Figu­ren­ana­lyse von Ludwig Breyer („Der Weg zurück“ von E. M. Remarque)

Figu­ren­ana­lyse von Ludwig Breyer („Der Weg zurück“ von E. M. Remarque)

Ein guter Figu­rentod (Cha­racter Death) kann eine große Wir­kung haben. Ein sol­ches Bei­spiel ist der Tod von Leut­nant Ludwig Breyer in Remar­ques Roman Der Weg zurück, der Fort­set­zung von Im Westen nichts Neues. Lud­wigs Tod trifft den Leser nicht nur emo­tional, son­dern hat auch eine wich­tige Bedeu­tung für den Plot und die Gesamt­aus­sage des Buches. Wie erreicht Remar­ques das? In diesem Artikel finden wir es heraus.

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Hach, ja … Gibt es denn einen schö­neren Weg, dem Leser das Herz zu bre­chen, als eine geliebte Figur sterben zu lassen?

Damit der Anschlag auf die Gefühle des Lesers aber wirk­lich funk­tio­niert, müssen einige Grund­be­din­gungen erfüllt sein:

  • Die Figur ist dem Leser tat­säch­lich sym­pa­thisch.
  • Der Tod der Figur hat eine Funk­tion für das Gesamt­werk (und pas­siert nicht um des bloßen Schocks willen).
  • Der Tod der Figur kommt nicht zufällig aus dem Nichts.

Eine Figur, die meiner Mei­nung nach das alles erfüllt, ist Leut­nant Ludwig Breyer aus Remar­ques Roman Der Weg zurück.

Und bitte ent­schul­dige auch gleich den Spoiler. Aller­dings geht es in Der Weg zurück nicht um eine vir­tuose, unvor­her­seh­bare Hand­lung, also nicht um das Was, son­dern mehr um das Wie bzw. kon­krete Situa­tionen, Zustände, Dia­loge bzw. im Grunde um eine anschau­liche Demons­tra­tion der unzäh­ligen Sym­ptome einer Post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung. Des­wegen finde ich Spoiler hier nicht so dra­ma­tisch, aber ab diesem Punkt soll jeder selbst wissen.

Wenn Spoiler Dich also nicht abschre­cken oder Du das Buch schon gelesen hast: Zer­legen wir gemeinsam die Figur von Ludwig Breyer!

Der Weg zurück: Worum geht es?

Wie bereits gesagt, ist der Plot in Der Weg zurück nicht allzu kom­pli­ziert und lässt sich in einem Satz zusam­men­fassen:

Nach dem Ersten Welt­krieg kehren die über­le­benden Sol­daten nach Hause zurück und müssen fest­stellen, dass der Weg zurück ins nor­male Leben — gelinde gesagt — sehr beschwer­lich ist.

Mit anderen Worten:

Der Roman zeigt, dass der Krieg nicht ein­fach vorbei ist, wenn nicht mehr geschossen wird. Denn er hin­ter­lässt im Leben jener, die ihn erlebt haben, und ihrer Ange­hö­rigen blei­bende Spuren. Und so man­cher, der den Krieg in einem Stück über­lebt hat, über­lebt nicht die Zeit danach.

Die Fort­set­zung von Im Westen nichts Neues

Der Weg zurück ist die 1930–31 erschie­nene Fort­set­zung des welt­be­rühmten Romans Im Westen nichts Neues, kann aber auch kom­plett für sich gelesen werden, weil nur eine Neben­figur aus dem ersten Roman vor­kommt und die rest­li­chen Figuren nur erwähnt werden.

Wie auch in Im Westen nichts Neues zeigt Remarque hier das Grauen des Ersten Welt­krieges, aller­dings mit Schwer­punkt auf seinen lang­fris­tigen Folgen. Kommen in Im Westen nichts Neues die Pro­bleme im zivilen Leben nur kurz wäh­rend des Front­ur­laubs des Prot­ago­nisten vor, sind sie in Der Weg zurück der Haupt­ge­gen­stand der Erzäh­lung. Umge­kehrt wird das unmit­tel­bare Grauen des Ersten Welt­krieges, das den Haupt­teil von Im Westen nichts Neues bildet, in Der Weg zurück vor allem am Anfang und in Flash­backs gezeigt. Somit ergänzen sich die beiden Romane auch gegen­seitig.

Im Gegen­satz zum Vor­gänger werden der Krieg und die Mili­ta­ri­sie­rung der Jugend in Der Weg zurück sehr explizit ver­ur­teilt. Die Ten­denzen der Erschei­nungs­zeit des Romans haben Remarque offen­sicht­lich sehr beun­ru­higt und es ist auch nicht ver­wun­der­lich, dass Der Weg zurück bei seinem Erscheinen in Deutsch­land eine Kon­tro­verse aus­löste. 1933 wurde der Roman zusammen mit Im Westen nichts Neues öffent­lich ver­brannt.

Schick­sale der Figuren

Erzählt wird die Geschichte von einem Ich-Erzähler namens Ernst Birk­holz. Doch neben seiner eigenen Geschichte berichtet Ernst auch von den Schick­salen seiner Kame­raden, die alle ver­schie­dene Hürden bewäl­tigen müssen und unter­schied­liche Lebens­wege ein­schlagen. So ent­steht schließ­lich ein Pan­orama-Über­blick über die vielen ver­schie­denen Folgen des Krieges.

