Motive in Geschichten einsetzen

Motive in Geschichten einsetzen

Motive machen eine Erzäh­lung vielschichtiger. Doch was sind sie über­haupt und wie funk­tion­ieren sie? Wie set­zen wir sie in unseren eige­nen Geschicht­en ein? Was müssen wir beacht­en? — Darüber sprechen wir in diesem Artikel.

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Motive. — Das sind diese geheimnisvollen, schein­bar ungreif­baren Ele­mente, die ange­blich den kün­st­lerischen Wert ein­er Geschichte steigern. Doch was sind Motive über­haupt? Wie erken­nt man sie und wie baut man sie in eigene Werke ein? Und wozu genau existieren sie? — Das schauen wir uns heute an!

Definition

Unter einem Motiv ver­ste­ht man ein wiederkehren­des Ele­ment, das das The­ma ein­er Geschichte stützt. Nor­maler­weise taucht es im Ver­lauf der ganzen Geschichte auf, in der Regel dreimal oder öfter. Dabei kann es sich auch verän­dern und somit die Zus­tandsverän­derung in der Geschichte ver­an­schaulichen.

Was bedeutet das also?

Bes­timmt ist Dir aufge­fall­en, dass es in Geschicht­en immer wieder etwas gibt, das sich wieder­holt. Es kann ein Gegen­stand sein, der immer wieder auf­taucht, ein bes­timmtes Wort oder ein Spruch, den die Fig­uren ständig machen, eine bes­timmte Farbe, die sich pen­e­trant durch das ganze Set­ting zieht, ein Geräusch, eine Hand­lung der Fig­uren …

Weil ein Motiv alles Mögliche sein kann, ist es vielle­icht etwas schwierig zu definieren. Aber wenn man mit offe­nen Augen durch die Welt des Sto­ry­tellings geht, bemerkt man zum Beispiel,

dass in Dos­to­jew­skis Ver­brechen und Strafe bzw. Schuld und Sühne die Farbe Gelb sehr präsent ist: Die Tape­ten in den Woh­nun­gen sind gelb, die Möbel sind gelb, die Gesichter der Fig­uren sind gelb … In diesem Roman beschreibt Dos­to­jew­s­ki sehr detail­liert die Armut im St. Peters­burg des 19. Jahrhun­derts und das Gelb ist hier von eher krän­klich­er Natur und repräsen­tiert Armut, Ver­fall und Leid. Damit trägt es zur deprim­ieren­den Gesamt­stim­mung des Romans bei.

Ein opti­mistis­cheres Beispiel ist der Sit­tich in der Liebesgeschichte Torado­ra!, der als Run­ning Gag fungiert: Inko schafft es ein­fach nicht, ihren Namen auszus­prechen, dafür aber völ­lig andere Wörter, die viel kom­pliziert­er sind. Erst am Ende, als die bei­den Haupt­fig­uren endlich ein Paar wer­den, kriegt Inko ihren Namen auf die Rei­he. Somit spiegelt Inkos Fähigkeit, ihren Namen auszus­prechen, den Beziehungssta­tus der bei­den Haupt­fig­uren.

Wie Du bei bei­den Beispie­len sehen kannst, existiert die Wieder­hol­ung nicht ein­fach so, son­dern ist, wie es sich für ein Motiv eben gehört, an das zen­trale The­ma gekop­pelt, näm­lich Armut bzw. Liebe. Während die Farbe Gelb bei Dos­to­jew­s­ki jedoch vor allem der Atmo­sphäre und dem World-Build­ing dient, sprich: der real­is­tis­chen Darstel­lung der katas­trophalen Lebensver­hält­nisse der Fig­uren, hat die Entwick­lung des Motivs in Torado­ra! vor allem eine emo­tionale Wirkung, da sie sub­til die Freude für die bei­den Haupt­fig­uren ver­stärkt.

Mit anderen Worten:

Motive machen eine Erzäh­lung vielschichtiger.

Es wird nicht nur stu­pide herun­terg­er­at­tert, was passiert, son­dern das zen­trale The­ma und seine Entwick­lung wer­den auch auf anderen Ebe­nen sicht- und spür­bar.

