World-Buil­ding: Magie, Super­kräfte und Tech­no­lo­gien

World-Buil­ding: Magie, Super­kräfte und Tech­no­lo­gien

Ob Magie, Super­kräfte oder Tech­no­lo­gien, die es noch nicht gibt – Wir Autoren lieben es, beim Erschaffen unserer Welten die uns bekannte Rea­lität zu erwei­tern. Doch dabei lauern auch Gefahren, die die ganze Geschichte zer­stören können. Was gibt es also zu beachten? Dar­über reden wir in diesem Artikel.

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Was ist Magie? - Ich meine diese Frage nicht im her­kömm­li­chen Sinne, denn wir alle wissen, was Magie ist: Über­na­tür­li­ches, Uner­klär­li­ches, eine Kraft jen­seits der mate­ri­ellen Welt. Doch was ist Magie, wenn wir „schreib­tech­nisch“ dar­über reden?

Ich würde sagen, man kann beim Bezug zur Rea­lität in Geschichten grund­sätz­lich zwi­schen zwei Ten­denzen unter­scheiden:

Man kann die uns bekannte reale Welt ent­weder nach­ahmen – oder aber erwei­tern.

Und genau diese Erwei­te­rung unserer All­tags­rea­lität würde ich als Magie betrachten. Denn die Palette an Arten von Magie ist in fik­tio­nalen Werken sehr breit gefä­chert und oft wird Magie nicht einmal als solche bezeichnet: Man nennt sie „die Macht“ (Star Wars), Alchemie (Full­metal Alche­mist), Ele­ment­bän­digen (Avatar – Der Herr der Ele­mente) oder ganz unspek­ta­kulär den sechsten Sinn (The Sixth Sense). Und obwohl Magie eigent­lich etwas dar­stellt, das von der Wis­sen­schaft nicht erklärt werden kann, wird die Wis­sen­schaft selbst in vielen Werken zur Magie, wenn da Wurm­lö­cher ins Spiel kommen, durch die man zwi­schen Pla­neten umher­reisen kann (Star­gate), Tech­no­lo­gien, mit denen die Helden sich in andere Wesen ver­wan­deln (Ani­morphs), ein Serum, das den kränk­li­chen Helden zu einem Super­sol­daten macht (Cap­tain Ame­rica), oder Labore, in denen Embryonen gezielt für ihren zukünf­tigen Platz in der Gesell­schaft her­an­ge­züchtet werden (Brave New World).

Somit ist Magie nicht allein dem Fan­tasy-Genre vor­be­halten. Denn auch andere Genres sind bei genauerem Hin­sehen mit Magie durch­tränkt.

Und des­wegen betrifft dieses Thema prak­tisch alle Autoren.

Packen wir’s also an!

Warum über Magie schreiben?

Magie betrifft prak­tisch alle Autoren. So weit waren wir. Aber was reizt uns eigent­lich daran? Warum ver­su­chen wir immer wieder, die uns bekannte Welt zu erwei­tern?

  • Als Erstes kommt natür­lich Eska­pismus in den Sinn: Wenn uns die Rea­lität zu lang­weilig wird, sehnen wir uns nach einer inter­es­san­teren, grö­ßeren, bun­teren Welt. Nach neuen Grenzen und unge­ahnten Mög­lich­keiten. Und viel­leicht wollen wir auch aus­testen, wie weit unsere Fan­tasie uns tragen kann.
  • Es kann aber auch sein, dass wir Stoff aus Mythen, Legenden und Mär­chen ver­ar­beiten. Uns also von von vorn­herein magie­las­tigem Mate­rial inspi­rieren lassen. – Natür­lich fallen unsere Werke dann eben­falls magisch aus.
  • Aller­dings kann Magie auch einen „seriö­seren“ Zweck haben, zum Bei­spiel in Form von Was-wäre-wenn-Sze­na­rien, die einen Aspekt unserer Rea­lität in den Fokus rücken und uns durch Ver­frem­dung ermög­li­chen, diese Rea­lität und ihre Mög­lich­keiten und Gefahren besser zu ver­stehen.
  • Oder aber die Magie kann sym­bo­lisch für etwas Reales stehen: Das Werk wird somit zu einer Meta­pher für unsere reale Welt – sodass es ober­fläch­lich viel­leicht um magi­schen Hokus­pokus geht, auf einer tie­feren Ebene jedoch Themen wie Leben, Tod, Liebe, Gesell­schaft und Ras­sismus dis­ku­tiert werden.