Ernst berichtet unter anderem:

  • wie der Krieg Men­schen ver­än­dert,
  • wie er Ehen und Fami­lien zer­stört,
  • wie er zu Berufs­un­fä­hig­keit führt,
  • wie er das Knüpfen von Bezie­hungen erschwert,
  • wie er im Kopf, vor dem geis­tigen Auge, wei­ter­tobt,
  • wie er Kon­flikte zwi­schen Vete­ranen und Zivi­listen her­vor­ruft,
  • wie er Werte ver­dreht
  • und nicht zuletzt wie die insta­bile poli­ti­sche und wirt­schaft­liche Situa­tion nach dem Krieg das Ganze nicht gerade besser macht.

Es ist dabei auch noch zu betonen, dass Ernst und viele seiner Kame­raden noch Schüler waren, als sie in den Krieg gezogen sind. Die meisten Zuschauer des Schreib­technikerin-You­Tube-Kanals sind +/- 20 Jahre alt. Und daher sind Ernst und viele seiner Freunde 1918 und 1919 wahr­schein­lich in Deinem Alter. Und noch ahnen sie nicht, dass ihnen nach dem Trauma des Ersten Welt­krieges noch ein Zweiter Welt­krieg bevor­steht. Es ist also die Gene­ra­tion, die wohl die arschigste Arsch­karte über­haupt gezogen hat.

Eine Arsch­karte haben Ernst und seine Kame­raden aber auch des­wegen, weil sie nach Jahren in rat­ten­ver­seuchten Schüt­zen­gräben und Trom­mel­feuer alle­samt an der Post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung leiden, die Wis­sen­schaft damals auf dieses Krank­heits­bild aber gerade erst auf­merksam wurde. Die Jungs sind also mit ihren Depres­sionen, Flash­backs und Hal­lu­zi­na­tionen, Schlaf­stö­rungen, sexu­ellen Pro­blemen, Ängsten, ihrer Reiz­bar­keit und Schreck­haf­tig­keit kom­plett auf sich allein gestellt.

Und nun nähern wir uns all­mäh­lich auch Ludwig Breyer. Er ist ein lang­jäh­riger Freund und Mit­schüler von Ernst Birk­holz und wohl der­je­nige, der die Pro­bleme seiner Gene­ra­tion am besten ver­steht und am vehe­men­testen an seiner Hoff­nung fest­hält, ins zivile Leben zurück­kehren zu können. Bis er bricht.

Ludwig Breyer: Leben und Per­sön­lich­keit

Ludwig ist der Sohn eines Steu­er­se­kre­tärs und hatte, den Hin­weisen im Roman nach, eine behü­tete, bür­ger­liche Kind­heit. Er war ein ver­träumter Junge, der Edel­steine gesam­melt und Höl­derlin geliebt hat. Mit seinen ebenso ver­träumten Freunden, eben­falls Fan­boys von roman­ti­scher Lite­ratur, hat er Nacht­wan­de­rungen unter­nommen und von Aben­teuern fan­ta­siert.

Mit dem Vor­an­schreiten seiner Schul­lauf­bahn lan­dete er mit einigen seiner Freunde am katho­li­schen Leh­rer­se­minar. Doch bevor er seinen Abschluss machen konnte, brach der Erste Welt­krieg aus und Ludwig und seine Mit­schüler waren leichte Beute für die Pro­pa­gan­da­ma­schi­nerie. Sobald sie alt genug waren, zogen sie frei­willig in den Krieg.

Ludwig als Kriegs­held

Die kom­plette Gene­ra­tion wurde in den Schüt­zen­gräben schwer trau­ma­ti­siert. Der ehe­mals ver­träumte, zarte Ludwig gehört dabei aller­dings zu jenen, die sich auch aus­ge­zeichnet haben. Am Ende des Krieges ist er Leut­nant, hat einen Orden und seine Freunde erin­nern sich, wie er im Allein­gang einen ganzen Panzer lahm­ge­legt hat:

„[…] denn Ludwig sonst! — Weißt du noch, wie er den Tank bei Bix­schoote erle­digte? — Ganz allein? Das war nicht so ein­fach, mein lieber Scholli -“
Zweiter Teil, I.

Für den his­to­ri­schen Kon­text sollte erwähnt werden, dass so junge Leut­nants damals durchaus üblich waren: Die untersten Offi­ziers­dienst­grade hatten im Ersten Welt­krieg die höchste Sterb­lich­keits­rate, weil sie ihre Männer ganz vorne in die Schlacht führten und auch von den Offi­zieren der höheren Ränge auf ris­kante Mis­sionen geschickt wurden. Nachdem die Armee also in den ersten Kriegs­mo­naten einen guten Teil ihrer ord­nungs­gemäß aus­ge­bil­deten Leut­nants ver­loren hatte, wurden 18-jäh­rige Kriegs­frei­wil­lige und Wehr­pflich­tige beför­dert. Vor­aus­set­zung waren eine ange­mes­sene Her­kunft — man sollte min­des­tens aus einer Beamten- oder Bürg­erfa­milie stammen -, die Mitt­lere Reife sowie eine cha­rak­ter­liche Eig­nung.

Viele dieser halben Kinder waren mit der Ver­ant­wor­tung über­for­dert, benahmen sich daneben oder ent­puppten sich als Drauf­gänger. Andere wie­derum küm­merten sich um ihre Sol­daten, behan­delten sie mit Respekt und waren für ihre Männer, die zum Teil vom Alter her ihre Väter sein könnten, ein Fels in der Bran­dung.