Kulturelle Motive

Natür­lich existieren Motive aber nicht nur inner­halb ihres jew­eili­gen Werks, son­dern gerne auch kul­turüber­greifend. Und Du kennst sie: Das sind Ele­mente, die in ver­schiede­nen Geschicht­en immer wieder auf­tauchen, beispiel­sweise der Dop­pel­gänger, das Liebes­dreieck, zwei Brüder als Rivalen, wobei ein­er den anderen auch noch umbringt …

Und ja, wir bewe­gen uns hier im Bere­ich der Arche­typen und Klis­chees. Diese sind nicht zwangsläu­fig Motive, weil sie nicht immer “aufge­laden” sind bzw. mit dem zen­tralen The­ma ein­er Geschichte zu tun haben; aber weil Motive ja alles Mögliche sein kön­nen, sind auch Arche­typen und Klis­chees keine Aus­nahme.

Sagen wir es mal so:

Wenn Dein Pro­tag­o­nist ein­er anderen Fig­ur begeg­net, die ihm sehr ähn­lich sieht, es aber keine weit­ere Bedeu­tung hat, dann ist das kein Motiv. Wenn der Dop­pel­gänger allerd­ings eine zen­trale — und meis­tens dun­kle — Eigen­schaft des Pro­tag­o­nis­ten verkör­pert oder das genaue Gegen­teil von ihm darstellt, dann sollte man hell­hörig wer­den.

Oder: Wenn irgend­wo im Hin­ter­grund ein Liebes­dreieck vor sich hin plätschert, dann ist das wahrschein­lich kein Motiv. Aber wenn der Pro­tag­o­nist sich in einem Liebes­dreieck wiederfind­et und es auch noch der Dreh- und Angelpunkt der Erzäh­lung ist, dann ist das garantiert ein Motiv.

Was diese kul­turellen Motive erschaf­fen, ist ein inter­textueller Kon­text. Denn Motive fungieren ähn­lich wie Hash­tags in den sozialen Medi­en: Sie verknüpfen Dinge, die zusam­menge­hören, und erschaf­fen einen größeren Zusam­men­hang. — Gelbe Tapete ist zum Beispiel nichts weit­er als gelbe Tapete, bis einem auf­fällt, dass die Farbe Gelb sehr oft vorkommt und mit Armut und Elend zu tun hat. Und ein Liebes­dreieck ist zunächst nur ein Liebes­dreieck, bis man auch noch zwanzig­tausend andere Geschicht­en mit Liebes­dreieck­en gele­sen hat, wobei jede ide­al­er­weise eine neue Facette darstellt, ähn­lich wie wenn man unter einem einzi­gen Hash­tag viele ver­schiedene Mei­n­un­gen zu einem The­ma antrifft.

Ob die Autoren es also beab­sichti­gen oder nicht, tra­gen sie mit den Motiv­en in ihren Geschicht­en zum kul­turellen Diskurs bei.

Um mal ein Beispiel von der KreativCrew zu klauen:

Der Bad­boy, der sich von einem braven Mäd­chen “zäh­men” lässt, ist ein beliebtes Motiv. Und als solch­es ist es zunächst neu­tral. Doch wie das KreativCrew-Mit­glied, das dieses Beispiel ange­bracht hat, meinte, kann es auch gefährlich wer­den: näm­lich dann, wenn junge Mäd­chen zu viele solch­er Geschicht­en kon­sum­ieren und sich auf miss­bräuch­liche Beziehun­gen ein­lassen, weil sie meinen, sie kön­nten ihren Bad­boy umerziehen.

Als Autor kann man mit diesem Motiv jedoch unendlich kreativ wer­den: So wird im Film bzw. Musi­cal Grease der Junge zwar zah­mer, aber auch das brave Mäd­chen verän­dert sich und wird sog­ar zum “Bad­girl”. Nun kann man, je nach­dem, wie man die Geschichte inter­pretiert, kri­tisieren, dass hier propagiert wird, man solle sich für seinen Love-Inter­est verän­dern. — Was kann man also machen? Abge­se­hen davon, dass man solche Motive umkehren kann (braver Junge, rebel­lis­ches Mäd­chen), sind auch ander­weit­ige Manip­u­la­tio­nen möglich, zum Beispiel wenn das brave Mäd­chen ein­sieht, dass der Bad­boy ihr schadet und ihn ver­lässt. Durch das gemein­same Motiv — Bad­boy und braves Mäd­chen — rei­ht sich eine solche Geschichte in den Kon­text der ver­her­rlichen­den Darstel­lun­gen ein und kri­tisiert sie.

