Über Jahrtausende hinweg erzählen sich die Menschen immer die gleichen Geschichten. Und trotzdem sind diese Geschichten einzigartig. Nur gehören sie eben zum selben Genre. Dabei sind Genres so wandlungsfreudig, dass mittlerweile ein regelrechtes Chaos von Sub‑, Zwischen- und Nischengenres herrscht. Wie soll man als Autor da also durchblicken und das richtige Genre für die eigene Geschichte bestimmen? Das besprechen wir in diesem Artikel.
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Wenn man darüber redet, worum es in einem Buch geht, fragt man oft nach dem Genre. Als wäre es eine Art Abkürzung:
- Es ist ein High-Fantasy-Abenteuer? – Okay, dann geht es da bestimmt um eine Heldenquest!
- Es ist ein Krimi? – Aha, jemand wird ermordet!
- Es ist ein Liebesroman? – Zwei treffen und verlieben sich.
Die meisten Menschen können sich darauf einigen, dass seit Jahrhunderten und Jahrtausenden im Grunde immer wieder dieselben Geschichten erzählt werden. Und natürlich fängt man da irgendwann an, zu kategorisieren: Geschichte X ähnelt der Geschichte Y, ich liebe Geschichte Y, also wird mir wahrscheinlich auch X gefallen.
Genau hier setzt dann das Buch-Marketing an: Du magst historische Romane? Hier sind unsere Bestseller! Bedien dich!
Andererseits:
Obwohl mir oft unterstellt wird, ein großer Fantasy-Fan zu sein, tue ich mich unheimlich schwer damit, mein eigenes Lieblingsgenre zu benennen. Ich mag den Herrn der Ringe, ja, aber das ist vielleicht das einzige Fantasy-Werk, das ich quasi-religiös anbete. Und wenn ich mir die Klappentexte von Fantasy-Büchern durchlese, bin ich 80 Prozent der Zeit über am Augenrollen. Von meinem liebsten Setting her müsste ich historische Romane nennen, vor allem wenn sie gut recherchiert sind. Allerdings bin ich auch hier de facto meistens am Augenrollen. Wenn ich also auf Teufel komm raus ein Lieblingsgenre nennen soll, dann würde ich, ausgehend von meinen Allzeit-Favoriten Der schwarze Obelisk, Der Herr der Ringe und Verbrechen und Strafe, wahrscheinlich Klassiker nennen. – Was natürlich nicht sehr aussagekräftig ist: Denn es gibt normalerweise sehr gute Gründe, warum Klassiker zu solchen geworden sind.
Wegen dieser persönlichen Erfahrung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Genres Bullshit sind:
Nur weil ein Buch zum selben Genre gehört wie eins meiner Lieblingswerke, heißt das in der Praxis noch lange nicht, dass es mir gefällt. Worauf es eher ankommt, ist, dass das Buch gut ist. Und das garantiert kein einziges Genre – außer vielleicht eben Klassiker.
Und trotzdem gibt es Genres. Sie sind anscheinend also doch nicht sinnlos. Deswegen werfen wir heute einen genaueren Blick darauf.
Was ist ein Genre überhaupt?
Als Begriff ist „Genre“ schwer zu definieren, weil er gerade im Deutschen oft mit dem Terminus „Gattung“ vermischt wird. Auch hat es in den verschiedenen Wissenschaften – Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft, Filmwissenschaft etc. – viele theoretische Ansätze gegeben, die sich als nicht sehr praxistauglich erwiesen haben. Konstant ist da eigentlich nur der Versuch,
fiktionale Geschichten irgendwie nach Thema, Plot, Atmosphäre, Setting etc. zu kategorisieren.
Oder wie es Robert McKee in Story, seinem Klassiker zum Drehbuchschreiben, formuliert:
„Genrekonventionen sind spezifische Settings, Rollen, Ereignisse und Werte, die Einzelgenres und ihre Subgenres definieren.“
Robert McKee: Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens, übersetzt von Eva Brückner-Tuckwiller und Josef Zobel, Teil 2: Die Story-Elemente, Kapitel 4: Struktur und Genre, Die Beziehung zwischen Struktur und Genre.
