Was ist die ideale Länge für Deine Geschichte und was erwartet Deine Zielgruppe? Wie gut kannst Du eine Kurzgeschichte, eine Novelle oder einen Roman auf dem Markt unterbringen? Wie unterscheiden sich diese drei Gattungen? Und wie kannst Du eine Geschichte länger oder kürzer machen, ohne dass die Qualität darunter leidet? Das besprechen wir in diesem Artikel.
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Wann ist ein Buch zu lang und wann zu kurz? Wann ist es eine Kurzgeschichte, eine Novelle oder ein Roman? In welchen Genres darf man Wälzer schreiben und in welchen nicht? Welche Länge eignet sich für Schreibanfänger und welche für Fortgeschrittene? Und wie verkürzt oder verlängert man sein Buch?
Die Länge von Geschichten ist leider eine äußerst neblige Gegend irgendwo zwischen den eigenen Vorstellungen des Autors, Genrekonventionen und den Wünschen der Zielgruppe. Soll heißen: Es gibt keine klaren Regeln oder eindeutige Antworten. Und deswegen reden wir heute vor allem über ungefähre Richtlinien und andere Aspekte, die es zu bedenken gilt.
Kurzgeschichte, Novelle und Roman in Normseiten
Fiktionale Geschichten kann man von der Länge her grob in drei Gattungen gliedern: Kurzgeschichten, Novellen und Romane. Streng genommen gibt es natürlich noch mehr Feinheiten – zum Beispiel zählen auch Märchen und Anekdoten zur Kurzprosa –, aber wir beschränken uns der Übersichtlichkeit halber auf diese drei Gattungen, weil sie es sind, die wohl von der Mehrheit der Leser dieses Blogs geschrieben werden.
Durch welche Länge definieren sich nun diese drei Gattungen?
Grob formuliert:
Eine Kurzgeschichte besteht aus wenigen Seiten, sozusagen nur aus einem Kapitel, ein Roman umfasst ca. 300 Normseiten und die Novelle ist ein Zwischending.
Das sind aber keine in Stein gemeißelten Regeln, denn diese Gattungen sind nicht klar definiert und die Übergänge sind fließend. Zumal es auch Dinge gibt wie den Kurzroman und das Ganze auch noch stark genreabhängig ist, da zum Beispiel bei Epic Fantasy und Science Fiction Schinken von 600 Seiten durchaus als normal gelten. Deswegen werden wir gleich noch gesondert über die einzelnen Gattungen sprechen.
Vorher aber noch ein kleiner Exkurs: Was ist eine Normseite?
Grundsätzlich besteht eine Normseite in Deutschland aus 30 Zeilen mit jeweils maximal 60 Anschlägen.
Allerdings muss ich Deinen inneren Mathematiker wohl leider schockieren, denn aus dieser präzisen Angabe haben sich zwei Definitionen entwickelt:
- Die erste lautet: 30 × 60 = 1800. Also: 1800 Zeichen inklusive Leerzeichen.
- Die andere Definition berücksichtigt, dass in einem Text viele Zeilen unvollständig sind und eine Normseite in der Praxis eben weniger Zeichen umfasst. Die VG Wort hat dafür vereinfacht 1500 Zeichen pro Normseite
Wenn es aber um ungefähre Angaben geht, sind diese zwei Definitionen nicht so dramatisch. Nur wenn Du mit einem Verlag, einer Agentur oder einem Lektor kommunizierst, musst Du darauf achten, welche Definition verwendet wird. Und ansonsten messen Autoren die Länge von Texten häufig in Wörtern. Allerdings sind Angaben wie „80.000 Wörter“ für jemanden, der so etwas nicht gewohnt ist, weniger greifbar als „320 Normseiten“. Deswegen habe ich mich entschieden, in diesem Artikel die Geschichtenlänge eben in Normseiten anzugeben. Dabei gehe ich davon aus, dass eine Normseite im Schnitt ca. 250 Wörter umfasst, und rechne dementsprechend um. Und falls es Dir zu viel Mathematik wird, findest Du hier einen Rechner für die ganzen Zeichen, Wörter und Normseiten.