Abgrenzungen

Doch nicht nur zu den Arche­typen und Klis­chees ist der Über­gang fließend. Denn der Begriff selb­st bringt bere­its Ver­wech­slungspo­ten­tial mit sich: Während es im Englis­chen die Begriffe motif und motive gibt, hat das deutsche Wort “Motiv” bei­de Bedeu­tun­gen. Das englis­che motive ist dabei das Motiv im Sinne von Beweg­grund bzw. Moti­va­tion. Und über die Moti­va­tion von Fig­uren haben wir schon an ander­er Stelle gesprochen, daher verzichte ich hier auf eine Erk­lärung. Das Motiv, über das wir in diesem Artikel reden, ist das englis­che motif.

Auch ist der Unter­schied zum The­ma selb­st nicht immer klar — vor allem, wenn das Motiv nicht sehr abstrakt ist. Zum Beispiel, wenn es darum geht, dass eine Fig­ur Selb­st­be­wusst­sein auf­bauen muss und ständig jam­mert: “Ich kann das nicht!” Hier ist das Selb­st­be­wusst­sein das The­ma, also das, worum es geht, und das Motiv — der sich ständig wieder­holende Spruch — dient nur der Unter­stützung, hier indem er das The­ma in eine konkrete Form bringt und das fehlende Selb­st­be­wusst­sein greif­bar macht.

Beson­ders starke Über­schnei­dun­gen gibt es mit dem Sym­bol. Grund­sät­zlich ist ein Sym­bol ein­fach nur etwas, das für etwas anderes ste­ht, siehe meine Rei­he zu rhetorischen Stilmit­teln. Nor­maler­weise ist ein Sym­bol auch kein­er Verän­derung unter­wor­fen: Die Taube als Sym­bol für den Frieden bleibt ein Sym­bol für den Frieden, egal, wie man es dreht oder wen­det. Gle­ichzeit­ig — und das ist das Schwierige — kann ein Sym­bol dur­chaus als Motiv fungieren.

Nehmen wir zum Beispiel unsere fik­tive Hand­lung aus dem Artikel über das Entwick­eln eines Plots mit der Drei-Akt-Struk­tur: Sagen wir mal, das Team, das die Welt ret­ten soll, ist inter­na­tion­al und bei der Bedro­hung han­delt es sich um eine Alien­in­va­sion. Als das inter­na­tionale Team im ersten Akt also scheit­ert, weil alle zer­strit­ten sind, dann repräsen­tiert das die Zer­strit­ten­heit der Natio­nen unser­er Welt. Und um das noch sicht­bar­er auszu­drück­en, kön­nte man inmit­ten der Zer­störung am Ende des ersten Aktes die Aufmerk­samkeit auf eine tote Taube lenken: Der Frieden zwis­chen den Natio­nen unser­er Welt ist tot und deswe­gen sind wir dem Unter­gang gewei­ht. Als das Team dann im Ver­lauf des zweit­en Aktes seine inter­nen Kon­flik­te allmäh­lich auflöst, kön­nte man hin und wieder das Fiepen von Taubenküken draußen vor dem Fen­ster des Haup­tquartiers ein­brin­gen. Am Ende, als das inter­na­tionale Team sich als Fam­i­lie begreift und den Feind besiegt, fliegen die nun aus­gewach­se­nen Küken über den Him­mel: Die Repräsen­tan­ten ver­schieden­er Natio­nen haben Empathie füreinan­der entwick­elt und gemein­sam die Welt gerettet — es gibt eine Chance für den Welt­frieden.

