Wel­ches Genre hat Dein Roman?

Wel­ches Genre hat Dein Roman?

Über Jahr­tau­sende hinweg erzählen sich die Men­schen immer die glei­chen Geschichten. Und trotzdem sind diese Geschichten ein­zig­artig. Nur gehören sie eben zum selben Genre. Dabei sind Genres so wand­lungs­freudig, dass mitt­ler­weile ein regel­rechtes Chaos von Sub‑, Zwi­schen- und Nischen­genres herrscht. Wie soll man als Autor da also durch­bli­cken und das rich­tige Genre für die eigene Geschichte bestimmen? Das bespre­chen wir in diesem Artikel.

Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abon­nenten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Down­load.

Wenn man dar­über redet, worum es in einem Buch geht, fragt man oft nach dem Genre. Als wäre es eine Art Abkür­zung:

  • Es ist ein High-Fan­tasy-Aben­teuer? – Okay, dann geht es da bestimmt um eine Hel­den­quest!
  • Es ist ein Krimi? – Aha, jemand wird ermordet!
  • Es ist ein Lie­bes­roman? – Zwei treffen und ver­lieben sich.

Die meisten Men­schen können sich darauf einigen, dass seit Jahr­hun­derten und Jahr­tau­senden im Grunde immer wieder die­selben Geschichten erzählt werden. Und natür­lich fängt man da irgend­wann an, zu kate­go­ri­sieren: Geschichte X ähnelt der Geschichte Y, ich liebe Geschichte Y, also wird mir wahr­schein­lich auch X gefallen.

Genau hier setzt dann das Buch-Mar­ke­ting an: Du magst his­to­ri­sche Romane? Hier sind unsere Best­seller! Bedien dich!

Ande­rer­seits:

Obwohl mir oft unter­stellt wird, ein großer Fan­tasy-Fan zu sein, tue ich mich unheim­lich schwer damit, mein eigenes Lieb­lings­genre zu benennen. Ich mag den Herrn der Ringe, ja, aber das ist viel­leicht das ein­zige Fan­tasy-Werk, das ich quasi-reli­giös anbete. Und wenn ich mir die Klap­pen­texte von Fan­tasy-Büchern durch­lese, bin ich 80 Pro­zent der Zeit über am Augen­rollen. Von meinem liebsten Set­ting her müsste ich his­to­ri­sche Romane nennen, vor allem wenn sie gut recher­chiert sind. Aller­dings bin ich auch hier de facto meis­tens am Augen­rollen. Wenn ich also auf Teufel komm raus ein Lieb­lings­genre nennen soll, dann würde ich, aus­ge­hend von meinen All­zeit-Favo­riten Der schwarze Obe­lisk, Der Herr der Ringe und Ver­bre­chen und Strafe, wahr­schein­lich Klas­siker nennen. – Was natür­lich nicht sehr aus­sa­ge­kräftig ist: Denn es gibt nor­ma­ler­weise sehr gute Gründe, warum Klas­siker zu sol­chen geworden sind.

Wegen dieser per­sön­li­chen Erfah­rung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Genres Bull­shit sind:

Nur weil ein Buch zum selben Genre gehört wie eins meiner Lieb­lings­werke, heißt das in der Praxis noch lange nicht, dass es mir gefällt. Worauf es eher ankommt, ist, dass das Buch gut ist. Und das garan­tiert kein ein­ziges Genre – außer viel­leicht eben Klas­siker.

Und trotzdem gibt es Genres. Sie sind anschei­nend also doch nicht sinnlos. Des­wegen werfen wir heute einen genaueren Blick darauf.

Was ist ein Genre über­haupt?

Als Begriff ist „Genre“ schwer zu defi­nieren, weil er gerade im Deut­schen oft mit dem Ter­minus „Gat­tung“ ver­mischt wird. Auch hat es in den ver­schie­denen Wis­sen­schaften – Lite­ra­tur­wis­sen­schaft, Medi­en­wis­sen­schaft, Film­wis­sen­schaft etc. – viele theo­re­ti­sche Ansätze gegeben, die sich als nicht sehr pra­xis­taug­lich erwiesen haben. Kon­stant ist da eigent­lich nur der Ver­such,

fik­tio­nale Geschichten irgendwie nach Thema, Plot, Atmo­sphäre, Set­ting etc. zu kate­go­ri­sieren.