Bedenke jedoch stets, dass es sich bei all dem eben um sehr, sehr grobe Angaben handelt, die auf Durchschnittswerten basieren, und dass die faktische Seitenanzahl noch von vielen anderen Faktoren abhängt wie Schriftart und ‑größe, Zeilenabstand, Seitenränder … Besonders bei E‑Books ist es dann schwierig, weil diese Dinge auf dem Reader individuell eingestellt werden können. – Du merkst also, wie neblig und ungreifbar dieses Thema ist, oder? 😉
Aber wir wagen uns trotzdem hinein und wenden uns nun den einzelnen Gattungen zu …
Kurzgeschichten
Kurzgeschichten sind, wie der Name schon sagt, kurze Geschichten und werden im englischsprachigen Raum, wo sie ursprünglich herkommen, passenderweise als short stories bezeichnet.
„Kurz“ bedeutet dabei Pi mal Daumen: alles unter 40 Normseiten. – Wobei manchmal je nach Stil, Komplexität des Plots etc. auch etwas längere Erzählungen als Kurzgeschichten durchgehen können.
Alle anderen Eigenschaften sind keineswegs in Stein gemeißelt, sondern in der Regel mehr oder weniger Folgen dieser Kürze:
Diese Geschichten sind oft auf das Nötigste bzw. Relevanteste reduziert, Anfang und Ende sind meistens knapp und unmittelbar, die Sprache enthält keine unnötigen Schnörkel und jedes Detail, das bei dieser Reduzierung auf das Nötigste dennoch eingebaut wird, hat umso mehr Bedeutung.
Ansonsten kennst Du aus der Schule sicherlich auch die spezifisch deutsche Kurzgeschichte, überwiegend ein Produkt der Nachkriegszeit, aber ihre goldene Zeit ist vorbei und ihre besonderen Merkmale interessieren meinen Beobachtungen nach nur noch Deutschlehrer. Was wir hier also unter einer Kurzgeschichte verstehen, ist eben vor allem eine kurze Geschichte, die oft bestimmten gattungsspezifischen Tendenzen folgt, es aber nicht muss, weil die Gattung im Verlauf ihrer Existenz unterschiedlich definiert wurde.
Bei dieser Schwammigkeit der Definition kann man aber dennoch einige tendenzielle Vorteile festhalten:
- Als Leser einer Kurzgeschichte bekommt man eine abgeschlossene Erzählung, die man schnell in einer einzigen Sitzung wegknuspern und dennoch eine Menge für sich mitnehmen kann: Es wird mit wenigen Worten viel gesagt, in der Regel ohne unnötigen Fluff. Allerdings muss man aufgrund der platzsparenden Reduktion beim Lesen besonders gut mitdenken und auf Details achten.
- Als Autor kann und sollte man sich auf eine einzige Sache konzentrieren, sich ohne Nebenplots und andere Abschweifungen um seine Prämisse kümmern und jedes Detail ganz filigran durchdenken. Deswegen gelten Kurzgeschichten als gute Übung für Schreibanfänger, weil das sorgfältige Herausarbeiten des Konzepts und das Polieren von Feinheiten bei einer Kurzgeschichte deutlich mehr im Vordergrund stehen als bei einem Romanprojekt.
Nun kannst Du eine Kurzgeschichte aber natürlich nicht als Buch veröffentlichen, sondern schickst sie eher an eine Zeitschrift, bringst sie in einer Anthologie unter – zum Beispiel durch einen Wettbewerb – oder Du schreibst noch mehr Kurzgeschichten, die idealerweise irgendwie thematisch oder von der Stimmung her zusammenpassen, und veröffentlichst sie zusammen als Buch.