Schließlich wer­fen auch unzeitliche Verknüp­fun­gen Fra­gen nach der Abgren­zung auf. Eine unzeitliche Verknüp­fung ist eine Verbindung von zwei oder mehr Ele­menten durch Ähn­lichkeit oder Unter­schied. Wir haben bere­its im Artikel über die Rep­e­ti­tio darüber gesprochen. Und während ich nicht behaupten würde, dass die unzeitliche Verknüp­fung und das Motiv das­selbe sind, halte ich es auch nicht für notwendig, eine klare Gren­ze zu ziehen: Denn in vie­len konkreten Fällen sind sie tat­säch­lich das­selbe. Ein Motiv verknüpft ver­schiedene Stellen ein­er Erzäh­lung miteinan­der auf unzeitliche Weise — und ist somit eine unzeitliche Verknüp­fung. Bloß gilt das nicht umgekehrt:

In der Assassin’s‑Creed-Rei­he zum Beispiel haben mehrere Fig­uren eine Narbe auf der Lippe. Sie verbindet vor allem die Pro­tag­o­nis­ten der ersten Spiele miteinan­der. Abge­se­hen von dieser bloßen Verbindung scheint die Narbe allerd­ings keine tief­ere Bedeu­tung zu haben, zumal ihre Ver­wen­dung auch nicht kon­se­quent ist. Sie ist also dur­chaus eine unzeitliche Verknüp­fung, aber kein Motiv.

Motive einsetzen

Um also kurz zusam­men­z­u­fassen:

Motive machen eine Erzäh­lung vielschichtiger und ver­stärken so ihre emo­tionale Wirkung.

Mit anderen Worten: Motive sind fan­cy! Man kann sie pas­siv genießen — oder man kann sie auch aktiv intellek­tuell analysieren und in die eigene Inter­pre­ta­tion eines Werkes ein­beziehen. Deswe­gen wer­den Erzäh­lun­gen, die mit Motiv­en arbeit­en, gerne — und oft auch zu Recht — als anspruchsvoller und qual­i­ta­tiv hochw­er­tiger wahrgenom­men.

Von diesem Kuchen wollen wir natür­lich etwas abhaben und fra­gen uns daher: Wie kön­nen wir selb­st in unseren Werken Motive ein­set­zen?

Sicher­lich kommt meine Sicht der Dinge von mein­er Pantser­natur, wird für die Plot­ter also vielle­icht nicht gut passen, aber

ich per­sön­lich halte nichts davon, Motive zu erzwin­gen.

Denn auch wenn Motive grund­sät­zlich eine Erzäh­lung aufw­erten kön­nen, braucht nicht jede Geschichte Motive und kein Motiv ist bess­er als ein aus den Fin­gern gesaugtes, das dem Leser auch noch aggres­siv unter die Nase gerieben wird.

Die besten — das heißt: effek­tivsten — Motive entste­hen meinen Beobach­tun­gen nach eher von selb­st:

So hat J. K. Rowl­ing, Inter­views nach zu urteilen, nicht allzu bewusst die vie­len Vater­fig­uren in den Har­ry-Pot­ter-Büch­ern erschaf­fen. Und anschließend ermordet. Sie selb­st erzählt von einem prob­lema­tis­chen Ver­hält­nis zu ihrem eige­nen Vater und auch wenn Sir­ius Black, Albus Dum­b­le­dore und Remus Lupin eher ide­al­isierte Fig­uren sind, ver­schwinden sie nach und nach aus Har­rys Leben. Doch am Ende, im Epi­log, ist Har­ry selb­st Vater und es passt zum zen­tralen The­ma der Rei­he, näm­lich dem Erwach­sen­wer­den. Auf ein­er tief­er­en Ebene geht es aber anscheinend auch um das Über­winden ein­er trau­ma­tis­chen Ver­gan­gen­heit.

Das ist ein­er der Gründe, warum das Schreiben gerne als See­len­striptease beze­ich­net wird: Ohne dass wir es bewusst wahrnehmen, sick­ert unser Innen­leben mit­samt all sein­er Schat­ten­seit­en in unsere Werke, durchtränkt sie und so kommt es zu sich wieder­holen­den Ele­menten, die wir Autoren oft erst im Nach­hinein bemerken.

Ich würde daher empfehlen, es ein­fach geschehen zu lassen und erst später, vielle­icht mit­ten im Schreibprozess, zu schauen, ob man unbe­wusst etwas einge­baut hat. Und wenn man etwas ent­deckt, kann man damit etwas bewusster weit­er­ar­beit­en und anhand der Prämisse über­legen, wie das Motiv sich entwick­eln soll.

