Enden schreiben: Ein passendes Ende, Arten von Enden, Epiloge

Enden schreiben: Ein passendes Ende, Arten von Enden, Epiloge

Alle Din­ge haben ein Ende und so endet auch jede Geschich­te ein­mal. Aber was unter­schei­det ein gutes Ende von einem schlech­ten Ende? Wel­che Arten von Enden gibt es? Wann ist ein Epi­log sinn­voll? Und wie­so kön­nen schlecht gemach­te Enden gran­dio­se Geschich­ten zer­stö­ren? Die­se Fra­gen und mehr klä­ren wir in die­sem Artikel.

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Es war ein­mal ein Desas­ter namens Game of Thro­nes: eine erfolg­rei­che Fern­seh­se­rie, beru­hend auf einer her­vor­ra­gend geschrie­be­nen Buch­rei­he. Eine span­nen­de Hand­lung, tief­grün­di­ge Figu­ren, facet­ten­rei­ches World-Buil­ding – alles war da. Von Publi­kum und Kri­ti­kern glei­cher­ma­ßen gelobt, domi­nier­te Game of Thro­nes die inter­na­tio­na­le Pop­kul­tur. Bis ihr die Buch­vor­la­ge aus­ging und die Macher der Serie ein Fina­le zusam­men­schus­ter­ten, das ganz und gar nicht pass­te. Und so kam es, dass der Welt­erfolg ein grau­sa­mes Ende fand. Nie­mand mehr mag sich an die­se Ent­täu­schung erin­nern – und wenn doch, dann eben als Ent­täu­schung bzw. Desaster.

Aber wir kön­nen sie auch als Lek­ti­on begrei­fen, näm­lich dass

ein schlecht gemach­tes Ende eine ander­wei­tig sonst noch gran­dio­se Geschich­te kom­plett zer­stö­ren kann.

Des­we­gen bespre­chen wir heu­te, wor­auf wir ach­ten soll­ten, wenn wir unse­re Wer­ke ans Ziel füh­ren: Was macht ein gutes Ende aus? Wel­che Aspek­te müs­sen wir beden­ken? Und wel­che Arten von Enden gibt es?

Packen wir’s an!

Was ist ein gutes Ende?

Ein gutes Ende ist vor allem ein emo­tio­na­ler Höhe­punkt. Wenn man sich eine Geschich­te als Schiff vor­stellt, dann ist ein Ende der Ziel­ha­fen – also das, wo der Plot hin­steu­ert. Alle Ele­men­te der Geschich­te arbei­ten dar­auf hin. Und dann kul­mi­niert alles in einem gro­ßen Aus­ru­fe­zei­chen, das die Aus­sa­ge der Erzäh­lung trans­por­tiert.

Die­ser Punkt mit der Aus­sa­ge soll­te dabei nicht unter­schätzt wer­den. Ich weiß ja nicht, wie es Dir geht, aber ich habe schon so man­ches Mal eine Geschich­te kon­su­miert, es genos­sen … aber dann kam das Ende, die zen­tra­len Fra­gen wur­den auf­ge­löst, die ver­schie­de­nen Plot­li­ni­en zu ihrem Ende geführt und – nichts. Nur die quä­len­de Fra­ge: „Äh, okay … Und wozu habe ich das jetzt gelesen/​geschaut/​was auch immer?“

Du weißt schon, was ich mei­ne: Geschich­ten, die ein­fach nur exis­tie­ren, die man ein­fach weg­knus­pert wie Pop­corn und sich dann wich­ti­ge­ren Din­gen zuwen­det. Geschich­ten mit einem Ende, das viel­leicht die Neu­gier befrie­digt, wie das Gan­ze aus­geht – wer der Mör­der ist, zum Bei­spiel –, die einen dar­über hin­aus aber nicht wei­ter beschäf­ti­gen.

Es ist nicht ver­werf­lich, sol­che „Knu­s­per­ge­schich­ten“ zu schrei­ben. Aber man soll­te nicht damit rech­nen, dass sie in Erin­ne­rung blei­ben:

Denn was sich in die Erin­ne­rung ein­brennt, sind emo­tio­na­le Höhe­punk­te, die des­we­gen sol­che sind, weil sie dem Leser per­sön­lich etwas bedeu­ten.

