Enden schreiben: Ein passendes Ende, Arten von Enden, Epiloge

Enden schreiben: Ein passendes Ende, Arten von Enden, Epiloge

Alle Dinge haben ein Ende und so endet auch jede Geschichte ein­mal. Aber was unter­schei­det ein gutes Ende von einem schlecht­en Ende? Welche Arten von Enden gibt es? Wann ist ein Epi­log sin­nvoll? Und wieso kön­nen schlecht gemachte Enden grandiose Geschicht­en zer­stören? Diese Fra­gen und mehr klären wir in diesem Artikel.

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Es war ein­mal ein Desaster namens Game of Thrones: eine erfol­gre­iche Fernsehserie, beruhend auf ein­er her­vor­ra­gend geschriebe­nen Buchrei­he. Eine span­nende Hand­lung, tief­gründi­ge Fig­uren, facetten­re­ich­es World-Build­ing – alles war da. Von Pub­likum und Kri­tik­ern gle­icher­maßen gelobt, dominierte Game of Thrones die inter­na­tionale Pop­kul­tur. Bis ihr die Buchvor­lage aus­ging und die Mach­er der Serie ein Finale zusam­men­schus­terten, das ganz und gar nicht passte. Und so kam es, dass der Wel­ter­folg ein grausames Ende fand. Nie­mand mehr mag sich an diese Ent­täuschung erin­nern – und wenn doch, dann eben als Ent­täuschung bzw. Desaster.

Aber wir kön­nen sie auch als Lek­tion begreifen, näm­lich dass

ein schlecht gemacht­es Ende eine ander­weit­ig son­st noch grandiose Geschichte kom­plett zer­stören kann.

Deswe­gen besprechen wir heute, worauf wir acht­en soll­ten, wenn wir unsere Werke ans Ziel führen: Was macht ein gutes Ende aus? Welche Aspek­te müssen wir bedenken? Und welche Arten von Enden gibt es?

Pack­en wir’s an!

Was ist ein gutes Ende?

Ein gutes Ende ist vor allem ein emo­tionaler Höhep­unkt. Wenn man sich eine Geschichte als Schiff vorstellt, dann ist ein Ende der Ziel­hafen – also das, wo der Plot hin­s­teuert. Alle Ele­mente der Geschichte arbeit­en darauf hin. Und dann kul­miniert alles in einem großen Aus­rufeze­ichen, das die Aus­sage der Erzäh­lung trans­portiert.

Dieser Punkt mit der Aus­sage sollte dabei nicht unter­schätzt wer­den. Ich weiß ja nicht, wie es Dir geht, aber ich habe schon so manch­es Mal eine Geschichte kon­sum­iert, es genossen … aber dann kam das Ende, die zen­tralen Fra­gen wur­den aufgelöst, die ver­schiede­nen Plotlin­ien zu ihrem Ende geführt und – nichts. Nur die quälende Frage: “Äh, okay … Und wozu habe ich das jet­zt gelesen/geschaut/was auch immer?”

Du weißt schon, was ich meine: Geschicht­en, die ein­fach nur existieren, die man ein­fach wegknus­pert wie Pop­corn und sich dann wichtigeren Din­gen zuwen­det. Geschicht­en mit einem Ende, das vielle­icht die Neugi­er befriedigt, wie das Ganze aus­ge­ht – wer der Mörder ist, zum Beispiel –, die einen darüber hin­aus aber nicht weit­er beschäfti­gen.

Es ist nicht ver­w­er­flich, solche “Knus­pergeschicht­en” zu schreiben. Aber man sollte nicht damit rech­nen, dass sie in Erin­nerung bleiben:

Denn was sich in die Erin­nerung ein­bren­nt, sind emo­tionale Höhep­unk­te, die deswe­gen solche sind, weil sie dem Leser per­sön­lich etwas bedeuten.

Weil ihm die Fig­uren ans Herz gewach­sen sind; weil er sich vom zen­tralen Kon­flikt und den The­men per­sön­lich ange­sprochen fühlt; weil die Geschichte – ihre Aus­sage – ihm etwas fürs Leben mit­gibt, sei es eine neue Per­spek­tive, eine Idee oder ein­fach nur neuen Mut, um sich den Her­aus­forderun­gen den Lebens zu stellen.

Das Ende ein­er Geschichte ist – wie bere­its angedeutet – sehr eng mit der Aus­sage verknüpft.

