Marketing und Zielgruppenorientierung spielen auch beim Schreiben von Geschichten eine Rolle. Ein sehr wichtiges Werkzeug sind hierbei die sogenannten Personas. Wenn man ein eigenes Buch schreibt, helfen sie, Leser zu gewinnen und zu begeistern. In diesem Artikel stelle ich dieses äußerst nützliche Tool vor.
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Als Autor und generell, wenn man eine Zielgruppe erreichen will, lohnt es sich, mit sogenannten Personas zu arbeiten. Dabei handelt es sich um fiktive Personen, die die Zielgruppe repräsentieren, quasi als typische Vertreter.
Idealerweise entsteht eine Persona dadurch, dass man Informationen über seine Zielgruppe sammelt, d.h. Marktforschung betreibt. Man nimmt diese Person also nicht einfach aus der Luft, sondern man baut sie tatsächlich auf realen Personen auf: Im Prinzip macht man einen Querschnitt durch seine Zielgruppe und schaut, was da alles zusammenkommt.
Der Sinn einer Persona ist es, dass sie einem selbst die Zielgruppe näherbringt.
Eine Beispielgeschichte
Um das Prinzip näher zu erklären, wird mir meine eigene Fanfiction dienen: Odyssee eines Terminkalenders. Hier habe ich erstmals wirklich bewusst für eine Zielgruppe geschrieben (nämlich die Fans der Originalgeschichte) und das hat mir auch den erhofften Erfolg in Form von Lob und einem Fanfiction-Oscar eingebracht.
Angesiedelt ist die Geschichte im Fandom Sweet Amoris. Das ist ein Online-Spiel, in dem man seine Spielfigur selbst gestaltet und dann eine romantische Slice-of-life-Story im Mangastil erlebt. Dabei beeinflusst man den Plot durch eigene Entscheidungen und kommt im Verlauf der Kapitel mit einem von fünf möglichen Jungs zusammen.
In der Fanfiction selbst geht es um Folgendes:
Ein neuer Schüler macht Sweet Amoris unsicher. Buchstäblich, denn sein unschöner Ruf eilt ihm voraus. Was für ein Pech für die schüchterne Viola (Nebenfigur aus der Originalgeschichte), die ihm seinen Terminkalender wiedergeben muss! Doch nach und nach kommt sie seiner wahren Persönlichkeit auf die Schliche und lernt dabei auch noch, über ihren Schatten zu springen …
Vom Genre her ist Odyssee eines Terminkalenders also eine „Teenie-Romanze“. Die Geschichte enthält eine schüchterne Protagonistin und einen geheimnisvollen Love-Interest, die Figuren sind 16–17 Jahre alt, die Geschichte hat Humor und es geht letztendlich um die Überwindung von Schüchternheit.
Wer sind meine Leser?
Wie gesagt, ich habe Odyssee eines Terminkalenders bewusst für die Spielerinnen von Sweet Amoris geschrieben. Allerdings nicht auf Grundlage von echter Recherche, sondern ich habe mich eher danach gerichtet, wie ich mir diese Spielerinnen vorgestellt habe.
Ich bin von Folgendem ausgegangen:
- Die Spielerinnen sind überwiegend Mädchen im Teenager-Alter.
- Sie mögen Manga und Anime.
- Sie mögen Romanzen und scheinen durchaus von der großen Liebe zu träumen.
- Weil sie ein Online-Spiel spielen, sind sie wahrscheinlich sehr viel im Internet unterwegs und neigen zu Eskapismus.
- Ich habe im Forum des Online-Spiels oft gelesen, wie viele sich als schüchtern bezeichnen.
Ohne falsche Bescheidenheit würde ich sagen, dass mein Ansatz, mich am Zielpublikum zu orientieren, im Prinzip richtig war. Viele meiner Leser konnten sich mit der Protagonistin identifizieren bzw. fühlten sich an ihr früheres Teenager-Ich erinnert. Die Fanfiction bot eine Möglichkeit zum Eskapismus durch die enthaltene Liebesgeschichte. Außerdem enthielt die Geschichte beliebte Klischees aus romantischen Mangas und Animes. Das Endergebnis des Ganzen war, wie bereits erwähnt, ein Sweet Amoris-Fanfiction-Oscar im Winter 2015/2016.
Mehr Präzision durch eine Persona
Nun hätte ich aber noch besser auf die Wünsche und Bedürfnisse meiner Zielgruppe eingehen können, wenn ich mir ein Persona-Profil erstellt hätte. Damit hätte ich einen konkreten, wenn auch fiktiven, Menschen vor Augen gehabt statt einer gesichtslosen Masse.