Weil ihm die Figu­ren ans Herz gewach­sen sind; weil er sich vom zen­tra­len Kon­flikt und den The­men per­sön­lich ange­spro­chen fühlt; weil die Geschich­te – ihre Aus­sa­ge – ihm etwas fürs Leben mit­gibt, sei es eine neue Per­spek­ti­ve, eine Idee oder ein­fach nur neu­en Mut, um sich den Her­aus­for­de­run­gen den Lebens zu stellen.

Das Ende einer Geschich­te ist – wie bereits ange­deu­tet – sehr eng mit der Aus­sa­ge ver­knüpft.

Und um eine Aus­sa­ge zu tref­fen, muss man erst mal über­haupt etwas zu sagen haben. – Und hier kommt der Aspekt der Lebens­er­fah­rung ins Spiel. Der Erkennt­nis­ho­ri­zont des Autors bezüg­lich unse­rer Welt und der Men­schen dar­in. Denn eine gute Geschich­te mit einem ent­spre­chend guten Ende ist mehr als bloß ein Hirn­ge­spinst, in dem ein­fach etwas pas­siert. Auf die eine oder ande­re, eine erns­te oder lus­ti­ge, direk­te oder indi­rek­te, fan­ta­sie­vol­le oder wirk­lich­keits­ge­treue Wei­se spie­gelt sie die Rea­li­tät, sagt etwas über uns selbst und trägt mehr oder weni­ger zur Dis­kus­si­on bei, wer wir eigent­lich sind und wozu wir exis­tie­ren – weil die­se Grü­be­lei­en es sind, die uns als Men­schen aus­ma­chen. Und Geschich­ten, die vie­le Rezi­pi­en­ten berüh­ren, – sei­en sie auch noch so sim­pel und ober­fläch­lich – haben – ob bewusst oder unbe­wusst – durch­aus die­se phi­lo­so­phi­sche Ebene.

Doch spre­chen wir über Bot­schaf­ten von Geschich­ten und den Tel­ler­rand des Autors ein ander­mal. Was ich an die­ser Stel­le fest­hal­ten möch­te, ist, dass

ein gutes Ende nicht ein­fach der Punkt ist, an dem die Erzäh­lung abbricht, son­dern an dem alles zusam­men­läuft und kul­mi­niert.

Die Ele­men­te, die kul­mi­nie­ren, sind dabei natür­lich Din­ge, die im frü­he­ren Ver­lauf der Erzäh­lung ein­ge­führt wur­den. Soll heißen:

Anfang und Haupt­teil einer Geschich­te müs­sen zum Ende pas­sen bzw. das Ende muss zum Anfang und Haupt­teil passen.

Wie machen wir es also passend?

Ein passendes Ende finden

Am wich­tigs­ten ist natür­lich die Prä­mis­se. – Denn sie ist es, die das zen­tra­le The­ma, den Plot, den Arc des Prot­ago­nis­ten und die Bot­schaft unter einen Hut bekommt. Das Ende ist ein wesent­li­cher Teil der Prä­mis­se, denn wie wir gleich noch sehen wer­den, kann das Ende das kom­plet­te Kon­zept einer Geschich­te ver­än­dern.

Kon­kret bedeu­tet das zum Bei­spiel, dass das Ende zur Grund­stim­mung der Geschich­te pas­sen muss. Wenn Du eine locker-flo­cki­ge Roman­ze schreibst, wäre ein tra­gi­sches Ende im Stil von Romeo und Julia völ­lig fehl am Platz. Denn das stößt die Leser nicht nur vor den Kopf, son­dern passt auch nicht zu den The­men und der Inten­ti­on, mit denen die Geschich­te „ver­kauft“ wur­de: Die Leser blei­ben bis zum Ende dabei, weil die Geschich­te ihnen ein gutes Gefühl und Opti­mis­mus für ihr eige­nes Leben ver­mit­telt. Ein Dop­pel­selbst­mord wür­de sich da wie ein Schlag ins Gesicht anfüh­len und man kann es den Lesern dann nicht ver­übeln, wenn sie sich betro­gen vorkommen.

