Normalerweise würde jeder Originalität als etwas Positives und Klischees als langweilig einstufen. Gleichzeitig schafft es kaum jemand, etwas wirklich Neues zu erschaffen. Aber müssen Geschichten wirklich immer originell sein? Was ist Originalität überhaupt und woran erkennt man sie? Wie entwickelt man originelle Ideen? Darum geht es in diesem Artikel!
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Niemand mag 08/15 – vor allem in kreativen Feldern wie dem Schreiben von Geschichten. Geht es hier doch vor allem darum, etwas Einzigartiges zu erschaffen, den Leser in den Bann zu ziehen und ihm ein unvergessliches Leseerlebnis zu bieten.
Doch wenn Originalität einfach wäre, hätten wir nicht ständig das Gefühl, von langweiliger Mittelmäßigkeit umgeben zu sein. Und mal ehrlich: Wie soll man auch etwas Neues und Frisches erschaffen in einer Welt, in der wohl jede denkbare Geschichte schon mindestens zwanzig Mal erzählt wurde? Was macht Originalität überhaupt aus? Und vor allem: Wie erkennen wir originelle Ideen, bevor sie zusammengeknüllt im Papiermüll landen?
Das besprechen wir in diesem Artikel.
Was ist Originalität? (Und ist sie überhaupt möglich?)
So bitter es vielleicht klingen mag:
Es gibt nichts, was es nicht schon mal gab.
Falls Du also ernsthaft hoffst, etwas wirklich Unerhörtes und Bahnbrechendes zu erschaffen, wirst Du mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent früher oder später eine Enttäuschung erleben. Und wahrscheinlich hast Du sie bereits erlebt: Denn wir alle waren mal Schreibanfänger, haben extrem klischeelastige Geschichten verzapft und erst Jahre später ist uns bewusst geworden, was für ein generischer Mist das war.
Aber heißt das, dass es keine Originalität gibt?
Hm, fangen wir lieber ganz am Anfang an:
Gaaaaaanz ursprünglich stammt „Originalität“ vom lateinischen Wort „origo“ ab, das so viel bedeutet wie „Ursprung“. Wenn wir jedoch zu den Ursprüngen der Kunst zurückgehen, fällt uns ratzfatz auf, dass selbst die steinzeitlichen Künstler nie etwas vollkommen Unerhörtes erschaffen haben: Selbst wenn ein besonders kreativ begabter Höhlenmaler einen rosa Hasen mit Flügeln gepinselt hätte, wäre es nur lediglich eine etwas ungewöhnliche Kombination bestens bekannter Dinge gewesen, nämlich der Farbe Rosa, der Spezies Hase und des Organs Flügel. Vielleicht hätte seine Originalität aber auch in der Maltechnik bestanden oder im Herstellen von Malfarben aus irgendwelchen Stoffen, die man zu diesem Zweck bisher noch nicht gebraucht hatte. Aber so oder so kämen seine originellen Ideen immer nur von Dingen, die er bereits kannte. Er hätte sich von anderen Künstlern und anderen Fachbereichen inspirieren lassen. Denn wenn es überhaupt jemanden gibt, der etwas wirklich Ursprüngliches erschaffen kann, dann ist es Gott – oder was auch immer das Universum erschaffen hat, von dem wir kleinen Menschen uns unbegrenzt inspirieren lassen.
Wir mental beschränkten Sterblichen hingegen können maximal hoffen, das, was wir kennen, neu anzuordnen. Deswegen habe ich in einem früheren Artikel bereits gesagt:
Originalität ist nichts weiter als eine neue Kombination altbekannter Dinge.
Und die ist selbst nach Hunderttausenden von Jahren Menschheitsgeschichte immer noch möglich. Denn Menschen erschaffen immerzu neue Kombinationen von alten Kombinationen und nochmal neue Kombinationen von den ehemals neuen Kombinationen. So gesehen ist Originalität unendlich, und das ist doch ein ermunternder Gedanke, oder?
Muss eine Geschichte originell sein?