Und um eine Aus­sage zu tre­f­fen, muss man erst mal über­haupt etwas zu sagen haben. – Und hier kommt der Aspekt der Lebenser­fahrung ins Spiel. Der Erken­nt­nishor­i­zont des Autors bezüglich unser­er Welt und der Men­schen darin. Denn eine gute Geschichte mit einem entsprechend guten Ende ist mehr als bloß ein Hirnge­spinst, in dem ein­fach etwas passiert. Auf die eine oder andere, eine ern­ste oder lustige, direk­te oder indi­rek­te, fan­tasievolle oder wirk­lichkeits­ge­treue Weise spiegelt sie die Real­ität, sagt etwas über uns selb­st und trägt mehr oder weniger zur Diskus­sion bei, wer wir eigentlich sind und wozu wir existieren – weil diese Grü­beleien es sind, die uns als Men­schen aus­machen. Und Geschicht­en, die viele Rezip­i­en­ten berühren, – seien sie auch noch so sim­pel und ober­fläch­lich – haben – ob bewusst oder unbe­wusst – dur­chaus diese philosophis­che Ebene.

Doch sprechen wir über Botschaften von Geschicht­en und den Teller­rand des Autors ein ander­mal. Was ich an dieser Stelle fes­thal­ten möchte, ist, dass

ein gutes Ende nicht ein­fach der Punkt ist, an dem die Erzäh­lung abbricht, son­dern an dem alles zusam­men­läuft und kul­miniert.

Die Ele­mente, die kul­minieren, sind dabei natür­lich Dinge, die im früheren Ver­lauf der Erzäh­lung einge­führt wur­den. Soll heißen:

Anfang und Haupt­teil ein­er Geschichte müssen zum Ende passen bzw. das Ende muss zum Anfang und Haupt­teil passen.

Wie machen wir es also passend?

Ein passendes Ende finden

Am wichtig­sten ist natür­lich die Prämisse. — Denn sie ist es, die das zen­trale The­ma, den Plot, den Arc des Pro­tag­o­nis­ten und die Botschaft unter einen Hut bekommt. Das Ende ist ein wesentlich­er Teil der Prämisse, denn wie wir gle­ich noch sehen wer­den, kann das Ende das kom­plette Konzept ein­er Geschichte verän­dern.

Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass das Ende zur Grund­stim­mung der Geschichte passen muss. Wenn Du eine lock­er-flock­ige Romanze schreib­st, wäre ein tragis­ches Ende im Stil von Romeo und Julia völ­lig fehl am Platz. Denn das stößt die Leser nicht nur vor den Kopf, son­dern passt auch nicht zu den The­men und der Inten­tion, mit denen die Geschichte “verkauft” wurde: Die Leser bleiben bis zum Ende dabei, weil die Geschichte ihnen ein gutes Gefühl und Opti­mis­mus für ihr eigenes Leben ver­mit­telt. Ein Dop­pelselb­st­mord würde sich da wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen und man kann es den Lesern dann nicht verü­beln, wenn sie sich bet­ro­gen vorkom­men.

Anders sieht es aber natür­lich aus, wenn Du im Ver­lauf der schein­bar heit­eren Geschichte immer mal wieder düstere Töne anschlägst: Zum Beispiel kön­nte die lock­er-flock­ige Romanze für die Fig­uren eine Real­itäts­flucht darstellen und ihr Scheit­ern am Ende kön­nte dann als Botschaft an den Leser ver­packt wer­den, dass er sich seinen Prob­le­men gefäl­ligst stellen muss, wenn er nicht auch so enden will. Und weil in dieser Ver­sion ja von Anfang an düstere Zwis­chen­klänge auftreten, ist das tragis­che Ende nur eine Eskala­tion dieser Stim­mung, kein Stim­mungswech­sel.