Anders sieht es aber natür­lich aus, wenn Du im Ver­lauf der schein­bar hei­te­ren Geschich­te immer mal wie­der düs­te­re Töne anschlägst: Zum Bei­spiel könn­te die locker-flo­cki­ge Roman­ze für die Figu­ren eine Rea­li­täts­flucht dar­stel­len und ihr Schei­tern am Ende könn­te dann als Bot­schaft an den Leser ver­packt wer­den, dass er sich sei­nen Pro­ble­men gefäl­ligst stel­len muss, wenn er nicht auch so enden will. Und weil in die­ser Ver­si­on ja von Anfang an düs­te­re Zwi­schen­klän­ge auf­tre­ten, ist das tra­gi­sche Ende nur eine Eska­la­ti­on die­ser Stim­mung, kein Stim­mungswech­sel.

Ein Fest­hal­ten an der Prä­mis­se bedeu­tet außer­dem, dass es zur Ent­wick­lung der Figu­ren pas­sen muss. Wenn Jai­me Lan­nis­ter sich in Game of Thro­nes erst zu einem bes­se­ren Men­schen ent­wi­ckelt, sich am Ende aber plötz­lich nicht mehr um das Wohl der Men­schen küm­mert und in die toxi­sche Bezie­hung zu sei­ner Schwes­ter zurück­kriecht, dann ist das nicht etwa ein fla­cher Arc, son­dern eine frus­trie­ren­de und unlo­gi­sche Rück­ent­wick­lung. Soll also hei­ßen: Wenn eine wesent­li­che Cha­rak­ter­ent­wick­lung statt­fin­det, dann muss sie auch am Ende eine wich­ti­ge Rol­le spie­len. – Denn wozu sonst hat man als Leser dann mit­ge­fie­bert? Und über­haupt: Was für eine Aus­sa­ge trans­por­tiert so eine plötz­li­che und unmo­ti­vier­te Rück­ent­wick­lung? – Gar kei­ne! Und wir haben ja bereits gesagt: Eine gute Geschich­te mit einem ent­spre­chend guten Ende ist mehr als bloß ein Hirn­ge­spinst, in dem ein­fach etwas passiert.

Ein zur Prä­mis­se pas­sen­des Ende bedeu­tet nicht zuletzt, dass die zen­tra­len Fra­gen – also die Fra­gen rund um die Prä­mis­se – beant­wor­tet wer­den müs­sen. Denn sonst bleibt der Leser unzu­frie­den mit viel zu vie­len Fra­ge­zei­chen im Kopf zurück. Es muss zwar nicht jede Klei­nig­keit beant­wor­tet wer­den – man­che Fra­gen sind viel­leicht ein­fach nicht rele­vant, wer­den in einer Fort­set­zung beant­wor­tet oder sol­len auf ewig ein Geheim­nis blei­ben –, aber die wesent­li­chen Fra­gen – also wie gesagt: rund um die Prä­mis­se – gehö­ren beant­wor­tet, Cha­rak­ter­arcs gehö­ren abge­schlos­sen und ein neu­er Sta­tus quo muss eta­bliert werden.

Idea­ler­wei­se soll­te das Ende dabei so kurz und kna­ckig wie mög­lich sein: Ein Höhe­punkt ist näm­lich – man glaubt’s nicht! – vor allem ein Punkt und wenn er in eine Ebe­ne aus­ar­tet, dann wird es mono­ton; das Auf und Ab der Gefüh­le ver­flüch­tigt sich. Des­we­gen lohnt es sich, den Plot nicht all­zu kom­pli­ziert zu machen, damit mög­lichst alle Kon­flik­te und Fra­gen zusam­men auf­ge­löst wer­den kön­nen: Je mehr Flie­gen Du mit einer Klap­pe geschla­gen bekommst, des­to bes­ser – und je mehr Flie­gen Du hast, des­to gerin­ger ist die Wahr­schein­lich­keit, dass sie unter eine ein­zi­ge Klap­pe passen.

Alter­na­tiv kannst Du aber natür­lich auch schau­en, ob Du nicht irgend­wie eine grö­ße­re Klap­pe benut­zen kannst: Bei Buch­rei­hen mit sehr lan­gen und sehr kom­pli­zier­ten Plots fun­giert ger­ne der letz­te Band als Höhe­punkt. Er hat zwar sei­ne eige­nen Höhen und Tie­fen und einen inter­nen Höhe­punkt, aber bezo­gen auf die Gesamt­ge­schich­te ist der gesam­te Band der Höhepunkt.