Außerdem sollten wir uns, finde ich, von der Vorstellung lösen, Mainstream-Ideen wären an sich irgendwie schlecht. Ja, eine Geschichte, in der die Figuren in eine fantastische Parallelwelt gelangen, wurde zum Beispiel schon 20.000 Mal erzählt, aber trotzdem hören und lesen wir solche Geschichten immer wieder gerne. – Unter der Voraussetzung, dass sie gut umgesetzt sind. Tatsächlich sind Geschichten, die auf wirklich originellen Ideen beruhen, meiner Meinung nach sehr selten. Oft punkten Geschichten mit banalen Grundideen aber in anderen Bereichen, zum Beispiel mit spannenden Figuren, überraschenden Plot-Twists, einem inspirierenden World-Building, einem besonderen Schreibstil, einer interessanten Erzählperspektive und so weiter …
Andererseits gibt es Geschichten, die auf wirklich originellen Ideen basieren, darüber hinaus aber nicht viel zu bieten haben: Die Idee an sich mag ein Publikum anziehen, aber die langweiligen Figuren, der stereotype Plot und der fade Schreibstil schlagen es schon bald wieder in die Flucht. Und manchmal bringt der Wunsch, auf Teufel komm raus originell zu sein, einen ganz eigenen Mainstream hervor, so zum Beispiel die Anti-Sue, die theoretisch das exakte Gegenteil der klischeehaften, ach so perfekten Mary Sue darstellt, dabei aber selbst zum Klischee geworden ist.
Mach Dir also am besten gar nicht erst den Druck, etwas Originelles zu erschaffen, denn gegen den Strom ist mit dem Strom.
Originalität um der bloßen Originalität willen interessiert niemanden und endet als 08/15. Worauf es viel eher ankommt, ist eine gut durchdachte und gut erzählte Geschichte, unabhängig davon, wie originell die Idee ist.
Konzentriere Dich also lieber darauf, die Geschichte zu erzählen, die Du erzählen willst.
Denn Du bist ein einzigartiges Individuum und es gibt Ideen, die nur Dir kommen können. Zwar gibt es Faktoren und Techniken, die die Frequenz origineller Ideen steigern können, weswegen manche Menschen öfter originelle Ideen haben als andere, aber grundsätzlich trägt jeder Mensch den Funken der Originalität bereits in sich. Ja, wir können nur davon ausgehen, was wir bereits kennen, aber andererseits hat Gott uns nach seinem Vorbild erschaffen. – Zumindest wäre das meine eigene Interpretation dieser Bibelstelle.
Wie erkennt man Originalität?
Was den Begriff der Originalität auch noch etwas schwammig macht, ist, dass jeder Mensch eigene Vorstellungen davon hat. Was der eine als neuartig und originell empfindet, ist für den anderen abgedroschen und langweilig. Aber trotzdem gibt es immer wieder Geschichten und Elemente, die tendenziell von einer größeren Menge Menschen als originell empfunden werden.
Ein guter Hinweis auf Originalität kann es sein,
wenn Experten etwas als originell einschätzen.
Während ich normalerweise streng gegen Expertenhörigkeit bin, muss ich sagen, dass es beim Einschätzen von Originalität tatsächlich sehr stark auf die reine, nackte Erfahrung im jeweiligen Fachgebiet ankommt. Jemand, der sein ganzes Leben dem Genre des Liebesromans gewidmet und jede noch so nischige Schnulze gelesen hat, wird am ehesten einschätzen können, ob es die Ideen in einer neuen Veröffentlichung schon mal gab oder nicht. Selbst wenn diese Ideen ihn anwidern, so lässt sich angesichts von seiner aufgebrachten Reaktion eindeutig sagen, dass sie zumindest neu sind. Aber ob sie auch gut sind, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum Du als Autor viel lesen solltest, vor allem in dem Genre, in dem Du schreibst. Denn dadurch wirst Du selbst zum Experten, kennst die Klischees und Trends in Deiner Nische und kannst somit besser einschätzen, ob Deine Ideen wirklich originell sind oder nicht.
Außerdem beobachte ich,
dass wirklich originelle Ideen meistens simpel sind.
Das Drumbamborium, das sich daraus entwickelt, kann durchaus kompliziert und verflochten sein – aber der Kern, die Idee selbst, ob für ein ganzes Geschichtenkonzept oder ein kleines Detail, lässt sich relativ leicht in wenige Worte fassen. Denn wenn Originalität lediglich nur eine Kombination bereits bekannter Dinge darstellt, dann benennst Du einfach diese bereits bekannten Dinge.