Dabei fallen heutzutage grob zwei Richtungen auf, für die Genres verwendet werden: fürs Schreiben und fürs Marketing. Der Gedanke ist, dass Geschichten des gleichen Genres feste Elemente enthalten, die das Publikum von diesem Genre auch erwartet. Robert McKee spricht davon, dass der Autor diese Erwartungen des Publikums einerseits erfüllen, sie zugleich aber auch „zu frischen, unerwarteten Momenten führen“ muss. Oder wie Blake Snyder das zweite Kapitel seines Ratgebers Save the Cat! offiziell betitelt: „Give me the same thing … only different!“ – „Gib mir dasselbe … nur anders!“
Der Konsens scheint zu sein:
Es gibt nur einige wenige Typen von Geschichten mit festen (Plot-)Elementen, die jedoch der Originalität halber mit einem frischen Twist umgesetzt werden sollten.
In amerikanischen Ratgebern zum Drehbuchschreiben geht es somit vorrangig um Strukturen, an denen man sich beim Schreiben entlanghangeln sollte, wenn man etwas Erfolgversprechendes schreiben will.
Fürs Publikum – und damit auch fürs Marketing – ist eine solche Kategorisierung nur von geringem Interesse. Denn dem Leser bzw. Filmzuschauer ist es herzlich egal, nach welchen Strukturen der Autor die Geschichte geschrieben hat. Vielmehr will er durch die Zuordnung einer Geschichte zu einem bestimmten Genre erfahren, worauf er sich einstellen soll. Denn wenn das Publikum mit falschen Erwartungen an eine Geschichte herangeht, wird es enttäuscht werden, sich vor den Kopf gestoßen fühlen und die Geschichte womöglich sogar nicht einmal verstehen.
McKee nennt hier als Beispiel den Film Mike’s Murder, dessen Marketing einen Krimi versprochen hatte, obwohl es sich eher um einen Reifungsplot handelt: „[D]ie bissige Mundpropaganda eines falsch positionierten und verwirrten Publikums zog einem ansonsten guten Film den Boden unter den Füßen weg“, findet McKee (Kapitel 4: Struktur und Genre, Beherrschung des Genres).
Wenn Du ein Produkt an den Kunden bringen willst, musst Du eben klar kommunizieren, was es ist, für wen und welches Problem es löst.
Und wenn Du eine Geschichte an den Leser bringen willst, musst Du klar kommunizieren, was das für eine Geschichte ist, für wen und welche Lesebedürfnisse sie erfüllt.
Im Marketing bezeichnet man das als Positionierung. Oder um es mit James N. Frey zu sagen:
„Genre bezieht sich auf die literarische Klassifizierung eines Buches, die auf Formeln, Regeln und Vermarktungspraktiken des Buchhandels basiert.“
James N. Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt, übersetzt von Ellen Schlootz und Jochen Stremmel, Kapitel: 2. Die drei wichtigsten Regeln für eine Spannende Geschichte: Konflikt! Konflikt! Konflikt!, Die Genres, die Schubfächer der Literatur.
Doch selbst wenn wir uns vielleicht darauf einigen, dass man zwischen strukturellen Genres für Autoren und Marketing-Genres unterscheiden kann, bleiben die beiden Definitionen schwammig:
Denn gefühlt jeder Schreibratgeber, jede Theorie, jede Plattform und jeder Verlag hat ein höchst eigenes Kategorisierungssystem.
Werfen wir also einen Blick auf dieses Durcheinander …
Welche Genres gibt es?
Das, was einem als Laie am schnellsten in den Sinn kommt, wenn man an Genres denkt, sind die typischen Filmgenres, die sich nicht auf der Grundlage irgendwelcher Theorien, sondern durch Beobachtungen des Marktes ergeben haben. Robert McKee hat sie ein wenig systematisiert:
- Zunächst listet er einige weitestgehend selbsterklärende Genres auf: Liebesgeschichte, Horrorfilm, modernes Epos, Western, Kriegsfilm, Reifungsplot, Erlösungsplot, Bestrafungsplot, Prüfungsplot, Erziehungsplot, Desillusionierungsplot. Diese Genres haben natürlich auch Subgenres, aber da würden wir uns viel zu sehr in Details vergraben.