In eini­gen Aus­nah­me­fäl­len kann es aber auch ver­zeih­lich sein, das Ende aus­zu­deh­nen, wie es im Herrn der Rin­ge pas­siert ist – sowohl in den Büchern als auch in den Fil­men von Peter Jack­son: In den Büchern gibt es nach der Zer­stö­rung des Rings noch einen gan­zen Arc, in dem das Auen­land befreit wer­den muss. Und obwohl es auch tat­säch­lich befreit wird, wird die Frie­de-Freu­de-Eier­ku­chen-Stim­mung den­noch gedämpft: Denn selbst nach dem Fall Sau­rons exis­tiert das Böse wei­ter, sei es auch in unschein­ba­ren Schlupf­win­keln. Die­se Dämp­fung gibt es auch in der Ver­fil­mung, wo die Befrei­ung des Auen­lan­des zwar weg­ge­las­sen wur­de, Fro­dos Trau­ma, sei­ne immer noch schmer­zen­de Wun­de, aber wei­ter­hin erhal­ten blieb: Die „Guten“ haben zwar einen gran­dio­sen Sieg errun­gen, aber es ist eben nicht alles gut. Das Böse hat unheil­ba­re Spu­ren hin­ter­las­sen und die Magie schwin­det aus Mit­tel­er­de für immer. Außer­dem ist das Ende sowohl in den Büchern als auch in den Fil­men sehr lang­ge­zo­gen – ich habe bei der Ver­fil­mung 15 Stel­len gezählt an denen in ande­ren Fil­men der Abspann begin­nen wür­de, im Herrn der Rin­ge die Geschich­te aber mun­ter wei­ter­geht. Das ist zwar einer­seits zum Schmun­zeln, bei einer Geschich­te mit sol­chen Aus­ma­ßen in Bezug auf Figu­ren und Orte aber durch­aus eine Not­wen­dig­keit: Ich bezweif­le, dass die Mil­lio­nen von Zuschau­ern sich nach Jah­ren des Mit­fie­berns mit einer schnel­len Mon­ta­ge abge­fun­den hät­ten. Eine gro­ße Geschich­te kann es sich eben leis­ten, lang­sam auszuklingen.

Das wären nur eini­ge Punk­te die mit der Prä­mis­se ein­her­ge­hen – wir könn­ten noch mehr auf­zäh­len, bei­spiel­wei­se dass man auch bei der Erschaf­fung von Neben­fi­gu­ren die Prä­mis­se und das Ende im Hin­ter­kopf haben und über­le­gen soll­te, ob die­se eine kon­kre­te Figur wirk­lich zu exis­tie­ren braucht. Das alles ist in der Bot­schaft „Hal­te Dich an Dei­ne Prä­mis­se!“ aber impli­zit eingeschlossen:

Mache ein­fach bei jedem Ele­ment, das Du ein­führst, einen Gegen­check, ob es wirk­lich zur Prä­mis­se passt!

Und das kann im Übri­gen auch schein­bar rein kos­me­tisch sein:

Der Herr der Rin­ge endet zum Bei­spiel mit der Sze­ne, in der Sam nach dem Abschied von Fro­do nach Hau­se kommt und sei­ne Fami­lie wie­der­sieht. Ober­fläch­lich betrach­tet brau­chen wir die­se Sze­ne nicht: Jeder Leser und Zuschau­er mit intak­tem Hirm wür­de sich den­ken kön­nen, dass Sam, Mer­ry und Pip­pin ins Auen­land zurück­ge­kehrt sind. Aber bei einem guten Ende geht es eben nicht nur um die rei­ne Handlung …