Ein Fes­thal­ten an der Prämisse bedeutet außer­dem, dass es zur Entwick­lung der Fig­uren passen muss. Wenn Jaime Lan­nis­ter sich in Game of Thrones erst zu einem besseren Men­schen entwick­elt, sich am Ende aber plöt­zlich nicht mehr um das Wohl der Men­schen küm­mert und in die tox­is­che Beziehung zu sein­er Schwest­er zurück­kriecht, dann ist das nicht etwa ein flach­er Arc, son­dern eine frus­tri­erende und unl­o­gis­che Rück­en­twick­lung. Soll also heißen: Wenn eine wesentliche Charak­ter­en­twick­lung stat­tfind­et, dann muss sie auch am Ende eine wichtige Rolle spie­len. – Denn wozu son­st hat man als Leser dann mit­ge­fiebert? Und über­haupt: Was für eine Aus­sage trans­portiert so eine plöt­zliche und unmo­tivierte Rück­en­twick­lung? – Gar keine! Und wir haben ja bere­its gesagt: Eine gute Geschichte mit einem entsprechend guten Ende ist mehr als bloß ein Hirnge­spinst, in dem ein­fach etwas passiert.

Ein zur Prämisse passendes Ende bedeutet nicht zulet­zt, dass die zen­tralen Fra­gen – also die Fra­gen rund um die Prämisse – beant­wortet wer­den müssen. Denn son­st bleibt der Leser unzufrieden mit viel zu vie­len Frageze­ichen im Kopf zurück. Es muss zwar nicht jede Kleinigkeit beant­wortet wer­den – manche Fra­gen sind vielle­icht ein­fach nicht rel­e­vant, wer­den in ein­er Fort­set­zung beant­wortet oder sollen auf ewig ein Geheim­nis bleiben –, aber die wesentlichen Fra­gen – also wie gesagt: rund um die Prämisse – gehören beant­wortet, Charak­ter­ar­cs gehören abgeschlossen und ein neuer Sta­tus quo muss etabliert wer­den.

Ide­al­er­weise sollte das Ende dabei so kurz und knack­ig wie möglich sein: Ein Höhep­unkt ist näm­lich – man glaubt’s nicht! – vor allem ein Punkt und wenn er in eine Ebene ausartet, dann wird es monot­on; das Auf und Ab der Gefüh­le ver­flüchtigt sich. Deswe­gen lohnt es sich, den Plot nicht allzu kom­pliziert zu machen, damit möglichst alle Kon­flik­te und Fra­gen zusam­men aufgelöst wer­den kön­nen: Je mehr Fliegen Du mit ein­er Klappe geschla­gen bekommst, desto bess­er – und je mehr Fliegen Du hast, desto geringer ist die Wahrschein­lichkeit, dass sie unter eine einzige Klappe passen.

Alter­na­tiv kannst Du aber natür­lich auch schauen, ob Du nicht irgend­wie eine größere Klappe benutzen kannst: Bei Buchrei­hen mit sehr lan­gen und sehr kom­plizierten Plots fungiert gerne der let­zte Band als Höhep­unkt. Er hat zwar seine eige­nen Höhen und Tiefen und einen inter­nen Höhep­unkt, aber bezo­gen auf die Gesamt­geschichte ist der gesamte Band der Höhep­unkt.

In eini­gen Aus­nah­me­fällen kann es aber auch verzeih­lich sein, das Ende auszudehnen, wie es im Her­rn der Ringe passiert ist – sowohl in den Büch­ern als auch in den Fil­men von Peter Jack­son: In den Büch­ern gibt es nach der Zer­störung des Rings noch einen ganzen Arc, in dem das Auen­land befre­it wer­den muss. Und obwohl es auch tat­säch­lich befre­it wird, wird die Friede-Freude-Eierkuchen-Stim­mung den­noch gedämpft: Denn selb­st nach dem Fall Saurons existiert das Böse weit­er, sei es auch in unschein­baren Schlupfwinkeln. Diese Dämp­fung gibt es auch in der Ver­fil­mung, wo die Befreiung des Auen­lan­des zwar wegge­lassen wurde, Fro­dos Trau­ma, seine immer noch schmerzende Wunde, aber weit­er­hin erhal­ten blieb: Die “Guten” haben zwar einen grandiosen Sieg errun­gen, aber es ist eben nicht alles gut. Das Böse hat unheil­bare Spuren hin­ter­lassen und die Magie schwindet aus Mit­tel­erde für immer. Außer­dem ist das Ende sowohl in den Büch­ern als auch in den Fil­men sehr langge­zo­gen – ich habe bei der Ver­fil­mung 15 Stellen gezählt an denen in anderen Fil­men der Abspann begin­nen würde, im Her­rn der Ringe die Geschichte aber munter weit­erge­ht. Das ist zwar ein­er­seits zum Schmun­zeln, bei ein­er Geschichte mit solchen Aus­maßen in Bezug auf Fig­uren und Orte aber dur­chaus eine Notwendigkeit: Ich bezwei­fle, dass die Mil­lio­nen von Zuschauern sich nach Jahren des Mit­fieberns mit ein­er schnellen Mon­tage abge­fun­den hät­ten. Eine große Geschichte kann es sich eben leis­ten, langsam auszuk­lin­gen.