Das­selbe gilt auch, wenn man von vorn­here­in Ideen hat, welche Motive man ein­bauen möchte. Denn zwar bin ich dage­gen, sich etwas aus den Fin­gern zu saugen, aber manch­mal hat man schon während des Plot­tens wun­der­schöne Ein­fälle. Und wenn sie als Motive funk­tion­ieren sollen, müssen sie natür­lich an das zen­trale The­ma und damit auch an die Prämisse gekop­pelt sein. — Wie das aber genau ausse­hen soll, musst Du Dir für Dein indi­vidu­elles Werk ganz indi­vidu­ell über­legen.

Motive gekonnt einsetzen

Nun ist es schön und gut, Motive im Kopf her­auszuar­beit­en. — Doch wie sorgt man dafür, dass sie beim Leser auch bewirken, was sie sollen, dabei aber nicht nervig oder zu kom­pliziert wer­den?

Meine erste Empfehlung wäre: Entspann Dich! Wenn Deine Leser die Motive nicht bewusst wahrnehmen, ist das kein Dra­ma. Nur ein Bruchteil aller Leser achtet tat­säch­lich auf solche Dinge. Deswe­gen, würde ich sagen, wirken Motive meis­tens eher auf unter­be­wusster Ebene: Mit dem Kopf nehmen wir Har­rys Vater­fig­uren vielle­icht nicht wahr — oder erst, wenn jemand uns expliz­it darauf hin­weist; aber auf der rein emo­tionalen Ebene trägt die Entwick­lung um die Vater­fig­uren dazu bei, dass wir Har­rys Reife­prozess inten­siv­er fühlen. Und wenn das funk­tion­iert, dann ist das Motiv gelun­gen.

Nun kann aber natür­lich auch das Gegen­teil passieren, näm­lich dass die Motive so expliz­it einge­bracht wer­den, dass man sie ein­fach nicht überse­hen kann. Das ist in der Regel sehr nervig, denn nie­mand will einen Text lesen, in dem alles schre­it: “Hier, schau, ein Motiv! Und hier noch eins! Siehst Du, wie hier alles voller Motive ist? Denk nach, analysiere sie und bewun­dere meine über­bor­dende Intel­li­genz! — Ach ja, habe ich schon erwäh­nt, dass mein Text voller Motive ist?”

Damit ein Motiv ein solch­es ist, sollte man es natür­lich min­destens dreimal wieder­holen. Allerd­ings soll­test Du Deine Motive trotz­dem sparsam ein­set­zen — d. h. nur dann, wenn die Motive tat­säch­lich zur jew­eili­gen Textstelle etwas beitra­gen. Wenn ein Motiv nichts beiträgt, außer ein Motiv zu sein, dann lass es an der entsprechen­den Stelle lieber weg. Frage not­falls Deine Testleser, ob die Motive nicht zu pen­e­trant sind.

Anson­sten kommt es natür­lich auch darauf an, wie man die Motive ver­packt. So fällt die Farbe Gelb in Ver­brechen und Strafe dur­chaus auf, ste­ht aber nicht im Vorder­grund und tritt gerne in Kom­bi­na­tion mit anderen Merk­malen auf: Die gelbe Tapete zum Beispiel hat vielle­icht weiße Blüm­chen und das Gesicht der jew­eili­gen Fig­ur ist nicht ein­fach nur gelb, son­dern blässlich gelb. Oder das Motiv drängt sich dur­chaus in den Vorder­grund, hat dabei aber eine pos­i­tive Wirkung auf den Rezip­i­en­ten, zum Beispiel wenn es — wie in Torado­ra! - als willkommen­er Run­ning Gag fungiert.

Motive und Missverständnisse

Eine Gefahr, vor der Dich jedoch nichts wirk­lich schützen kann, sind Missver­ständ­nisse. Denn was ich bere­its im Artikel über Gewalt ange­sprochen habe, gilt lei­der auch hier:

Du kannst nicht vorherse­hen, was für ver­drehte Flausen Deine späteren Leser in ihren Köpfen haben wer­den.