Oder wie es Robert McKee in Story, seinem Klas­siker zum Dreh­buch­schreiben, for­mu­liert:

„Gen­re­kon­ven­tionen sind spe­zi­fi­sche Set­tings, Rollen, Ereig­nisse und Werte, die Ein­zel­genres und ihre Sub­genres defi­nieren.“
Robert McKee: Story. Die Prin­zi­pien des Dreh­buch­schrei­bens, über­setzt von Eva Brückner-Tuck­willer und Josef Zobel, Teil 2: Die Story-Ele­mente, Kapitel 4: Struktur und Genre, Die Bezie­hung zwi­schen Struktur und Genre.

Dabei fallen heut­zu­tage grob zwei Rich­tungen auf, für die Genres ver­wendet werden: fürs Schreiben und fürs Mar­ke­ting. Der Gedanke ist, dass Geschichten des glei­chen Genres feste Ele­mente ent­halten, die das Publikum von diesem Genre auch erwartet. Robert McKee spricht davon, dass der Autor diese Erwar­tungen des Publi­kums einer­seits erfüllen, sie zugleich aber auch „zu fri­schen, uner­war­teten Momenten führen“ muss. Oder wie Blake Snyder das zweite Kapitel seines Rat­ge­bers Save the Cat! offi­ziell beti­telt: „Give me the same thing … only dif­fe­rent!“ – „Gib mir das­selbe … nur anders!“

Der Kon­sens scheint zu sein:

Es gibt nur einige wenige Typen von Geschichten mit festen (Plot-)Elementen, die jedoch der Ori­gi­na­lität halber mit einem fri­schen Twist umge­setzt werden sollten.

In ame­ri­ka­ni­schen Rat­ge­bern zum Dreh­buch­schreiben geht es somit vor­rangig um Struk­turen, an denen man sich beim Schreiben ent­lang­han­geln sollte, wenn man etwas Erfolg­ver­spre­chendes schreiben will.

Fürs Publikum – und damit auch fürs Mar­ke­ting – ist eine solche Kate­go­ri­sie­rung nur von geringem Inter­esse. Denn dem Leser bzw. Film­zu­schauer ist es herz­lich egal, nach wel­chen Struk­turen der Autor die Geschichte geschrieben hat. Viel­mehr will er durch die Zuord­nung einer Geschichte zu einem bestimmten Genre erfahren, worauf er sich ein­stellen soll. Denn wenn das Publikum mit fal­schen Erwar­tungen an eine Geschichte her­an­geht, wird es ent­täuscht werden, sich vor den Kopf gestoßen fühlen und die Geschichte womög­lich sogar nicht einmal ver­stehen.

McKee nennt hier als Bei­spiel den Film Mike’s Murder, dessen Mar­ke­ting einen Krimi ver­spro­chen hatte, obwohl es sich eher um einen Rei­fungs­plot han­delt: „[D]ie bis­sige Mund­pro­pa­ganda eines falsch posi­tio­nierten und ver­wirrten Publi­kums zog einem ansonsten guten Film den Boden unter den Füßen weg“, findet McKee (Kapitel 4: Struktur und Genre, Beherr­schung des Genres).

Wenn Du ein Pro­dukt an den Kunden bringen willst, musst Du eben klar kom­mu­ni­zieren, was es ist, für wen und wel­ches Pro­blem es löst.

Und wenn Du eine Geschichte an den Leser bringen willst, musst Du klar kom­mu­ni­zieren, was das für eine Geschichte ist, für wen und welche Lese­be­dürf­nisse sie erfüllt.

Im Mar­ke­ting bezeichnet man das als Posi­tio­nie­rung. Oder um es mit James N. Frey zu sagen:

„Genre bezieht sich auf die lite­ra­ri­sche Klas­si­fi­zie­rung eines Buches, die auf For­meln, Regeln und Ver­mark­tungs­prak­tiken des Buch­han­dels basiert.“
James N. Frey: Wie man einen ver­dammt guten Roman schreibt, über­setzt von Ellen Schlootz und Jochen Stremmel, Kapitel: 2. Die drei wich­tigsten Regeln für eine Span­nende Geschichte: Kon­flikt! Kon­flikt! Kon­flikt!, Die Genres, die Schub­fä­cher der Lite­ratur.