Ludwig gehört zur letz­teren Gruppe. Er genießt bei seinen Män­nern Respekt und sie haben stets ein Auge auf ihn, als er krank und später auch ver­wundet nicht ins Laza­rett gehen möchte, weil das Sterben dort auf die Psyche drückt und somit auch anste­ckend ist. Mehr noch, wann immer Ver­trau­ens­leute oder Ver­treter gewählt werden müssen, gehört er zu den Wahl­sie­gern. Und als er im Zuge der Revo­lu­tion auf­ge­for­dert wird, seine Ach­sel­stücke abzu­nehmen, sind seine Sol­daten kon­se­quent dagegen:

„Weil ver­langt von Ludwig, er solle seine Ach­sel­stücke abma­chen. «Hier -», sagt Ludwig müde und tippt an seine Stirn. Bethke schiebt Weil zurück. «Ludwig gehört doch zu uns», sagte er kurz. Breyer ist als Kriegs­frei­wil­liger zur Kom­panie gekommen und da Leut­nant geworden. Er duzt sich nicht nur mit uns, mit Troßke, Homeyer, Bröger und mir — das ist selbst­ver­ständ­lich, denn wir sind seine Mit­schüler von früher -, son­dern auch mit seinen älteren Kame­raden, wenn kein anderer Offi­zier in der Nähe ist. Das wird ihm hoch ange­rechnet.“
Erster Teil, II.

„«[…] Der da aber -», er zeigt auf Ludwig hin­über, «ist unser Leut­nant, und er behält sie, und wehe dem, der was dazu sagt.»“
Zweiter Teil, I.

Mit anderen Worten:

Der Leut­nant Ludwig Breyer ist nicht nur ein Kriegs­held, son­dern auch jemand, der bei schlimmster psy­chi­scher und kör­per­li­cher Belas­tung Ver­ant­wor­tung über­nehmen kann und andere stets mit Respekt behan­delt.

Ludwig als Stimme der Ver­nunft

Nun spielt der Groß­teil des Romans aber nach dem Krieg und Ludwig muss sich den­selben Her­aus­for­de­rungen stellen wie seine Kame­raden. Hier zeigen sich noch einmal stark seine ruhige, beson­nene und beschei­dene Art sowie seine Fähig­keit, ein Pro­blem aus vielen ver­schie­denen Per­spek­tiven zu betrachten. Gleich­zeitig wirkt er stel­len­weise aber auch etwas schwer­mütig. — Aber eins nach dem anderen.

Ludwig sticht unter seinen Kame­raden sehr schnell dadurch hervor, dass er sich eher im Hin­ter­grund hält. Er gehört zu den stil­leren Figuren und betei­ligt sich auch nicht an den leicht­sin­ni­geren Unter­neh­mungen seiner Freunde. Am Anfang des Romans wird er von seinen Freunden auf­grund seiner Ruhr und seines Arm­schusses geschont, aber wie sich nach seiner Gene­sung zeigt, han­delt Ludwig auch gene­rell über­legt und ver­ant­wor­tungs­voll, selten aus einer Emo­tion heraus.

So werden er und zwei seiner Freunde bei ihrer Ankunft in ihrer Hei­mat­stadt von Revo­lu­tio­nären ange­griffen, weil er immer noch seine Ach­sel­tücke trägt. Dabei wird keine Rück­sicht auf seinen Zustand genommen und sein Ver­band wird zer­treten. Als sein Freund Willy den Mis­se­täter ein­fängt, vor Ludwig auf die Knie wirft und eine Ent­schul­di­gung ver­langt, will er, dass Willy den Mann wieder laufen lässt.
Zweiter Teil, I.

Wenn Ludwig bei einem Kon­flikt denn mal selbst­ständig in den Vor­der­grund tritt, dann mit der Absicht einer Dees­ka­la­tion:

Einen sol­chen „Auf­tritt“ hat er, als er und seine Freunde wieder zur Schule gehen und der Direktor eine Ansprache hält, die die ehe­ma­ligen Sol­daten wütend macht:

„Beson­ders gedenken aber wollen wir der gefal­lenen Zög­linge unserer Anstalt, die freudig hin­aus­ge­eilt sind, um die Heimat zu schützen, und geblieben sind auf dem Felde der Ehre. Ein­und­zwanzig Kame­raden sind nicht mehr unter uns — ein­und­zwanzig Kämpfer haben den ruhm­rei­chen Tod der Waffen gefunden — ein­und­zwanzig Helden ruhen in fremder Erde aus vom Klirren der Schlacht und schlum­mern den ewigen Schlaf unterm grünen Rasen …“
Zweiter Teil, V.

Der Direktor wird immer wieder unter­bro­chen von seinen Schü­lern, die die Kame­raden, von denen er spricht, haben sterben sehen:

„Hel­dentod! Wie ihr euch das vor­stellt! Wollen Sie wissen, wie der kleine Hoyer gestorben ist? Den ganzen Tag hat er im Draht­verhau gelegen und geschrien, und die Därme hingen ihm wie Mak­ka­roni aus dem Bauch. Dann hat ihm ein Spreng­stück die Finger weg­ge­rissen und zwei Stunden später einen Fetzen vom Bein, und er hat immer noch gelebt und ver­sucht, sich mit der anderen Hand die Därme rein­zu­stopfen, und schließ­lich abends war er fertig. Als wir dann her­an­konnten, nachts, war er durch­lö­chert wie ein Reib­eisen. Erzählen Sie doch seiner Mutter, wie er gestorben ist, wenn Sie Cou­rage haben!“

