Erzählen ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Kommunikation. Es ist alltäglich und allgegenwärtig. Doch was ist Erzählen überhaupt?
Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abonnenten und Kanalmitglieder auf YouTube als PDF zum Download.
Erzählen ist etwas, das wir jeden Tag tun. Eigentlich können wir sogar kaum kommunizieren, ohne uns ständig gegenseitig etwas zu erzählen. Und dementsprechend sind wir auch umgeben von Erzählungen:
- Wir hören und schauen Nachrichten,
- wir haben Schulunterricht,
- Freunde, die etwas aus ihrem Leben erzählen,
- und so weiter …
Und weil das Erzählen in unserem Leben so selbstverständlich ist, fragen wir uns meistens nicht, was das überhaupt ist. Dabei ist das Erzählen eine wahnsinnig faszinierende Sache.
Erzählen im weiteren Sinne
Wenn wir im Alltag von „Erzählen“ sprechen, dann meinen wir in der Regel, dass da jemand vor uns steht und eine Geschichte erzählt. Oft sagen wir aber auch, dass bestimmte Medien etwas erzählen.
Zu den erzählenden Medien gehören:
- Romane, Epik generell: Erzählen in Reinform.
- Filme: Erzählen durch bewegte Bilder.
- Graphic Novels und Comics: Erzählen durch statische gezeichnete Bilder.
- Animationsfilme: Erzählen durch Animation.
- Theaterstücke: Erzählen auf der Bühne.
- Videospiele: Erzählen, indem man den Rezipienten an der Geschichte teilhaben lässt.
- Sachliteratur: Erzählen von realen Tatsachen, vor allem in der Historiographie.
- Im weitesten Sinne kann man auch sagen, dass in Rezepten erzählt wird, wie man aus bestimmten Zutaten tolle Gerichte zaubert.
Was all diese Medien gemeinsam haben, ist, dass sie einen Weg von A nach B beschreiben. Sie beschreiben eine Bewegung. Eine Zustandsveränderung.
Und damit kommen wir zur strukturalistischen Definition von „Erzählen“:
Erzählen ist das Beschreiben einer Zustandsveränderung.
So wird Erzählen im weiteren Sinne definiert.
Und im engeren?
Erzählen im engeren Sinne
Wir erinnern uns an diesen Jemand, der vor uns steht und uns etwas erzählt. Das, was wir mit dem alltäglichen Erzählen verbinden. Diesen Jemand gibt es eigentlich nur in der Epik. Mit anderen Worten: Nur Epik hat einen Erzähler. Und damit ist nur Epik im engeren Sinne erzählend.
Vergleichen wir doch einfach mal:
- Bei Filmen, Theaterstücken, Grphic Novels und Animationsfilmen ist der Rezipient in der Rolle des Beobachters bzw. Zeugen. Bei Videospielen ist der Rezipient, also der Spieler, sogar direkt am Geschehen beteiligt. Dementsprechend ist hier ein Erzähler gar nicht erst notwendig.
- Bei einem Rezept handelt es sich um eine Kette von Handlungsanweisungen. Man kann sich zwar vorstellen, dass etwas Erzählerhaftes neben einem steht und einem sagt, was man tun soll. Aber letztendlich sind Rezepte eher eine gesichtslose Aneinanderreihung von Imperativen ohne eine bestimmte Perspektive, ohne eine wirkliche Persönlichkeit. Deswegen kann man hier nicht wirklich von einem Erzähler sprechen.
- Was der Epik am nächsten kommt, ist die Sachliteratur, besonders die Historiographie. Allerdings handelt es sich hier eher um eine Wiedergabe oder Zusammenfassung von Gedanken und Erkenntnissen einer Person und es ist nicht wieder dieser Jemand, der zwischen der Geschichte und dem Leser steht.
Wir sehen also, den Erzähler gibt es wirklich nur in der Epik. Dadurch hebt sie sich von allen anderen erzählenden Genres ab. Und damit kommen wir zur Definition von Erzählen im engeren Sinne:
Erzählen ist das Beschreiben einer Zustandsveränderung durch eine Erzählinstanz.
Ohne Erzähler keine Erzählung!
Die Erzählinstanz „scannt“ die große, weite Welt, alle möglichen Sinneseindrücke, auf das Wichtigste und komprimiert es in Worte. Diese Worte können sowohl mündlich als auch schriftlich wiedergegeben werden. Aber allgemein gilt: Ohne Erzähler keine Erzählung!
Deswegen gilt auch, dass der Erzähler im Wesentlichen beeinflusst, wie der Leser oder Zuhörer die Erzählung wahrnimmt. Die Faustregel ist:
Eine noch so interessante Geschichte, vorgetragen durch einen schlechten Erzähler kommt schlecht an.
Eine noch so unspektakuläre Geschichte, vorgetragen durch einen guten Erzähler kommt gut an.
Deswegen sollte die Rolle des Erzählers in einer Erzählung niemals unterschätzt werden. Er ist deutlich wichtiger als Figuren und Plot. Er ist überhaupt das Wichtigste an der ganzen Erzählung.
Daher merke:
Der Erzähler ist das Α und Ω einer jeden Erzählung!