Die eigent­li­che Geschich­te im Herrn der Rin­ge beginnt in der Idyl­le des Auen­lan­des. Und sie endet auch in der Idyl­le der Auen­lan­des. Das ist eine unzeit­li­che Ver­knüp­fung, deren Bedeu­tung wir in den Unter­schie­den erken­nen: Die „neue“ Idyl­le am Ende ist ohne Fro­do, denn er war mit sei­ner Wun­de ein letz­tes Über­bleib­sel des alten Sta­tus quo. Der neue Sta­tus quo ist Sam – das Ende ist also eine ande­re Idyl­le, die sich nur nach einem letz­ten Ver­lust eta­blie­ren kann. Wür­de die Erzäh­lung in den Grau­en Anfur­ten abbre­chen, wür­de sie zwar mit Fro­dos Erlö­sung, aber auch mit sei­nem Ver­lust enden; mit Sams Rück­kehr und dem Wie­der­se­hen mit sei­ner Fami­lie lau­tet die mit­schwin­gen­de Bot­schaft dage­gen eher: „Es wur­de viel ver­lo­ren, aber es wur­de auch viel gewon­nen.“ – Und das ist ein Gedan­ke, der sich durch das gan­ze Werk zieht in Form von immer­wäh­ren­der Hoff­nung selbst in den dun­kels­ten Stun­den; in Form von Mut und Zuver­sicht, wäh­rend die Welt um einen her­um unter­geht. Oder anders formuliert:

„Aber letz­ten Endes geht auch er vor­über, die­ser Schat­ten. Selbst die Dun­kel­heit muss wei­chen. Ein neu­er Tag wird kom­men und wenn die Son­ne scheint, wird sie umso hel­ler scheinen.“
Sam in Der Herr der Rin­ge: Die zwei Tür­me von Peter Jackson.

Arten von Enden

Was mit der Prä­mis­se natür­lich auch zusam­men­hängt, ist die Ent­schei­dung für ein glück­li­ches, unglück­li­ches, bit­ter­sü­ßes oder offe­nes Ende. Auf der Sei­te der Rezi­pi­en­ten gibt es hier­bei oft indi­vi­du­el­le Vor­lie­ben – wäh­rend man­che sich ein gemüt­li­ches Hap­py End wün­schen, wol­len ande­re lie­ber Rotz und Was­ser heu­len –, aber an sich ist kein Typ bes­ser als die ande­ren:

Denn sie alle kön­nen glei­cher­ma­ßen inter­es­sant sein, wenn sie zu ihrer jewei­li­gen Geschich­te passen.

Und inter­es­sant ist ein Ende vor allem durch die Aus­sa­ge bzw. Bot­schaft, die es ja trans­por­tiert. Und das bedeutet:

Ver­än­derst Du das Ende, ver­än­derst Du die gan­ze Geschichte.

Schau­en wir uns die ver­schie­de­nen Arten von Enden also genau­er an …

Eindeutige Enden: glücklich oder unglücklich

Ein glück­li­ches oder ein unglück­li­ches Ende trans­por­tiert oft eine ein­deu­ti­ge Bot­schaft:

Der Kon­flikt der Geschich­te besteht dar­in, dass der Prot­ago­nist die rich­ti­ge Ent­schei­dung fäl­len muss. Es gibt ein Rich­tig und Falsch und die Ent­schei­dun­gen des Prot­ago­nis­ten wer­den belohnt oder bestraft. Die Geschich­te dient also der Ver­mitt­lung von mora­li­schen Wer­ten – und zwar als anschau­li­ches Bei­spiel ohne Moral­pre­digt, ganz nach dem Mot­to: „Show, don’t tell!

Neh­men wir also an, unse­re Geschich­te han­delt von Lies­chen, die ihren unge­sun­den Coro­na-Speck los­wer­den möchte:

  • Wenn sie die rich­ti­gen Ent­schei­dun­gen trifft, sich gesund ernährt und sich regel­mä­ßig bewegt, dann wird sie am Ende belohnt und passt zum Bei­spiel wie­der in ihre Lieb­lings­ho­se. Es gibt also ein Hap­py End.
  • Wenn sie aber die fal­schen Ent­schei­dun­gen trifft, auf ihrer Couch fau­lenzt und Süßig­kei­ten in sich rein­schau­felt, dann wird sie mit einem unglück­li­chen Ende bestraft, in dem sie noch dicker wird und viel­leicht sogar Dia­be­tes kriegt.

