Info-Dump ver­meiden: Expo­si­tion, World-Buil­ding und Info-Dum­ping

Info-Dump ver­meiden: Expo­si­tion, World-Buil­ding und Info-Dum­ping

Erschafft man in seinem Roman eine Fan­tasy-Welt, muss man dem Leser auch erklären, wie sie funk­tio­niert. Wie betreibt man also World-Buil­ding, ohne den Leser mit aus­führ­li­chen Expo­si­tionen bzw. Info-Dump zu über­for­dern?

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Wojciech Kossak: Hetman Żółkiewski mit der Hussaria
Wojciech Kossak: Hetman Żółkiewski z huss­arią.

Aus aktu­ellem Anlass: Gerade schreibe ich an einem Roman­pro­jekt und die Geschichte spielt in einer Fan­tasy-Welt. Diese ist an die Frühe Neu­zeit ange­lehnt und ent­hält unter anderem Ein­flüsse aus dem ost­eu­ro­päi­schen Raum.

Daraus ergibt sich ein Pro­blem: Fan­tasy-Welten sind gene­rell anders gestrickt als die Welt, die der Leser kennt. Viele Fan­tasy-Welten sind dem Leser zwar durch bestimmte Main­stream-Normen bereits ver­traut (zum Bei­spiel das Pseudo-Mit­tel­alter oder die nor­disch-ger­ma­ni­schen  und kel­ti­schen Kul­turen als Inspi­ra­ti­ons­quelle), aber selbst das ist bei mir nicht der Fall.

Der poten­zi­elle Leser ist mit dem Set­ting also über­haupt nicht ver­traut. Wie führe ich ihn also ein?

Die Nach­teile von Info-Dump

Natür­lich kann ich ganz frontal erklären, was wie funk­tio­niert, wer mit wem und warum … Aber da besteht die Gefahr von Info-Dump:

Info-Dump ent­steht, wenn der Autor Hin­ter­grund­in­for­ma­tionen (zum Bei­spiel zwecks Expo­si­tion, d.h. Ein­füh­rung des Lesers in die fik­tive Welt) ein­fach in die Geschichte „hin­knallt“, indem er den Erzähler oder eine Figur frontal dar­über refe­rieren lässt. Der Leser muss sich dann durch diese langen Erklä­rungen durch­wühlen wie durch eine Bedie­nungs­an­lei­tung.

Info-Dump hat viele mas­sive Nach­teile:

  • Zu viele Infor­ma­tionen auf einen Schlag sind schwer zu ver­dauen.
  • Der Leser wird mit größter Wahr­schein­lich­keit kaum etwas davon behalten.
  • Die Erzäh­lung muss pau­sieren, wäh­rend die Hin­ter­grund­in­for­ma­tionen ver­mit­telt werden.
  • Unter anderem des­wegen wirken Info-Dumps auf viele Leser abschre­ckend.
  • Und ganz ehr­lich: Wer will sich schon durch einen end­losen Sach­text wühlen, um eine Geschichte über­haupt ver­stehen zu können?

An dieser Stelle passt auch ein Zitat von Win­ston Chur­chill:

„Die Kunst, lang­weilig zu sein, besteht darin, alles zu sagen, was man weiß.“

Chur­chill war zwar ein Poli­tiker, aber dieses Prinzip lässt sich auch auf die Lite­ratur über­tragen: Wenn der Autor schon ganz am Anfang alles Wis­sens­werte erläu­tert hat, dann gibt es für den Leser nicht mehr allzu viel zu ent­de­cken.

Die Rolle des Prot­ago­nisten bei der Expo­si­tion

Wenn das Set­ting eine kom­plexe Welt ist, dann wird man um eine aus­führ­liche Erklä­rung natür­lich kaum her­um­kommen. Aber man kann sie wenigs­tens inter­es­sant ver­pa­cken. Und viele Infor­ma­tionen lassen sich auch zwi­schen den Zeilen unter­bringen.

Darauf komme ich aller­dings später zurück, denn am Anfang möchte ich vor­erst auf zwei Ansätze zu spre­chen kommen:

Expo­si­tion 1: Der Leser wird zusammen mit dem Prot­ago­nisten ein­ge­führt

Und zwar kann man den Leser in eine Fan­tasy-Welt ein­führen, indem man einen Prot­ago­nisten ein­baut, der auch neu in dieser Fan­tasy-Welt ist. Der Leser erkundet mit ihm zusammen die Fan­tasy-Welt.

  • So wird es zum Bei­spiel in Die Chro­niken von Narnia von C.S. Lewis gehand­habt, wo eine Gruppe Kinder aus unserer Welt in die Welt von Narnia gelangt.
  • Das ist auch in Harry Potter der Fall, wo Harry unter Mug­geln (nicht-magi­schen Men­schen) auf­wächst, dann aber nach und nach in die Gesell­schaft der Zau­berer ein­ge­führt wird.