Das wären nur einige Punk­te die mit der Prämisse ein­herge­hen – wir kön­nten noch mehr aufzählen, beispiel­weise dass man auch bei der Erschaf­fung von Neben­fig­uren die Prämisse und das Ende im Hin­terkopf haben und über­legen sollte, ob diese eine konkrete Fig­ur wirk­lich zu existieren braucht. Das alles ist in der Botschaft “Halte Dich an Deine Prämisse!” aber impliz­it eingeschlossen:

Mache ein­fach bei jedem Ele­ment, das Du ein­führst, einen Gegencheck, ob es wirk­lich zur Prämisse passt!

Und das kann im Übri­gen auch schein­bar rein kos­metisch sein:

Der Herr der Ringe endet zum Beispiel mit der Szene, in der Sam nach dem Abschied von Fro­do nach Hause kommt und seine Fam­i­lie wieder­sieht. Ober­fläch­lich betra­chtet brauchen wir diese Szene nicht: Jed­er Leser und Zuschauer mit intak­tem Hirm würde sich denken kön­nen, dass Sam, Mer­ry und Pip­pin ins Auen­land zurück­gekehrt sind. Aber bei einem guten Ende geht es eben nicht nur um die reine Hand­lung …

Die eigentliche Geschichte im Her­rn der Ringe begin­nt in der Idylle des Auen­lan­des. Und sie endet auch in der Idylle der Auen­lan­des. Das ist eine unzeitliche Verknüp­fung, deren Bedeu­tung wir in den Unter­schieden erken­nen: Die “neue” Idylle am Ende ist ohne Fro­do, denn er war mit sein­er Wunde ein let­ztes Überbleib­sel des alten Sta­tus quo. Der neue Sta­tus quo ist Sam – das Ende ist also eine andere Idylle, die sich nur nach einem let­zten Ver­lust etablieren kann. Würde die Erzäh­lung in den Grauen Anfurten abbrechen, würde sie zwar mit Fro­dos Erlö­sung, aber auch mit seinem Ver­lust enden; mit Sams Rück­kehr und dem Wieder­se­hen mit sein­er Fam­i­lie lautet die mitschwin­gende Botschaft dage­gen eher: “Es wurde viel ver­loren, aber es wurde auch viel gewon­nen.” – Und das ist ein Gedanke, der sich durch das ganze Werk zieht in Form von immer­währen­der Hoff­nung selb­st in den dunkel­sten Stun­den; in Form von Mut und Zuver­sicht, während die Welt um einen herum unterge­ht. Oder anders for­muliert:

“Aber let­zten Endes geht auch er vorüber, dieser Schat­ten. Selb­st die Dunkel­heit muss weichen. Ein neuer Tag wird kom­men und wenn die Sonne scheint, wird sie umso heller scheinen.”
Sam in Der Herr der Ringe: Die zwei Türme von Peter Jack­son.

Arten von Enden

Was mit der Prämisse natür­lich auch zusam­men­hängt, ist die Entschei­dung für ein glück­lich­es, unglück­lich­es, bit­ter­süßes oder offenes Ende. Auf der Seite der Rezip­i­en­ten gibt es hier­bei oft indi­vidu­elle Vor­lieben – während manche sich ein gemütlich­es Hap­py End wün­schen, wollen andere lieber Rotz und Wass­er heulen –, aber an sich ist kein Typ bess­er als die anderen:

Denn sie alle kön­nen gle­icher­maßen inter­es­sant sein, wenn sie zu ihrer jew­eili­gen Geschichte passen.

Und inter­es­sant ist ein Ende vor allem durch die Aus­sage bzw. Botschaft, die es ja trans­portiert. Und das bedeutet:

Verän­der­st Du das Ende, verän­der­st Du die ganze Geschichte.

