Unsym­pa­thi­sche Figuren erschaffen

Unsym­pa­thi­sche Figuren erschaffen

Kennst Du diese Figuren, die einem unsym­pa­thisch sein müssten, für die man aber doch eine Schwäche ent­wi­ckelt? Figuren, die am Anfang unsym­pa­thisch sind, später aber zu Freunden der Helden werden? Oder Figuren, die so unsym­pa­thisch sind, dass man das schon wieder fas­zi­nie­rend findet? Über all das spre­chen wir in diesem Artikel.

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Nicht jeder Unsym­path ist zu 100% als unsym­pa­thisch kon­zi­piert. Manche Unsym­pa­then sollen dem Leser im Ver­lauf der Geschichte sym­pa­thisch werden; andere sym­pa­thi­sche Figuren sollen dafür später den all­ge­meinen Hass auf sich ziehen. Und wie­derum andere Figuren wurden allein dafür geschaffen, um beim Leser Abscheu zu erregen.

Dass das Kon­zept nicht immer auf­geht, zeigen ins­be­son­dere solche Figuren wie Draco Malfoy aus dem Harry Potter-Fran­chise und Frollo aus Dis­neys Adap­tion von Victor Hugos Der Glöckner von Notre Dame. Beide wurden als has­sens­wert kon­zi­piert, erfreuen sich in der Rea­lität aber einer sehr großen Fan­base inklu­sive regel­rechter Fan­girl-Schwär­me­reien.

Wäh­rend wir im letzten Artikel dar­über gespro­chen haben, wie man Sym­pa­thie weckt, mischen wir heute den Punkt Anti­pa­thie bei. Wir über­legen, was eine Figur so richtig unsym­pa­thisch macht. Und dabei ver­tiefen wir unwei­ger­lich das Thema der Sym­pa­thie.

Die indi­vi­du­elle Wahr­neh­mung des Rezi­pi­enten

Bereits im vor­he­rigen Video habe ich den Faktor der Indi­vi­dua­lität des Rezi­pi­enten ange­spro­chen. Ein nicht unwe­sent­li­cher Teil dieser Indi­vi­dua­lität ist dabei das Alter. Um es mal an mir selbst zu demons­trieren:

Ich bin mit der sowje­ti­schen Semi-Musical-Ver­fil­mung der Drei Mus­ke­tiere auf­ge­wachsen. Als Kind habe ich ein­fach so hin­ge­nommen, dass Kar­dinal Riche­lieu der Gegen­spieler der „Guten“ und somit selbst „böse“ ist. Wie man das als Kind eben ein­fach so hin­nimmt. Wenn einem gesagt wird, dass die Hexe, die Königin oder der Riese böse ist, dann ist diese Figur eben böse und ver­ab­scheu­ungs­würdig.

Als ich dann etwas älter wurde, fiel mir auf, dass der sowje­ti­sche Riche­lieu ers­tens sehr gut­aus­se­hend ist, äußerst intel­li­gent sowieso, und weil der Film ein Musical ist, kann er auch gut singen und hat eine poe­ti­sche Ader. Ja, er ist intri­gant und ver­sucht sich an Anna von Öster­reich zu rächen, weil sie ihm einen Korb ver­passt hat, aber …

Sein Gegen­spieler, der Herzog von Buck­ingham, ist natür­lich eben­falls lei­den­schaft­lich-poe­tisch ver­an­lagt. Und auch, wenn d’Ar­ta­gnan und seine Freunde sich auf seine Seite schlagen, muss ich mitt­ler­weile sagen, dass er gegen­über Riche­lieu der noch grö­ßere Creep ist. In seinen Duett mit Anna von Öster­reich behauptet er wört­lich, Liebe sei wich­tiger als Wahr­heit, Frieden und Krieg und dass er die Politik von Groß­bri­tan­nien nach seinen roman­ti­schen Gefühlen gestaltet. Er zeigt sich bereit, mili­tä­risch vor­zu­gehen, um „in der Liebe Erfolg zu haben“. Und im Refrain des Duetts betont Anna immer wieder: „Ich habe nicht ‚Ja‘ gesagt, Mylord.“ Und er ant­wortet allen Ernstes: „Sie haben nicht ‚Nein‘ gesagt.“