- Die Liste wird fortgesetzt mit „Megagenres“, deren Subgenres noch weiter gefächert sind: Komödie, Verbrechen, Gesellschaftsdrama, Actionfilm/Abenteuerfilm.
- Weiterhin spricht McKee von „Supra-Genres“, die „eine Vielzahl autonomer Genres“ enthalten: Historienfilm, Biographie, Doku-Drama, Pseudodokumentation, Musical, Science-Fiction, Sportgenre, Fantasy, Animation.
- Schließlich nennt er noch den Kunstfilm.
Weil diese Genres aus der Praxis des wandelfreudigen Marktes entstanden sind, ist diese Kategorisierung natürlich keineswegs statisch, sondern passt sich immer an die aktuellen Entwicklungen an. So skizziert McKee die Entwicklung des Westerns vom „Sittenstück“ zum Gesellschaftsdrama, wie wir es zum Beispiel von Der mit dem Wolf tanzt kennen. Die Genres und ihre Elemente wandeln sich, vermischen sich und manchmal entstehen auch neue Genres und Subgenres.
Einen anderen Ansatz verfolgt Blake Snyder, der alle Filme der Welt in nur zehn eher plotzentrierte Genres einordnet. Und weil es ein selbsterschaffenes System ist, sind die Namen der Genres entsprechend kreativ:
- Monster in the House, Golden Fleece, Out of the Bottle, Dude with a Problem, Rites Of Passage, Buddy Love, Whydunit, The Fool Triumphant, Institutionalized, Superhero.
Diese Genres sind deutlich weniger selbsterklärend und, wie gesagt, sehr auf die Handlung reduziert. Dadurch landen zum Beispiel Schindlers Liste und Stirb langsam im selben Genre, nämlich Dude with a Problem: Es geht Snyder eben nicht darum, dass das eine ein Historiendrama und das andere ein Actionthriller ist, sondern dass sie derselben Handlungsstruktur folgen. Das macht dieses System natürlich weniger brauchbar fürs Marketing – ganz abgesehen davon, dass die meisten Filmzuschauer mit den Genrenamen nichts anfangen können – und es ist somit klar, dass dieses Modell sehr speziell für Autoren gedacht ist, nämlich als Werkzeug zum Plotten. Als solches verdient es einen eigenständigen Artikel, weswegen wir eine weitere Erläuterung der Snyder’schen Genres an dieser Stelle vertagen und stattdessen zu den Genres des deutschen Buchmarktes übergehen …
Genres des deutschen Buchmarktes
Im Gegensatz zu McKee und Snyder, die sich explizit an Drehbuchautoren (und ein wenig auch an Schreiberlinge generell) wenden, also Genres als eine Art Schreibkompass begreifen, befinden wir uns auf den Websites deutscher Verlage in buchstäblichen Einkaufskatalogen, die ihrer Natur gemäß ganz klar auf den Käufer ausgerichtet sind. Wenn wir hier solche Kategorien wie Bilderbücher, Comics, Graphic Novels, Hörbücher, Lyrik, Anthologien, Dramen, Sachbücher und Geschenkbücher sowie Sachen wie Bestseller, Klassiker, Belletristik und sonstige Belletristik weglassen, dann kristallisieren sich zwei Typen von Genres heraus: allgemeine Genres, die in jedem der großen Verlage vertreten sind, und Nischen- bzw. Subgenres, deren Existenz bzw. Aufteilung sich je nach Verlag unterscheidet.
Ich habe also nun die Websites von S. Fischer, Rowohlt, Ullstein, Droemer Knaur, dtv, Bastei Lübbe und Kiepenheuer & Witsch durchforstet und folgende standardmäßige „Konsens-Genres“ festgestellt:
- Gegenwartsliteratur, Unterhaltungsromane, Liebesromane, historische Romane, Science Fiction und Fantasy, Erzählungen und Kurzgeschichten, Krimi, Thriller, Kinder- und Jugendbuch.