Schauen wir uns die ver­schiede­nen Arten von Enden also genauer an …

Eindeutige Enden: glücklich oder unglücklich

Ein glück­lich­es oder ein unglück­lich­es Ende trans­portiert oft eine ein­deutige Botschaft:

Der Kon­flikt der Geschichte beste­ht darin, dass der Pro­tag­o­nist die richtige Entschei­dung fällen muss. Es gibt ein Richtig und Falsch und die Entschei­dun­gen des Pro­tag­o­nis­ten wer­den belohnt oder bestraft. Die Geschichte dient also der Ver­mit­tlung von moralis­chen Werten – und zwar als anschaulich­es Beispiel ohne Moral­predigt, ganz nach dem Mot­to: “Show, don’t tell!

Nehmen wir also an, unsere Geschichte han­delt von Lieschen, die ihren unge­sun­den Coro­na-Speck loswer­den möchte:

  • Wenn sie die richti­gen Entschei­dun­gen trifft, sich gesund ernährt und sich regelmäßig bewegt, dann wird sie am Ende belohnt und passt zum Beispiel wieder in ihre Liebling­shose. Es gibt also ein Hap­py End.
  • Wenn sie aber die falschen Entschei­dun­gen trifft, auf ihrer Couch faulen­zt und Süßigkeit­en in sich rein­schaufelt, dann wird sie mit einem unglück­lichen Ende bestraft, in dem sie noch dick­er wird und vielle­icht sog­ar Dia­betes kriegt.

Das ist aber zugegeben­er­maßen ziem­lich schwarz-weiß. Und während eine solche Herange­hensweise dur­chaus legit­im ist und sich für viele Geschicht­en anbi­etet, erfordern andere Erzäh­lun­gen mehr Nuan­cen. – Und diese kann man ein­bauen, indem man weit­ere, weniger offen­sichtliche Schicht­en bzw. Aspek­te hinzufügt: Ich spreche hier vor allem über den feinen Unter­schied zwis­chen dem, was eine Fig­ur will, und dem, was sie eigentlich braucht. Also eine kom­plexere Moti­va­tion.

  • So kön­nte Lieschen zum Beispiel an ihrer Diät scheit­ern und trotz­dem ein Hap­py End erleben: Am Anfang mag das Abnehmen ihr Ziel sein. Im Ver­lauf der Geschichte erken­nt sie aber vielle­icht, dass es ihr nicht um ihr kör­per­lich­es Wohlbefind­en geht, son­dern darum, was andere von ihr denken. Und dass die Diät, die sie streng durch­peitscht, sie unglück­lich macht. Das glück­liche Ende würde also darin beste­hen, dass sie sich inner­lich von der Mei­n­ung ander­er löst und sich in ihrem mol­li­gen Kör­p­er wohlfühlt.
  • Ähn­lich kann Lieschen auch für das Beste­hen der Diät bestraft wer­den, in dem sie in ihrer Unsicher­heit um ihren Kör­p­er weit über das Ziel hin­auss­chießt und mager­süchtig wird. Sie erre­icht zwar ihr ober­fläch­lich­es Ziel, über­sieht aber ihr eigentlich­es Bedürf­nis bzw. die Notwendigkeit, sich selb­st so zu lieben, wie sie ist.

Wie Du also siehst, wird das Schwarz-Weiß hier durch Grautöne aufgewe­icht. Es gibt zwar immer noch Ten­den­zen, was richtig und was falsch ist, aber es ist nicht mehr so ein­deutig: Es gibt immer auch ein Aber. Dabei ist die Botschaft der Geschichte allerd­ings immer noch klar, da sie im Prinzip dazu aufruft, seine Ziele nicht blind zu ver­fol­gen, son­dern das “Kleinge­druck­te” zu lesen.

Ambivalente Enden: bittersüß

Das Schwarz-Weiß ver­schwimmt noch mehr,

wenn die Kat­e­gorien von Richtig und Falsch mehr oder weniger kom­plett weg­brechen bzw. wenn die Entschei­dung, was richtig und was falsch ist, dem Leser über­lassen wird. Und das geht nur mit einem Ende, das nicht ein­deutig ist.

Dabei kann der Leser immer noch sub­til manip­uliert wer­den, damit er das aus der Sicht des Autors “richtige” Richtig als solch­es erken­nt.