Das ist aber zuge­ge­be­ner­ma­ßen ziem­lich schwarz-weiß. Und wäh­rend eine sol­che Her­an­ge­hens­wei­se durch­aus legi­tim ist und sich für vie­le Geschich­ten anbie­tet, erfor­dern ande­re Erzäh­lun­gen mehr Nuan­cen. – Und die­se kann man ein­bau­en, indem man wei­te­re, weni­ger offen­sicht­li­che Schich­ten bzw. Aspek­te hin­zu­fügt: Ich spre­che hier vor allem über den fei­nen Unter­schied zwi­schen dem, was eine Figur will, und dem, was sie eigent­lich braucht. Also eine kom­ple­xe­re Moti­va­ti­on.

  • So könn­te Lies­chen zum Bei­spiel an ihrer Diät schei­tern und trotz­dem ein Hap­py End erle­ben: Am Anfang mag das Abneh­men ihr Ziel sein. Im Ver­lauf der Geschich­te erkennt sie aber viel­leicht, dass es ihr nicht um ihr kör­per­li­ches Wohl­be­fin­den geht, son­dern dar­um, was ande­re von ihr den­ken. Und dass die Diät, die sie streng durch­peitscht, sie unglück­lich macht. Das glück­li­che Ende wür­de also dar­in bestehen, dass sie sich inner­lich von der Mei­nung ande­rer löst und sich in ihrem mol­li­gen Kör­per wohlfühlt.
  • Ähn­lich kann Lies­chen auch für das Bestehen der Diät bestraft wer­den, in dem sie in ihrer Unsi­cher­heit um ihren Kör­per weit über das Ziel hin­aus­schießt und mager­süch­tig wird. Sie erreicht zwar ihr ober­fläch­li­ches Ziel, über­sieht aber ihr eigent­li­ches Bedürf­nis bzw. die Not­wen­dig­keit, sich selbst so zu lie­ben, wie sie ist.

Wie Du also siehst, wird das Schwarz-Weiß hier durch Grau­tö­ne auf­ge­weicht. Es gibt zwar immer noch Ten­den­zen, was rich­tig und was falsch ist, aber es ist nicht mehr so ein­deu­tig: Es gibt immer auch ein Aber. Dabei ist die Bot­schaft der Geschich­te aller­dings immer noch klar, da sie im Prin­zip dazu auf­ruft, sei­ne Zie­le nicht blind zu ver­fol­gen, son­dern das „Klein­ge­druck­te“ zu lesen.

Ambivalente Enden: bittersüß

Das Schwarz-Weiß ver­schwimmt noch mehr,

wenn die Kate­go­rien von Rich­tig und Falsch mehr oder weni­ger kom­plett weg­bre­chen bzw. wenn die Ent­schei­dung, was rich­tig und was falsch ist, dem Leser über­las­sen wird. Und das geht nur mit einem Ende, das nicht ein­deu­tig ist.

Dabei kann der Leser immer noch sub­til mani­pu­liert wer­den, damit er das aus der Sicht des Autors „rich­ti­ge“ Rich­tig als sol­ches erkennt.

  • Ein Bei­spiel für so ein bit­ter­sü­ßes Ende wäre, wenn Lies­chen ihre Diät durch­hält, die Moti­va­ti­on dahin­ter aber dar­in besteht, Fritz­chen zu gefal­len, der aber, wie sich her­aus­stellt, eher auf mol­li­ge­re Frau­en steht. Je nach­dem, ob das Ende mehr in die bit­te­re oder süße Rich­tung drif­tet, ver­schiebt sich auch die Bot­schaft des Werks:
  • Bei einem eher bit­te­ren Ende wür­de sich Lies­chen über ihren gesün­de­ren Lebens­stil freu­en, dann aber mit dem Twist kon­fron­tiert wer­den, dass Fritz­chen sie nicht mehr attrak­tiv fin­det. Sie hat zwar etwas Wert­vol­les gewon­nen, aber wenn die Geschich­te mit dem Ver­lust endet, dann kann sich auch der Leser nicht wirk­lich über das Gewon­ne­ne freu­en: Denn hier wird Fritz­chen gegen­über Lies­chens Gesund­heit mehr Prio­ri­tät beigemessen.
  • Bei einem eher süßen Ende wer­den die Prio­ri­tä­ten umge­kehrt: Zwar haben wir auch hier am Ende den Twist, dass Fritz­chen die Prot­ago­nis­tin nicht mehr hübsch fin­det, aber die Geschich­te endet mit Lies­chens Ein­sicht, dass sie durch ihre Diät etwas viel Wert­vol­le­res gewon­nen hat als Fritz­chens Zunei­gung. Beim Lesen fin­det man es zwar scha­de, dass sie ihren Love-Inte­rest nicht bekom­men hat, aber letzt­end­lich freut man sich für sie.