Eine interessante Variation davon sind Sammlungen, deren Kurzgeschichten sich um dieselben Figuren drehen. Um ein Beispiel direkt von der KreativCrew zu klauen: die Geralt- bzw. Witcher-Saga von Andrzej Sapkowski, die mit zwei Kurzgeschichtenbänden anfängt. Solche Sammlungen haben alle Vorteile von Kurzgeschichten, aber natürlich muss man sich auch dessen bewusst sein, dass sie eben einzelne Kurzgeschichten sind und nur eher lose zusammenhängen – anders als die Kapitel eines Romans, wo das eine direkt zum anderen führt. Sprich: Ein durchgängiger Plot kann bei einer Sammlung nur unauffällig im Hintergrund stattfinden, während im Vordergrund kürzere und einfachere Einzelplots stehen.
Was die Gesamtlänge einer Kurzgeschichtensammlung angeht, so kannst Du Dich ruhig am Standard-Roman orientieren. Habe dabei aber im Hinterkopf, dass der Markt für Kurzgeschichten in Deutschland leider etwas schwächelt, diese Gattung Dir also vermutlich nicht den großen Durchbruch bescheren wird. Im angelsächsischen Raum soll es etwas besser aussehen. Aber wenn Du unbedingt Kurzgeschichten veröffentlichen willst – hey, warum nicht? Und wenn sie nur eine Übung sind und Du gerne Feedback möchtest, wäre eine kostenlose Veröffentlichung auf einer Online-Plattform durchaus eine Überlegung wert.
Ansonsten eignen sich ganz kurze Kurzgeschichten gut als Beispiele Lehr- bzw. Lern- bzw. Beispiellektorate. Das ist etwas, das ich im Rahmen meiner Steady-Livestreams hin und wieder gerne machen möchte. Aktuell zerlegen bzw. lektorieren bzw. überarbeiten wir eine Geschichte, die ich mit 16–17 Jahren geschrieben habe. Die Aufnahme der ersten Sitzung ist derzeit für Abonnenten aller Pakete zugänglich, den Livestream der zweiten Sitzung plane ich für den 17. Oktober: Ab einem Abo der zweiten Mitgliedschaftsstufe ist eine Teilnahme möglich, die Aufnahme kommt eine Woche später für alle Abonnenten heraus. Wenn Du also mitmachen und mich gleichzeitig unterstützen willst, bist Du herzlich eingeladen!
Sollte die Kurzgeschichte Deiner Idee nun aber nicht genug Raum bzw. Normseiten bieten – sei es aufgrund der Komplexität des Plots, der Figuren oder wieso auch immer –, wäre vielleicht die Novelle das Richtige für Dich …
Novellen
Die Novelle ist, wie gesagt, die Übergangsgattung zwischen Kurzgeschichte und Roman und wird im Englischen als novella oder novelette bezeichnet. Das wird später wichtig, wenn wir über Romane sprechen. An dieser Stelle aber bleiben wir bei der Novelle und definieren sie als
Erzählung, die 40–160 Normseiten umfasst.
Anders als die typische Kurzgeschichte ist sie vielleicht sogar in mehrere Kapitel gegliedert, aber sie ist immer noch kurz genug, um in einem Zug gelesen zu werden:
Auch hier sorgt die Knappheit der Normseiten dafür, dass man sich auf eine einzige Sache konzentriert, auf „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“, wenn man es mit Goethe ausdrücken will. Soll heißen: keine verschnörkelten Nebenplots, kein überflüssiges Geschwafel, nur ein tiefes Eintauchen in das zentrale Thema.
Und weil die Novelle so ein Zwischending ist, vereint sie die Vorteile von Kurzgeschichten und Romanen:
- Als Leser bekommt man eine schnell zu lesende, aber dennoch komplexe Erzählung. Einzelne Aspekte – zum Beispiel die Figuren – können hier detaillierter herausgearbeitet werden und somit ist eine Novelle auch durchaus in der Lage, das Feeling eines Romans zu transportieren.