Her­aus­ar­beiten eines Magie­sys­tems

Weil die Gründe für das Ein­bauen von Magie ins eigene Werk so viel­fältig sind, lassen sich dazu nur schwer all­ge­meine Regeln for­mu­lieren. Unein­ge­schränkt gültig ist aber auch hier das uralte Mantra:

Die Magie sollte zur Prä­misse der Geschichte passen, mit den zen­tralen Themen har­mo­nieren und sich mög­lichst nahtlos in das Gesamt­kon­zept ein­fügen.

Und im Zusam­men­hang damit gilt auch das alte, schmerz­hafte Prinzip „Kill your dar­lings!“:

Wenn Du die Magie aus Deiner Geschichte strei­chen kannst, ohne dass etwas ver­loren geht, soll­test Du zumin­dest dar­über nach­denken, sie zu strei­chen oder das Gesamt­kon­zept zu über­ar­beiten.

Über­lege dabei immer, was die Magie für die Welt, in der Deine Geschichte spielt, bedeutet: Sind flie­gende Autos all­ge­gen­wärtig? Dann würde die Infra­struktur dieser Welt sich dras­tisch von der uns­rigen unter­scheiden. Oder ist Magie eine sel­tene Gabe? Dann wird man dafür viel­leicht bewun­dert oder gehasst. Werden Magier, Mutanten, geniale Wis­sen­schaftler oder was auch immer von irgend­wel­chen Orga­ni­sa­tionen kon­trol­liert? Wer sorgt dafür, dass sie ihre Macht nicht miss­brau­chen? – Ich möchte Dir da keine Vor­gaben auf­zwingen, aber mache Dir Gedanken, welche Kon­se­quenzen die Exis­tenz der Magie, die Dir vor­schwebt, mit sich bringt.

Über­lege außerdem, was die Magie kon­kret für Deine Figuren bedeutet: Han­delt es sich um kleine Nicht­ma­gier in einer großen, magi­schen Welt? Um „nicht-magi­sche“, natür­lich gebo­rene Men­schen, die in einer Welt von künst­lich gezeugten per­fekten Men­schen eine unter­drückte Klasse dar­stellen? Oder sind sie selbst Magier, viel­leicht sogar sie mäch­tigsten auf der Welt?

Ver­giss dabei auch nicht die ganz per­sön­liche Dimen­sion, den Cha­rakter-Arc des Prot­ago­nisten:

  • Die Ver­wand­lung von Walter White aus Brea­king Bad in den Dro­gen­baron Hei­sen­berg ist eng an seine „Magie“ gekop­pelt: an seine Genia­lität, seine außer­or­dent­li­chen Kennt­nisse der Chemie und sein Pro­dukt, das blaue Meth, das es in der Rea­lität nicht gibt und das in der Serie pas­sen­der­weise sogar als „Blue Magic“ beti­telt wird.
  • Auch ist Steve Rogers in Cap­tain Ame­rica: The First Avenger nicht ein­fach irgendwer, der zum magi­schen Super­sol­daten wird, son­dern er ist eigent­lich das kom­plette Gegen­teil davon: ein schwäch­li­cher Winz­ling, der im Zweiten Welt­krieg unbe­dingt gegen die Nazis kämpfen will, auf­grund seiner kränk­li­chen Natur jedoch immer wieder abge­lehnt wird. Im Herzen ist er jedoch der per­fekte Held und wird genau des­wegen aus­ge­wählt, um durch ein Serum zum Super­sol­daten gemacht zu werden.
  • Und selbst in einer epi­so­dischen Geschichte, in der es keinen kon­ti­nu­ier­li­chen Arc gibt, in der der Held immer und immer wieder die glei­chen Lek­tionen lernen muss, ist Magie per­sön­lich: Denn was den Super­helden Dark­wing Duck aus­zeichnet, ist das Fehlen jeg­li­cher Super­kräfte, in einer Welt, in der die meisten seiner Mit­streiter, sein Love-Inte­rest und vor allem auch viele seiner Gegner über magi­sche Fähig­keiten ver­fügen. Der in diesem Zusam­men­hang manchmal durch­schim­mernde Min­der­wer­tig­keits­kom­plex und zugleich die etwas kind­liche Art, sich uner­schro­cken ins Aben­teuer zu stürzen, sind ein fester Bestand­teil von Dark­wings Per­sön­lich­keit und seiner inspi­rie­renden Wir­kung auf mich.