Doch selbst wenn wir uns viel­leicht darauf einigen, dass man zwi­schen struk­tu­rellen Genres für Autoren und Mar­ke­ting-Genres unter­scheiden kann, bleiben die beiden Defi­ni­tionen schwammig:

Denn gefühlt jeder Schreib­rat­geber, jede Theorie, jede Platt­form und jeder Verlag hat ein höchst eigenes Kate­go­ri­sie­rungs­system.

Werfen wir also einen Blick auf dieses Durch­ein­ander …

Welche Genres gibt es?

Das, was einem als Laie am schnellsten in den Sinn kommt, wenn man an Genres denkt, sind die typi­schen Film­genres, die sich nicht auf der Grund­lage irgend­wel­cher Theo­rien, son­dern durch Beob­ach­tungen des Marktes ergeben haben. Robert McKee hat sie ein wenig sys­te­ma­ti­siert:

  • Zunächst listet er einige wei­test­ge­hend selbst­er­klä­rende Genres auf: Lie­bes­ge­schichte, Hor­ror­film, modernes Epos, Wes­tern, Kriegs­film, Rei­fungs­plot, Erlö­sungs­plot, Bestra­fungs­plot, Prü­fungs­plot, Erzie­hungs­plot, Des­il­lu­sio­nie­rungs­plot. Diese Genres haben natür­lich auch Sub­genres, aber da würden wir uns viel zu sehr in Details ver­graben.
  • Die Liste wird fort­ge­setzt mit „Mega­genres“, deren Sub­genres noch weiter gefä­chert sind: Komödie, Ver­bre­chen, Gesell­schafts­drama, Actionfilm/Abenteuerfilm.
  • Wei­terhin spricht McKee von „Supra-Genres“, die „eine Viel­zahl auto­nomer Genres“ ent­halten: His­to­ri­en­film, Bio­gra­phie, Doku-Drama, Pseu­do­do­ku­men­ta­tion, Musical, Sci­ence-Fic­tion, Sport­genre, Fan­tasy, Ani­ma­tion.
  • Schließ­lich nennt er noch den Kunst­film.

Weil diese Genres aus der Praxis des wan­del­freu­digen Marktes ent­standen sind, ist diese Kate­go­ri­sie­rung natür­lich kei­nes­wegs sta­tisch, son­dern passt sich immer an die aktu­ellen Ent­wick­lungen an. So skiz­ziert McKee die Ent­wick­lung des Wes­terns vom „Sit­ten­stück“ zum Gesell­schafts­drama, wie wir es zum Bei­spiel von Der mit dem Wolf tanzt kennen. Die Genres und ihre Ele­mente wan­deln sich, ver­mi­schen sich und manchmal ent­stehen auch neue Genres und Sub­genres.

Einen anderen Ansatz ver­folgt Blake Snyder, der alle Filme der Welt in nur zehn eher plot­zen­trierte Genres ein­ordnet. Und weil es ein selbst­er­schaf­fenes System ist, sind die Namen der Genres ent­spre­chend kreativ:

  • Monster in the House, Golden Fleece, Out of the Bottle, Dude with a Pro­blem, Rites Of Pas­sage, Buddy Love, Whyd­unit, The Fool Tri­um­phant, Insti­tu­tio­na­lized, Super­hero.

Diese Genres sind deut­lich weniger selbst­er­klä­rend und, wie gesagt, sehr auf die Hand­lung redu­ziert. Dadurch landen zum Bei­spiel Schind­lers Liste und Stirb langsam im selben Genre, näm­lich Dude with a Pro­blem: Es geht Snyder eben nicht darum, dass das eine ein His­to­ri­en­drama und das andere ein Action­thriller ist, son­dern dass sie der­selben Hand­lungs­struktur folgen. Das macht dieses System natür­lich weniger brauchbar fürs Mar­ke­ting – ganz abge­sehen davon, dass die meisten Film­zu­schauer mit den Gen­re­namen nichts anfangen können – und es ist somit klar, dass dieses Modell sehr spe­ziell für Autoren gedacht ist, näm­lich als Werk­zeug zum Plotten. Als sol­ches ver­dient es einen eigen­stän­digen Artikel, wes­wegen wir eine wei­tere Erläu­te­rung der Snyder’schen Genres an dieser Stelle ver­tagen und statt­dessen zu den Genres des deut­schen Buch­marktes über­gehen …