Expo­si­tion 2: Der Leser wird getrennt vom Prot­ago­nisten ein­ge­führt

Das Gegen­teil zu diesem Ansatz ist der Fall, wenn die Figuren quasi „Ein­ge­bo­rene“ der Fan­tasy-Welt sind und keine Erklä­rung brau­chen. Der Leser kann sie nicht auf ihrer Ent­de­ckungs­reise begleiten. Des­wegen muss er irgendwie ander­weitig ein­ge­führt werden.

  • Ein Bei­spiel dafür ist Der Herr der Ringe, wo die Prot­ago­nisten, also die Hob­bits, von vorn­herein in Mit­tel­erde leben und sich dann auf die große Reise begeben.
  • Auch Das Lied von Eis und Feuer, wo alle Figuren in Wes­teros oder Essos geboren wurden, dort leben und diese Welt ganz gut kennen.

Expo­si­tion und Erklär­si­tua­tionen

Wenn der Leser den Prot­ago­nisten bei seiner Ent­de­ckung der Fan­tasy-Welt begleiten darf, ist es eigent­lich die leich­teste Lösung für Expo­si­tion. Das Unwissen des Prot­ago­nisten bietet immer wieder Gele­gen­heit, andere Figuren direkt erklären zu lassen, wie die Welt funk­tio­niert. Natür­lich gibt es auch hier die Gefahr von Info-Dump, aber wenigs­tens sind die Erklär­si­tua­tionen an sich hier ganz berech­tigt und natür­lich: Der Held weiß etwas nicht, er fragt und er bekommt eine Ant­wort. – Wie im realen Leben.

Leider kommt diese prak­ti­sche Mög­lich­keit für mich aber nicht in Frage, weil mein Prot­ago­nist ein „Ein­ge­bo­rener“ ist. Er ist an dem Haupt­platz auf­ge­wachsen. – Mehr noch, er ist extrem gut gebildet und weiß über die meisten Dinge, die den Leser inter­es­sieren könnten, bereits bes­tens Bescheid. Wenn die Figuren „Ein­ge­bo­rene“ der Fan­tasy-Welt sind, wirken Erklär­si­tua­tionen oft unna­tür­lich. Die Figuren kennen ihre Welt ja und dürften sich viele Fragen, die den Leser inter­es­sieren, gar nicht stellen.

Des­wegen kommt es oft zu typi­schen „As you know“-Erklärsituationen, wenn Figuren sich gegen­seitig etwas erklären, was sie bereits wissen:

  • „Wie du ja weißt, ist der Himmel blau.“
  • „Wie du ja weißt, sind wir Geschwister.“
  • „Wie du ja weißt, heißt der König von unserem Reich Fried­rich.“

Es sind Dia­loge, die nur dazu da sind, dem Leser die Welt zu erklären, aber im Kon­text der Geschichte über­haupt keinen Sinn machen.

Expo­si­tion in Der Herr der Ringe und Das Lied von Eis und Feuer

Da mein Prot­ago­nist unprak­ti­scher­weise nicht fragen kann, wie die Welt funk­tio­niert (weil er das ja weiß), möchte ich mir anschauen: Wie machen das eigent­lich die Großen? Nament­lich: J. R. R. Tol­kien und George R. R. Martin. Ich habe diese beiden näm­lich prak­ti­scher­weise bereits ana­ly­siert und ich hoffe, ich kann mir von ihnen etwas abgu­cken.

Expo­si­tion in Der Herr der Ringe

  • Die Tri­logie ist in einer pseudo-mit­tel­al­ter­li­chen Welt ange­sie­delt, also dem Leser gewis­ser­maßen bereits bekannt.
  • Es gibt eine laaaaaaaange Ein­füh­rung mit dem Titel Über Hob­bits. – Also Info-Dump ohne Ende.
  • Schließ­lich bre­chen die Hob­bits in die große, weite Welt auf und sind dort Neu­linge. Sie haben von vielen Dingen zwar bereits gehört, sehen sie aber zum ersten Mal.
  • Und nicht zuletzt gibt es noch die laaaaaaaa­angen Expo­si­tionen durch Tol­kiens berühmt-berüch­tigte Land­schafts­be­schrei­bungen, den aukt­orialen Erzähler und Mono­loge wie zum Bei­spiel im Kapitel Elronds Rat.

Mit anderen Worten: Tol­kien tut genau das, was ich nicht machen möchte. Es ist längst erwiesen, dass der heu­tige Leser eine eher kurze Auf­merk­sam­keits­spanne hat, und ich will ihn nicht ver­schre­cken.