- Als Autor sollte man sich auch hier auf das Wesentliche konzentrieren, muss sich dabei aber nicht auf das Nötigste beschränken. Man kann komplexere Geschichten erzählen, ohne dass es zu kompliziert und unübersichtlich wird, und deswegen halte ich Novellen für eine gute Übergangsübung, bevor man sich an einen Roman wagt.
Was die Veröffentlichung angeht, so ist es natürlich grundsätzlich machbar, eine längere Novelle als eigenständiges Buch zu verkaufen. Aber das wird ein sehr dünnes Buch sein und vielleicht wäre es ja eine Idee, mehrere Novellen in einem Band unterzubringen. Früher wurden Novellen nämlich durchaus gern in einem Zyklus veröffentlicht, also mit einer Rahmenhandlung, die für die Einzelnovellen einen gemeinsamen Kontext bzw. eine Verbindung geschaffen hat. Und je nachdem, wie Deine Erzählungen gestrickt sind, wäre auch ein Sammelband mit Novellen und Kurzgeschichten eine Möglichkeit. Allerdings stellt auch die Novelle trotz durchaus vorhandener Leserschaft auf dem Markt keine Konkurrenz zum Roman dar und Novellenzyklen sind eher ein Phänomen der Vergangenheit. – Aber hey, was spricht dagegen, sich von alten Ideen inspirieren zu lassen? Wir sehen es ja im Bereich der Fashion: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Altes wieder in Mode ist. – Hoffentlich … Novellen sind eine coole Gattung.
Romane
Was sich aber über Jahrhunderte hinweg einer Beliebtheit erfreut, sind Romane:
Geschichten ab 160 Normseiten, standardmäßig 300 Seiten, aber auch Schinken von über 440 Normseiten, in Extremfällen sogar über 1000.
Vorsicht geboten ist bei der englischen Bezeichnung novel, denn durch diesen falschen Freund könnte man den Roman versehentlich mit der Novelle verwechseln, wenn man sich im angelsächsischen Bereich herumtreibt. Dafür gibt es im Englischen aber eigene Begriffe, wie wir vorhin ja gesehen haben. – Lass Dich also nicht in die Irre führen. Denn durch seine Länge hat der Roman wesentliche Unterschiede zur Novelle:
Die Seitenanzahl bietet hier ausreichend Raum, um komplexe Geschichten mit vielen komplexen Figuren, komplexem Word-Building und mehreren Subplots zu erzählen. Und wenn die Seiten im Roman immer noch nicht ausreichen, lässt die Geschichte sich auch auf mehrere Romane verteilen; es entsteht dann eine Romanserie.
Doch bei all den verschiedenen Längen stellt sich die Frage, wie lang denn nun Dein konkreter Roman werden sollte. Und das sollte sich einerseits danach richten, wie viele Normseiten die Geschichte selbst braucht, aber auch danach, warum die Leser diesen konkreten Roman später lesen werden:
- Manche Genres – wie Krimi, Thriller, Horror, Liebesromane etc. – sind dazu gedacht, schnell weggeknuspert zu werden – gegen Langeweile bei langen Zugfahrten, wenn man gerade „Heißhunger“ auf eine bestimmte Stimmung hat oder in einer einzigen Nacht, in der man das Buch einfach nicht aus der Hand legen kann. Natürlich variiert die Normseitenanzahl hier sehr stark – der Mystery-Krimi-Thriller Gone Girl von Gillian Flynn umfasst ca. 600 Seiten und ist offenbar nicht fürs schnelle Wegknuspern gedacht –, aber normalerweise haben solche Romane ungefähr die standardmäßigen 300 Seiten. Und ganz ehrlich: Vor allem in spannungsgeladenen Genres sollte man nicht allzu ausschweifend werden und bei 900 Seiten Horror müsste der Autor schon ein Genie sein, damit die Lektüre nicht ermüdend wird.
