungewöhnlich, spektakulär, bemerkenswert …
Es geht darum, dass der Anfang der Geschichte den Leser aus seinem Alltagstrott herausreißt.
Interest: Interesse entsteht durch …
- … einen Anfang, der ein erstes Eintauchen in die Geschichte ermöglicht und Neugierde weckt.
Also den Leser gleich mit Info-Dump zu erschlagen ist zum Beispiel meistens keine gute Idee. Des Weiteren sollte der Anfang der Geschichte die Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe ansprechen. Die Leser sollen sich nämlich denken: „Ja, bei dieser Geschichte bin ich richtig!“
In puncto Desire könnte der Anfang zum Beispiel …
- … schon erste Fragen aufwerfen, damit der Leser weiterlesen will. Man kann schon jetzt den Konflikt einführen oder zumindest andeuten und manche Autoren packen schon in den Prolog oder ins Anfangskapitel einen Cliffhanger.
Auch beim Anfang der Geschichte ist es mit Büchern in Bezug auf Action schwierig, aber generell könnte man zum Beispiel sagen:
- Wenn schon zu Beginn eine starke Immersion erreicht wird, fühlt sich der Leser mit angesprochen, wenn der Held auf eine Queste geschickt wird.
AIDA: Inhalt der Geschichte
Attention: Damit der Leser sich nicht langweilt, muss man die Aufmerksamkeit des Lesers aufrechterhalten, zum Beispiel …
- … indem man Längen vermeidet und den Plot so gestaltet, dass öfter etwas Bemerkenswertes oder Relevantes passiert.
Das natürlich nur als Ideen, denn wie man eine Geschichte interessant schreibt, ist ein riesengroßes Fass, das man nicht einmal in 100 Artikeln abhandeln könnte.
Auch Interest ist in Bezug auf die ganze Geschichte ein riesengroßes Fass, aber generell kann man sagen, dass …
- … erstens die Interessen und Bedürfnisse der Zielgruppe berücksichtigt werden sollten; und zweitens sollte man nicht „schwafeln“, d.h. nur Dinge in die Geschichte reinbringen, die wirklich eine gewisse Mindestrelevanz haben. Auch hier Stichpunkt Info-Dump.
Desire: Das Begehren, eine Geschichte weiterzulesen, entsteht natürlich durch …
- … Spannung. Und auch das ist ein rieeeesengroßes Fass, für das dieses Video eindeutig zu kurz ist. Ansonsten entsteht Desire auch durch Identifikation mit der Hauptfigur oder zumindest durch Sympathie ihr gegenüber, denn dann begehrt man als Leser ein gutes Ende für sie.
Der Punkt Action ist auch hier schwierig, aber er kommt nichtsdestotrotz manchmal vor:
- Bei kapitelweiser Veröffentlichung zum Beispiel weist man den Leser oft darauf hin, wann das nächste Kapitel erscheint, mit der direkten oder indirekten Einladung, zu dem Zeitpunkt wiederzukommen.
- Außerdem gibt es sog. „Du entscheidest selbst“-Geschichten, bei denen man nach der Lektüre eines Abschnitts eine Entscheidung treffen muss (zum Beispiel ob man nach rechts oder nach links geht), und jede Entscheidung ist dann an einen ziemlich buchstäblichen „Call to Action“ geknüpft: „Wenn du nach rechts gehst, lies auf Seite 5 weiter!“
Schreiben und Marketing: Immer eine Gratwanderung
So viel zur AIDA-Formel. Zum Schluss sollte aber unbedingt angemerkt werden,
dass Schreiben und Marketing natürlich immer eine Gratwanderung darstellen.
Denn einerseits schreibt man ja für seine Leser, und das bedeutet:
Man sollte seine Zielgruppe im Hinterkopf behalten.
Dazu kann man zum Beispiel Personas verwenden und genau schauen: Was spricht meine Zielgruppe besonders an?
Aber … ist das nicht Anbiedern? Tatsache ist ja:
Originalität und Ästhetik sind wichtig, damit die Geschichte gut ist.
Es wurde schon zu viel Müll produziert, weil jemand meinte, dass das Massenpublikum es so will.
Allerdings …
Der „Marketing-Ansatz“ ist auch wichtig, damit die Geschichte tatsächlich gelesen wird.
Ich finde ja:
Wo die Prioritäten liegen, sollte jeder für sich entscheiden.
(Zumal man wahrscheinlich eh niemals alle AIDA-Punkte erfüllen kann, ohne die Geschichte zu zerstören.)
Natürlich sollte der Anfang der Geschichte idealerweise Spannung erzeugen, aber wenn es nicht zur Geschichte passt, dann passt es eben nicht. Dabei muss man allerdings in Kauf nehmen, dass der ein oder andere Leser das Buch bereits da schon aus der Hand legt. Idealerweise kennt man da die „Schmerzensgrenze“ seiner Zielgruppe und wendet die AIDA-Formel ausschließlich durch deren Prisma an.
Denn eine perfekte Geschichte, die allen gefällt, gibt es ohnehin nicht. Es gibt nur Geschichten, die einer bestimmten Zielgruppe gefallen.
Manche Geschichten haben zwar eine wesentlich größere Zielgruppe als andere, aber das bedeutet nicht, dass sie besser oder schlechter sind.