Der Direktor ist hilflos, es wird immer lauter, ein Durch­ein­ander …

„Doch auf einmal ebbt der Tumult ab. Ludwig Breyer ist vor­ge­treten. Es wird ruhig. «Herr Direktor», sagt Ludwig mit seiner klaren Stimme, «Sie haben den Krieg auf Ihre Weise gesehen. Mit flie­genden Fahnen, mit Begeis­te­rung und Marsch­musik. Aber Sie haben ihn nur bis zum Bahnhof gesehen, von dem wir abfuhren. Wir wollen Sie des­halb nicht tadeln. Wir alle haben ja ebenso gedacht wie Sie. Aber inzwi­schen haben wir die andere Seite ken­nen­ge­lernt. Das Pathos von 1914 zer­stob davor bald zu nichts. Wir haben trotzdem durch­ge­halten, denn etwas Tie­feres hielt uns zusammen, etwas, das erst draußen ent­standen ist, eine Ver­ant­wor­tung, von der Sie nichts wissen, und über die man nicht reden kann.»

Ludwig sieht einen Augen­blick vor sich hin. Dann streicht er sich über die Stirn und spricht weiter. «Wir ver­langen keine Rechen­schaft von Ihnen — das wäre töricht, denn nie­mand hat gewußt, was kam. Aber wir ver­langen von Ihnen, daß Sie uns nicht wieder vor­schreiben, wie wir über diese Dinge denken sollen. Wir sind begeis­tert aus­ge­zogen, das Wort Vater­land auf den Lippen — und wir sind still heim­ge­kehrt, den Begriff Vater­land im Herzen. Darum bitten wir Sie jetzt, zu schweigen. Lassen Sie die großen Worte. Sie passen nicht mehr für uns. Sie passen auch nicht für unsere toten Kame­raden. Wir haben sie sterben sehen. Die Erin­ne­rung daran ist noch so nahe, daß wir es nicht ertragen können, wenn über sie so gespro­chen wird, wie Sie es tun. Sie sind für mehr gestorben als dafür.»“

Dar­aufhin wird es in der Aula „ganz still“ und Ludwig zieht sich wieder in den Hin­ter­grund zurück.

Wie gesagt, solche „kühlen“ Auf­tritte sind cha­rak­te­ris­tisch für Ludwig:

In einer Rück­blende, als die Sol­daten ein Mas­sen­grab für ihre gefal­lenen Kame­raden aus­heben, bricht eine Schlä­gerei aus und Ludwig, der auf­grund eines schweren Ruhr­an­falls eigent­lich frei­ge­stellt ist, kriecht unter seinen zwei Män­teln hervor und kom­man­diert Ruhe. Und „[o]bschon die Stimme leise war, hörte der Lärm sofort auf.“
Zweiter Teil, III.

Ein anderer bemer­kens­werter „Auf­tritt“ pas­siert, als in der Stadt Unruhen aus­bre­chen, vor dem Rat­haus ein Maschi­nen­ge­wehr auf­ge­stellt und ein Mann ange­schossen wird. Anhand der Stimme des Kom­man­danten erkennen Ernst und seine Freunde ihren ehe­ma­ligen Kom­pa­nie­führer.

„Da fühle ich mich bei­sei­te­ge­schoben. Ludwig Breyer steht auf und geht über den Platz auf den dunklen Klumpen Tod zu.

«Ludwig!» rufe ich.

Aber er geht weiter — weiter. — Ent­setzt starre ich ihm nach.

«Zurück!» kommt wieder das Kom­mando von der Rat­haus­treppe.

Ludwig bleibt einen Moment stehen. «Lassen Sie nur wei­ter­schießen, Ober­leut­nant Heel!» ruft er zum Rat­haus hin­über. Damit geht er vor­wärts und beugt sich zu dem am Boden Lie­genden her­unter.“

Sechster Teil, II.

Der Mann, dem Ludwig helfen wollte, ist zwar tot und es gibt später dann doch wieder Schüsse, aber wenigs­tens können er und seine Freunde die Leiche weg­tragen.

Auch das Ver­ständnis, das Ludwig dem Direktor ent­ge­gen­ge­bracht hat, ist typisch. Als sein und Ernsts Kind­heits­freund Georg Rahe wieder Soldat werden will, ist Ernst ver­wirrt:

„«Ver­stehst du das?» frage ich Ludwig.

«Ja», ant­wortet er, «ich ver­stehe es. Aber es nützt ihm nichts.»“

Vierter Teil, V.

Lud­wigs Ver­ständnis der Situa­tion und seiner Mit­men­schen gilt im Übrigen auch für die ehe­ma­ligen Feinde. Denn ihm ist bewusst, dass die Jugend aller Länder der­selben Pro­pa­ganda zum Opfer gefallen ist und miss­braucht wurde:

„Wir haben gegen uns selbst Krieg geführt, ohne es zu wissen! Und jeder Schuß, der traf, traf einen von uns! Hör doch, ich schreie es dir in die Ohren: Die Jugend der Welt ist auf­ge­bro­chen, und in jedem Lande ist sie belogen und miß­braucht worden, in jedem Lande hat sie für Inter­essen gefochten statt für Ideale, in jedem Lande ist sie zusam­men­ge­schossen worden und hat sich gegen­seitig aus­ge­rottet! […] Eine Gene­ra­tion ist ver­nichtet worden! Eine Gene­ra­tion Hoff­nung, Glauben, Willen, Kraft, Können ist hyp­no­ti­siert worden, so daß sie sich selbst zusam­men­schoß, obschon sie in der ganzen Welt die glei­chen Ziele hatte!“
Vierter Teil, V.