Expo­si­tion in Das Lied von Eis und Feuer

  • Die fik­tive Welt ist hier eben­falls an mit­tel­al­ter­liche Gege­ben­heiten ange­lehnt. Das wird bereits im Prolog deut­lich gemacht. Der Leser kann also mit seinem Hin­ter­grund­wissen bereits dort ansetzen.
  • Viele Figuren sind Kinder und bekommen Geschichten erzählt.
  • Außerdem ent­halten die Romane viele Erin­ne­rungen.
  • Viel World-Buil­ding findet auch in Gesprä­chen statt.
  • Und vieles erfährt der Leser, indem er ein­fach mit­denkt. Es ergibt sich ein­fach ganz logisch aus dem Zusam­men­hang.
  • Nicht zuletzt gibt es viele Per­spek­tiven. Unter­schied­liche Figuren nehmen andere Men­schen und Dinge unter­schied­lich wahr und so kann man unter­schied­liche Aspekte von ein und dem­selben Ding oder von ein und der­selben Bege­ben­heit erfahren.

Das alles sind gute Ansätze, die auch zu meiner Geschichte passen, weil ich eine per­so­nale Erzähl­si­tua­tion habe bzw. einen Erzähler mit interner Foka­li­sie­rung.

Expo­si­tion in Video­spielen

Screenshot aus "Skyrim": Ein Skelett liegt auf einem Heuballen und streckt seine Hand nach einer Flasche aus.
© by Bethesda Game Stu­dios | Expo­si­tion durch „Show, don’t tell“.

An der Stelle möchte ich auch ein paar Ideen aus dem Gaming-Bereich ein­bringen, näm­lich aus The Elder Scrolls V: Skyrim. Das ist ein Open-World-Rol­len­spiel: Man erschafft selbst eine Figur, erkundet eine Fan­tasy-Welt und erlebt dort Aben­teuer, abhängig davon, welche Ent­schei­dungen man selbst trifft.

In diesem Spiel erfährt man sehr vieles über die Welt und die Orte schlicht und ergrei­fend durch die Sze­nerie. Das ist ganz klas­si­sches „Show, don’t tell“:

  •  Zum Bei­spiel liegt auf einem Heu­ballen in einer Höhle ein Ske­lett und streckt seine Hand nach einer Met­fla­sche aus. Die Geschichte dazu kann man sich selbst denken.
  • Oder man landet in einem recht unge­müt­li­chen Raum: Dort sind magi­sche Uten­si­lien, Alche­mie­zu­taten und ein Käfig mit Lei­chen. So ist schnell klar, dass dort schwarz­ma­gi­sche Expe­ri­mente durch­ge­führt werden.
Screenshot aus Skyrim: Ein böser Magier hat unschuldige Abenteurer für seine Experimente benutzt.
© by Bethesda Game Stu­dios | Expo­si­tion durch „Show, don’t tell“.

Expo­si­tion und World-Buil­ding ohne (allzu viel) Info-Dump

Welche Lösungs­ideen kann ich mir nun von diesen Beob­ach­tungen ableiten?