Mit anderen Worten: Wäh­rend Riche­lieu ein­fach nur ein rach­süch­tiger, gekränkter Ver­ehrer ist, ist Buck­ingham bereit, für seine für seine pri­vaten Her­zens­an­ge­le­gen­heiten unzäh­lige Men­schen­leben zu opfern, und ist als Ver­ehrer äußerst auf­dring­lich und nimmt wenig Rück­sicht auf Annas Gefühle. Damit steht für mich per­sön­lich fest: Wenn ich zwi­schen Riche­lieu und Buck­ingham ent­scheiden müsste, wäre ich ein­deutig in Team Riche­lieu.

Was sehen wir also?

Im letzten Teil haben wir ange­spro­chen, dass jeder Leser eigene Vor­stel­lungen davon hat, welche Eigen­schaften beson­ders bewun­derns­wert und welche beson­ders ver­ab­scheu­ungs­würdig sind. Mit dieser Geschichte möchte ich ver­deut­li­chen,

dass die Indi­vi­dua­lität des Lesers sogar bestimmt, welche Eigen­schaften der Leser über­haupt erst wahr­nimmt.

Wie eben gezeigt, spielt das Alter des Publi­kums eine große Rolle. Einem Kind kann man noch eher mär­chen­haft böse Ant­ago­nisten vor­setzen als jemandem, der bereits kri­tisch hin­ter­fragt. Doch auch andere Fak­toren spielen eine Rolle — von ein­schlä­giger Lebens­er­fah­rung über den Bil­dungs­grad bis hin zum bloßen Vor­han­den­sein von Inter­esse am Hin­ter­fragen.

Unsym­pa­then sind oft inter­es­santer als Helden

Das Span­nende an Unsym­pa­then ist, dass sie oft inter­es­santer sind als die Helden. Des­wegen haben wir im letzten Teil bereits fest­ge­stellt, dass gerade Helden, die sym­pa­thisch sein sollen, Schwä­chen und Kanten haben sollten.

Unsym­pa­thisch kon­zi­pierte Figuren — egal, ob direkt Ant­ago­nisten oder ein­fach nur weniger rele­vante Neben­fi­guren — haben diese Kanten „von Natur aus“. Und wenn sie keine platten Mär­chen-Böse­wichte sind, dann haben sie auch Eigen­schaften, die wir all­ge­mein als „gut“ und sym­pa­thisch emp­finden.

Und je stärker der Kon­trast zwi­schen den „guten“ und „schlechten“ Eigen­schaften, desto fas­zi­nie­render ist der Unsym­path.

Wir brau­chen uns nur Figuren wie Han­nibal Lecter anzu­schauen. Er ist ein äußerst gefähr­li­cher Seri­en­mörder und Kan­ni­bale, der außerdem noch sein Wissen und seine Erfah­rung als Psych­iater als Waffe ein­setzen kann. Aber er ist ein hoch­in­ter­es­santer Gesprächs­partner, hat einen feinen Geschmack für Kunst und pflegt sehr hohe Stan­dards in Sachen Höf­lich­keit.

Sehr gut funk­tio­niert es, wenn der Unsym­path jemanden liebt. Wenn er all seine Greu­el­taten begeht, um jemanden zu beschützen oder zu retten. Oder wenn er selbst die­selben edlen Ziele ver­folgt wie der Held, nur dass er eben andere Mittel wählt.

Ein inter­es­santes Bei­spiel ist Ban­kotsu aus dem Inu­yasha-Fandom. Er ist ein Söldner, der ein­fach nur immer stärker werden will und Spaß am Töten hat. Aber er hat eine Truppe von ähn­lich blut­rüns­tigen Söld­nern auf­ge­stellt und man muss ihm zugute halten, dass er diesen Kame­raden ehr­lich und auf­richtig treu ergeben ist und Verrat nicht tole­riert. Er folgt durchaus einem Ehren­kodex, auch wenn dieser Kodex nur gegen­über seinen Kame­raden gilt.