Genres des deut­schen Buch­marktes

Im Gegen­satz zu McKee und Snyder, die sich explizit an Dreh­buch­au­toren (und ein wenig auch an Schrei­ber­linge gene­rell) wenden, also Genres als eine Art Schreib­kom­pass begreifen, befinden wir uns auf den Web­sites deut­scher Ver­lage in buch­stäb­li­chen Ein­kaufs­ka­ta­logen, die ihrer Natur gemäß ganz klar auf den Käufer aus­ge­richtet sind. Wenn wir hier solche Kate­go­rien wie Bil­der­bü­cher, Comics, Gra­phic Novels, Hör­bü­cher, Lyrik, Antho­lo­gien, Dramen, Sach­bü­cher und Geschenk­bü­cher sowie Sachen wie Best­seller, Klas­siker, Bel­le­tristik und sons­tige Bel­le­tristik weg­lassen, dann kris­tal­li­sieren sich zwei Typen von Genres heraus: all­ge­meine Genres, die in jedem der großen Ver­lage ver­treten sind, und Nischen- bzw. Sub­genres, deren Exis­tenz bzw. Auf­tei­lung sich je nach Verlag unter­scheidet.

Ich habe also nun die Web­sites von S. Fischer, Rowohlt, Ull­stein, Droemer Knaur, dtv, Bastei Lübbe und Kie­pen­heuer & Witsch durch­forstet und fol­gende stan­dard­mä­ßige „Kon­sens-Genres“ fest­ge­stellt:

  • Gegen­warts­li­te­ratur, Unter­hal­tungs­ro­mane, Lie­bes­ro­mane, his­to­ri­sche Romane, Sci­ence Fic­tion und Fan­tasy, Erzäh­lungen und Kurz­ge­schichten, Krimi, Thriller, Kinder- und Jugend­buch.

Und hier eine Auf­lis­tung aller wei­teren Genres, die auf den Web­sites der genannten Ver­lage auf­ge­listet werden. Manche gibt es dabei bei meh­reren Ver­lagen, manche nur bei einem. Es ist also eine reine Quer­beet-Samm­lung:

  • regio­nale Romane, Fami­li­en­ro­mane bzw. Fami­li­en­sagas, hei­tere und humor­volle Romane, Par­odien, Reise und Aben­teuer, Mythen, Sagen und Legenden, bio­gra­fi­sche Romane, klas­si­sche Kri­mi­nal­ro­mane, Regio­nal­krimi, Ermittler‑, Detektiv- und Poli­zeik­rimi, his­to­ri­sche Kri­mi­nal­ro­mane, Cosy Crime, humor­volle Kri­mi­nal­ro­mane, Skan­di­na­vi­sche Span­nung, Spio­na­ge­thriller, Tech­no­thriller, Polit­thriller und Jus­tiz­thriller, Psy­cho­thriller, Feel-Good-Romane, hei­tere Lie­bes­ro­mane, his­to­ri­sche Lie­bes­ro­mane, ero­ti­sche Romane, große Gefühle, Romance, Saga, New Adult, Romantic Fan­tasy bzw. roman­ti­sche Fan­tasy, roman­ti­sche Span­nung, epi­sche Fan­tasy, his­to­ri­sche Fan­tasy, magi­scher Rea­lismus, Fan­tasy Romance, Dark Romance, Urban Fan­tasy, Apo­ka­lypse, Space Opera, Zeit­reisen.

Mit wel­chen Genres und Sub­genres ein Verlag arbeitet, hängt natür­lich sehr stark davon ab, was er im Angebot hat. So kann ein Verlag ja noch so groß sein und ein noch so viel­fäl­tiges Pro­gramm haben, aber Zeit­reisen weist er nur dann als eigen­stän­diges Genre aus, wenn er genug Bücher hat, um diese Kate­gorie zu füllen. Sonst wan­dern die ent­spre­chenden Bücher ein­fach nach Fan­tasy und SciFi.

