Fiktive Helden für Jungen & Männer und der moderne Feminismus

Fiktive Helden für Jungen & Männer und der moderne Feminismus

Der Fem­i­nis­mus hat im Lauf der let­zten Jahrzehnte einige sehr pos­i­tive Verän­derun­gen bei der Darstel­lung von Frauen in Geschicht­en her­vorge­bracht. Allerd­ings blieben die Män­ner dabei auf der Strecke: Wir haben noch immer stois­che Testos­teron-Geysire als Helden und Vor­bilder für Jun­gen und Män­ner. Da diese Macho-Vor­bilder erhe­blichen Schaden anricht­en, suchen wir in diesem Video nach alter­na­tiv­en fik­tiv­en Helden.

Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abon­nen­ten und Kanal­mitglieder auf YouTube als PDF zum Down­load.

In einem früheren Artikel haben wir über die Notwendigkeit “stark­er Frauen” in Geschicht­en gesprochen und darüber, was eine gute “starke Frau” aus­macht. Allerd­ings sind nicht nur weib­liche Fig­uren oft verbesserungswürdig.

Heute geht es also um männliche Fig­uren und die Notwendigkeit von neuen Männlichkeitsvor­bildern in unser­er heuti­gen Welt.

Ein kleines Vorwort

Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem Innen­leben von Män­nern — ein­er­seits als Autorin, die dur­chaus auch über männliche Fig­uren schreibt, aber auch als Frau, die sich allmäh­lich fragt, ob die echt­en Män­ner tat­säch­lich aus­gestor­ben sind (und in diesem Zusam­men­hang natür­lich auch, was einen echt­en Mann über­haupt aus­macht).

Die Grund­lage mein­er Über­legun­gen bilden zahlre­iche Artikel, Romane und Sach­büch­er, Doku­men­ta­tions­filme, Beobach­tung von Män­nern und Gespräche mit Män­nern … Aber vor allem möchte ich das Buch Self-Made Man von Norah Vin­cent her­ausstellen. Norah hat sich 18 Monate lang als Mann verklei­det, unter­schiedliche Bere­iche des “männlichen Lebens” infil­tri­ert und ihre Erfahrun­gen in diesem Buch niedergeschrieben. Bei meinen Recherchen war dieses Buch ein ganz beson­der­er Meilen­stein.

Außer­dem bedanke ich mich ganz her­zlich bei Kai Ever­stein. Er hat mich auf Lovely­Books zu sein­er Leserunde ein­ge­laden und ich habe darauf sein Buch Für dich bricht meine Welt zusam­men inspiziert. Dabei bin ich auf seine Behaup­tung gestoßen, dass es “wenige gute, gefüh­lvolle Büch­er für Jungs und Män­ner gibt”. Also habe ich ihn während der Vor­bere­itun­gen für dieses Video mit Fra­gen gelöchert und einige mein­er bish­eri­gen Erken­nt­nisse und The­sen auf ihn gehet­zt. Der Aus­tausch mit ihm hat mir sehr geholfen und ohne seine Hil­fe gäbe es diesen Artikel vielle­icht gar nicht. Also, Kai, ein großes, liebes Dankeschön an dich!

Geschlecht und Klischees: Absurde Dichotomien

Es wurde schon längst fest­ge­sellt, dass fik­tive Frauen­fig­uren oft ein­er absur­den Dichotomie unter­wor­fen sind:

Denn in “klas­sis­cheren” Geschicht­en sind Frauen oft entwed­er

  • Heilige:
    zarte, unschuldige Feen­prinzessin­nen mit reinem Herzen, die pas­siv auf ihren Prinzen warten, der mit sein­er unsterblichen Liebe all ihre Prob­leme löst.

Oder sie sind

  • Huren:
    sind zwar selb­st­be­wusst und wis­sen was sie wollen, aber gle­ichzeit­ig verkör­pern sie alle Eigen­schaften, die gemein­hin als “böse” gel­ten.

Was allerd­ings oft überse­hen wird, ist, dass es auch für männliche Fig­uren eine absurde Dichotomie gibt:

Auf einen Seite ist da näm­lich

  • der “klas­sis­che” Held:
    ein von allen bewun­dert­er und ange­him­melter Drachen­töter, dem alles gelingt, was er sich vorn­immt. Er ist der Auser­wählte, der die Welt ret­tet, er heiratet die schöne Prinzessin, er kommt an Macht und Reich­tum und erre­icht das Über­men­schliche.