Stellt man die Sicht­weise des Unsym­pa­then aber allzu ein­dring­lich dar, kann es mit­unter pas­sieren, dass zumin­dest einige Teile des Publi­kums für den Unsym­pa­then zu viel Empa­thie ent­wi­ckeln und sich auf seine Seite schlagen. Dass also genau das pas­siert, was John Truby in The Ana­tomy of Story für die Ent­wick­lung von Helden emp­fiehlt.

Ein bekanntes Bei­spiel ist Loki aus dem Marvel Cine­matic Uni­verse. Er hat eine sehr nach­voll­zieh­bare und Mit­ge­fühl erre­gende Hin­ter­grund­ge­schichte, und es liegt unter anderem an ihr, dass viele Fans ihn lieber mögen als bei­spiels­weise seinen Bruder Thor oder auch andere Helden des MCU.

Das Spiel mit Sym­pa­thien

Empa­thie für einen Unsym­pa­then wird oft natür­lich voll­kommen bewusst ein­ge­setzt. Manchmal sogar, um einen Ant­ago­nisten in einen Ver­bün­deten zu ver­wan­deln. Als jemand, der gerne Anime schaut, stol­pere ich beson­ders oft über dieses Kli­schee:

Der Held bekämpft einen mäch­tigen Gegner, das Publikum ist ebenso erzürnt wie er über die Ver­bre­chen dieses Geg­ners … Und dann, im Ver­lauf des Kampfes, den der Gegener natür­lich ver­liert, wird die Hin­ter­grund­ge­schichte dieses Geg­ners auf­ge­deckt und alle ent­wi­ckeln über­bor­dende Empa­thie für ihn. Bei vielen steigt er sogar zur Lieb­lings­figur auf. Und ab diesem Moment sind der Held und der Gegner enge Freunde und die Ver­gan­gen­heit ist ver­geben und ver­gessen.

Solche Bei­spiele zeigen beson­ders deut­lich, was bloße Infor­ma­tionen aus­ma­chen können. Es fällt leicht, jemanden zu ver­ab­scheuen, dessen Beweg­gründe man nicht kennt. Doch eine ergrei­fende Geschichte kann alles ändern. Und weil die Taten dieser fik­tiven Figur uns realen Men­schen keinen Schaden zufügen konnten, fällt es uns oft auch relativ ein­fach, über die frü­heren Ver­bre­chen hin­weg­zu­sehen.

Andeu­tungen und Zwei­deu­tig­keit

Und wenn man ein hin­ter­fra­gungs­freu­diges Publikum hat, können alleine schon Andeu­tungen und Zwei­deu­tig­keit die Empa­thie-Maschi­nerie im Kopf des Publi­kums in Gang setzen. Die Fans finden und/oder erfinden Erklä­rungen für das Ver­halten der Figur, inter­pre­tieren jede ein­zelne noch so kleine Hand­lung und glauben fel­sen­fest an das Beste in der Figur.

Wäh­rend solche Figuren in vielen Fällen sich nicht doch noch zum „Guten“ wenden — oder zumin­dest nicht in dem Ausmaß, in dem die Fans es sich viel­leicht gewünscht hätten, werden wie­derum andere auch ohne tra­gi­sche Hin­ter­grund­ge­schichte tat­säch­lich zu wert­vollen Ver­bün­deten.

Mein Bei­spiel ist an dieser Stelle Sess­ho­u­maru aus Inu­yasha, nach dem ich fan­girle seit ich 14 bin. Als er die ersten paar Male auf­ge­taucht ist, war er ein Ant­ago­nist. Man lernte ihn als kalten und arro­ganten Dämon kennen, der auf Men­schen her­ab­schaut und eigent­lich nur Stärke um der bloßen Stärke willen anstrebt. Nichts Kom­plexes oder Tra­gi­sches, aber wenn man seinen Hin­ter­grund anschaut, ist es für ihn als Dämon das Nor­malste der Welt, Men­schen zu ver­achten. Man kann es ihm also nicht wirk­lich zum Vor­wurf machen.