Abge­sehen von den großen Ver­lagen gibt es natür­lich auch kleine Nischen­ver­lage, deren Gen­re­ka­te­go­ri­sie­rung wesent­lich fokus­sierter aus­fällt: Manche Stan­dard­genres fehlen, aber dafür gibt es wirk­lich sehr spe­zi­fi­sche Kate­go­rien. Der Sci­ence-Fic­tion- und Fan­tasy-Verlag In Farbe und Bunt listet zum Bei­spiel fol­gende Genres:

  • Star Trek-Bücher, Horror, Thriller, Sci­ence-Fic­tion, Mys­tery, Fan­tasy, Liebe, Kinder und Jugend­liche.

Bei den Genres geht es also vor allem darum, wer was kate­go­ri­siert. Es gibt somit auch auf dem deut­schen Buch­markt kein ein­heit­li­ches System, son­dern nur ein reines Genre-Chaos …

Sub­genres, Zwi­schen­genres, Misch­ge­nres, Nischen­genres …

Unterm Strich liegen alle Vor- und Nach­teile von Genres im Mar­ke­ting-Sinne darin begründet, wie sie ent­stehen:

Es wird beob­achtet, dass meh­rere Geschichten irgend­welche gemein­samen Merk­male haben, dieses Set von Merk­malen bekommt einen Namen … et voilà, wir haben ein neues Genre!

Das trifft beson­ders Sub­genres und Sub­genres von Sub­genres. Denn wie wir bereits gesehen haben, gibt es in der Buch­branche durchaus eine Art Kon­sens, was die großen Haupt­genres sind. Richtig unüber­sicht­lich wird es, wenn wir inner­halb eines ein­zigen Haupt­genres Strö­mungen und Mischungen mit anderen Genres aus­ma­chen. Und wenn es bei den Defi­ni­tionen keine Einig­keit gibt …

Nehmen wir zum Bei­spiel das Genre his­to­ri­sche Fan­tasy: Hier trifft man, je nachdem, wo man recher­chiert, auf meh­rere Defi­ni­tionen, wobei manchmal alle genannt werden, oft aber nur eine oder einige wenige. So wäre eine Defi­ni­tion, dass his­to­ri­sche Fan­tasy eine Mischung aus his­to­ri­schem Roman und Fan­tasy dar­stellt: Es geht um echte his­to­ri­sche Epo­chen und Ereig­nisse, bloß mit magi­schen Ele­menten. Oder es han­delt sich um ein Was-wäre-Wenn-Sze­nario, in dem die Geschichte an irgend­einem Punkt einen alter­na­tiven Pfad ein­ge­schlagen hat. Eine wei­tere Defi­ni­tion schließt auch High-Fan­tasy-Werke mit ein, also Geschichten über andere Welten als unsere eigene, die jedoch so rea­lis­tisch prä­sen­tiert werden, wie man es eher in einem his­to­ri­schen Roman erwarten würde – als his­to­ri­scher Roman aus einer anderen, magi­schen Welt sozu­sagen. Blicke da mal einer durch!

Ver­wir­rend wird es auch, wenn in zwei Haupt­genres äußerst ähn­liche Sub­genres ent­stehen:

Was ist zum Bei­spiel der Unter­schied zwi­schen Romantic Fan­tasy – oder kurz: Roman­tasy – und Fan­tasy Romance? Grob gesagt: Roman­tasy ist ein Sub­genre von Fan­tasy, Fan­tasy Romance ist ein Sub­genre von Romance, wäh­rend Romance wie­derum ein Sub­genre des Lie­bes­ro­mans ist. Soll heißen: Bei Roman­tasy stehen eher die fan­tas­ti­schen Ele­mente im Vor­der­grund, bei der Fan­tasy Romance hin­gegen ist der Fan­tasy-Anteil nur schmü­ckendes Bei­werk für die Lie­bes­ge­schichte, die auch unbe­dingt gut aus­gehen muss, weil es ja sonst keine Romance ist – eine Romance endet näm­lich immer gut, wäh­rend Lie­bes­ro­mane gene­rell auch Tra­gö­dien sein können. Wie Du also so siehst, ist das alles eine ziem­liche Haar­spal­terei.