Und auf der anderen Seite haben wir den

  • Los­er:
    Er ist schwäch­er, ängstlich­er und weniger erfol­gre­ich als der Held und besten­falls ist er der “Side­kick” des Helden, der nur da ist, um den Helden zu bewun­dern. Eventuell ist er aber auch ein Com­ic Relief / Witz­fig­ur oder schlimm­sten­falls eine erbärm­liche Krea­tur.

Diese Dichotomie ist im Übri­gen auch moralisch flex­i­bel, denn man trifft sie genau­so auch bei den “Bösen”: An der Spitze ste­ht ein reich­er, mächtiger Over­lord und er befehligt eine Armee von Losern.

Der Schaden von Geschlechterklischees

Natür­lich sind diese Dichotomien von Geschichte zu Geschichte unter­schiedlich stark aus­geprägt, aber das ändert nichts daran, dass sie zu Geschlechter­bildern beitra­gen die erhe­blichen Schaden anricht­en.

Und zwar: Wir sind ja bekan­ntlich alle von Hor­mo­nen ges­teuert. Wir alle neigen — mal stärk­er, mal schwäch­er, abhängig vom Indi­vidu­um — zu geschlecht­styp­is­chen Ver­hal­tensweisen, durch die sich auch ziem­liche Schwächen auf­tun, die uns im Leben behin­dern.

  • Frauen zum Beispiel lei­den oft an Selb­stun­ter­schätzung. Sie kehren ihr Licht unter den Schef­fel und haben Angst vor Risiken. Das ist ein­er der vie­len Gründe, warum Frauen oft weniger erfol­gre­ich sind im Beruf und mit einem durch­schnit­tlich kleineren Gehalt leben müssen.
  • Män­ner hinge­gen kön­nen oft schlecht mit ihren eige­nen Emo­tio­nen und den Emo­tio­nen ander­er Men­schen umge­hen. Das wiederum kann ziem­lich neg­a­tive Fol­gen für ihr psy­chis­ches Wohlbefind­en und ihre zwis­chen­men­schlichen Beziehun­gen haben.

Wenn wir uns anschauen, mit welchen Helden wir so groß wer­den, kommt das Gefühl auf, dass manche von ihnen unsere geschlechtsspez­i­fis­chen Prob­leme nur noch größer machen.

Außer­dem: Wenn man als Indi­vidu­um etwas stärk­er von den typ­is­chen Ver­hal­tensweisen des eige­nen Geschlechts abwe­icht, kommt man sich schnell ziem­lich komisch vor, und das wiederum nagt am Selb­st­be­wusst­sein.

Ein Gegengewicht zu Geschlechterklischees

Was wir also brauchen, ist ein Gegengewicht zu den tra­di­tionellen Rol­len­vorstel­lun­gen. Und Geschicht­en (Buch, Film, Fernsehserie, Graph­ic Nov­el, Videospiel …) sind ein wesentlich­er Teil ein­er jeden Kul­tur und damit ein wichtiger Bere­ich, in dem dieses Gegen­gengewicht unterge­bracht wer­den kann und soll.

Nun hat­ten wir bere­its ein paar Wellen des Fem­i­nis­mus und mit­tler­weile gibt es für Frauen so einige tolle fik­tive Vor­bilder:

Das wären zum Beispiel Mulan, Her­mine Granger, Kat­niss Everdeen …

Aber bei den Män­nern … sieht es im Ver­gle­ich dazu eher mau aus.

Zwischen “Macho” und “Weichei”

Durch den Fem­i­nis­mus wurde das “klas­sis­che” Män­ner­ide­al zwar abgeschafft, aber es gibt immer noch keine Alter­na­tive:

Män­ner sind nicht mehr die “Ernährer” und dür­fen keine “Machos” mehr sein, aber sie wer­den auch verurteilt, wenn sie als zarte “Sen­si­belchen” rüberkom­men.

Das schreibt auch Norah Vin­cent, die sich ja, wie bere­its erwäh­nt, 18 Monate lang als Mann verklei­det hat:

Sie hat beobachtet, dass Män­ner unter einem erhe­blichen Druck lei­den, sich ständig als Män­ner zu beweisen. Das bedeutet unter anderem, dass sie trotz aller Entwick­lun­gen der let­zten Jahrzehnte nach wie vor keine “Schwäche” (d.h. auch Emo­tio­nen) zeigen dür­fen. Aber der Witz ist:

Män­ner sind nun mal Men­schen und haben daher ein ganz men­schlich­es Bedürf­nis nach Nähe und Emo­tio­nen.

Doch die fik­tiv­en Vor­bilder sind nach wie vor “klas­sis­che” Helden, cool, stoisch und uner­schüt­ter­lich. Sie haben Macht (dazu zählen auch kör­per­liche Stärke und Waf­fen), sie haben oder kriegen viel Geld und ein hüb­sches Weibchen gle­ich mit dazu.