Ein Persona-Profil kann folgendermaßen aussehen:
- Name: Leonie
- Alter: 15
- Familie: Mutter, Vater, Schwester, Hund
- Beruf: Schülerin, Gymnasium
- Interessen: Manga, Anime, K‑Dramas, Games, Jonas aus der Parallelklasse
- Hobbies: zeichnen, FFs schreiben, lesen, mit Freunden treffen, YouTube schauen, Musik hören, RPGs spielen
- Charakter: „verrückt“, schüchtern, kreativ
- Sorgen: Leistungsdruck, Zukunft, „Weiß Jonas überhaupt, dass ich existiere?“
Dieses Profil habe ich zusammengestellt, indem ich mich durch reale Profile auf Sweet Amoris und das Forum geklickt und geschaut habe: Welche Punkte habe ich bereits bedacht? Was habe ich übersehen? Was kann und sollte ich noch hinzufügen?
Was macht man mit einer Persona?
Wenn wir nun unsere Leonie haben, können wir anfangen, Fragen zu stellen. Zum Beispiel:
Was für eine Geschichte würde „Leonie“ lesen wollen?
Leonie …
- … neigt zu Eskapismus.
- … ist romantisch veranlagt.
- … mag sicherlich Humor.
- … würde sich wahrscheinlich über ein Happy End freuen. (Sie würde ja auch auf ein Happy End zwischen sich und Jonas hoffen.)
- … möchte auch intellektuell angesprochen werden, denn sie ist ja ein intelligentes Mädchen.
Welche Themen gehen ihr nahe?
- Das Thema Liebe ist für Leonie sehr aktuell.
- Sie hat einen Hund, also wird sie wahrscheinlich auch tierlieb sein.
- Sie ist kreativ veranlagt, also kann sie sich bestimmt mit Figuren identifizieren, die ebenfalls kreativ sind.
- Sie ist schüchtern, also wird sie sich auch mit solchen Protagonisten identifizieren können.
- Das Alltagsleben ist für sie natürlich ebenfalls aktuell.
Wo ich in meiner Fanfiction jedoch Potential verschenkt habe, ist sozusagen die „Otaku“-Subkultur (die Subkultur von Manga- und Anime-Fans). Viele Leser hätten sich sicherlich gefreut, wenn ich diese Subkultur z.B. in Form von Nebenfiguren eingebracht hätte.
Was für ein Plot würde sie inspirieren und motivieren?
- Bestimmt etwas, das ihr im Alltag hilft.
- Schüchternheit ist für sie ein Problem, deswegen würde sie sich wohl auch freuen, wenn sie ein paar hilfreiche Tipps zur Überwindung von Schüchternheit bekommen würde.
- Auch ein Plot, in dem es um die Eroberung eines Love-Interests geht, ist für sie sehr aktuell.
Das waren nur einige Beispiele. Ihr könnt ruhig mehr Fragen stellen, gerne zu jedem einzelnen Plotelement oder zu jedem einzelnen Kapitel. Wichtig ist einfach, stets im Kopf zu behalten: Was würde Leonie lesen wollen? Welche Geschichte wünscht sie sich?
Eine ideale Geschichte durch Personas?
Jetzt fragen sich aber manche sicherlich: Entsteht so wirklich eine ideale Geschichte?
Nein.
Natürlich nicht.
Auch meine Fanfiction wurde natürlich kritisiert. Einige mochten den Love-Interest nicht, andere mochten die Klischees aus romantischen Mangas nicht, andere mochten das Genre generell nicht und jede Kritik, die ich bekommen habe, war subjektiv und objektiv völlig berechtigt.
Wo man aber unterscheiden sollte, ist: Von wem kommt die Kritik?
Bei mir kam die negative Kritik in der Regel von Leuten, die nicht zu meiner Zielgruppe gehörten. Wenn z.B. eine Katrin meine Geschichte nicht mag, heißt das nicht, dass die Geschichte schlecht ist. Katrin kann mit Romanzen vielleicht generell nichts anfangen und bevorzugt lieber Science Fiction. Aber wenn eine Leonie meine Geschichte nicht mag, also meine Zielgruppe, dann habe ich etwas falsch gemacht. Definitiv.
Deswegen kann und sollte man festhalten:
Das Ziel ist nicht die ideale Geschichte, denn eine solche wird man nie schreiben können. Das Ziel ist eine ideale Geschichte für die ausgesuchte Zielgruppe.
Einschränkung der Freiheit?
Was man noch einwenden kann: Man analysiert seine Zielgruppe, um gezielt für sie zu schreiben. Da kommt also die Frage auf: Schränkt das nicht die Freiheit des Autors ein? Sollte man nicht das schreiben, was einem auf der Seele brennt?
Meine Antwort darauf wäre: Njein.
Gute Geschichten zeichnen sich ja dadurch aus, dass sie einem helfen, einen ermuntern, einen belehren und inspirieren. Und um diesen Effekt beim Lesen erzielen zu können, muss man ja erstmal wissen: Was bewegt meine Zielgruppe?
- Wenn man für niemanden (bzw. nur für sich selbst) schreibt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn niemand die Geschichte liest.
- Wenn man hingegen seine Zielgruppe anspricht, dann fühlen sich die Leser angesprochen und verstanden. Und darauf kommt es ja an.
Personas nützen allen
Am Ende bleibt also festzuhalten:
Wie auch immer man schreibt, es lohnt sich für Autor und Leser, wenn der Autor seine Leserpersonas zumindest im Hinterkopf hat.