Noch „spa­ßiger“ wird es mit Genres, die in vie­lerlei Hin­sicht bei­nahe schon Syn­onyme sind:

Man denke da zum Bei­spiel an die Genres Bil­dungs­roman, Ent­wick­lungs­roman, Erzie­hungs­roman, Ado­les­zenz­roman, Initia­ti­ons­roman und Coming of Age. Unterm Strich geht es hier überall um den Ent­wick­lungs­pro­zess eines meist jugend­li­chen Prot­ago­nisten; die Frage ist nur, wo man die Schwer­punkte setzt und wel­chen Theo­re­ti­kern man folgt. Und da können manche noch so sehr mit Schaum vorm Mund argu­men­tieren, dass der Bil­dungs­roman ein Sub­genre des Ent­wick­lungs­ro­mans ist – es gibt min­des­tens genauso viele Leute, die mit Schaum vorm Mund argu­men­tieren, dass der Bil­dungs­roman ein ver­wandtes, aber den­noch eigen­stän­diges Genre ist.

Das Pro­blem ist eben, wie gesagt, dass die Genres kein zen­tral gere­geltes System sind. Jeder, der Lust dazu hat bzw. es für nötig hält, führt neue Begriffe ein, die dann – mit ein biss­chen Glück – auch von anderen auf­ge­griffen werden. Und weil über die Begriffe für die Haupt­genres wei­test­ge­hend ein Kon­sens herrscht, trifft die Genre-Schaf­fungswut vor allem Nischen­genres wie bei­spiels­weise den Arzt­roman oder Gun­powder Fan­tasy. Wann immer ein Detail in meh­reren Werken eine nen­nens­werte Rolle spielt, ent­steht ein neues Genre. Somit kannst auch Du selbst zum Bei­spiel eine Hand­voll Thriller zusam­men­su­chen, in denen Quiet­schenten vor­kommen, und dann nennst Du das Ganze Quiet­schenten­thriller. – Wobei es mich nicht einmal mehr wun­dern würde, wenn es so etwas schon gibt.

Ich bitte daher um Ver­ständnis, dass ich an dieser Stelle keine umfas­sende Beschrei­bung ein­zelner Genres und Sub­genres sowie ihrer Zwi­schen- und Misch­ge­nres geben kann. So etwas kann ganze Mono­gra­fien füllen und man wird immer noch nicht alles abge­deckt haben, eben weil Genres sich immer weiter ent­wi­ckeln und es unend­lich viele davon gibt.

Wenn Du Dir also den Kopf dar­über zer­brichst, in welche Genres Du Dein eigenes Buch ein­ordnen sollst, wirst Du nicht darum her­um­kommen, die spe­zi­fi­schen Genres und Sub­genres, die für Dein Buch über­haupt infrage kommen, genau­es­tens zu recher­chieren.

Aller­dings soll­test Du Dir das Leben auch nicht schwerer machen als unbe­dingt nötig: Denke immer daran, wozu Genres – bzw. Mar­ke­ting-Genres – über­haupt da sind …

Was macht man mit Genres?

Was man mit Genres für Autoren, also im Sinne von Geschich­ten­struk­turen, macht, ist klar: Als Autor sucht man sich ein Genre bzw. einen bestimmten Geschich­tentyp aus und ori­en­tiert sich beim Schreiben daran, im Ver­trauen, dass es sich um eine Struktur han­delt, die sich im Ver­lauf von Jahr­hun­derten und Jahr­tau­senden bewährt hat.

Bei Mar­ke­ting-Genres ist es schon schwie­riger, denn wenn man als Autor nach Genres sucht, die das eigene Buch am besten beschreiben, dann macht man direkt einen ent­schei­denden Fehler:

Mar­ke­ting-Genres sind eben nicht dazu da, um Dein Buch mög­lichst exakt zu beschreiben, son­dern um Dein Werk auf dem Markt zu posi­tio­nieren und somit Erwar­tungen zu schüren, die Dein Buch erfüllt, idea­ler­weise aber auch mit einem inter­es­santen Twist würzt.

Ver­setze Dich einmal in die Lage Deines Lesers: Er hat nur ein­ge­schränkt Zeit und möchte zunächst wenigs­tens grob wissen, ob das Buch über­haupt etwas für ihn ist. Er möchte auch wissen, mit wel­cher Stim­mung und wel­chem intel­lek­tu­ellen Anspruch er rechnen muss: Viel­leicht möchte er nach einem langen, harten Arbeitstag ein­fach nur schmö­kern oder hat gerade erst schwere Kost gelesen und schaut sich des­wegen nach einem seichten Unter­hal­tungs­roman um. Oder es ist das Gegen­teil der Fall: Er ist intel­lek­tuell aus­ge­hun­gert und will etwas Hoch­kom­plexes. Vor allem aber möchte er nicht ent­täuscht werden.