Mit der Rolle für den Cha­rakter-Arc hängt in der Regel auch die Rolle der Magie in der Geschichte ins­ge­samt zusammen:

  • In Brea­king Bad ist die Chemie, die Wis­sen­schaft von Wand­lung, die zen­trale Meta­pher, die für den Wand­lungs­pro­zess des Prot­ago­nisten steht.
  • In Gat­taca sorgt das ver­brei­tete gene­ti­sche Desi­gnen per­fekter Men­schen für eine Dis­kri­mi­nie­rung natür­lich gezeugter Men­schen mit all ihren geis­tigen und kör­per­li­chen Defekten. Der natür­lich gebo­rene Prot­ago­nist ver­folgt den­noch seinen Traum in einer Welt, in der er nur ein min­der­wer­tiger Fremd­körper ist. Die „Magie“, die fort­ge­schrit­tene Tech­no­logie, prägt hier das ant­ago­nis­ti­sche Gesell­schafts­system und erschafft dadurch den zen­tralen Kon­flikt.
  • In Full­metal Alche­mist (Brot­her­hood) ist das Grund­prinzip der Alchemie, das Gesetz des äqui­va­lenten Tau­sches, zugleich auch das Grund­prinzip aller Dinge von dem anfäng­li­chen Fehler der beiden Prot­ago­nisten bis hin zur Lösung des Haupt­kon­flikts: „Man kann nichts gewinnen, wenn man nicht auch bereit ist, Opfer zu bringen. Wenn man etwas Neues erhalten will, muss man etwas von glei­chem Wert her­geben.“

Ideen für Magie­sys­teme

Wenn die Magie aber so indi­vi­duell wie die Geschichte sein sollte – Wie kommt man auf ori­gi­nelle Ideen?

Natür­lich kommt das Magie­kon­zept oft zusammen mit der Idee für die Geschichte. Gerade wenn man ein Was-wäre-wenn-Sze­nario ent­wi­ckelt, erwei­tert man die Rea­lität ja um genau diesen Was-wäre-wenn-Aspekt, der dann auch die Grund­lage für das gesamte Magie­system und die daraus resul­tie­renden Kon­se­quenzen für das World-Buil­ding dar­stellt. Oder man möchte sich von vorn­herein an einer bestimmten Mytho­logie bedienen und dann ent­wi­ckelt sich das Magie­system eben daraus.

Wenn die Magie­sys­teme sich jedoch immer mehr oder weniger auto­ma­tisch aus der Geschichte selbst ent­wi­ckeln würden, gäbe es nicht so viele Kli­schees. Vor allem wenn man bereits exis­tie­rende Kon­zepte aus der realen Welt als Vor­lage ver­wendet, gibt es eine große Wahr­schein­lich­keit, dass auch andere sich bereits an diesen Kon­zepten bedient und ähn­liche Sys­teme erschaffen haben. Eso­te­ri­sches, Okkultes, Reli­gionen, reale magi­sche und spi­ri­tu­elle Prak­tiken, Mär­chen und Mytho­lo­gien, die west­liche Vier-Ele­mente-Lehre oder die chi­ne­si­sche Fünf-Ele­mente-Lehre, das dua­lis­ti­sche Welt­bild von Gut und Böse, Schwarz gegen Weiß und Licht gegen Schatten, aber auch reale tech­no­lo­gi­sche und gesell­schaft­liche Ten­denzen und Über­le­gungen, wo es mit uns hin­geht … Das alles sind groß­ar­tige Inspi­ra­ti­ons­quellen, ja, aber die meisten von uns haben einen doch recht beschränkten Tel­ler­rand und recy­celn die­selben Kon­zepte immer und immer wieder, wäh­rend andere Inspi­ra­ti­ons­quellen irgendwo am Rande vor sich hin gam­meln.