Und hier eine Auflistung aller weiteren Genres, die auf den Websites der genannten Verlage aufgelistet werden. Manche gibt es dabei bei mehreren Verlagen, manche nur bei einem. Es ist also eine reine Querbeet-Sammlung:
- regionale Romane, Familienromane bzw. Familiensagas, heitere und humorvolle Romane, Parodien, Reise und Abenteuer, Mythen, Sagen und Legenden, biografische Romane, klassische Kriminalromane, Regionalkrimi, Ermittler‑, Detektiv- und Polizeikrimi, historische Kriminalromane, Cosy Crime, humorvolle Kriminalromane, Skandinavische Spannung, Spionagethriller, Technothriller, Politthriller und Justizthriller, Psychothriller, Feel-Good-Romane, heitere Liebesromane, historische Liebesromane, erotische Romane, große Gefühle, Romance, Saga, New Adult, Romantic Fantasy bzw. romantische Fantasy, romantische Spannung, epische Fantasy, historische Fantasy, magischer Realismus, Fantasy Romance, Dark Romance, Urban Fantasy, Apokalypse, Space Opera, Zeitreisen.
Mit welchen Genres und Subgenres ein Verlag arbeitet, hängt natürlich sehr stark davon ab, was er im Angebot hat. So kann ein Verlag ja noch so groß sein und ein noch so vielfältiges Programm haben, aber Zeitreisen weist er nur dann als eigenständiges Genre aus, wenn er genug Bücher hat, um diese Kategorie zu füllen. Sonst wandern die entsprechenden Bücher einfach nach Fantasy und SciFi.
Abgesehen von den großen Verlagen gibt es natürlich auch kleine Nischenverlage, deren Genrekategorisierung wesentlich fokussierter ausfällt: Manche Standardgenres fehlen, aber dafür gibt es wirklich sehr spezifische Kategorien. Der Science-Fiction- und Fantasy-Verlag In Farbe und Bunt listet zum Beispiel folgende Genres:
- Star Trek-Bücher, Horror, Thriller, Science-Fiction, Mystery, Fantasy, Liebe, Kinder und Jugendliche.
Bei den Genres geht es also vor allem darum, wer was kategorisiert. Es gibt somit auch auf dem deutschen Buchmarkt kein einheitliches System, sondern nur ein reines Genre-Chaos …
Subgenres, Zwischengenres, Mischgenres, Nischengenres …
Unterm Strich liegen alle Vor- und Nachteile von Genres im Marketing-Sinne darin begründet, wie sie entstehen:
Es wird beobachtet, dass mehrere Geschichten irgendwelche gemeinsamen Merkmale haben, dieses Set von Merkmalen bekommt einen Namen … et voilà, wir haben ein neues Genre!
Das trifft besonders Subgenres und Subgenres von Subgenres. Denn wie wir bereits gesehen haben, gibt es in der Buchbranche durchaus eine Art Konsens, was die großen Hauptgenres sind. Richtig unübersichtlich wird es, wenn wir innerhalb eines einzigen Hauptgenres Strömungen und Mischungen mit anderen Genres ausmachen. Und wenn es bei den Definitionen keine Einigkeit gibt …
Nehmen wir zum Beispiel das Genre historische Fantasy: Hier trifft man, je nachdem, wo man recherchiert, auf mehrere Definitionen, wobei manchmal alle genannt werden, oft aber nur eine oder einige wenige. So wäre eine Definition, dass historische Fantasy eine Mischung aus historischem Roman und Fantasy darstellt: Es geht um echte historische Epochen und Ereignisse, bloß mit magischen Elementen. Oder es handelt sich um ein Was-wäre-Wenn-Szenario, in dem die Geschichte an irgendeinem Punkt einen alternativen Pfad eingeschlagen hat. Eine weitere Definition schließt auch High-Fantasy-Werke mit ein, also Geschichten über andere Welten als unsere eigene, die jedoch so realistisch präsentiert werden, wie man es eher in einem historischen Roman erwarten würde – als historischer Roman aus einer anderen, magischen Welt sozusagen. Blicke da mal einer durch!