Umso inter­es­santer ist es daher, dass gerade er ein Schwert geerbt hat, das mit einem Streich hun­dert Tote — und damit auch Men­schen — wie­der­be­leben kann. Spä­tes­tens an diesem Punkt beginnt man als Fan­girl über eine mög­liche men­schen­freund­liche Seite an ihm zu spe­ku­lieren. Als er dann auch noch ein mensch­li­ches Kind quasi adop­tiert und dieses Kind ein inniges Ver­trau­en­ver­hältnis zu ihm auf­baut, brau­chen Fans wie ich keine Hin­ter­grund­ge­schichte mehr, um seine Figur zu lieben und zu hoffen, dass er letzt­end­lich auf der Seite der „Guten“ stehen wird. Und auch wenn Sess­ho­u­maru sich nie wirk­lich für die Hel­den­truppe erwärmt und immer seinen eigenen Weg geht, erweist er sich letzt­end­lich als mäch­tiger Ver­bün­deter und ent­wi­ckelt sich auch gene­rell zu einem mit­füh­len­deren Wesen. — Sehr zur Freunde von Fans wie mir, die jah­re­lang genau darauf gewartet haben.

Wirk­lich 100% Anti­pa­thie wecken

Wenn man sich aber nun anschaut, wie oft Fans sich unsym­pa­thi­sche Figuren, die im Ver­lauf der Geschichte auch kein biss­chen sym­pa­thi­scher werden, zurecht­in­ter­pre­tieren, fragt man sich:

Ist ein wirk­lich, wirk­lich, wirk­lich unsym­pa­thi­scher Unsym­path, den das Publikum gar nicht erst zurecht­biegen will, über­haupt mög­lich?

Ganz ehr­lich … Ich glaube, nein. In meiner Zeit als Fan­fic­tion-Autorin, ‑Leserin und Ope­rator auf Fanfiktion.de habe ich auf jeden Fall eines gelernt:

Selbst wenn Du Dir etwas nicht vor­stellen kannst (wie man zum Bei­spiel eine bestimmte Figur mögen könnte) — Das gibt es!
(Und wenn Du lange genug suchst, wirst Du es auch finden.)

Aber ich glaube, dass Figuren, die zumin­dest 99% des Publi­kums nicht leiden können, durchaus mög­lich sind.

Hier sind also einige Bei­spiele und Maß­nahmen, die ich — aus­ge­hend von meiner bis­he­rigen Erfah­rung — für effektiv halte:

Ganz kon­krete unver­zeih­liche Hand­lungen

Wenn wir von einem dunklen Lord lesen, der irgendein fernes Land, das nicht einmal wirk­lich exis­tiert, ver­sklaven will, dann ist das uns — seien wir ehr­lich — erstmal herz­lich egal.

Wenn die Hand­lungen des dunklen Lords aber lieb­ge­won­nenen Figuren, mit denen wir Leser sym­pa­thi­sieren, ganz per­sön­lich etwas tun … Dann gibt es für viele von uns keine Ent­schul­di­gung.

Es gilt also klas­si­sches „Show, don’t tell“. Sag nicht nur, dass der Unsym­path böse ist, son­dern lass ihn die kom­plette Familie des Prot­ago­nisten fol­tern und beschreibe es in so abar­tigen Ein­zel­heiten wie das Alter Deiner Ziel­gruppe es zulässt. Und selbst wenn Dein Unsym­path nicht gewalt­tätig ist, gilt das strenge Prinzip:

Mach es per­sön­lich.

Ein Bei­spiel, das diesen Sach­ver­halt beson­ders gut illus­triert, ist eine Figur namens Nazeem in The Elder Scrolls V: Skyrim. Nazeem ist nicht einmal gewalt­tätig und/oder kri­mi­nell. Er ist ein­fach nur arro­gant. Und wer diese Arro­ganz unter anderem zu spüren bekommt, ist die Figur des Spie­lers — also nicht ein­fach nur eine Figur, mit der man sym­pa­thi­siert, son­dern mit der man sich auch noch iden­ti­fi­ziert. Und wäh­rend Skyrim voll ist von Ban­diten, Untoten und Dämonen, die die Spie­ler­figur töten wollen, ist der eigent­lich harm­lose Nazeem, dessen Arro­ganz man aber ziem­lich pene­trant zu spüren bekommt, die wohl ver­hass­teste Figur im ganzen Spiel.