Diese „Nischen­kon­zepte“ auf­zu­greifen wäre ein mög­li­cher Ansatz, um der Kli­schee­falle zu ent­gehen. Fan­tasy, das auf euro­päi­schem Pseu­do­mit­tel­alter auf­baut und sich an nor­disch-ger­ma­ni­scher Mytho­logie und christ­li­chen Kon­zepten bedient, gibt es spä­tes­tens seit dem Erscheinen des Herrn der Ringe zuhauf. Seit einigen Jahr­zehnten wird es zum Glück bunter und es gibt in der Pop­kultur zum Bei­spiel magi­sche Welten mit Schieß­pulver, sla­wisch inspi­riertes World-Buil­ding und japa­ni­sche Götter und Dämonen. Die Ver­ar­bei­tung bei­spiels­weise afri­ka­ni­scher Kon­zepte hin­gegen scheint – abge­sehen von Voodoo – immer noch eher eine „Nische“ zu sein, obwohl sie vor dem Hin­ter­grund des immer noch sehr exis­tenten Ras­sismus durchaus gepusht werden dürfte und die Beses­sen­heits­ze­re­mo­nien im Zusam­men­hang mit der Tum­buka-Mytho­logie absolut span­nend klingen.

Meis­tens kommen „Nischen­kon­zepte“ aber durchaus mit dem Pro­blem, dass nur wenige Men­schen sich damit aus­kennen und eine Ver­ar­bei­tung ihrer am Ende oft auf eine Ver­un­stal­tung hin­aus­läuft. So mochte ich die erste Staffel der Net­flix-Adap­tion von Shadow and Bone von Leigh Bardugo durchaus gerne, will die Bücher aber nicht anfassen, weil darin die rus­si­sche Kultur und vor allem Sprache, mit denen ich auf­ge­wachsen bin, ver­un­staltet wurden und ich schon beim „Schnup­pern“ Cringe-Anfälle hatte. Des­wegen emp­fehle ich, bei „Nischen­kon­zepten“ ent­weder sehr gut zu recher­chieren oder ein bekann­teres Main­stream-Kon­zept zu wählen und ihm einen neuen, ori­gi­nellen Twist zu ver­passen, der idea­ler­weise aus der Prä­misse her­vor­gehen sollte.

Nun hat eine Anleh­nung der Magie an reale Prak­tiken und Kon­zepte natür­lich den Vor­teil, dass das Ergebnis sich ten­den­ziell rea­lis­ti­scher und greif­barer anfühlt: Es kommt einem bekannt vor und wirkt des­wegen glaub­würdig. Alter­nativ kannst Du aber natür­lich auch ver­su­chen, etwas kom­plett Neues oder sogar Skur­riles zu erschaffen. Da kann ich Dir aber nicht wirk­lich Tipps für geben, weil ich tat­säch­lich glaube, dass hier vor allem ein gewisses Talent, ein etwas unge­wöhn­lich ver­drah­tetes Gehirn, not­wendig ist. Aber eins kann ich Dir den­noch ans Herz legen, was auch bei der Ver­ar­bei­tung bereits exis­tie­render Kon­zepte sinn­voll ist:

Gehe stets mit offenen Augen durch die Welt, inter­es­siere Dich für alles, was Dir unter die Nase kommt, sauge alles auf wie ein Schwamm, denn Inspi­ra­tion lauert überall und ori­gi­nelle Ideen sind häufig Kom­bi­na­tionen von gewöhn­li­chen Dingen, die aber meis­tens ein­fach nicht im selben Kon­text auf­tau­chen.

Und ansonsten kann ich auch hier wie­der­holen:

Das Magie­system sollte auf jeden Fall zum Gesamt­kon­zept der Geschichte passen.

Harte und weiche Magie­sys­teme

Bei all den unend­li­chen Mög­lich­keiten, wie ein Magie­system aus­sehen könnte, vor allem, wenn man den Begriff auch auf wis­sen­schaft­liche Spe­ku­la­tionen aus­weitet, ist es schwierig, etwas wie eine Kate­go­ri­sie­rung vor­zu­nehmen. Einen sol­chen Ansatz, der durch den Autor Brandon San­derson Ver­brei­tung gefunden hat, gibt es aber durchaus und es geht dabei um ein Spek­trum von wei­chen und harten Magie­sys­temen und ihren Misch­formen, die alle flie­ßend inein­ander über­gehen.

Je nachdem, zu wel­chem Pol ein kon­kretes Magie­system eher ten­diert, ergeben sich jedoch bestimmte Vor- und Nach­teile.