Inter­es­sant ist in diesem Zusam­men­hang auch Remar­ques Erzäh­lung Der Feind. Hier wird ein gewisser Leut­nant Ludwig Breyer nach seiner leb­haf­testen Erin­ne­rung gefragt. Doch statt von Verdun, der Somme oder Flan­dern zu erzählen, berichtet er von Momenten, durch die ihm bewusst wurde, dass die Feinde jen­seits des Nie­mands­lands Men­schen waren wie er selbst und seine Kame­raden: „Men­schen, die wie wir von starken Worten und Waffen ver­hext waren“. Es ist nicht ganz klar, ob der Ludwig Breyer in Der Feind der­selbe Ludwig Breyer ist wie in Der Weg zurück, aber die Figur fügt sich nahtlos in das Bild, das im Roman gezeichnet wird.

Ludwig als Hoff­nungs­träger

Dieses kri­ti­sche Denken, das im Krieg erwacht ist, hat Ludwig nach seiner Rück­kehr zu einer ziem­li­chen Lese­ratte werden lassen: Wäh­rend seine Freunde mit sich nichts anzu­fangen wissen, hams­tern gehen, um sich den Bauch voll­zu­stopfen, zu Schie­bern werden oder in Tanz­lo­kalen Zer­streuung suchen, brütet er von mor­gens bis abends über schweren Büchern:

„Draußen ist mir so man­ches durch den Kopf gegangen, Ernst, und ich konnte es nie recht zusam­men­kriegen. Jetzt aber, wo es nun vorbei ist, möchte ich eine Menge wissen; wie das mit den Men­schen ist, weißt du, daß so etwas pas­sieren konnte, und wie das alles kommt. Da gibt es viele Fragen. Auch bei uns selber. Früher haben wir über das Leben doch ganz anders gedacht. Ich möchte vieles wissen, Ernst …“
Zweiter Teil, IV.

Durch seine beson­nene und kon­struk­tive Her­an­ge­hens­weise an die Pro­bleme seiner Gene­ra­tion ent­wi­ckelt er tat­säch­lich ein Kon­zept, wie „der Weg zurück“ klappen könnte, und macht es zur Grund­lage seiner Hoff­nung. Dadurch gerät er in eine sehr emo­tio­nale Dis­kus­sion mit dem hit­zi­geren und pes­si­mis­ti­scheren Georg Rahe:

Dieser, eben­falls Leut­nant, war im letzten halben Jahr des Krieges Flieger und hat vier Eng­länder abge­schossen. Durch die Par­al­lelen des Wer­de­gangs und die mar­kanten Unter­schiede im Tem­pe­ra­ment wirkt er wie eine Art Anti-Ludwig. Ein Dop­pel­gänger, der mehr das Gefühl ver­kör­pert, wäh­rend Ludwig Breyer eher für den Ver­stand steht.

Als Georg nun, ent­täuscht vom zivilen Leben, wieder Soldat werden will, meint Ludwig, dass Ent­täu­schung nach allem, was sie erlebt haben, ganz natür­lich ist. Noch bevor das Krank­heits­bild der Post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung richtig defi­niert war, for­mu­liert Ludwig:

„Ich glaube, wir sind krank, Georg. Wir haben den Krieg noch in den Kno­chen.“
Vierter Teil, V.

Georg, der meint, dass sie den Krieg nie mehr los­werden, will die Kame­rad­schaft wie­der­erleben. Doch Ludwig erin­nert ihn an die Pro­pa­ganda und die Mani­pu­la­tionen vor dem Krieg und sieht eine Rück­kehr in die Armee daher nicht als Lösung. Er meint, man könne viel­leicht mit Arbeit eine bes­sere Welt erschaffen, und arbeiten müsse man eben wieder lernen. Und weil Georg sich nicht über­zeugen lässt und es nach wie vor für „aus­sichtslos“ hält, schau­kelt sich das Gespräch hoch und es ist eine der wenigen Situa­tionen, in denen Ludwig tat­säch­lich die Fas­sung ver­liert:

„Seine Stimme bricht. Seine Augen sind voll Schluchzen und Wild­heit. Wir sind alle auf­ge­sprungen. «Ludwig», sage ich und lege den Arm um seinen Nacken.“

Als Georg sich ver­ab­schiedet, ruft er:

„Du gehst, Georg […] aber ich bleibe! Ich gebe es noch nicht auf!“

So ver­zwei­felt wie Ludwig an seiner Hoff­nung fest­hält, so ver­zwei­felt macht ihn schließ­lich auch seine Dia­gnose:

Weil Ernst mit ihm über seine Pro­bleme reden und nach einem Rat fragen will, besucht er Ludwig, stellt aber schnell fest, dass dieser irgendwie neben der Spur ist. Als Ludwig bald zum Arzt auf­bre­chen will, bietet Ernst ihm an, ihn zu begleiten. Ludwig wil­ligt zwar ein, ist sonst aber aus­wei­chend und wirft Ernst ver­stoh­lene Blicke zu. Nach und nach wird die Situa­tion aber klarer und schließ­lich steht es ein­deutig im Raum: Ludwig hat sich im Krieg wäh­rend eines kurzen Urlaubs in Brüssel, als er „zwi­schen Tod und Tod“ (Sechster Teil, I.) so viel vom Leben mit­nehmen wollte wie mög­lich, die Syphilis geholt. Er und seine Freunde waren immerhin als Jung­frauen in den Krieg gezogen und sexu­elle Auf­klä­rung gab es damals natür­lich nicht.