- Bei Lesern von Epic Fantasy, Science Fiction und auch von historischen Romanen ist es aber ganz anders: Hier wünscht man sich oft Monsterschinken, denn je länger das Buch, desto länger kann man sich in der eskapistischen Fantasie einer fremden Welt verlieren. Und meistens steht auch genau das im Vordergrund: nicht die Handlung, nicht die Figuren, sondern vor allem das World-Building, das natürlich auch jede Menge Seiten braucht – denn eine Beschreibung von Hogwarts fällt ja automatisch ausführlicher aus als eine Beschreibung des 70er-Jahre-Bunkers, in dem ich mein Abitur gemacht habe.
- Jugendbücher hingegen respektieren die noch zarte Aufmerksamkeitsspanne ihrer Leser und fallen mit 80–200 Seiten schon fast in den Bereich der Novellen. Jungen Erwachsenen traut man da schon mehr zu, nämlich 160–280 Normseiten. Und Kinderbücher sind eher Kurzgeschichten, die mit Bildern und extra großer Schrift aber mehr faktische Seiten füllen als Normseiten.
Das alles sind aber nur Richtlinien. Es macht zwar sehr viel Sinn, sich an ihnen zu orientieren, aber ein Kind ist zum Beispiel nicht gleich Kind: Ich war definitiv jünger als 12, als ich den Herrn der Ringe zum ersten Mal selbst gelesen habe, weil meine Eltern es leid waren, mir die Bücher jedes verdammte Jahr vorzulesen. Aber andererseits ist Der Herr der Ringe auch kein Kinderbuch und wenn ein ganz bestimmtes Kind damit zurechtkommt, dann ist das schön fürs Kind, aber man darf das nicht grundsätzlich voraussetzen.
Was aber nun das Schreiben betrifft, so sind Romane zweifellos die größte Herausforderung: Man muss den Überblick über zahlreiche Figuren und Handlungsstränge behalten, sich nicht im World-Building verheddern und man muss insgesamt einen längeren Atem unter Beweis stellen. Nichtsdestotrotz wagen sich die meisten Autoren ausgerechnet an Romane, weil ihre Geschichten, Figuren und Welten diesen Umfang einfach erfordern. Es versteht sich aber von selbst, dass Schreiberlinge sich hier bei all ihrer Begeisterung für ihre Werke auf eine aufwendige Überarbeitung einstellen müssen, denn wir reden ja immer noch von Hunderten von Seiten. Es ist bei dieser Gattung also sinnvoll, schon einige Schreiberfahrung zu haben.
Lohnen tut sich die Mühe hier aber wohl am meisten, denn Romane sind tendenziell verkäuflicher als Kurzgeschichten und Novellen. Wobei man als Neuling seinen Roman aber eher kurz halten sollte: Wenn noch nie jemand von Dir gehört hat und keiner weiß, was man von Dir erwarten kann, wirkt ein Schinken eher abschreckend. Denn wenn man schon eine Katze im Sack kauft, dann wählt man eher eine kleine, pflegeleichte. Und wenn die einem gefallen hat, dann gibt es eine Wahrscheinlichkeit, dass man vom selben Autor auch den fetten Maine-Coon-Kater kauft. Überlege es Dir also gut, ob Du wirklich einen Fantasy- oder SciFi-Wälzer von 800 Seiten zu deinem Debütroman machst. (Sagt die Heuchlerin, bei der sich aktuell 850 Seiten abzeichnen …)
Geschichten länger oder kürzer machen
Was die wichtigsten Fragen in Bezug auf die Geschichtenlänge sind, dämmert Dir sicherlich bereits: Oft ist die eigene Geschichte für die vorgesehene Gattung bzw. das vorgesehene Genre bzw. das vorgesehene Zielpublikum zu lang oder zu kurz. – Was kann man also tun?
Als Erstes ist natürlich zu klären, ob Deine Geschichte für sich allein – jenseits der eben besprochenen Richtlinien – zu lang oder zu kurz ist.
Denn jede Geschichte hat ihre eigene ideale Länge.