Ambivalente Enden: offen

Willst Du hin­ge­gen auch den letz­ten Rest von Rich­tig und Falsch ver­wi­schen, dann käme ein offe­nes Ende infrage:

Hier wird die Bewer­tung der Ent­schei­dun­gen aus­schließ­lich dem Leser über­las­sen, was bei die­sem oft für ein mul­mi­ges Gefühl im Magen und einen rau­chen­den Kopf sorgt.

Soll hei­ßen:

Über ein gut gemach­tes offe­nes Ende grü­belt und dis­ku­tiert man sicher­lich am meis­ten und am längsten.

  • Ein Bei­spiel für ein offe­nes Ende wäre, wenn Lies­chen zwar erfolg­reich abnimmt, sich gleich­zei­tig aber ers­te Anzei­chen des nächs­ten Lock­downs andeu­ten. Und dann bricht die Geschich­te ab. Die Fra­ge, ob Lies­chen wie­der zuneh­men wird und ob die Diät sich somit über­haupt gelohnt hat, muss sich der Leser selbst beantworten.

So offen das offe­ne Ende aber auch sein mag – die zen­tra­len Fra­gen der Erzäh­lung wer­den immer noch beant­wor­tet. Wenn es also dar­um geht, ob Lies­chen abnimmt oder nicht, dann gibt es in unse­rem Bei­spiel ein kla­res Ergeb­nis: Ja, Lies­chen nimmt ab. Sonst käme sich der Leser doch betro­gen vor. Somit ist auch ein offe­nes Ende immer noch ein Ende, nur dass es beim Beant­wor­ten der zen­tra­len Fra­gen neue Fra­gen auf­wirft.

Sinn­voll ist so ein offe­nes Ende aber nicht nur, wenn man den Leser zum Nach­den­ken brin­gen will, son­dern auch als Appe­tit­ma­cher für eine Fort­set­zung:

  • So könn­te Lies­chens Kampf gegen den Coro­na-Speck eine gan­ze Serie wer­den, ein Lock­down pro Band. Und in jedem Lock­down pro­biert sie neue Maß­nah­men aus und meis­tert somit neue Herausforderungen.

Ansons­ten kann die Unge­wiss­heit eines offe­nen Endes auch gru­se­lig wir­ken, bei­spiels­wei­se in Das Schwei­gen der Läm­mer:

  • Zwar besiegt Cla­ri­ce den Seri­en­mör­der „Buf­fa­lo Bill“, aber einem ande­ren – noch schlim­me­ren – Seri­en­mör­der ist die Flucht gelungen.

Zu guter Letzt möch­te ich auch anmer­ken, dass all die­se Kate­go­rien kei­nes­wegs in Stein gemei­ßelt sind. Es soll Dich nichts davon abhal­ten, die Typen zu mischen, bei­spiels­wei­se wenn eine Erzäh­lung meh­re­re Strän­ge hat und das Ende in Bezug auf eini­ge davon offe­ner ist als in Bezug auf andere.

Epiloge

Zu bespre­chen ist bei die­sem The­ma natür­lich aber auch der Epilog:

Er ist das Gegen­teil des Pro­logs, also ein „Nach­wort“ bzw. ein Kapi­tel nach dem letz­ten Kapi­tel, und ergänzt, was es nach dem Ende der eigent­li­chen Geschich­te noch zu sagen gibt.

Mit ande­ren Worten:

  • Wenn es nach der Beant­wor­tung der zen­tra­len Fra­gen am eigent­li­chen Ende der Geschich­te noch offe­ne sekun­dä­re Fra­gen gibt, kön­nen sie hier beant­wor­tet werden.
  • Auch kann ein Epi­log abschlie­ßen­de Gedan­ken des Erzäh­lers, einer Figur oder gar des Autors enthalten.
  • Oder aber der Epi­log weist in die Zukunft und gibt einen Aus­blick auf die Fort­set­zung, den nächs­ten Band der Reihe.
  • Und so wei­ter und so fort …

Gene­rell gel­ten beim Epi­log auch die­sel­ben Richt­li­ni­en wie beim Pro­log. Damit spre­che ich vor allem über die Rele­vanz eines Epi­logs. Denn:

Wenn er gestri­chen wer­den kann, ohne dass die Geschich­te etwas ver­liert, dann soll­te er eben gestri­chen werden.