  • Ein Beispiel für so ein bit­ter­süßes Ende wäre, wenn Lieschen ihre Diät durch­hält, die Moti­va­tion dahin­ter aber darin beste­ht, Fritzchen zu gefall­en, der aber, wie sich her­ausstellt, eher auf mol­ligere Frauen ste­ht. Je nach­dem, ob das Ende mehr in die bit­tere oder süße Rich­tung driftet, ver­schiebt sich auch die Botschaft des Werks:
  • Bei einem eher bit­teren Ende würde sich Lieschen über ihren gesün­deren Lebensstil freuen, dann aber mit dem Twist kon­fron­tiert wer­den, dass Fritzchen sie nicht mehr attrak­tiv find­et. Sie hat zwar etwas Wertvolles gewon­nen, aber wenn die Geschichte mit dem Ver­lust endet, dann kann sich auch der Leser nicht wirk­lich über das Gewonnene freuen: Denn hier wird Fritzchen gegenüber Lieschens Gesund­heit mehr Pri­or­ität beigemessen.
  • Bei einem eher süßen Ende wer­den die Pri­or­itäten umgekehrt: Zwar haben wir auch hier am Ende den Twist, dass Fritzchen die Pro­tag­o­nistin nicht mehr hüb­sch find­et, aber die Geschichte endet mit Lieschens Ein­sicht, dass sie durch ihre Diät etwas viel Wertvolleres gewon­nen hat als Fritzchens Zunei­gung. Beim Lesen find­et man es zwar schade, dass sie ihren Love-Inter­est nicht bekom­men hat, aber let­z­tendlich freut man sich für sie.

Ambivalente Enden: offen

Willst Du hinge­gen auch den let­zten Rest von Richtig und Falsch ver­wis­chen, dann käme ein offenes Ende infrage:

Hier wird die Bew­er­tung der Entschei­dun­gen auss­chließlich dem Leser über­lassen, was bei diesem oft für ein mul­miges Gefühl im Magen und einen rauchen­den Kopf sorgt.

Soll heißen:

Über ein gut gemacht­es offenes Ende grü­belt und disku­tiert man sicher­lich am meis­ten und am läng­sten.

  • Ein Beispiel für ein offenes Ende wäre, wenn Lieschen zwar erfol­gre­ich abn­immt, sich gle­ichzeit­ig aber erste Anze­ichen des näch­sten Lock­downs andeuten. Und dann bricht die Geschichte ab. Die Frage, ob Lieschen wieder zunehmen wird und ob die Diät sich somit über­haupt gelohnt hat, muss sich der Leser selb­st beant­worten.

So offen das offene Ende aber auch sein mag – die zen­tralen Fra­gen der Erzäh­lung wer­den immer noch beant­wortet. Wenn es also darum geht, ob Lieschen abn­immt oder nicht, dann gibt es in unserem Beispiel ein klares Ergeb­nis: Ja, Lieschen nimmt ab. Son­st käme sich der Leser doch bet­ro­gen vor. Somit ist auch ein offenes Ende immer noch ein Ende, nur dass es beim Beant­worten der zen­tralen Fra­gen neue Fra­gen aufwirft.

Sin­nvoll ist so ein offenes Ende aber nicht nur, wenn man den Leser zum Nach­denken brin­gen will, son­dern auch als Appetit­mach­er für eine Fort­set­zung:

  • So kön­nte Lieschens Kampf gegen den Coro­na-Speck eine ganze Serie wer­den, ein Lock­down pro Band. Und in jedem Lock­down pro­biert sie neue Maß­nah­men aus und meis­tert somit neue Her­aus­forderun­gen.

Anson­sten kann die Ungewis­sheit eines offe­nen Endes auch gruselig wirken, beispiel­sweise in Das Schweigen der Läm­mer:

  • Zwar besiegt Clarice den Serien­mörder “Buf­fa­lo Bill”, aber einem anderen – noch schlim­meren – Serien­mörder ist die Flucht gelun­gen.

Zu guter Let­zt möchte ich auch anmerken, dass all diese Kat­e­gorien keineswegs in Stein gemeißelt sind. Es soll Dich nichts davon abhal­ten, die Typen zu mis­chen, beispiel­sweise wenn eine Erzäh­lung mehrere Stränge hat und das Ende in Bezug auf einige davon offen­er ist als in Bezug auf andere.

Epiloge

Zu besprechen ist bei diesem The­ma natür­lich aber auch der Epi­log:

Er ist das Gegen­teil des Pro­logs, also ein “Nach­wort” bzw. ein Kapi­tel nach dem let­zten Kapi­tel, und ergänzt, was es nach dem Ende der eigentlichen Geschichte noch zu sagen gibt.