Verwirrend wird es auch, wenn in zwei Hauptgenres äußerst ähnliche Subgenres entstehen:
Was ist zum Beispiel der Unterschied zwischen Romantic Fantasy – oder kurz: Romantasy – und Fantasy Romance? Grob gesagt: Romantasy ist ein Subgenre von Fantasy, Fantasy Romance ist ein Subgenre von Romance, während Romance wiederum ein Subgenre des Liebesromans ist. Soll heißen: Bei Romantasy stehen eher die fantastischen Elemente im Vordergrund, bei der Fantasy Romance hingegen ist der Fantasy-Anteil nur schmückendes Beiwerk für die Liebesgeschichte, die auch unbedingt gut ausgehen muss, weil es ja sonst keine Romance ist – eine Romance endet nämlich immer gut, während Liebesromane generell auch Tragödien sein können. Wie Du also so siehst, ist das alles eine ziemliche Haarspalterei.
Noch „spaßiger“ wird es mit Genres, die in vielerlei Hinsicht beinahe schon Synonyme sind:
Man denke da zum Beispiel an die Genres Bildungsroman, Entwicklungsroman, Erziehungsroman, Adoleszenzroman, Initiationsroman und Coming of Age. Unterm Strich geht es hier überall um den Entwicklungsprozess eines meist jugendlichen Protagonisten; die Frage ist nur, wo man die Schwerpunkte setzt und welchen Theoretikern man folgt. Und da können manche noch so sehr mit Schaum vorm Mund argumentieren, dass der Bildungsroman ein Subgenre des Entwicklungsromans ist – es gibt mindestens genauso viele Leute, die mit Schaum vorm Mund argumentieren, dass der Bildungsroman ein verwandtes, aber dennoch eigenständiges Genre ist.
Das Problem ist eben, wie gesagt, dass die Genres kein zentral geregeltes System sind. Jeder, der Lust dazu hat bzw. es für nötig hält, führt neue Begriffe ein, die dann – mit ein bisschen Glück – auch von anderen aufgegriffen werden. Und weil über die Begriffe für die Hauptgenres weitestgehend ein Konsens herrscht, trifft die Genre-Schaffungswut vor allem Nischengenres wie beispielsweise den Arztroman oder Gunpowder Fantasy. Wann immer ein Detail in mehreren Werken eine nennenswerte Rolle spielt, entsteht ein neues Genre. Somit kannst auch Du selbst zum Beispiel eine Handvoll Thriller zusammensuchen, in denen Quietschenten vorkommen, und dann nennst Du das Ganze Quietschententhriller. – Wobei es mich nicht einmal mehr wundern würde, wenn es so etwas schon gibt.
Ich bitte daher um Verständnis, dass ich an dieser Stelle keine umfassende Beschreibung einzelner Genres und Subgenres sowie ihrer Zwischen- und Mischgenres geben kann. So etwas kann ganze Monografien füllen und man wird immer noch nicht alles abgedeckt haben, eben weil Genres sich immer weiter entwickeln und es unendlich viele davon gibt.
Wenn Du Dir also den Kopf darüber zerbrichst, in welche Genres Du Dein eigenes Buch einordnen sollst, wirst Du nicht darum herumkommen, die spezifischen Genres und Subgenres, die für Dein Buch überhaupt infrage kommen, genauestens zu recherchieren.
Allerdings solltest Du Dir das Leben auch nicht schwerer machen als unbedingt nötig: Denke immer daran, wozu Genres – bzw. Marketing-Genres – überhaupt da sind …
Was macht man mit Genres?
Was man mit Genres für Autoren, also im Sinne von Geschichtenstrukturen, macht, ist klar: Als Autor sucht man sich ein Genre bzw. einen bestimmten Geschichtentyp aus und orientiert sich beim Schreiben daran, im Vertrauen, dass es sich um eine Struktur handelt, die sich im Verlauf von Jahrhunderten und Jahrtausenden bewährt hat.