Des­wegen ist es durchaus sinn­voll, das eigene System auf diesem Spek­trum ein­zu­ordnen und die daraus resul­tie­renden Pro­bleme zu berück­sich­tigen. Schauen wir uns also an, was mit wei­chen und harten Magie­sys­temen gemeint ist:

  • Harte Magie­sys­teme zeichnen sich vor allem durch feste, klare Regeln und Ein­schrän­kungen aus: Eine magi­sche Hand­lung A führt immer zum Ergebnis B, man kann hier nahezu wis­sen­schaft­lich kal­ku­lieren und wenn etwas schief­läuft, dann liegt das am feh­lenden Wissen oder einer Fehl­kal­ku­la­tion des Anwen­ders. In harten Sys­temen ist Magie vor allem ein Werk­zeug, mit dem nur sehr kon­krete Dinge gemacht werden können, dessen Ver­wen­dung also auch klare Grenzen hat und häufig auch etwas kostet, sei es in Form von magi­scher Energie, Blut oder irgend­einer Kom­bi­na­tion von Zutaten. Es ist daher kein Wunder, dass solche Magie­sys­teme sich meis­tens sehr tech­nisch anfühlen und die Span­nung hier vor allem dadurch ent­steht, die Figuren bei all ihrer Magie irgend­wann an die Grenzen ihrer Mög­lich­keiten stoßen und neue Wege finden müssen, um ihre Kon­flikte zu lösen.

Ein Bei­spiel für ein super­hartes Magie­system ist Full­metal Alche­mist (Brot­her­hood). Am Gesetz des äqui­va­lenten Tau­sches ist nicht zu rüt­teln und man braucht in der Regel einen Trans­mu­ta­ti­ons­kreis. Zwar können einige Figuren auch ohne Trans­mu­ta­ti­ons­kreis Dinge ver­wan­deln, doch das sind Men­schen, die „die Wahr­heit“ bzw. Gott gesehen haben – als Ergebnis einer ver­bo­tenen mensch­li­chen Trans­mu­ta­tion, einer Auf­leh­nung gegen Gott, die den betrof­fenen Alche­misten ver­stüm­melt zurück­ge­lassen hat. Auch kann man die Grenzen der Alchemie umgehen, wenn man einen Stein der Weisen benutzt. Dessen Her­stel­lung erfor­dert jedoch Men­schen­opfer. – Also egal, wie man es dreht und wendet, in Full­metal Alche­mist hat alles seine Grenzen und seinen Preis.

  • Bei wei­chen Magie­sys­temen ist das Gegen­teil der Fall: Ohne klare Regeln ist die Magie mys­te­riös und nicht fassbar. Ihre Aus­wir­kungen sind unvor­her­sehbar und ihre Natur ist uner­gründ­lich. Ihre Grenzen und Mög­lich­keiten sind unbe­kannt. Des­wegen fühlt sich diese Art von Magie magi­scher an, wun­der­barer, gött­li­cher.

Ein Bei­spiel für ein super­wei­ches Magie­system ist Der Herr der Ringe. Die nicht­ma­gi­schen Hob­bits bewegen sich durch eine äußerst magi­sche Welt voller Wunder, die man nicht wirk­lich greifen kann. Die Elben sind zwei­fellos ein magi­sches Volk, aber man erfährt nicht, wie genau ihre Magie funk­tio­niert. Der Zau­berer Gan­dalf hat ein breites Arsenal an magi­schen Fähig­keiten auf Lager, aber man sieht nur einige wenige davon und man erfährt nie, was er sonst noch kann, was er nicht kann und welche Vor­aus­set­zungen für seine Magie erfüllt sein müssen. Sogar der Eine Ring, um den sich alles dreht, ist hoch­gradig magisch, aber seine genaue Funk­ti­ons­weise – was kon­kret man tun müsste, um von seiner Macht zu pro­fi­tieren – bleibt ein Geheimnis.

  • Es gibt aber auch Magie­sys­teme ohne eine klare Ten­denz zu einem der beiden Pole. Sie haben Ele­mente beider Ansätze. Hier ist die Magie immer noch geheim­nis­voll, Teile von ihr sind uner­klärbar, aber gleich­zeitig gibt es auch gewisse Regeln.

