Schon seit jeher üben Anti­hel­den eine beson­de­re Fas­zi­na­ti­on auf uns aus. Wor­an liegt das? Was macht einen Anti­hel­den aus? Was ist „das gewis­se Etwas“, das er in eine Geschich­te ein­bringt? Und wel­che Gefah­ren lau­ern, wenn man als Autor selbst einen Anti­hel­den erschafft? All das bespre­chen wir in die­sem Artikel.

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Ham­let, Don Qui­jo­te, Tyler Dur­den, Jack Spar­row, Dead­pool und vie­le, vie­le ande­re … Sie alle haben eins gemein­sam: Sie stel­len unse­re tra­di­tio­nel­len Vor­stel­lun­gen von einem Hel­den gehö­rig auf den Kopf. Denn sie sind kei­ne typi­schen Hel­den. Sie sind Antihelden.

Die­ser Hel­den­typ scheint sich in den letz­ten Jah­ren einer beson­de­ren Beliebt­heit zu erfreu­en. – Aber das ist eigent­lich auch kein Wun­der. Denn so schön strah­len­de, makel­lo­se Hel­den auch sind – Anti­hel­den sind oft viel kom­ple­xer und inter­es­san­ter. Es ist daher ganz ver­ständ­lich, dass Sil the evil Bitch wis­sen will, was es beim Erschaf­fen von Anti­hel­den zu beach­ten gilt.

Des­we­gen schau­en wir uns in die­sem Arti­kel an, was Anti­hel­den aus­macht, wel­che Chan­cen sie für das Sto­rytel­ling mit­brin­gen und was beim Erschaf­fen von Anti­hel­den schief lau­fen kann.

Antiheld: Definition

„Anti­held“ setzt sich zusam­men aus „anti-“ und „Held“. Es ist eine Defi­ni­ti­on ex nega­tivo. Des­we­gen gehen auch wir ex nega­tivo vor.

Der strahlende Held

Der Anti­held ist das Gegen­teil des strah­len­den Hel­den. Was macht also einen strah­len­den Hel­den aus?

Er ist idea­lis­tisch, tap­fer und sprüht nur so vor Lie­be für sei­ne Mit­men­schen.

Klas­si­sches Bei­spiel: Har­ry Potter

Ja, Har­ry geht im Ver­lauf der sie­ben Bücher durch sehr mensch­li­che Höhen und Tie­fen, macht Feh­ler und ent­wi­ckelt sich. Aber er kämpft stets für das Gute, legt gro­ßen Wert auf Freund­schaft und wird am Ende buch­stäb­lich zu einer auf­er­ste­hen­den Jesus-Figur.

Wir iden­ti­fi­zie­ren uns mit strah­len­den Hel­den wie Har­ry Pot­ter, weil sie das Gute in uns reprä­sen­tie­ren bzw. so sind, wie wir selbst ger­ne wären.

So viel zum Offen­sicht­li­chen. Gehen wir aber nun einen Schritt wei­ter und den­ken an eins der Din­ge, die Das Lied von Eis und Feu­er so groß­ar­tig machen:

Eddard Stark ist idea­lis­tisch, tap­fer und außer­or­dent­lich ehren­haft. Und er wird geköpft.

Was ist also der Unter­schied zwi­schen Har­ry Pot­ter und Eddard Stark?

Sie leben in unter­schied­li­chen Wel­ten. Har­ry Pot­ters Welt ist trotz Todessern und Kor­rup­ti­on immer noch im Kern eine gute und gerech­te, in der Lie­be über Hass siegt. Eddard Stark hin­ge­gen lebt in einer Welt, in der man nur mit Intel­li­genz, einer ordent­li­chen Poti­on Miss­trau­en, wei­ser Vor­aus­sicht und oft auch Hin­ter­list erfolg­reich sein kann. Klas­si­sche hel­den­haf­te Eigen­schaf­ten brin­gen einen hier eher ins Grab.

Was fällt also auf?

Ein strah­len­der Held passt per­fekt in sei­ne Welt. Und die­se Welt ist eine gute. Denn nur in einer sol­chen Welt kann er wirk­lich erfolg­reich sein: in einer Welt, die mit sei­nen Wer­ten kon­form ist.

Und hier liegt mei­ner Mei­nung nach der Kern­un­ter­schied zwi­schen Hel­den und Anti­hel­den

Der Antiheld und seine Schwächen

Der Anti­held ist durch­aus ein Held – aber kein strah­len­der. Sei­ne Stär­ke als Figur ist sei­ne Schwä­che als Mensch. - Sei­ne Gier, sein Neid, sei­ne Ver­lo­gen­heit, sei­ne Ver­blen­dung, sei­ne Pas­si­vi­tät, sei­ne Ein­sam­keit und sein Scheitern.

Es gibt vie­le ver­schie­de­ne Arten von Anti­hel­den. Vom unbe­hol­fe­nen Außen­sei­ter über den hal­lu­zi­nie­ren­den Son­der­ling bis hin zum Mafia­boss ist alles ver­tre­ten. Damit müss­te die all­ge­meins­te Defi­ni­ti­on des Anti­hel­den etwa so lauten:

Der Anti­held ist ein unhel­den­haf­ter Held.