Zwar kann die Syphilis 1919 bereits behan­delt werden, doch dieses stig­ma­ti­sierte Relikt des Krieges, das buch­stäb­lich in seinem Körper steckt, läutet den Anfang vom Ende ein: Später sieht er, wie Kame­raden auf­ein­ander schießen, wie ein anderer Kamerad in bru­tale Ver­hal­tens­muster ver­fällt, die nicht ins zivile Leben passen, und trifft seine erste Liebe wieder, sieht sich jedoch durch die Syphilis in einer Sack­gasse.

Es wird ihm zu viel und seine Hoff­nung, den Krieg jemals los­zu­werden, bricht:

„Es ist alles umsonst, Ernst. Wir sind kaputt, aber die Welt geht weiter, als wenn der Krieg nicht dage­wesen wäre. Es wird nicht mehr lange dauern, und unsere Nach­folger auf den Schul­bänken werden mit gie­rigen Augen den Erzäh­lungen aus dem Kriege lau­schen und sich aus der Lan­ge­weile der Schule heraus wün­schen, auch dabei gewesen zu sein. Jetzt schon laufen sie zu den Frei­korps — und kaum sieb­zehn­jährig begehen sie poli­ti­sche Morde. Ich bin so müde, Ernst -“
Sechster Teil, V.

Er kann nicht mehr wei­ter­leben und öffnet sich die Puls­adern. Der nun hoff­nungs­lose Hoff­nungs­träger stirbt.

Ein Held zum Anfassen

Bevor wir jedoch zu den Aus­wir­kungen und zur Bedeu­tung seines Selbst­mords über­gehen, tragen wir kurz zusammen, was die Figur Ludwig Breyer denn an sich bedeutet:

  • Ludwig Breyer ist in aller­erster Linie ein Held. Zwar räumt Remarque mit dem Mythos von Glanz und Hel­dentum kon­se­quent auf und auch Ludwig ist nicht der Held, den man in Geschichten typi­scher­weise antrifft. Aber von allen Figuren im Roman kommt er dem Hel­den­ideal wohl am nächsten. Ja, auch andere Figuren haben Orden, wurden zu Offi­zieren beför­dert, zeigen im Ver­lauf der Hand­lung Cou­rage etc. Doch im Fall von Ludwig kommt das alles zusammen: Er ist ein Kriegs­held, er ist stets die Stimme der Ver­nunft und er hofft ver­bissen auf eine fried­liche Zukunft.
  • Gleich­zeitig ist er aber auch sehr rea­lis­tisch. Im Gegen­satz zu all den Helden, die „larger than life“ sind, kann man Men­schen wie Ludwig im realen Leben tat­säch­lich antreffen. Durch all die Szenen, in denen Ludwig ver­ant­wor­tungs­voll ein­schreitet, und den Respekt, den seine Kame­raden ihm ent­ge­gen­bringen, steht er zwar durchaus in heroi­schem Licht, aber letzt­end­lich ist auch er ein gewöhn­li­cher Mensch mit Sorgen und Ängsten und einer Schmer­zens­grenze. Dadurch ent­wi­ckelt man beim Lesen eine per­sön­liche Nähe zu ihm.
  • Dieses Gefühl der per­sön­li­chen Nähe wird natür­lich auch dadurch begüns­tigt, dass Ludwig einer der engsten Freunde des Prot­ago­nisten Wir erleben das Geschehen aus der Per­spek­tive von Ernst Birk­holz, die Ludwig gegen­über natür­lich sehr positiv ein­ge­färbt ist. Er teilt mit Ludwig seine schönsten und schlimmsten Erin­ne­rungen und Ludwig rutscht stel­len­weise sogar ein wenig in eine Men­tor­rolle, weil er es ist, an den Ernst sich wendet, wenn er etwas auf dem Herzen hat. Und ver­gessen wir nicht, dass er es war, der den „Weg zurück“ ent­deckt hat, auch wenn er ihn selbst nicht beschreiten konnte.

All das macht ihn trotz seiner Schwä­chen zur Ver­kör­pe­rung eines gesunden und durchaus erreich­baren Männ­lich­keits- und auch gene­rell Men­schen­ideals. Er ist die Art von Mensch, die man eigent­lich bräuchte, um eine bes­sere Welt zu erschaffen. Auch das macht ihn zum Hoff­nungs­träger.

Doch er schei­tert an dem Krieg, der immer noch in seinem Körper steckt, an den Umständen seiner Zeit und auch an seiner eigenen Mensch­lich­keit. Der Krieg hat ihn kör­per­lich und see­lisch krank gemacht, ange­mes­sene Hilfe — bei­spiels­weise in Form einer The­rapie — hat es zu seiner Zeit natür­lich nicht gegeben und außerdem scheint er auch die Nei­gung zu haben, seine Pro­bleme in sich hin­ein­zu­fressen: Seinen Kame­raden fällt im Ver­lauf des Romans immer wieder auf, dass etwas nicht stimmt, aber er schweigt nur; und wenn Ernst ihn nicht am genau rich­tigen Tag zur genau rich­tigen Zeit besucht und ihm nicht ange­boten hätte, ihn zum Arzt zu begleiten, hätte wohl nie jemand von seiner Dia­gnose erfahren.