Erinnerst Du Dich vielleicht, welchen Effekt Christopher Nolans Film Inception hatte mit all den Parodien und Memes, die daraus entstanden sind, vor allem in Bezug auf das eigentlich einfache Konzept von Träumen in Träumen? Seitdem ist der Begriff „Inception“ sogar zu einem Synonym geworden für „Verschachtelung“, wie zum Beispiel der Name des Memes „Catception“ zeigt: Dabei handelt es sich um eine Reihe von Videos von Katzen, die Videos von Katzen anschauen, die nochmal anderen Katzen beim Anschauen des Nyan-Cat-Videos zusehen. Natürlich ist die Traumverschachtelung in Inception nicht ganz unerhört, aber die Idee ist selten genug und noch seltener ist die Kombination dieser Idee mit anderen, wiederum an sich nicht ungewöhnlichen Konzepten wie der Manipulation von Träumen, Zweifeln an der Realität der Realität, Gaunerfiguren und dem Blockbuster-Thriller.
Und das ist, würde ich sagen, noch ein drittes Merkmal origineller Ideen:
Sie sind „ansteckend“.
Durch ihre Einfachheit sind sie sehr leicht zu verstehen und durch ihre Ungewöhnlichkeit wecken sie schnell Interesse, machen neugierig und regen die Fantasie an. Die Gehirne von Menschen, die mit originellen Ideen in Berührung kommen, fangen von alleine an, mit ihnen herumzuspielen oder zumindest zu spekulieren, was in der Geschichte wohl passiert. Wenn andere Menschen also Feuer fangen, sobald Du ihnen von Deiner Idee erzählst, dann gibt es eine Wahrscheinlichkeit, dass diese Idee tatsächlich originell ist.
Originelle Ideen entwickeln
Aber nun gut, wir machen uns nicht verrückt mit dem Vorhaben, eine originelle Geschichte zu schreiben. Trotzdem wollen wir aber zumindest die Wahrscheinlichkeit steigern, dass wir etwas Originelles hinbekommen. Was können wir dafür tun?
Wenn es bei Originalität einfach nur um neue Kombinationen bekannter Dinge geht, dann steigern wir unsere Kombinationsmöglichkeiten am ehesten durch Wissen:
Denn je mehr Dinge wir wissen, desto mehr können wir kombinieren.
Aber was bedeutet das konkret?
- Mehr Wissen beginnt zunächst mit einer guten Allgemeinbildung. Bitte beachte dabei, dass das deutsche Bildungssystem auf Fachidiotie ausgerichtet ist und ein Abitur und ein Studium Dir nicht unbedingt eine gute Allgemeinbildung verschaffen. Es liegt also an Dir, Dich selbst kontinuierlich weiterzubilden, Bücher zu lesen, Dir endlose Mengen vermeintlich nutzlosen Wissens anzueignen, neue Sprachen zu lernen, Dich für Epochen, Regionen und Sachverhalte zu interessieren, die in der Schule liebevoll ausgeklammert wurden, im Internet zu versumpfen auf der Suche nach neuen Interessen und – wenn Du gerade etwas faul und anspruchslos bist – wenigstens Dokumentarfilme anzuschauen.
- Es liegt auch an Dir, das Genre, in dem Du schreibst, zu beobachten, seine Klischees kennenzulernen und ein gutes Gefühl dafür zu bekommen. Denn wenn Du Dich in Deinem Genre gut auskennst, dann wirst Du mit größter Wahrscheinlichkeit gar nicht erst auf die Idee kommen, klischeehaftes 08/15 zu schreiben, weil Du es einfach nicht mehr sehen kannst. Auch können andere Geschichten – nicht nur in Deinem Genre – Dich auf völlig neue Ideen bringen. Ebenso können das generell andere Kunstformen, zum Beispiel Musik. Beobachte also, was andere Künstler und Kreative so treiben, und lass Dich inspirieren!
- Außerdem schadet es nicht, wenn Du Deine eigenen beruflichen und/oder akademischen Fachbereiche oder Deine langjährigen Hobbys und/oder Interessengebiete heranziehst. Denn hier verfügst Du über detailliertes Spezialwissen, kannst Deine Neukombinationen also mit Dingen würzen, auf die tatsächlich nicht jeder kommt. Durch Deine persönlichen Erfahrungen auf diesen Gebieten steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Deine Erzählung authentisch und dadurch besonders mitreißend wird.