Ein inter­es­santes Beispiel ist der Film Suck­er Punch. Die Mei­n­un­gen über ihn sind sehr ges­pal­ten und das ist ein­er der Werke, bei denen einge­fleis­chte Fans argu­men­tieren, dass Kri­tik­er es ein­fach nicht ver­standen haben. Natür­lich glauben die Kri­tik­er selb­st, dass sie Suck­er Punch ver­ste­hen, aber wenn ich mir zum Beispiel die Kri­tik von Doug Walk­er (Nos­tal­gia Crit­ic) anse­he, dann habe ich den Ein­druck, dass er tat­säch­lich nur die ober­ste Schicht der Sym­bole und Motive ver­standen hat, aber nicht die noch viel tief­er­en Bedeu­tun­gen:

Wenn er zum Beispiel Baby Doll als per­sön­lichkeit­s­los kri­tisiert, dann würde ich gerne auf das zen­trale Motiv der Träume ver­weisen und behaupten, dass Baby Doll keine kom­plexe Per­sön­lichkeit braucht, weil sie ein aus­gedacht­es Alter Ego von Sweet Pea ist. Die Ebene, die Doug Walk­er für die Real­ität hält, ist über­wiegend auch nur ein Traum bzw. find­et im Kopf der eigentlichen Pro­tag­o­nistin (Sweet Pea) statt. Es geht in dem Film eben nicht um einen buch­stäblichen Aus­bruch aus ein­er Ner­ven­heilanstalt, son­dern um das Erlan­gen von inner­er Frei­heit.

Link-Empfehlun­gen:

Ich würde sagen, Suck­er Punch ist ein kün­st­lerisch höchst anspruchsvoller und emo­tion­al mitreißen­der Film mit sehr viel Tief­gang. Aber den vie­len neg­a­tiv­en Kri­tiken nach zu urteilen ist er auch kom­pliziert­er, als ihm gut­tut. Denn:

Es ist schwierig, Deine Botschaft an den Rezip­i­en­ten zu brin­gen, wenn er Deine Sprache nicht ver­ste­ht.

Das Prob­lem mit der Kom­plex­ität ist, dass der Rezip­i­ent auch nicht alles bis ins kle­in­ste Detail vorgekaut bekom­men möchte. Die per­fek­te Bal­ance zwis­chen “zu kom­pliziert” und “zu ein­fach” zu find­en ist schw­er und hängt auch stark von der jew­eili­gen Ziel­gruppe, dem Genre und dem Mar­ket­ing ab. Deswe­gen kann ich auch keine Regeln aufzählen, mit denen man eine solche Bal­ance auf jeden Fall hin­bekommt.

Ein paar all­ge­meine Richtlin­ien möchte ich aber den­noch for­mulieren:

  • Weil ich bezwei­fle, dass man eine ide­ale Anzahl von Motiv­en nen­nen kann, empfehle ich das Prinzip: Weniger ist mehr.
  • Am besten, Du konzen­tri­erst Dich auf die Motive, die ohne­hin von alleine entste­hen, und ver­suchst nicht, krampfhaft noch andere Motive und Sym­bole an den Haaren her­beizuziehen.
  • Achte außer­dem bei Deinen Testle­sern darauf, ob sie Deine Motive wahrnehmen und wie sie sie ver­ste­hen. Und wenn es mehrheitlich zu gravieren­den Missver­ständ­nis­sen kommt, dann passe Deine Erzäh­lung an bzw. mache sie etwas ver­ständlich­er.

Anson­sten ist es auch kein Prob­lem, wenn Du Deine Erzäh­lung trotz allem so kom­pliziert machen möcht­est wie Suck­er Punch. Auch solche Werke haben eine Exis­tenzberech­ti­gung — ich und eine Menge ander­er Zuschauer auch haben diesen Film sehr genossen und sind froh, dass er existiert. Mache Dich in einem solchen Fall aber darauf gefasst, dass Du von der Mehrheit mas­siv missver­standen wirst.

Schlusswort

So viel also zu Motiv­en. Ich hoffe, ich kon­nte diesen Begriff ver­ständlich erläutern und ein paar wertvolle Tipps und Anre­gun­gen geben. Und natür­lich wün­sche ich Dir viel Spaß beim Hochschrauben des lit­er­arischen Anspruchs Dein­er Werke!

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