  • Expo­si­tion durch die Innen­welt des Prot­ago­nisten:
    Mein Prot­ago­nist hat wenig Anschluss an seine eigenen Gefühle und unter­drückt sie zum Teil sogar. Dafür ist er aber extrem grüb­le­risch. Diese Eigen­schaft recht­fer­tigt durchaus Expo­si­tion durch innere Mono­loge und Erin­ne­rungen.
  • Hand­lungs­be­glei­tende Expo­si­tion:
    Im zweiten Kapitel unter­nimmt mein Prot­ago­nist einen Spa­zier­gang durch die Stadt. Ihn über die Stadt und ihre Geschichte sin­nieren zu lassen, würde zwar zum Cha­rakter passen, aber das wäre auch sehr ris­kant, weil es sich um eine lange fron­tale Erklä­rung han­deln würde.
    Dafür würde es aber ansatz­weise eine Annä­he­rung zwi­schen Erzähl­zeit und erzählter Zeit schaffen: Der Spa­zier­gang dauert eine Weile und es dauert eine Weile, bis man den Abschnitt gelesen hat. Dabei lassen sich auch Begeg­nungen mit anderen Figuren ein­streuen und dadurch wei­tere Themen auf­greifen. Die fron­tale Erklä­rung könnte somit durch Inter­ak­tion ein wenig auf­ge­lo­ckert werden.
  • Expo­si­tion in Dia­logen:
    Der Prot­ago­nist kennt sich zwar aus, aber er kann bestimmte Zusam­men­hänge jün­geren Figuren oder Figuren aus anderen Kul­tur­kreisen erklären. Außerdem gibt es Dinge, die auch er nicht weiß. Also lässt sich ganz klas­sisch das Frage-Erklä­rung-Schema rein­bringen.
    Nicht zu ver­gessen sind Streit­ge­spräche: Man kann World-Buil­ding immer sehr schön in argu­menten unter­bringen, wenn Figuren etwas all­ge­mein Bekanntes auf­greifen, um ihre Argu­men­ta­tion darauf zu stützen.
  • Meh­rere Per­spek­tiven:
    Im Gegen­satz zu Martin habe ich nur eine Reflek­tor­figur, daher kann ich nicht direkt mit ver­schie­denen Per­spek­tiven arbeiten. Den­noch gibt es eine eine Mög­lich­keit, ver­schie­dene Blick­winkel rein­zu­bringen: Die Geschichte spielt 1604, hat aber auch Pas­sagen aus 1607. Außerdem gibt es Rück­blenden aus der Kind­heit des Prot­ago­nisten. Dadurch kann die Geschichte durchaus meh­rere Per­spek­tiven des Prot­ago­nisten selbst ent­halten.
  • Wichtig: Dem Leser ruhig zutrauen, dass er mit­denkt!
    Zum Bei­spiel besucht mein Prot­ago­nist eine Aka­demie. Dort gibt es eine Ecke, die gerne für – sagen wir mal – „dunkle Machen­schaften“ genutzt wird. Das sollte eigent­lich von alleine deut­lich werden, wenn meh­rere „dunkle Machen­schaften“ im Roman genau dort statt­finden. Das ist „Show, don’t tell“: gewisse Dinge ein­fach zeigen statt sie weit und breit zu erklären.
    Auch das Anre­de­system im Roman muss ich, denke ich, nicht erläu­tern, denn der Leser ver­steht es irgend­wann, nach viel­leicht anfäng­li­cher Ver­wir­rung von alleine.
    Bei vielen Dingen reicht es aber auch, sie nur anzu­deuten. Das gilt beson­ders, wenn diese Dinge weniger rele­vant sind, also wenn der Plot ohne sie aus­kommt. Es ist zwar immer schön, wenn der Leser solche Andeu­tungen ver­steht, aber wenn diese Dinge nicht unheim­lich wichtig für den Plot sind, ist es nicht schlimm wenn der Leser sie dann doch nicht bemerkt.

Was tun mit langen Expo­si­tionen?

So viel zu den Ideen. Aber seien wir ehr­lich:

Um lange Expo­si­tionen wird man bei kom­ple­xerem World-Buil­ding beim besten Willen nicht her­um­kommen, sei es auch in Form eines inneren Mono­logs.

Meine ein­zige Hoff­nung besteht darin, diese Pas­sagen mög­lichst kurz und gering zu halten und die Expo­si­tionen, die ich dann und doch rein­bringe, mög­lichst span­nend zu gestalten.

Wie macht man solche Erklä­rungen also span­nend? Hier einige Ideen:

  • Bin­nen­er­zäh­lungen:
    In A Game of Thrones (erster Band von Das Lied von Eis und Feuer) gibt es eine Stelle, an der die Figur Old Nan von der Langen Nacht erzählt. Es ist eine span­nende Gru­sel­ge­schichte. Das zeigt, dass man Erklä­rungen von Hin­ter­grund­in­for­ma­tionen mit Sto­rytel­ling ver­binden kann, also mit Geschichten in der Geschichte.
  • Expo­si­tion in Ver­bin­dung mit All­tags­de­tails:
    Viel­leicht kann man solche Geschichten in der Geschichte aber auch mit Erin­ne­rungen und All­tags­de­tails ver­binden, zum Bei­spiel durch einen Auf­satz, den der Prot­ago­nist schreiben muss oder ein Gemälde von einer Schlacht das in der Ein­gangs­halle seiner Aka­demie hängt.
  • Richtig „por­tio­nieren“:
    Man kann lange, schwere Fron­ta­lerklä­rungen aber auch durch Hand­lung unter­bre­chen und dem Leser sozu­sagen in Häpp­chen ser­vieren.
  • Humor ein­binden:
    Oder man kann diese Erklä­rungen mit wit­zigen Anek­doten ver­binden. Bei diesem Punkt habe ich zwar das Pro­blem, dass mein Prot­ago­nist nicht beson­ders humor­voll ist. Aber er kann ja trotzdem Wit­ziges erlebt haben.

Noch Ideen?

Habt ihr noch mehr Ideen? Ich freue mich über jede Art von Aus­tausch unten im Kom­men­tar­be­reich. Und die anderen Leser dieses Arti­kels bestimmt auch. Wenn euch also noch etwas ein­fällt, gerne her damit! Wir pro­fi­tieren alle davon. 🙂

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