Beson­ders wirksam sind hier übri­gens Dinge, auf die unsere aktu­elle Gesell­schaft über­durch­schnitt­lich stark reagiert: Gewalt gegen Tiere, Ras­sismus und all die Dinge, die in den Schlag­zeilen der Bild-Zei­tung landen. — Kein Witz! Die Redak­teure der Bild wissen ganz genau, worauf Men­schen beson­ders stark reagieren.

Auch dafür lie­fert Skyrim ein Bei­spiel:

Him­mels­rand, das Land, in dem das Spiel ange­sie­delt ist, wird von einem Bür­ger­krieg zer­rissen. Auf der einen Seite steht das eigent­lich recht inklu­sive Kai­ser­reich, das aber einen Krieg gegen die Thalmor hinter sich hat und nun im Zuge eines Frie­dens­ver­trages das Verbot einer bestimmten Gott­heit dur­setzen muss. Auf der anderen Seite sind die Sturm­mäntel, die diese ver­bo­tene Gott­heit wei­terhin ver­ehren wollen.

Mein Ein­druck ist, dass die meisten Spieler sich auf die Seite des Kai­ser­reichs stellen. — Warum? Weil die Sturm­mäntel auch der Mei­nung sind, dass Him­mels­rand nur der Men­schen­rasse der soge­nannten Nord gehören sollte und die Ange­hö­rigen anderer Rassen in ihrer eigenen Haupt­stadt ent­weder in Ghettos ver­bannen oder gar nicht erst in die Stadt lassen. Sicher­lich sind die Thalmor, deren Willen sich das Kai­ser­reich beugen muss, selbst ziem­lich ras­sis­ti­sche Hoch­elfen, die die Herr­schaft über die Men­schen ergreifen wollen, aber es besteht zumin­dest die Hoff­nung, dass ein starkes Kai­ser­reich sie irgend­wann doch noch besiegen wird.

Gene­rell ist die Abnei­gung gegen die Thalmor und die Sturm­mäntel glei­cher­maßen sehr hoch. Und dass die meisten Sym­pa­thien haupt­säch­lich beim Kai­ser­reich liegen, zeigt, dass die meisten Spieler dem Ras­sismus buch­stän­lich den Kampf erklären.

Ent­mensch­li­chung

Wir haben ja bereits gesehen, was Ver­ständnis und Empa­thie für einen Unsym­pa­then alles aus­richten können. Der Umkehr­schluss lautet:

Ver­hin­dere um jeden Preis, dass das Publikum den Unsym­pa­then ver­stehen kann oder auch nur will.

Aber … Führt das nicht zu platten Disney-Böse­wichten?

Nicht zwangs­läufig:

Disney-Böse­wichte haben ihre wit­zigen Momente, sie singen und ihre Mis­se­taten sind oft ziem­lich los­ge­löst von der Rea­lität.

Anders ver­hält es sich mit Figuren wie Joffrey Bar­a­theon und Ramsay Bolton aus Das Lied von Eis und Feuer bzw. Game of Thrones. Beides sind Sadisten, die anschei­nend mit einer bereits ziem­lich kaputten Psyche auf die Welt gekommen sind. In ihrer Geschichte tun sie kaum etwas anderes als grausam zu sein und es gibt keine wirk­lich zufrie­den­stel­lende Erklä­rung für das, was sie tun. Als psy­chisch gesunder Mensch kann man das nicht nach­voll­ziehen und mit größter Wahr­schein­lich­keit will man das auch nicht.