Ein Bei­spiel für ein sol­ches Misch­system ist Harry Potter. Hier ist unklar, wo die Grenzen der Magie liegen – für prak­tisch alles gibt es einen Zau­ber­spruch. Gleich­zeitig gibt es aber auch die Not­wen­dig­keit, eben Zau­ber­sprüche zu kennen und einen Zau­ber­stab zu besitzen. Zwar gibt es auch Magie ohne diese Werk­zeuge, aber diese wird ent­weder unkon­trol­liert von Kin­dern aus­geübt oder es ist sehr fort­ge­schrit­tene Magie, zum Bei­spiel wenn man sein Leben opfert, um jemanden zu beschützen.

Nun ist so ein Spek­trum schön und gut, aber Dir wird auf­ge­fallen sein, dass es sich eben nur auf Magie­sys­teme bezieht, nicht zwangs­läufig auf ganze Werke. Denn in einem Werk können meh­rere Magie­sys­teme ent­halten sein, die in dem Spek­trum auch an unter­schied­li­chen Punkten anzu­sie­deln sind.

So ist Das Lied von Eis uns Feuer unter anderem dafür bekannt, dass dort viele ver­schie­dene Kul­turen, Reli­gionen und eben auch Magien neben­ein­ander exis­tieren: Wäh­rend Mali­sandres Magie sehr weich ist, da nicht einmal sie selbst ver­steht, was sie da macht, sind die Männer ohne Gesicht strengen Regeln unter­worfen und die Gesichter der Toten, die sie als Tar­nung nutzen, sind vor allem ein Werk­zeug mit einer ganz bestimmten magi­schen Funk­tion.

Ansonsten können Magie­sys­teme in ihren jewei­ligen Welten unter­schied­lich stark prä­sent sein – von all­täg­li­chen Phä­no­menen bis hin zu sel­tenen, gut gehü­teten Geheim­nissen. Wie viel Magie in Deinem Werk zum Ein­satz kommen soll, hängt also – wie auch alles andere – von Deinem Werk und der beab­sich­tigten Wir­kung ab.

Stol­per­fallen und Brandon San­der­sons Gesetze der Magie

Auch wenn Du als Autor bei der Erschaf­fung von Magie­sys­temen so kreativ werden darfst und sollst, wie Du willst, musst Du einige Stol­per­fallen im Auge behalten. Denn eine unge­schickte Hand­ha­bung des Magie­sys­tems kann Deine kom­plette Geschichte zer­stören.

  • So ris­kiert ein über­powerter Prot­ago­nist, der Geschichte jeg­liche Span­nung zu nehmen. Denn natür­lich wird ein all­mäch­tiger Gott alle Hürden über­winden. Das ist vor­her­sehbar. – Wobei über­mäch­tige Prot­ago­nisten durchaus ihre Daseins­be­rech­ti­gung haben und inter­es­sant sein können; und das Thema ver­dient gene­rell einen eigen­stän­digen Artikel. Aber das ändert nichts an der Gefahr, dass sie all ihre Kon­flikte mit links lösen und den Leser dadurch lang­weilen.
  • Damit ver­wandt ist Gefahr, dass die Magie an sich über­powert ist. Hier kann es beson­ders bei wei­cheren Magie­sys­temen pas­sieren, dass der Autor ständig neue Mög­lich­keiten ein­führt und die Kon­flikte nicht etwa durch Geschick, Intel­li­genz, Können und die Über­win­dung von Schwä­chen gelöst werden, son­dern dadurch, dass der Prot­ago­nist aus hei­terem Himmel eine neue magi­sche Fähig­keit bekommt. Beson­ders das Kli­schee der Kraft der Freund­schaft macht sich gerne dieses Deus-ex-Machina-Auf­tritts schuldig: Die Hel­den­gruppe ist geschei­tert, alle liegen halb tot am Boden … bis der Prot­ago­nist an all die tollen Momente mit seinen Freunden denkt, plötz­lich geheilt ist und mit seiner neu erlangten Magie der Freund­schaft den bösen Over­lord zer­quetscht wie eine Fliege.
  • Här­tere Magie­sys­teme wie­derum laufen Gefahr, zu detail­liert und kom­pli­ziert zu werden. Denn wenn der Leser die Hand­lung genießen soll, dann sollte er sie ver­stehen. Wenn die magi­sche Formel, mit der der zen­trale Kon­flikt gelöst wird, jedoch auf einer hoch­kom­pli­zierten Kal­ku­la­tion beruht, die nur ein Mathe­ma­tik­pro­fessor nach­voll­ziehen könnte, dann ist Deine Geschichte nicht mehr inter­es­sant.
  • Und schließ­lich steht jede Erwei­te­rung der uns bekannten Rea­lität vor der Her­aus­for­de­rung, das Unrea­lis­ti­sche an das Rea­lis­ti­sche zu knüpfen und glaub­haft zu machen. Der Leser sollte sich vor­stellen können, dass die Geschichte trotz der Rea­li­täts­er­wei­te­rung tat­säch­lich so pas­sieren würde – denn er will ja eine Ver­bin­dung auf­bauen, mit­fühlen und zumin­dest im Rahmen des Lese­aktes der Geschichte glauben und ver­trauen.