Nicht jede Geschich­te braucht einen Epi­log und daher soll­te er nur ein­ge­baut wer­den, wenn Du sei­ne Funk­ti­on kon­kret benen­nen kannst:

    • In Har­ry Pot­ter zum Bei­spiel ist der Epi­log sehr berech­tigt, denn nach sie­ben Wäl­zern wol­len die Leser natür­lich wis­sen, was aus den Figu­ren, die sie über Jah­re hin­weg beglei­tet haben, gewor­den ist.
    • Auch könn­te man, wenn es zur Geschich­te pas­sen wür­de, die vie­len Enden des Herrn der Rin­ge nach der Zer­stö­rung des Einen Rings in einem ver­hält­nis­mä­ßig kur­zen, kna­cki­gen Epi­log zusam­men­fas­sen. (Die Beto­nung liegt dabei aber auf „könn­te“, „wenn“ und „wür­de“ – denn zu die­ser Geschich­te wür­de es eigent­lich nicht pas­sen, aber ihr end­lo­ses Ende ist ja legendär. 😉 )
    • Man­che Epi­lo­ge schaf­fen es auch, das eigent­li­che Ende etwas auf den Kopf zu stel­len. So endet Remar­ques ver­hält­nis­mä­ßig hei­te­rer Roman Der schwar­ze Obe­lisk mit dem Auf­bruch des Prot­ago­nis­ten in ein neu­es Leben. Im 26. Kapi­tel jedoch, das fak­tisch ein Epi­log ist, wird zusam­men­ge­fasst, wie es den ande­ren Figu­ren erging – und es stellt sich her­aus, dass die eher unsym­pa­thi­schen Figu­ren den Zwei­ten Welt­krieg gut über­stan­den haben, die sym­pa­thi­schen hin­ge­gen ihr Leben oder ihre Gesund­heit in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, an der Front oder bei Bom­ben­an­grif­fen ver­lo­ren. Außer­dem wur­de der Schau­platz des Romans, die fik­ti­ve Stadt Wer­den­brück, kom­plett zer­stört. Damit wird das posi­ti­ve Ende der eigent­li­chen Geschich­te mas­siv gedämpft.

Das waren natür­lich nur drei Bei­spie­le, denn Epi­lo­ge sind so viel­fäl­tig wie die Geschich­ten, zu denen sie gehö­ren. Auch wenn man abge­se­hen von der Rele­vanz noch sagen kann, dass Epi­lo­ge nicht zu lang sein soll­ten und sich oft von der eigent­li­chen Geschich­te abhe­ben – sei es durch eine ande­re Per­spek­ti­ve, eine ande­re Zeit, einen zusam­men­fas­sen­den Zei­tungs­ar­ti­kel statt einer Sze­ne oder was auch immer –, kommt es letzt­end­lich dar­auf an, was für Dei­ne kon­kre­te Geschich­te das Rich­ti­ge ist. Des­we­gen will ich Dir nichts vor­schrei­ben und über­las­se Dich an die­ser Stel­le lie­ber Dei­ner Kreativität.

Schlusswort

So viel also zu Enden. Und am Ende die­ses Arti­kels möch­te ich noch kurz erwäh­nen, dass wir etwas Ähn­li­ches wie die vie­len Enden bei Lies­chens Kampf gegen den Coro­na-Speck im Ste­ady-Live­stream vom 13.02.2022 durch­ge­spielt haben. Bloß ging es da um gan­ze Geschich­ten­kon­zep­te bzw. Plot­ver­läu­fe, die aus einer ein­zi­gen Idee ent­ste­hen kön­nen. Wenn die­se Spie­le­rei Dich inter­es­siert und Du mich finan­zi­ell unter­stüt­zen möch­test, bist Du in der Ste­ady-Com­mu­ni­ty herz­lich willkommen.

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