Das ist — zumin­dest meiner Erfah­rung nach — ein ten­den­ziell recht männ­li­ches Pro­blem, aber ich denke, dass hierbei auch seine Zeit als Leut­nant eine Rolle spielt: Denn im Krieg musste er für seine Männer ja der Fels in der Bran­dung sein. Er regelt die Kon­flikte und Pro­bleme anderer, man kommt zu ihm, wenn man Hilfe braucht, aber er selbst bittet nie um Hilfe und akzep­tiert sie nur, wenn man sie ihm von sich aus anbietet. Doch gerade bei Selbst­mord­ge­danken ist es wichtig, mit jemandem zu reden. Egal, mit wem. Und gerade Ernst wäre sicher­lich für ihn da gewesen: Nicht nur ist er ein enger Freund, son­dern er ist auch der­je­nige, der den anderen am meisten zuhört, wenn sie über ihre Pro­bleme reden. Zwar leidet auch er an der Post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung, aber er wirkt den­noch wie der all­ge­meine Tröster und Kum­mer­kasten. Er hat Ludwig ja auch bei­gestanden, als der seine Dia­gnose ver­dauen musste.

Von daher an dieser Stelle eine wich­tige Moral:

Wenn Du Pro­bleme hast, dann lass Dir helfen. Wenn Du Selbst­mord­ge­danken hast — und die haben die meisten Men­schen irgend­wann in ihrem Leben -, dann sprich mit jemandem. Mit Deiner Familie, mit Freunden, mit einem Arzt, wende Dich an eine Orga­ni­sa­tion oder ruf eine Hot­line an. Aber sei nicht wie Ludwig und lass Dir helfen. Denn diese Krank­heit ist heilbar. Bloß muss der Ausweg indi­vi­duell gefunden werden. Aber das ist auf jeden Fall mög­lich.

Lud­wigs Tod als Kata­ly­sator für die Hand­lung

Ludwig Breyer ist ein ver­zö­gertes Opfer des Krieges. Und dass aus­ge­rechnet er stirbt, hat eine sehr sym­bo­li­sche Bedeu­tung:

Er, der Held, die Hoff­nung auf eine bes­sere Zukunft, er, der es eigent­lich hätte schaffen sollen, zer­bricht.

Hat er beim Streit mit Georg Rahe noch geglaubt, sie würden genesen, den Krieg wieder los­werden können, „denn sonst wäre alles umsonst gewesen“, gibt er sich letzt­end­lich geschlagen: „Es ist alles umsonst, Ernst.“ Er pro­phe­zeit sogar völlig kor­rekt, dass die Lehren des Krieges schon bald in Ver­ges­sen­heit geraten würden.

Ludwig Breyer und der Anti-Ludwig Georg Rahe, der es schon in der Mitte des Romans für „umsonst“ hielt, werden damit eins. Und daher ist es nur pas­send, dass auch Georg Rahe, der die alte Kame­rad­schaft nicht mehr findet, eben­falls Selbst­mord begeht: Er besucht die alten Schlacht­felder und erschießt sich dort. Damit erleidet auch er einen nach­träg­li­chen Sol­da­tentod.

Doch es ist nicht nur dieser Pes­si­mismus, der wehtut, son­dern auch die emo­tio­nale Wir­kung auf den Prot­ago­nisten Ernst Birk­holz:

Dieser hat einen seiner wich­tigsten Freunde ver­loren, einen engen Ver­trauten und eine Art Mentor, — und das in einer Zeit, in der alles, woran er sich fest­zu­halten ver­sucht, nach und nach weg­bricht. Lud­wigs Selbst­mord löst einen Schock bei ihm aus, seine Flash­backs und Alb­träume über­mannen ihn und werden zu rich­tigen Hal­lu­zi­na­tionen und er erkrankt kör­per­lich.
Sechster Teil, V.

Als Leser kann man das sehr gut nach­voll­ziehen, denn ers­tens iden­ti­fi­ziert man sich mit ihm, dem Ich-Erzähler, und zwei­tens wurde, wie bereits gesagt, eine per­sön­liche Nähe zu Ludwig auf­ge­baut.

Alles in allem ist Lud­wigs Tod also der abso­lute Tief­punkt des Romans.

Es folgt zwar noch eine sehr wich­tige Gerichts­ver­hand­lung, doch sie bildet eher den Rahmen für eine intel­lek­tu­elle Dis­kus­sion über die Folgen den Krieges, die man im Ver­lauf des Romans hatte beob­achten können, sowie für eine direkte Anklage gegen das Bür­gertum:

„Ver­wil­de­rung? Durch wen denn? Durch euch! Ihr alle gehört vor unser Gericht! Ihr habt das mit eurem Krieg aus uns gemacht! […] Ihr habt euch um die Siege gestritten, ihr habt Krie­ger­denk­mäler ein­ge­weiht, ihr habt vom Hel­dentum geredet und euch gedrückt vor der Ver­ant­wor­tung!“
Sie­benter Teil, II.

Wen­dung ins Posi­tive

Vor allem aber hat sich vor der Gerichts­ver­hand­lung bereits eine neue Hoff­nung auf­getan:

Als Ernst nach seiner langen Krank­heit, die übri­gens an Zukos Krank­heit nach der Befreiung von Appa (Avatar — Der Herr der Ele­mente) erin­nert, end­lich allein aus­gehen darf, ent­deckt er die heil­same Wir­kung der Natur: Als er den Wiesen beim Leben zusieht, spürt er eine Ver­bun­den­heit, ein Glück, und weint.
Sie­benter Teil, I.