Was können wir also tun, um diesen Stol­per­fallen aus­zu­wei­chen? – Ich per­sön­lich emp­fehle die drei Magie­ge­setze von Brandon San­derson.

Erstes Gesetz der Magie

San­der­sons erstes Magie­ge­setz besagt:

An author’s ability to solve con­flict with magic is DIRECTLY PRO­POR­TIONAL to how well the reader under­stands said magic.

Die Fähig­keit eines Autors, den Kon­flikt mit Magie zu lösen, ist DIREKT PRO­POR­TIONAL zum Ver­ständnis dieser Magie sei­tens des Lesers.

Brandon San­derson: Sanderson’s First Law, https://www.brandonsanderson.com/sandersons-first-law/.

Soll heißen:

Wenn der Kon­flikt einer Geschichte mit­tels Magie gelöst wird, dann sollte der Leser die Funk­ti­ons­weise dieser Magie ver­stehen. Wenn der Leser die Magie aber nicht ver­steht, zum Bei­spiel im Fall eines super­wei­chen Magie­sys­tems, dann wirkt die Kon­flikt­lö­sung mit­tels Magie ten­den­ziell wie ein Deus ex Machina.

Das ist einer der wich­tigsten Gründe, warum Du wissen soll­test, wo Dein Magie­system auf dem Hart-weich-Spek­trum ange­sie­delt ist:

  • Im super­wei­chen Magie­system des Herrn der Ringe hätte es sich sehr billig ange­fühlt, wenn Frodo nicht zu Fuß nach Mordor gestie­felt wäre, son­dern ein magi­sches Trans­por­ta­ti­ons­mittel benutzt hätte.
  • Das Finale der zweiten Staffel von Die Legende von Korra fühlt sich billig an, weil Korra plötz­lich auf eine neue Magie­quelle zugreifen kann, nachdem sie ihre alte ver­loren hat – zumal das Magie­system im Avatar-Uni­versum sonst ein­deutig auf der harten Seite ist.

Wenn Du den Kon­flikt Deiner Geschichte also durch weiche Magie lösen willst, dann sollte sie vorher wenigs­tens eini­ger­maßen ver­ständ­lich ein­ge­führt werden. Und wenn Du kein Risiko ein­gehen möch­test, soll­test Du die weiche Magie aus­schließ­lich als Hin­ter­grund­ku­lisse ver­wenden.

Für harte Magie­sys­teme wie­derum bedeutet das: Sie sollten so erklärt werden, dass der Leser ihren Ein­satz als Werk­zeug zur Kon­flikt­lö­sung nach­voll­ziehen kann.

Zweites Gesetz der Magie

San­der­sons zweites Magie­ge­setz besagt:

Limi­ta­tions > Powers

Ein­schrän­kungen > Kräfte

Brandon San­derson: Sanderson’s Second Law, https://www.brandonsanderson.com/sandersons-second-law/.

Soll heißen:

Ohne Kryp­tonit ist Superman lang­weilig. Dass Frodo nur ein schwa­cher, kleiner Hobbit in einer großen, magi­schen Welt ist, macht ihn inter­es­sant. Und ein Achilles ohne Achil­les­ferse ist kein Stoff für Mythen und Legenden.

Es sind die Schwä­chen, Ecken und Kanten, die eine Figur span­nend machen und für Iden­ti­fi­ka­ti­ons­po­ten­tial sorgen. Dabei muss die Schwäche nicht einmal magisch sein, denn ein noch so got­tes­glei­cher Prot­ago­nist kann inter­es­sant und mensch­lich wirken, wenn er zum Bei­spiel psy­cho­lo­gi­sches Ent­wick­lungs­po­ten­tial hat und seine über­mäch­tige Magie allein eben nicht alle Pro­bleme löst:

Wenn Fritz­chen ein Halb­gott ist und zugleich die mäch­tigste Kreatur im Uni­versum, dann ist seine Teil­nahme an einem Magie­wett­be­werb eher lang­weilig. Wenn der Halb­gott Fritz­chen dabei aber mas­siven Lie­bes­kummer hat und sich des­wegen nicht auf den Wett­be­werb kon­zen­trieren kann – dann wird es inter­es­sant. Er muss lernen los­zu­lassen, wenn er gewinnen will, und dadurch kann sich der Leser mit ihm iden­ti­fi­zieren.