Und weil diese Macho-Helden eigentlich längst ver­al­tet sind, stellt sich die Frage:

Welche Helden wür­den Jun­gen und Män­nern (und damit auch der ganzen Gesellschaft) helfen?

Sinnvollere fiktive Helden für Jungen und Männer

Nach meinen ganzen Recherchen und Gesprächen fall­en mir fol­gende Eigen­schaften ein, die ein zeit­gemäßer Held haben kön­nte:

  • Empathie
  • die Fähigkeit, zu den eige­nen Gefühlen ste­hen
  • keine Verkör­pe­rung eines unerr­e­ich­baren Ideals
    (damit keine Min­der­w­er­tigkeit­skom­plexe in kleine Jun­gen gepflanzt wer­den)
  • mehr gewöhn­liche “Nor­ma­los” als Helden:
    Män­ner, die im realen Leben tat­säch­lich existieren und mit denen man sich iden­ti­fizieren kann

Nun, diese Ideen klin­gen vielle­icht ganz nett, aber so ein­fach ist es lei­der nicht …

Denn es gibt eigentlich gar nicht mal so wenige Helden, die gute Iden­ti­fika­tions­fig­uren abgeben müssten:

  • Samweis Gamd­schie:
    der treue Gefährte von Fro­do Beut­lin in Der Herr der Ringe, eine treue Seele, die (wie jed­er andere Hob­bit auch) gutes Essen liebt und eine Reise nach Mor­dor und zurück braucht, um sein­er Ange­beteten endlich den Hof zu machen.
  • Newt Sca­man­der:
    der Held von Phan­tastis­che Tier­we­sen und wo sie zu find­en sind mit sein­er Empathie, Liebe zu magis­chen Krea­turen und sein­er doch sehr auf­fäl­li­gen Intro­vertiertheit.
  • For­rest Gump:
    Ja, er hat ein men­tales Hand­i­cap, weswe­gen man sich mit ihm auf den ersten Blick eher nicht iden­ti­fizieren möchte. Aber man kann es auch so sehen: Wir alle haben in irgen­deinem Bere­ich des Lebens ein Hand­i­cap, wir alle sind in etwas nicht wirk­lich gut, und Fig­uren wie For­rest Gump erin­nern uns daran, dass wir uns davon nicht run­terziehen lassen und immer nach vorne blick­en sollen.
  • ganz “gewöhn­liche” Män­ner:
    Die Pro­tag­o­nis­ten meines Lieblingsautors Erich Maria Remar­que zum Beispiel sind häu­fig zwar recht melan­cholis­che Naturen, aber anson­sten nicht wirk­lich auf­fäl­lig. Trotz­dem sind Remar­ques Büch­er weltk­lasse.

Das waren nur einige wenige Beispiele, aber ich bin sich­er, dass Dir noch viele andere ein­fall­en. Solche Fig­uren sind tat­säch­lich keine allzu große Sel­tenheit. Das Prob­lem ist eher:

Ich zumin­d­est habe das Gefühl, dass es eher Frauen sind, die solche Fig­uren toll find­en — oder zumin­d­est offen zugeben, dass sie sie toll find­en. Wir wollen aber die Män­ner­welt erre­ichen!

Ein Teufelskreis der Männlichkeit

Es ist eine Tat­sache, die wir, wie ich finde, erst­mal akzep­tieren müssen:

Jun­gen haben männliche Hor­mone und neigen anscheinend von Natur aus, sich für beson­ders “testos­teronige” Helden zu begeis­tern.

Manche mehr und manche weniger, ver­ste­ht sich, aber wir reden hier vom Durch­schnitt.

Das tut natür­lich nichts gegen die unter Män­nern ja dur­chaus ver­bre­it­ete Angst, nicht Mann genug zu sein. Und diese Angst wiederum führt zur Kom­pen­sa­tionsver­suchen durch Machover­hal­ten, zum Weglaufen vor Prob­le­men und anderen äußerst kon­trapro­duk­tiv­en Ten­den­zen.

Aber Jun­gen wählen nun mal solche Vor­bilder und möglicher­weise hängt das mit ihrem natür­lichen Entwick­lung­sprozess zusam­men:

Kinder haben vor allem in den ersten Leben­s­jahren — aber natür­lich auch darüber hin­aus — eine ganz beson­dere Bindung zu einem weib­lichem Wesen, näm­lich der Mut­ter. Und während die Mäd­chen das Weib­liche sozusagen ein­fach behal­ten, müssen Jun­gen sich vom Weib­lichen erst noch abgren­zen.