Bei Marketing-Genres ist es schon schwieriger, denn wenn man als Autor nach Genres sucht, die das eigene Buch am besten beschreiben, dann macht man direkt einen entscheidenden Fehler:
Marketing-Genres sind eben nicht dazu da, um Dein Buch möglichst exakt zu beschreiben, sondern um Dein Werk auf dem Markt zu positionieren und somit Erwartungen zu schüren, die Dein Buch erfüllt, idealerweise aber auch mit einem interessanten Twist würzt.
Versetze Dich einmal in die Lage Deines Lesers: Er hat nur eingeschränkt Zeit und möchte zunächst wenigstens grob wissen, ob das Buch überhaupt etwas für ihn ist. Er möchte auch wissen, mit welcher Stimmung und welchem intellektuellen Anspruch er rechnen muss: Vielleicht möchte er nach einem langen, harten Arbeitstag einfach nur schmökern oder hat gerade erst schwere Kost gelesen und schaut sich deswegen nach einem seichten Unterhaltungsroman um. Oder es ist das Gegenteil der Fall: Er ist intellektuell ausgehungert und will etwas Hochkomplexes. Vor allem aber möchte er nicht enttäuscht werden.
Und Du selbst willst sicherlich auch, dass Deine Geschichte von Deiner Zielgruppe gelesen wird, die genau die Geschichte erwartet, die Du geschrieben hast, die Dein Werk versteht und somit auch nicht enttäuscht werden wird und idealerweise positive Rückmeldungen hinterlässt.
In dieser Hinsicht sind manche Genres sinnvoller als andere: Das Subgenre Gunpowder Fantasy mag sinnvoll sein, wenn man allgemein verschiedene Fantasywerke miteinander vergleicht und zum Beispiel Möglichkeiten aufzählt, um das klischeehafte Pseudomittelalter-Setting zu vermeiden. Aber nur wenige Leser werden sich für ein Buch entscheiden, einfach weil darin Schießpulver vorkommt. Dass Dein Setting an die Neuzeit angelehnt ist, kannst Du getrost in den Klappentext auslagern: Bei der Frage nach dem Genre freut sich der Leser eher über konkrete Angaben, ob es sich um einen Thriller, eine Liebesgeschichte, eine Parodie oder sonstwas handelt.
Soll also heißen:
Gib die Genres an, die am besten die Themen, die Handlung und die Atmosphäre Deines Buches kommunizieren.
Es geht also darum, welches Werbeversprechen Du Deinen Lesern machen willst. Welche Gefühle und Bedürfnisse Du bedienst. Für wen Du das Ganze überhaupt geschrieben hast.
So ist Harry Potter zum Beispiel von der Struktur her eine Krimiserie, weil es zumindest in den ersten Büchern sehr stark um das Enthüllen und Zusammenpuzzeln von Geheimnissen und das Stellen von Tätern geht, aber in der Regel wird es als Fantasy- und Jugendbuch verkauft: Der Fokus liegt klar auf dem magischen Setting und der Zielgruppe. Die Krimispannung wirkt eher unauffällig im Hintergrund: Die Leser kaufen das Buch, weil sie ein magisches Abenteuer für Kinder und Jugendliche erwarten, aber zusätzlich bekommen sie auch noch die Spannung eines Kriminalromans. Das ist ein Beispiel, wie die Erwartungen der Leser übertroffen werden können: Man richte das Buch explizit an einer bestimmten Zielgruppe aus, würze das Ganze aber noch mit anderen Elementen.
John Truby bemerkt in seinem Ratgeber The Anatomy of Story, dass Geschichten meistens tatsächlich eine Kombination aus zwei oder drei Genres darstellen. Das wirkt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zu der Beobachtung, dass Genremischungen sich schlechter verkaufen als Genreromane, die die Elemente ihrer jeweiligen Genres akribisch abarbeiten und somit exakt das abliefern, was ihr Genre verspricht. Die Lebenszeit der Leser ist nämlich begrenzt und im Zweifelsfall kaufen sie keine Katze im Sack, sondern ein Buch, von dem sie genau wissen, was es ihnen gibt.