Dabei ist er nicht zu ver­wech­seln mit dem Böse­wicht oder Ant­ago­nis­ten. Denn Anti­hel­den sind in der Regel die Hel­den ihrer jewei­li­gen Geschich­ten, Ver­bün­de­te eines strah­len­den Hel­den oder zumin­dest irgend­wo zwi­schen den Fron­ten. Sie sind näm­lich durch­aus Identifikationsfiguren:

Mit dem Anti­hel­den iden­ti­fi­zie­ren wir uns, weil er das dunk­le Poten­ti­al in uns reprä­sen­tiert bzw. uns zeigt, wie wir sind oder wer­den könnten.

Ich gebe aber zu, dass die Gren­ze zwi­schen Anti­held und Böse­wicht oft ziem­lich flie­ßend zu sein scheint:

Bei Figu­ren wie Erik in Das Phan­tom der Oper, Les­tat in der Chro­nik der Vam­pi­re oder auch Loki im Mar­vel Cine­ma­tic Uni­ver­se kommt es wirk­lich dar­auf an, aus wel­cher Per­spek­ti­ve man das Gan­ze betrach­tet.

Selbst der gefal­le­ne Engel Luci­fer ist einer­seits der Gegen­spie­ler Got­tes, gleich­zei­tig aber auch jemand, der für Wil­lens­frei­heit einsteht.

Letzt­end­lich kommt es dar­auf an, ob das Publi­kum die Welt des Anti­hel­den bzw. Böse­wichts als rich­tig oder falsch wahr­nimmt. Denn dar­aus lei­tet sich dann ab, ob die Figur nun ein Böse­wicht ist, der eine gute, gerech­te Welt bedroht, oder ein Anti­held, der sich gegen eine fal­sche, unge­rech­te Welt auflehnt.

Die Welt des Antihelden

Und damit wären wir bei dem wei­ter oben bereits ange­deu­te­ten wich­ti­gen Cha­rak­te­ris­ti­kum des Antihelden:

Er passt nicht in die Welt, in der er lebt.

Tat­säch­lich ist er oft ein Außen­sei­ter. Und auch Schei­tern ist etwas, das häu­fig mit Anti­hel­den in Ver­bin­dung gebracht wird.

Selbst Micha­el Cor­leo­ne siegt zwar über sei­ne Geg­ner, aber er schei­tert als Mensch.

Das Außen­sei­ter­tum und das Schei­tern sind aber nicht ver­wun­der­lich, wenn man bedenkt, dass die Wel­ten der Anti­hel­den in der Tat oft unge­recht sind. Es sind ver­dor­be­ne, kor­rup­te Sys­te­me, in denen man schein­bar nur über­le­ben kann, wenn man selbst ver­dor­ben und kor­rupt wird. Oder man macht es wie Goe­thes Wert­her und begeht Selbst­mord. – Auch sehr antiheldenhaft.

Und selbst wenn der Anti­held in der­sel­ben gerech­ten Welt lebt wie der strah­len­de Held, so zeigt er zumin­dest deren Schat­ten­sei­ten.

Wäh­rend Har­ry Pot­ter ein guter, mit­füh­len­der Mensch mit einem fei­nen Sinn für Gerech­tig­keit ist, wur­de Dra­co Mal­foy qua­si-ras­sis­tisch erzo­gen und steht unter dem Druck, den Erwar­tun­gen sei­nes Vaters und des dunk­len Lords zu entsprechen.

Und damit wären wir auch schon bei den Chan­cen fürs Storytelling …

Chancen durch Antihelden

Wie anfangs bereits erwähnt, schei­nen Anti­hel­den sehr beliebt zu sein. Das liegt nicht zuletzt dar­an, dass sie sich von den strah­len­den Hel­den abhe­ben, sich gegen ein­ge­fah­re­ne klas­si­sche Erzähl­tra­di­tio­nen auf­leh­nen und viel Iden­ti­fi­ka­ti­ons­po­ten­ti­al mit­brin­gen.

Anti­hel­den brin­gen oft kom­ple­xe The­men mit sich und berei­chern die Welt durch mora­li­sche Ambi­gui­tät. Beson­ders wenn der Anti­held der Prot­ago­nist der Geschich­te ist, läuft es ger­ne auf Gesell­schafts­kri­tik hin­aus.

Doch auch als Neben­fi­gur ver­leiht der Anti­held einer Erzäh­lung Wür­ze. Neben dem eben Genann­ten macht er sich sehr gut im Zwei­er­ge­spann mit dem strah­len­den Hel­den: bei­spiels­wei­se als Riva­le des strah­len­den Hel­den (Naruto und Sasuke, Har­ry Pot­ter und Dra­co Mal­foy) oder als Kon­trast­fi­gur zum Hel­den (Luke Sky­wal­ker und Han Solo).