Dieses Gesetz sorgt also auch für mehr Rea­lismus: Denn auch wenn ein Halb­gott unrea­lis­tisch ist, können seine Pro­bleme, Gefühle und Ängste eine sta­bile Ver­bin­dung zur Rea­lität her­stellen. Auch wäre es unrea­lis­tisch, wenn eine noch so gött­liche Kraft alle Pro­bleme lösen könnte. Daher sollte jedes Magie­system gewissen Ein­schrän­kungen unter­worfen sein, seien diese Ein­schrän­kungen auch nur, dass der Prot­ago­nist in einer magi­schen Welt eben keine magi­schen Kräfte hat.

Drittes Gesetz der Magie

San­der­sons drittes Magie­ge­setz besagt:

Expand what you already have before you add some­thing new.

Erwei­tere das, was Du bereits hast, bevor du etwas Neues hin­zu­fügst.

Brandon San­derson: Sanderson’s Third Law of Magic, https://www.brandonsanderson.com/sandersons-third-law-of-magic/.

Soll heißen:

Ver­liere Dich nicht in Details und kon­zen­triere Dich auf das Wesent­liche. Du machst Dein Magie­system unnötig kom­pli­ziert, wenn Du es ständig erwei­terst. Ver­suche immer, erst mal mit dem aus­zu­kommen, was Du bereits hast; gehe also mehr in die Tiefe statt in die Breite.

In die Tiefe zu gehen bedeutet, Ver­knüp­fungen zwi­schen bereits Exis­tie­rendem her­zu­stellen und Varia­tionen ein­zu­bauen:

Im Gegen­satz zu Korra ent­deckt Toph in Avatar – Der Herr der Ele­mente das Metall­bän­digen nicht ein­fach so, son­dern es ist eine Varia­tion des Erd­bän­di­gens, das sie ja meis­ter­haft beherrscht. Außerdem knüpft das an den Gedanken an, dass alles auf der Welt mit­ein­ander ver­bunden ist. Das Bän­digen von Metall ist also des­wegen mög­lich, weil es Erd- bzw. Stein­par­tikel ent­hält. Somit ist Tophs Metall­bän­digen nichts Neues, son­dern eben nur das gute, alte Erd­bän­digen in einer neuen Ver­pa­ckung.

Diese Her­an­ge­hens­weise sorgt dafür, dass Dein Magie­system eben nicht zu kom­pli­ziert und unüber­schaubar wird, fest­ge­legte Grenzen bestehen bleiben und ein Gefühl von Rea­lismus gewahrt wird, weil die neuen magi­schen Mög­lich­keiten eben nicht ein­fach so aus dem Nichts kommen.

Schluss­wort

So viel also zu Magie­sys­temen – seien sie tat­säch­lich Hokus­pokus oder wis­sen­schaft­liche Spe­ku­la­tionen. Denn vom rea­li­täts­er­wei­ternden Prinzip her sind sie das­selbe.

Es bleibt aller­dings die Frage, wie Magie­sys­teme mit all ihren Mög­lich­keiten und Ein­schrän­kungen in der Geschichte ein­ge­führt werden sollten. Und da kann ich vor­erst auf zwei Prak­tiken ver­weisen, die Du schon längst kennst:

  • Ver­meide Info-Dump.
  • Show, don’t tell.

In den meisten Fällen ist es am besten, wenn Du die Prin­zi­pien Deines Magie­sys­tems dem Leser im Ver­lauf der Hand­lung nach und nach ver­ab­reichst. Dieses Ver­ab­rei­chen nicht nur des Magie­sys­tems, son­dern des World-Bui­lings gene­rell ist aber Stoff für einen eigen­stän­digen Artikel, der mit großer Wahr­schein­lich­keit im ersten Halb­jahr 2022 ver­öf­fent­licht wird.

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