Durch Lud­wigs Tod, die Krank­heit und die Erho­lung davon hat Ernst die Hoff­nung wie­der­ge­funden, die Ludwig ver­loren hat. Noch traut er sich nicht ganz, an diese Hoff­nung zu glauben, und ist sich nicht sicher, ob er diesen Weg ohne Ludwig beschreiten kann, aber schließ­lich tut er es.

Er möchte seine Erkenntnis auch gerne mit Georg Rahe teilen: „Ich habe es heute gespürt. Ludwig wußte ihn, aber er war zu krank. -“ Doch wie sich her­aus­stellt, ist auch Georg zu krank: «Ja, ja — werde nur nütz­lich, Ernst“, sagt er, bevor er zu den alten Schlacht­fel­dern auf­bricht: „Ich bin nur durch ein Ver­sehen nicht gefallen — das macht mich etwas lächer­lich.“

Ernst aber the­ra­piert sich durch Spa­zier­gänge in die Natur und wendet sich der Zukunft zu:

„Ich will an mir arbeiten und bereit sein, ich will meine Hände rühren und meine Gedanken, ich will mich nicht wichtig nehmen, son­dern wei­ter­gehen, auch wenn ich manchmal bleiben möchte. Es gibt vieles auf­zu­bauen und fast alles wieder gut­zu­ma­chen, es gibt zu arbeiten und aus­zu­graben, was ver­schüttet worden ist in den Jahren der Gra­naten und Maschi­nen­ge­wehre. […]

Es wird nicht die Erfül­lung werden, von der wir in der Jugend geträumt und die wir nach den Jahren draußen erwartet haben. Es wird ein Weg sein wie die andern, mit Steinen und guten Stre­cken, mit auf­ge­ris­senen Stellen und Dör­fern und Fel­dern — ein Weg der Arbeit.“

Aus­gang, II.

Und geholfen hat ihm dabei Lud­wigs Tod:

„Wie ein­fach das alles ist; aber wie lange hat es gedauert, dahin zu finden. Und viel­leicht hätte ich mich doch noch im Vor­ge­lände ver­irrt und wäre den Draht­schlingen und Spreng­kap­seln zum Opfer gefallen, wenn nicht Lud­wigs Tod wie eine Rakete vor uns auf­ge­schossen wäre und uns den Weg gezeigt hätte.“
Aus­gang, II.

Zwar hätte Ernst die Hoff­nung, den Weg zurück, viel­leicht auch selbst gefunden. Irgend­wann. Doch wie viel länger hätte es gedauert? Und hätte er so lange durch­ge­halten? Lud­wigs Tod und die Krise, die er aus­ge­löst hat, haben also Ernsts Hei­lungs­pro­zess beschleu­nigt und ihm viel­leicht sogar das Leben gerettet.

Damit fun­giert Lud­wigs Selbst­mord vor allem als Kata­ly­sator für den Ent­wick­lungs­pro­zess des Prot­ago­nisten und damit auch der Hand­lung.

Fazit

Ich finde, Der Weg zurück steht zu Unrecht im Schatten von Im Westen nichts Neues. Der Anti­kriegs­klas­siker wird zwar bis an den heu­tigen Tag rauf und runter gelesen, doch dass der Krieg schreck­lich und grausam und blutig ist, ist in den brei­teren Bevöl­ke­rungs­schichten längst ange­kommen. Doch seine tie­fer­ge­hende, lang­fris­tige Wir­kung, sein wahres Ausmaß, fällt heut­zu­tage immer noch gerne unter den Tisch. Denn Krieg ist viel mehr als Bomben, Schüsse und Explo­sionen und es dauert ganze Men­schen­leben, bis er wirk­lich vorbei ist.

  • All die Poli­tiker und Wirt­schafts­heinis, die demo­kra­ti­sche Ideale und Men­schen­rechte miss­brau­chen, um auf Grund­lage von gefälschten Infor­ma­tionen Kriege los­zu­treten, die in Wirk­lich­keit ihren geo­po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Inter­essen dienen, kommen auch heute noch unge­straft davon.
  • Kaum besser sind aber auch all die krie­ge­ri­schen Pazi­fisten, die in jedem Sol­daten einen Mörder sehen und ihn ver­ur­teilen, obwohl sie nie in seiner Haut gesteckt haben. Es gibt immer einen Grund, warum ein Mensch die Ent­schei­dungen trifft, die er trifft. Und ein Soldat ist ledig­lich nur eine unbe­deu­tende Schach­figur und leidet eben­falls unter dem Krieg, oft sogar noch viele Jahre nach dem Ein­satz. Auch heute noch. Die Kriegs­füh­rung hat sich zwar ver­än­dert, aber der moderne Krieg ist immer noch trau­ma­tisch — auf seine eigene Weise.

Ich per­sön­lich finde den Weg zurück daher sogar noch wich­tiger als Im Westen nichts Neues und wenn ich end­lich reich und berühmt bin, will ich eine moderne Neu­ver­fil­mung des Romans durch­drü­cken. Im Westen nichts Neues hat bereits zwei Ver­fil­mungen, eine von 1930 und eine von 1979. Nachdem 1917 von Sam Mendes das Thema Erster Welt­krieg trendy gemacht hat, ist auch eine deut­sche Ver­fil­mung aktuell in Arbeit. Doch Der Weg zurück bleibt leider wei­terhin im Schatten. Es gibt zwar eine ame­ri­ka­ni­sche Ver­fil­mung von 1937, doch abge­sehen davon, dass sie für das heu­tige Publikum nicht mehr so gut geeignet ist, ist sie ver­gli­chen mit dem Buch auch ziem­lich weich­ge­spült. Das gehört kor­ri­giert.

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