Was wäre da also die Lösung? Coole Testos­teron-Helden, die das Weib­liche in sich akzep­tieren und Gefüh­le offen äußern?

Schlechte Aussichten: “Starke Frauen” sind der Mainstream

Nun, dazu gibt es eine schlechte Nachricht, denn der Main­stream in unser­er heuti­gen Welt sind mit­tler­weile selb­st­be­wusste Frauen­fig­uren:

Jodie Archer und Matthew L. Jock­ers haben einen Com­put­er 5000 Best­seller und Nicht-Best­seller auswerten lassen. Und anhand der Ergeb­nisse empfehlen sie unter anderem tat­säch­lich weib­liche Haupt­fig­uren, die selb­st­be­wusst ihre Ziele ver­fol­gen, um die Chan­cen auf einen Best­seller zu steigern.
Genauer beschrieben in: Der Best­seller-Code: Was uns ein bahn­brechen­der Algo­rith­mus über Büch­er, Sto­rys und das Lesen ver­rät.

Masku­line Helden, die mit ihren Gefühlen offen umge­hen, existieren zwar dur­chaus, aber ich per­sön­lich sehe sie eher in manchen Ani­mes und Man­gas für Mäd­chen und in eini­gen Frauen­fil­men. Und genau das ist das Prob­lem: Die Geschicht­en dahin­ter sind für ein weib­lich­es Pub­likum gedacht.

Gute moderne Helden gibt es!

Aber ist die Lage nun wirk­lich hoff­nungs­los? — Nein, nicht ganz. Denn gute mod­erne Helden gibt es! … Wenn auch nur wenige.

Wer mir per­sön­lich ein­fällt, sind die Elric-Brüder Edward und Alphonse aus Full­met­al Alchemist:

  • Bei­de sind tal­en­tierte Alchemik­er (d.h. sie kön­nen Dinge ver­wan­deln und haben damit eine Art „Superkraft).
  • Sie sind Teil ein­er gewalt­täti­gen Welt und kämpfen mit, denn bes­timmte Übel gehören eben bekämpft.
  • Allerd­ings sind bei­de sehr empathisch und fol­gen streng dem Prinzip, dass sie ihre Geg­n­er nicht töten. Dabei muss man nochmal beto­nen, dass ihre Welt eine wirk­lich sehr gewalt­tätige ist mit Mas­sak­ern, Genozid und alchemis­chen Exper­i­menten an Men­schen. “Klas­sis­che” Serien­mörder gehören da noch zu den harm­loseren Gestal­ten, die die Brüder trotz allem als lebende Wesen respek­tieren.
    • Man kön­nte zwar noch dif­feren­zieren, dass Edward ein­deutig der testos­teronigere ist, während Alphonse als die fried­liebende Hälfte des Duos am lieb­sten kleine Kätzchen adop­tieren würde. Aber das ändert nichts daran, dass bei­de es schaf­fen, selb­st den grausam­sten Gestal­ten mit Mit­ge­fühl zu begeg­nen.
  • Tat­säch­lich spie­len Gefüh­le (und tat­säch­lich auch das Zulassen ihrer) eine sehr zen­trale Rolle in der Geschichte. Sog­ar die Beziehung zwis­chen den Brüdern ist von kom­plex­en Gefühlen geprägt.

Tja. — Und das Ergeb­nis des Ganzen? Nun, Full­met­al Alchemist ist bei bei­den Geschlechtern sehr beliebt. Man trifft diesen Titel bemerkenswert häu­fig in Lis­ten á la Die besten Mangas/Animes aller Zeit­en und das Fran­chise wurde mehrfach aus­geze­ich­net.

Frage an Dich und Fazit

Fall­en Dir noch mehr solche Helden ein?

Wenn ja, dann stelle sie doch unten im Kom­men­tar­bere­ich vor! Ich denke, ich bin nicht die einzige, die gerne noch mehr solch­er Helden ken­nen­ler­nen würde.

Denn die Welt braucht sehr drin­gend männliche Helden, die zwar im Ein­klang mit
“männlichen Hor­mo­nen” ste­hen, aber Jun­gen und Män­nern gle­ichzeit­ig zeigen:

Ein echter Mann ist vor allem jemand,

  • der nie­man­dem beweisen muss, dass er ein Mann ist,

  • der seine weib­liche Seite (die jed­er Mann hat) akzep­tiert, und

  • der selb­st­be­wusst zu seinen Gefühlen ste­ht und Empathie zeigt.

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