Was so eine Held-Anti­held-Kon­stel­la­ti­on aus­zeich­net, ist häu­fig eine ganz beson­de­re Che­mie zwi­schen den bei­den. Der eine ver­stärkt durch sei­ne blo­ße Prä­senz die Wir­kung des jeweils ande­ren. Der Held wirkt hel­den­haf­ter, der Anti­held anti­hel­den­haf­ter. Und zugleich for­dern sie sich gegen­sei­tig her­aus. Sie sind oft wie zwei Sei­ten einer Medail­le. – Kein Wun­der also, dass sie von Fans ihres jewei­li­gen Fran­chi­ses ger­ne zum Lie­bes­paar gemacht wer­den.

Und apro­pos Lie­bes­ro­man­zen: Dem ein oder ande­ren wird sicher­lich die Popu­la­ri­tät von Bad Boys in Lie­bes­ge­schich­ten auf­ge­fal­len sein. Ich den­ke, deren Anti­hel­den-Sta­tus ist hier­bei ein wich­ti­ger Fak­tor. Man schaue sich nur das Gespann mit der strah­len­den Prin­zes­sin Leia und Han Solo an. Es ist der Kon­trast zwi­schen den bei­den, der da knistert …

Risiken bei Antihelden

Doch so toll Anti­hel­den auch sind – Es gibt da so eini­ges, was bei ihrer Erschaf­fung schief­lau­fen kann.

An aller­ers­ter Stel­le soll­test Du nicht über­trei­ben. Wenn Dein Anti­held ein ein­zi­ges Bün­del Nega­ti­vi­tät ist, in des­sen Leben noch nie etwas Gutes pas­siert ist, dann gibt es drei Pro­ble­me: Ers­tens wer­den sich die meis­ten Leser wohl kaum mit ihm iden­ti­fi­zie­ren wol­len; zwei­tens stumpft die Wahr­neh­mung bei zu viel Nega­ti­vi­tät ab (das Tra­gi­sche fühlt sich weni­ger tra­gisch an, wenn alles drum­her­um auch tra­gisch ist); und drit­tens rutscht der Anti­held schlimms­ten­falls ins Lächer­li­che.

In einem gewis­sen Zusam­men­hang damit steht das Risi­ko, dass der Anti­held ein­fach nur flach wirkt. Ja, Anti­hel­den machen ihre jewei­li­gen Geschich­ten oft viel­schich­ti­ger. Doch wenn der Anti­held aus­schließ­lich damit beschäf­tigt ist, die Welt zu has­sen und ande­re Figu­ren mit völ­lig deplat­zier­tem Möch­te­gern-Sar­kas­mus zu belei­di­gen, dann ist er kein Anti­held mehr, son­dern ein bana­les Arschloch.

Es erscheint also, dass der Anti­held bei all sei­ner Unhel­den­haf­tig­keit doch die ein oder ande­re posi­ti­ve Eigen­schaft braucht, um auf irgend­ei­ne Wei­se sym­pa­thisch und/​oder inter­es­sant zu sein.

Und nicht zuletzt ist es mei­ner Mei­nung nach wich­tig, kei­nen Anti­hel­den um des blo­ßen Anti­hel­den Wil­len zu erschaf­fen. Wie im Ver­lauf die­ses Arti­kels hof­fent­lich rüber­ge­kom­men ist, ist die Natur des Anti­hel­den mit der Natur sei­ner Welt ver­knüpft. Die bei­den müs­sen auf­ein­an­der abge­stimmt sein.

Auch gibt es sehr vie­le ver­schie­de­ne Arten von Anti­hel­den, die aus­schließ­lich ihr Anti­hel­den­tum gemein­sam haben. Don Qui­jo­te und Micha­el Cor­leo­ne sind bei­des Anti­hel­den. Wenn man also sagt, man wol­le einen Anti­hel­den erschaf­fen, ist das extrem unprä­zi­se und kann alles Mög­li­che bedeu­ten. Ein blo­ßer Anti­hel­den-Stem­pel reicht nicht, um einen rich­tig inter­es­san­ten Anti­hel­den zu erschaffen.

Schlusswort

Was gibt es am Ende also zu sagen?

Wahr­schein­lich soll­ten wir anmer­ken, dass Anti­hel­den – wie auch jeder ande­re Arche­typ – nicht unbe­dingt sta­tisch sind. Ein Anti­held kann sich aus einem Böse­wicht her­aus­ent­wi­ckeln oder er kann im Ver­lauf der Geschich­te zu einem strah­len­den Hel­den mutie­ren. Es nützt nichts, sich krampf­haft an einem Arche­typ fest­zu­klam­mern, wenn eine Figur sich wei­ter­ent­wi­ckeln möchte.

Außer­dem hat der Anti­held ein inter­es­san­tes Gegen­stück: den Anti-Böse­wicht. Eben­so wie der Anti­held gar nicht hel­den­haft ist, ist der Anti-Böse­wicht eigent­lich gar nicht böse. Er ist hel­den­haft und ver­folgt edle Zie­le. Nur die Mit­tel, die er wählt, machen ihn zum Feind des Hel­den. Oder er han­delt schein­bar mora­lisch, um ein böses Ziel zu errei­chen. Wenn Du möch­test, neh­me ich ihn in die Lis­te der mög­li­chen zukünf­ti­gen The­men auf.

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