Wie man diese individuelle Ideallänge ermittelt, kann man nicht pauschal sagen. Das einzig geltende Prinzip ist: Geht irgendetwas verloren, wenn Du die Geschichte irgendwie änderst? Wichtig ist dabei vor allem die Prämisse. Und wenn die Geschichte durch die Änderungen ihr Konzept nicht mehr richtig transportiert, dann sollte das Werk wahrscheinlich so bleiben, wie es ist. Hole Dir auch gerne die ein oder andere Zweitmeinung, wenn Du Dir nicht sicher bist.
Bei den meisten Geschichten kann man allerdings sagen, dass man vor allem nach überflüssigen Szenen, Figuren, Handlungssträngen etc. Ausschau halten sollte – das sind die häufigsten Kandidaten fürs Rauskürzen – bzw. nach zu viel „Tell“ statt „Show“, nach dem Talking Head Syndrome, fehlenden Beschreibungen von Orten und Figuren etc. – das wären nämlich klare Anzeichen, dass die Geschichte nur ein nacktes Gerippe ist und mehr „Fleisch“ vertragen kann.
Und daraus resultieren auch die Maßnahmen, die man ergreifen kann, um Dein Manuskript kürzer oder länger zu machen:
- Bei zu lang geratenen Manuskripten sucht man nach Überflüssigem, das man herausstreichen kann. – Egal, wie sehr man an diesen irrelevanten Szenen, Figuren, Nebenplots oder was auch immer hängt. Frei nach dem Prinzip: Kill your darlings! Auch kannst Du prüfen, ob Du Dich bei Beschreibungen kürzer fassen und Szenen, Figuren und Handlungsstränge irgendwie zusammenlegen kannst, also öfter mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
- Bei zu kurzen Manuskripten hingegen wäre auf mehr „Show, don’t tell!“ zu achten: Statt kurzen Erklärungen könntest Du neue Szenen einbauen, in denen Du das Erklärte illustrierst. Dialoge lassen sich durch Begleithandlungen ausbauen, nonverbalen Interaktionen der Figuren untereinander und mit dem Raum, was man auch mit Beschreibungen kombinieren kann. Die einzelnen Figuren sollten dabei individuelle Details bekommen, beispielsweise eine charakteristische Sprechweise, Mimik, Gestik etc. Und nicht zuletzt kannst Du prüfen, ob Du die zentralen Themen weiter ausbauen kannst, zum Beispiel durch einen neuen Subplot, der neue Aspekte mit sich bringt und bestimmte Figuren vertieft.
Das wären einige Maßnahmen, die die Qualität Deines Manuskripts hochschrauben und ihm damit zu seiner Ideallänge verhelfen sollen. Doch es kann immer noch sein, dass Dein maximal poliertes Manuskript zu lang oder zu kurz ist, zumindest wenn es um äußere Faktoren geht:
Vielleicht soll das Werk ja Dein Debüt sein und ist einfach zu lang dafür … Denn wie gesagt, wenn Dich niemand kennt, werden potentielle Leser stärkere Hemmungen haben, einen Schinken zu kaufen. Auch sind dicke Bücher teurer herzustellen, zumindest im Printbereich. Aufgrund dieses finanziellen Risikos wird sich das Interesse der Verlage in Grenzen halten.
In diesem Fall hast Du ein Dilemma: Ein ausgereiftes Manuskript nochmal überarbeiten oder … Ja, was wären die Alternativen?
- Vielleicht ließe sich das Werk ja in mehrere Teile aufsplitten und als Serie verkaufen … Ob das klappt, hängt aber ganz individuell von Deiner Geschichte ab.
- Oder Du könntest die Geschichte fürs Erste beiseitelegen und etwas Kurzes verfassen, um damit einen Fuß in die Industrie zu bekommen. Und wenn man Dich dann schon etwas kennt und Deinen Fähigkeiten vertraut, holst Du Deinen Schinken heraus und versuchst es unter diesen neuen Bedingungen.
- Oder Du probierst es mit dem Self-Publishing und überlegst Dir eine verdammt gute Marketing-Strategie, um Dein Werk den Lesern trotz seiner Länge schmackhaft zu machen.