Mit anderen Worten:

  • Wenn es nach der Beant­wor­tung der zen­tralen Fra­gen am eigentlichen Ende der Geschichte noch offene sekundäre Fra­gen gibt, kön­nen sie hier beant­wortet wer­den.
  • Auch kann ein Epi­log abschließende Gedanken des Erzäh­lers, ein­er Fig­ur oder gar des Autors enthal­ten.
  • Oder aber der Epi­log weist in die Zukun­ft und gibt einen Aus­blick auf die Fort­set­zung, den näch­sten Band der Rei­he.
  • Und so weit­er und so fort …

Generell gel­ten beim Epi­log auch diesel­ben Richtlin­ien wie beim Pro­log. Damit spreche ich vor allem über die Rel­e­vanz eines Epi­logs. Denn:

Wenn er gestrichen wer­den kann, ohne dass die Geschichte etwas ver­liert, dann sollte er eben gestrichen wer­den.

Nicht jede Geschichte braucht einen Epi­log und daher sollte er nur einge­baut wer­den, wenn Du seine Funk­tion konkret benen­nen kannst:

    • In Har­ry Pot­ter zum Beispiel ist der Epi­log sehr berechtigt, denn nach sieben Wälz­ern wollen die Leser natür­lich wis­sen, was aus den Fig­uren, die sie über Jahre hin­weg begleit­et haben, gewor­den ist.
    • Auch kön­nte man, wenn es zur Geschichte passen würde, die vie­len Enden des Her­rn der Ringe nach der Zer­störung des Einen Rings in einem ver­hält­nis­mäßig kurzen, knack­i­gen Epi­log zusam­men­fassen. (Die Beto­nung liegt dabei aber auf “kön­nte”, “wenn” und “würde” – denn zu dieser Geschichte würde es eigentlich nicht passen, aber ihr end­los­es Ende ist ja leg­endär. 😉 )
    • Manche Epi­loge schaf­fen es auch, das eigentliche Ende etwas auf den Kopf zu stellen. So endet Remar­ques ver­hält­nis­mäßig heit­er­er Roman Der schwarze Obelisk mit dem Auf­bruch des Pro­tag­o­nis­ten in ein neues Leben. Im 26. Kapi­tel jedoch, das fak­tisch ein Epi­log ist, wird zusam­menge­fasst, wie es den anderen Fig­uren erg­ing – und es stellt sich her­aus, dass die eher unsym­pa­this­chen Fig­uren den Zweit­en Weltkrieg gut über­standen haben, die sym­pa­this­chen hinge­gen ihr Leben oder ihre Gesund­heit in Konzen­tra­tionslagern, an der Front oder bei Bombe­nan­grif­f­en ver­loren. Außer­dem wurde der Schau­platz des Romans, die fik­tive Stadt Wer­den­brück, kom­plett zer­stört. Damit wird das pos­i­tive Ende der eigentlichen Geschichte mas­siv gedämpft.

Das waren natür­lich nur drei Beispiele, denn Epi­loge sind so vielfältig wie die Geschicht­en, zu denen sie gehören. Auch wenn man abge­se­hen von der Rel­e­vanz noch sagen kann, dass Epi­loge nicht zu lang sein soll­ten und sich oft von der eigentlichen Geschichte abheben – sei es durch eine andere Per­spek­tive, eine andere Zeit, einen zusam­men­fassenden Zeitungsar­tikel statt ein­er Szene oder was auch immer –, kommt es let­z­tendlich darauf an, was für Deine konkrete Geschichte das Richtige ist. Deswe­gen will ich Dir nichts vorschreiben und über­lasse Dich an dieser Stelle lieber Dein­er Kreativ­ität.

Schlusswort

So viel also zu Enden. Und am Ende dieses Artikels möchte ich noch kurz erwäh­nen, dass wir etwas Ähn­lich­es wie die vie­len Enden bei Lieschens Kampf gegen den Coro­na-Speck im Steady-Livestream vom 13.02.2022 durchge­spielt haben. Bloß ging es da um ganze Geschicht­enkonzepte bzw. Plotver­läufe, die aus ein­er einzi­gen Idee entste­hen kön­nen. Wenn diese Spiel­erei Dich inter­essiert und Du mich finanziell unter­stützen möcht­est, bist Du in der Steady-Com­mu­ni­ty her­zlich willkom­men.

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