- Oft spielt auch Dein Alter bzw. Deine Lebenserfahrung eine Rolle. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, aber tendenziell schreiben Menschen, die in ihrem Leben mehr erlebt haben, originellere Geschichten. Und meistens nimmt die Lebenserfahrung mit den Lebensjahren zu. Natürlich gibt es Jüngere, die schon früh sehr viel erlebt haben, und Ältere, die jahrzehntelang ein behütetes, relativ ereignisloses Leben führen. Aber grundsätzlich sollte jeder Autor mit weit geöffneten Augen und Ohren durch die Welt gehen, die Menschen beobachten, sich auf neue Erfahrungen einlassen und sich auch scheinbar so wirre Dinge wie Träume merken. Denn die besten Geschichten schreibt ja bekanntlich das Leben, so mancher Weltklassiker verdankt seine Existenz einem Zeitungsartikel und so manche interessante Geschichte ist schon aus einem Traum entstanden.
Ideen kombinieren
Wenn die Quellen für mehr oder weniger originelle Ideen gesichert sind, dann entstehen interessante Kombinationen häufig von selbst. Falls aber nicht, und auch das kommt vor, dann ist es am naheliegendsten zu brainstormen und zu schauen, ob zwei oder mehr hingeworfene Ideen etwas Spannendes ergeben. Oder Du gehst noch einen Schritt weiter und nutzt Zufallstechniken wie Würfeln, irgendwelche Generatoren, lässt Dich von zufällig gezogenen Tarotkarten inspirieren, schlägst in zufälligen Büchern zufällige Textstellen auf und versuchst, daraus etwas zu basteln … Denn auch wenn die Kombinationselemente hier vielleicht nicht unbedingt aus Deinem Kopf kommen, so tun es die einzigartigen Verbindungen, die Du schlägst. Somit ist selbst bei Zufallsverfahren Dein möglichst umfassendes Wissen entscheidend.
Oder Du unterhältst Dich mit jemandem. Manche Schreiberlinge können gut Ideen entwickeln und kombinieren, wenn sie mit jemandem reden, und notfalls hilft da auch künstliche Intelligenz wie ChatGPT. Letztere produziert zwar – ganz im Sinne ihrer Natur – fast nur standardisiertes 08/15, aber sie kann trotzdem direkt und indirekt Impulse liefern, ihre Meinung zu Deinen Ideen beisteuern und Vorschläge machen. Wenn Du sie also fragst, was passiert, wenn Element X auf Element Y trifft, ist das durchaus eine erste Anregung.
Eine höchst spannende Methode bietet übrigens die Autorin Abbie Emmons: Man lege ein Formular an mit Genre, Plot, Figuren und Thema. Für jeden dieser Punkte notiert man eine Geschichte, die man in der jeweiligen Hinsicht besonders mag. – Und dann vermischt man das Ganze zu etwas völlig Neuem. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass man es bereits von vornherein mit Elementen zu tun hat, die einen inspirieren. Es gibt also eine große Wahrscheinlichkeit, dass konkret Du konkret die Idee, die dabei herauskommt, tatsächlich umsetzen möchtest.
Ich würde Dir allerdings davon abraten, Dich unüberlegt auf neue Ideen zu stürzen. Ich meine, wenn es bei Dir gut funktioniert, dann bitte. Aber generell würde ich eher dazu raten, eine Idee für eine Weile mit sich herumzutragen, auf ihr zu brüten und sie reifen zu lassen. Denn in meiner Erfahrung zumindest entfalten Ideen ihr Potential erst mit der Zeit, wenn man in seinem Kopf viele verschiedene Szenarien durchgespielt, vertiefende Recherchen angestellt und an Details geschraubt hat. Auch wird es so unwahrscheinlicher, dass Du ein entscheidendes Problem übersiehst, das Dein ganzes Konstrukt zum Kollabieren bringt.
Schlusswort
Alles in allem sind originelle Ideen, wie man so schön sagt, keine Raketenwissenschaft. Ich zum Beispiel mochte als Kind die Luftpiraten in Disneys Käpt’n Balu und seine tollkühne Crew, dabei wird hier aber nur das altbekannte Konzept von Piraten einfach in den Luftraum verlagert. Das Schlimmste, was Du beim Entwickeln origineller Ideen also tun kannst, ist, gewaltsam etwas aus Dir herauszupressen.
Stattdessen entspann Dich, spiele mit Ideen und Fantasien herum, bilde Dich weiter, mach es nicht zu kompliziert und hole Dir bei Bedarf eine Zweitmeinung.
Du bekommst es schon hin. Ich glaube an Dich. 🙂