Wenn Dein ausgereiftes Manuskript hingegen zu kurz ist, dann hast Du es, würde ich sagen, einfacher:
- Vielleicht kannst Du einfach sagen, dass es ein Kurzroman ist und dann ist die Sache erledigt?
- Oder vielleicht bietet es sich an, mehrere Werke in einem Band abzudrucken?
- Oder Du gehst die klassische Schummelroute und benutzt eine große Schrift, große Zeilenabstände und großzügige Seitenränder … Nur pass auf, dass Deine Leser sich nicht hintergangen fühlen, weil sie für ihr Geld weniger Text bekommen haben als erwartet.
Was auch immer Dein konkretes Problem ist – ich hoffe, ich konnte Dir ein paar Anregungen geben. Was in Deinem Fall die perfekte Balance zwischen der idealen Länge und den äußeren Ansprüchen und Erwartungen ist, kannst aber nur Du selbst wissen.
Fazit und nützliche Links
Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Länge einer Geschichte sehr eng an ihr Konzept gekoppelt ist:
Je kürzer eine Geschichte, desto relevanter ist der Gegenstand an sich, ein ganz bestimmter, klar eingegrenzter Konflikt, und das geht mit einer insgesamt geringeren Komplexität einher, gerade bei Plot, Figuren und World-Building. – Es sei denn, eins davon ist der zentrale Konflikt, zum Beispiel die psychologischen Abgründe einer einzigen Figur.
Trotzdem ist die Länge auch beim Marketing zu berücksichtigen, obwohl die Richtlinien hier mehr für traditionell veröffentlichende Neulinge gelten als für „alte Hasen“ und Self-Publisher. Auch ist der wachsende E‑Book-Markt in dieser Hinsicht vielleicht ein Hoffnungsschimmer, denn ein digitales Buch ist rein visuell natürlich weniger abschreckend als ein Print-Schinken. Das ändert jedoch nichts an den Erwartungen der Leser und Konventionen des Marktes und Du solltest sie auf jeden Fall berücksichtigen.
Es ist also durchaus sinnvoll, sich über die Länge Deines Textes Gedanken zu machen, aber Du solltest es auch nicht übertreiben. Wenn Du auf der Suche nach der richtigen Balance also noch weitere Lektüre zu dem Thema suchst, hier ein paar Empfehlungen von mir:
- Anton Goldberg: Auf die Länge kommt es an, oder: Wie lang sollte Ihr Buch sein? – Ein Leitfaden
https://indieautor.com/2018/10/26/auf-die-laenge-kommt-es-an-oder-wie-lang-sollte-ihr-buch-sein-ein-leitfaden/ - Chuck Sambuchino: Word Count for Novels and Children’s Books: The Definitive Post | How Long Should a Book Be?
https://www.writersdigest.com/whats-new/word-count-for-novels-and-childrens-books-the-definitive-post - Laura Kneidl: Wie lang muss ein Buch sein?
https://www.laura-kneidl.de/2020/09/30/wie-lange-muss-ein-buch-sein/ - Schreibdilettanten: Lohnen sich Kurzgeschichten und Novellen?
https://youtu.be/EpvO6ZE0-0g
Hat eigentlich mal jemand bekannte Werke gezählt?
Ich wäre mal neugierig. Wie viele Normseiten macht der erste Harry Potter Band aus (in der Übersetzung). Irgendein nerdiger Nerd muss doch da mal Zeichen gezählt haben. 🙂
Und wie lang ist Krieg und Frieden in Normseiten? 😉
Ich bin mir nicht sicher, ob es da exakte Angaben gibt, aber es ist durchaus wahrscheinlich. Ungefähre Angaben hingegen lassen sich auf jeden Fall recherchieren. Mal abgesehen davon, dass die Seitenanzahl bei Printausgaben den Normseiten oft durchaus nahe kommt, findet man über Google auch Angaben zu Normseiten: für den ersten Harry Potter zum Beispiel etwas über 300, für Krieg und Frieden etwas über 1000.