An dieser Stelle aber auch eine War­nung:

Ja, psy­chisch gestörte Men­schen sind aus gutem Grund beliebte Ant­ago­nisten. Doch die meisten realen geistig kranken Men­schen mutieren nicht zu sol­chen Mons­tern, müssen aber unter dem Kli­schee leiden. Daher bitte, bitte Vor­sicht, wenn Du diesen Weg gehst!

Eine Alter­na­tive sind natür­lich Unsym­pa­then, die ganz buch­stäb­lich nicht mensch­lich sind: Monster, Aliens, Maschinen … Ich denke, hier sind keine Bei­spiele nötig.

Ver­mensch­li­chung

Weitaus kom­ple­xere Unsym­pa­then sind jede, deren Hand­lungen wir bis zu einem gewissen Grad nach­voll­ziehen, aber nicht ent­schul­digen können.

Um beim Lied von Eis und Feuer zu bleiben:

Cersei Lan­nister ist für den Groß­teil ihrer Geschichte vor allem eine Mutter, die mit allen Mit­teln ihre Kinder zu beschützen ver­sucht. Außerdem geht es oft auch um ihr eigenes Leben und/oder Wohl­ergehen. Es gibt sogar Momente, in denen man Mit­leid mit ihr hat. Wir können in der Regel sehr gut ver­stehen, warum sie tut, was sie tut. Aber ich denke, wir können uns alle einigen, dass sie es in der Regel zu weit treibt. Ihre Mittel sind stets Mani­pu­la­tion und rohe Gewalt. Sie han­delt nicht so, wie die meisten von uns han­deln würden. Und des­wegen hält sich unsere Empa­thie für sie eher in Grenzen und wir schlagen uns lieber auf die Seite ihrer Feinde.

Ein nahezu mit­leid­erre­gendes Bei­spiel ist hin­gegen Com­modus aus dem Film Gla­diator:

Es wird deut­lich, dass er sich nichts sehn­li­cher wünscht als geliebt zu werden. Von seiner Familie, von seinem Volk … Und wir alle kennen diesen Her­zens­wunsch und würden zwei­fellos mit ihm mit­fühlen, wenn er nicht der Kaiser von Rom wäre und als sol­cher nicht mit Gewalt und Hin­ter­häl­tig­keit ver­su­chen würde, die Men­schen seinem Willen zu beugen. Er hat zwar ein äußerst ver­ständ­li­ches Begehren, scheint aber ehr­lich und auf­richtig nicht zu wissen, wie es anders geht. — Wie gesagt, er ist eine bemit­lei­dens­werte Kreatur, ein trau­riges Kind im Körper eines römi­schen Kai­sers. Allein die Macht und die Mög­lich­keiten, die seiner Unreife und Inkom­pe­tenz zur Ver­fü­gung stehen, und die daraus resul­tie­rende Gefähr­lich­keit machen ihn zu einem rich­tigen Unsym­pa­then.

Für diese beiden Bei­spiele ist bezeich­nend,

dass solche Unsym­pa­then in der Rea­lität tat­säch­lich vor­kommen.

Daher haben wir oft auch die ein oder andere per­sön­liche Erfah­rung, die unsere Anti­pa­thie anheizt. Schließ­lich haben wir selbst oder Men­schen, die wir kennen, von Zeit­ge­nossen dieser Art schon das ein oder andere Mal per­sön­lich etwas zu spüren bekommen.

Lie­be­voll hassen

Wie bringen wir das Thema also zum Abschluss?

Ich hoffe, die unbe­ab­sich­tigte Beliebt­heit von Figuren wie Draco Malfoy und Frollo erklärt sich nach diesem Artikel von selbst.

Außerdem fällt auf, dass gut gemachte 99%-Unsympathen sich oft durchaus gerade als solche einer großen Beliebt­heit erfreuen. Ja, das Publikum hasst sie abgrund­tief und feiert, wenn sie ihr Ende finden. Doch genau dafür liebt man sie auch. Man liebt es, sie zu hassen. - Und das ist es, was sie von Figuren unter­scheidet, die ein­fach schlecht gemacht sind und das Publikum nur nerven:

Ein richtig guter Unsym­path ist immer noch vor allem eine gut her­aus­ge­ar­bei­tete Figur.

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