Und Du selbst willst sicher­lich auch, dass Deine Geschichte von Deiner Ziel­gruppe gelesen wird, die genau die Geschichte erwartet, die Du geschrieben hast, die Dein Werk ver­steht und somit auch nicht ent­täuscht werden wird und idea­ler­weise posi­tive Rück­mel­dungen hin­ter­lässt.

In dieser Hin­sicht sind manche Genres sinn­voller als andere: Das Sub­genre Gun­powder Fan­tasy mag sinn­voll sein, wenn man all­ge­mein ver­schie­dene Fan­ta­sy­werke mit­ein­ander ver­gleicht und zum Bei­spiel Mög­lich­keiten auf­zählt, um das kli­schee­hafte Pseu­do­mit­tel­alter-Set­ting zu ver­meiden. Aber nur wenige Leser werden sich für ein Buch ent­scheiden, ein­fach weil darin Schieß­pulver vor­kommt. Dass Dein Set­ting an die Neu­zeit ange­lehnt ist, kannst Du getrost in den Klap­pen­text aus­la­gern: Bei der Frage nach dem Genre freut sich der Leser eher über kon­krete Angaben, ob es sich um einen Thriller, eine Lie­bes­ge­schichte, eine Par­odie oder sonstwas han­delt.

Soll also heißen:

Gib die Genres an, die am besten die Themen, die Hand­lung und die Atmo­sphäre Deines Buches kom­mu­ni­zieren.

Es geht also darum, wel­ches Wer­be­ver­spre­chen Du Deinen Lesern machen willst. Welche Gefühle und Bedürf­nisse Du bedienst. Für wen Du das Ganze über­haupt geschrieben hast.

So ist Harry Potter zum Bei­spiel von der Struktur her eine Kri­mi­serie, weil es zumin­dest in den ersten Büchern sehr stark um das Ent­hüllen und Zusam­men­puz­zeln von Geheim­nissen und das Stellen von Tätern geht, aber in der Regel wird es als Fan­tasy- und Jugend­buch ver­kauft: Der Fokus liegt klar auf dem magi­schen Set­ting und der Ziel­gruppe. Die Kri­mi­span­nung wirkt eher unauf­fällig im Hin­ter­grund: Die Leser kaufen das Buch, weil sie ein magi­sches Aben­teuer für Kinder und Jugend­liche erwarten, aber zusätz­lich bekommen sie auch noch die Span­nung eines Kri­mi­nal­ro­mans. Das ist ein Bei­spiel, wie die Erwar­tungen der Leser über­troffen werden können: Man richte das Buch explizit an einer bestimmten Ziel­gruppe aus, würze das Ganze aber noch mit anderen Ele­menten.

John Truby bemerkt in seinem Rat­geber The Ana­tomy of Story, dass Geschichten meis­tens tat­säch­lich eine Kom­bi­na­tion aus zwei oder drei Genres dar­stellen. Das wirkt auf den ersten Blick wie ein Wider­spruch zu der Beob­ach­tung, dass Gen­re­mi­schungen sich schlechter ver­kaufen als Gen­re­ro­mane, die die Ele­mente ihrer jewei­ligen Genres akri­bisch abar­beiten und somit exakt das ablie­fern, was ihr Genre ver­spricht. Die Lebens­zeit der Leser ist näm­lich begrenzt und im Zwei­fels­fall kaufen sie keine Katze im Sack, son­dern ein Buch, von dem sie genau wissen, was es ihnen gibt.

Doch wie wir gerade am Bei­spiel von Harry Potter gesehen haben, kann man einen sub­tilen Gen­remix ablie­fern, der die Erwar­tungen an das explizit ange­ge­bene Genre absolut erfüllt, dabei aber auch andere Ele­mente ent­hält. Es gibt näm­lich einen Grund, warum Genre­li­te­ratur bei all ihrem kom­mer­zi­ellen Erfolg eher als lite­ra­ri­sches Fast Food gilt und oft Ver­ach­tung erntet: In jedem McDonald’s bekommt man die exakt selben Plas­tik­burger, und das ist der größte Vor- und zugleich Nach­teil dieser Kette. Ebenso wie die Exotik der größte Vor- und gleich­zeitig Nach­teil eines exo­ti­schen Restau­rants ist: Die Leute sind viel­leicht neu­gierig, aber sie sind sich nicht sicher, was sie bekommen. Ver­gleiche damit aber ein Restau­rant, das die bereits von McDonald’s und anderen Fast-Food-Ketten bekannten Burger anbietet, aber mit einem inter­es­santen Twist: Die Kunden wissen, was sie bekommen, sind aber auch neu­gierig auf die exo­ti­sche Neue­rung.