Doch wie wir gerade am Beispiel von Harry Potter gesehen haben, kann man einen subtilen Genremix abliefern, der die Erwartungen an das explizit angegebene Genre absolut erfüllt, dabei aber auch andere Elemente enthält. Es gibt nämlich einen Grund, warum Genreliteratur bei all ihrem kommerziellen Erfolg eher als literarisches Fast Food gilt und oft Verachtung erntet: In jedem McDonald’s bekommt man die exakt selben Plastikburger, und das ist der größte Vor- und zugleich Nachteil dieser Kette. Ebenso wie die Exotik der größte Vor- und gleichzeitig Nachteil eines exotischen Restaurants ist: Die Leute sind vielleicht neugierig, aber sie sind sich nicht sicher, was sie bekommen. Vergleiche damit aber ein Restaurant, das die bereits von McDonald’s und anderen Fast-Food-Ketten bekannten Burger anbietet, aber mit einem interessanten Twist: Die Kunden wissen, was sie bekommen, sind aber auch neugierig auf die exotische Neuerung.
Entscheide also selbst, welche kommerziellen Risiken Du eingehen möchtest und welche nicht. Aber bedenke, dass Leser – und damit auch Buchhandlungen, Verlage und Agenturen – vor allem Orientierung wollen. Wenn Du Dich an einem einzigen Genre festkrallst und alle denkbaren Genrekonventionen erfüllst, produzierst Du ein Bündel von Klischees, auf das man vermutlich herabblicken wird. Aber wenn Du kein klares Genre für Dein Werk benennen kannst, leidet das Marketing und womöglich kannst Du Dein Buch nicht einmal veröffentlichen: Einer der Gründe, warum Verlage manchmal gute Manuskripte ablehnen, ist, dass diese Manuskripte sich nicht klar einem Genre zuordnen lassen. Die Verlage haben also buchstäblich keine Ahnung, wie sie diese Manuskripte vermarkten sollen, und da ist ein Flop eigentlich vorprogrammiert. Deswegen wollen Verlage das Risiko auch nicht eingehen.
Ein Genremix ist also schön und gut,
aber eventuell solltest Du Dir die Prämisse Deines Werkes anschauen und bestimmen, worauf der Hauptfokus liegt. Welches Genre den roten Faden Deines Buches am besten widerspiegelt. Welche Erwartungen Deine Geschichte erfüllt.
Die Krimistruktur in Harry Potter mag noch so sehr für Spannung sorgen – aber es geht primär um das Erwachsenwerden mit Kindern und Jugendlichen als Zielgruppe. Deswegen ist es ein Kinder- und Jugendbuch.
Und wenn Du Dein Manuskript an einen Verlag schickst, ist es sinnvoll, sich die Veröffentlichungen des Verlags anzusehen und Dein Manuskript in eins seiner Genres einzugliedern: Einerseits solltest Du ohnehin sichergehen, dass Dein Buch zum Verlagsprogramm passt und dass der Verlag die Genres, die er abdeckt, auch tatsächlich so versteht wie Du. Gleichzeitig erleichterst Du dem Verlag aber auch die Einordnung Deines Manuskripts, was zumindest eine Hürde für die Annahme Deines Textes beseitigt.
Schlusswort
So haben wir also über Genres geredet, ohne all die vielen Haupt- und vor allem Subgenres kleinkariert zu systematisieren. Es gibt jedoch zahlreiche unterschiedlich filigrane Übersichten im Internet, weswegen ich Dir einfach empfehlen würde, das zentrale Hauptgenre Deines Manuskripts zu benennen und dann in dessen Subgenres zu wühlen, bis Du eins findest, das Deine Zielgruppe am ehesten anspricht und dessen Konventionen Dein Buch am ehesten erfüllt. Orientiere Dich dabei, wie gesagt, an Deiner Prämisse.
Außerdem solltest Du besonders in dem Genre, in dem Du schreibst, viel lesen. So entwickelst Du überhaupt erst ein Gefühl für dessen Konventionen sowie auch für ausgelutschte Klischees. Und wenn es dabei um Genres im Sinne von Geschichtenstrukturen geht, kannst Du anhand von bewährten Werken prüfen, was Du noch verbessern kannst, was Deiner Geschichte eventuell noch fehlt oder was gestrichen werden sollte.