Ent­scheide also selbst, welche kom­mer­zi­ellen Risiken Du ein­gehen möch­test und welche nicht. Aber bedenke, dass Leser – und damit auch Buch­hand­lungen, Ver­lage und Agen­turen – vor allem Ori­en­tie­rung wollen. Wenn Du Dich an einem ein­zigen Genre fest­krallst und alle denk­baren Gen­re­kon­ven­tionen erfüllst, pro­du­zierst Du ein Bündel von Kli­schees, auf das man ver­mut­lich her­ab­bli­cken wird. Aber wenn Du kein klares Genre für Dein Werk benennen kannst, leidet das Mar­ke­ting und womög­lich kannst Du Dein Buch nicht einmal ver­öf­fent­li­chen: Einer der Gründe, warum Ver­lage manchmal gute Manu­skripte ablehnen, ist, dass diese Manu­skripte sich nicht klar einem Genre zuordnen lassen. Die Ver­lage haben also buch­stäb­lich keine Ahnung, wie sie diese Manu­skripte ver­markten sollen, und da ist ein Flop eigent­lich vor­pro­gram­miert. Des­wegen wollen Ver­lage das Risiko auch nicht ein­gehen.

Ein Gen­remix ist also schön und gut,

aber even­tuell soll­test Du Dir die Prä­misse Deines Werkes anschauen und bestimmen, worauf der Haupt­fokus liegt. Wel­ches Genre den roten Faden Deines Buches am besten wider­spie­gelt. Welche Erwar­tungen Deine Geschichte erfüllt.

Die Kri­mi­struktur in Harry Potter mag noch so sehr für Span­nung sorgen – aber es geht primär um das Erwach­sen­werden mit Kin­dern und Jugend­li­chen als Ziel­gruppe. Des­wegen ist es ein Kinder- und Jugend­buch.

Und wenn Du Dein Manu­skript an einen Verlag schickst, ist es sinn­voll, sich die Ver­öf­fent­li­chungen des Ver­lags anzu­sehen und Dein Manu­skript in eins seiner Genres ein­zu­glie­dern: Einer­seits soll­test Du ohnehin sicher­gehen, dass Dein Buch zum Ver­lags­pro­gramm passt und dass der Verlag die Genres, die er abdeckt, auch tat­säch­lich so ver­steht wie Du. Gleich­zeitig erleich­terst Du dem Verlag aber auch die Ein­ord­nung Deines Manu­skripts, was zumin­dest eine Hürde für die Annahme Deines Textes besei­tigt.

Schluss­wort

So haben wir also über Genres geredet, ohne all die vielen Haupt- und vor allem Sub­genres klein­ka­riert zu sys­te­ma­ti­sieren. Es gibt jedoch zahl­reiche unter­schied­lich fili­grane Über­sichten im Internet, wes­wegen ich Dir ein­fach emp­fehlen würde, das zen­trale Haupt­genre Deines Manu­skripts zu benennen und dann in dessen Sub­genres zu wühlen, bis Du eins fin­dest, das Deine Ziel­gruppe am ehesten anspricht und dessen Kon­ven­tionen Dein Buch am ehesten erfüllt. Ori­en­tiere Dich dabei, wie gesagt, an Deiner Prä­misse.

Außerdem soll­test Du beson­ders in dem Genre, in dem Du schreibst, viel lesen. So ent­wi­ckelst Du über­haupt erst ein Gefühl für dessen Kon­ven­tionen sowie auch für aus­ge­lutschte Kli­schees. Und wenn es dabei um Genres im Sinne von Geschich­ten­struk­turen geht, kannst Du anhand von bewährten Werken prüfen, was Du noch ver­bes­sern kannst, was Deiner Geschichte even­tuell noch fehlt oder was gestri­chen werden sollte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert