Figurenanalyse: “The Breakfast Club” von John Hughes

Figurenanalyse: “The Breakfast Club” von John Hughes

Schon seit Jahrzehn­ten erfreut sich The Break­fast Club von John Hugh­es, eine Geschichte über fünf Teenag­er, die aus ihren Stereo­typen aus­brechen, großer Beliebtheit. Doch wie funk­tion­iert hier die Entwick­lung der Haupt­fig­uren genau? In diesem Artikel nehmen wir die Arcs von Claire, Bri­an, Andrew, Ben­der und Alli­son einzeln auseinan­der und ord­nen sie in den Gesamtkon­text des Films ein.

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In einem früheren Artikel habe ich die Möglichkeit ange­sprochen, eine Fig­ur am Anfang in eine Klis­chee-Schublade zu pack­en, sie im weit­eren Ver­lauf der Geschichte aber aus­brechen zu lassen. Und genau das ist, was mit den fünf Haupt­fig­uren im Film The Break­fast Club von John Hugh­es passiert:

Begeg­nen sie sich am Anfang als Prinzessin, Muskel­protz, Freak, Schlaukopf und Aus­ge­flippte, haben sie am Ende einge­se­hen, dass sie alle kom­plexe Per­sön­lichkeit­en haben und sich zugle­ich doch ähn­lich sind: Dass in jedem von ihnen eine Prinzessin, ein Muskel­protz, ein Freak, ein Schlaukopf und eine Aus­ge­flippte steckt.

Wie funk­tion­iert das also genau? Wie helfen die Haupt­fig­uren sich gegen­seit­ig, sich zu ent­fal­ten? Und was bedeutet das für die Gesam­taus­sage des Films? — Das schauen wir uns heute an.

The Breakfast Club: Worum geht es?

The Break­fast Club han­delt von fünf schein­bar sehr unter­schiedlichen Schülern ein­er US-amerikanis­chen High­school, die aus sehr unter­schiedlichen Grün­den an einem Sam­stag nach­sitzen müssen. Ihr “Auf­se­her”, der stel­lver­stre­tende Schulleit­er Richard Ver­non, gibt ihnen dabei eine Auf­gabe: Jed­er von ihnen soll einen Auf­satz darüber schreiben, wer er bzw. sie ist.

Obwohl die fünf Schüler sich selb­st und vor allem die jew­eils anderen anfangs als Stereo­typen wahrnehmen, inter­agieren sie im Ver­lauf des Tages miteinan­der, ler­nen sich gegen­seit­ig als einzi­gar­tige Indi­viduen mit den­noch sehr ähn­lichen Prob­le­men und Sehn­sücht­en ken­nen und ver­lassen die Schule am Ende als Fre­unde. Ob sie am näch­sten Mon­tag dem Druck ihrer jew­eili­gen Cliquen trotzen und sich zu ihrer Fre­und­schaft öffentlich beken­nen wer­den, bleibt allerd­ings offen.

Die fünf Stereotypen und der Ausbruch aus der Schublade

Die Ent­fal­tung der fünf Per­sön­lichkeit­en ver­läuft nach dem gle­ichen Schema:

  • Am Anfang sehen wir, wie sie zur Schule kom­men und welch­es Ver­hält­nis sie zu ihren Eltern haben und wie und wo sie sich in der Bib­lio­thek, wo sie nach­sitzen müssen, platzieren. Auch ihre Out­fits sind sehr aus­sagekräftig. Auf diese Weise wird dem Zuschauer in weni­gen Minuten gezeigt, wer in welche Schublade gehört, aber es wer­den auch ihre tief­sitzen­den Prob­leme angedeutet.
  • Im Mit­tel­teil entwick­eln sich Inter­ak­tio­nen, die Fig­uren fordern sich gegen­seit­ig her­aus und ent­deck­en neue Facetten an sich selb­st und anderen. Es gibt drama­tis­che Szenen, Stre­it­ereien, Trä­nen, aber auch fröh­lich­es Miteinan­der und tiefe, ther­a­peutis­che Gespräche.
  • Am Ende sind die Fünf ein Ganzes, sie sehen sich gegen­seit­ig als gle­ich­berechtigte Indi­viduen und neben ein­er Fre­und­schaft, die sie alle verbindet, haben sich auch zwei Paare gebildet.

Mit diesem Schema als Werkzeug kön­nen wir uns nun jeden der fünf Schüler genauer anse­hen:

Claire Standish

Die “Prinzessin” Claire Stan­dish wird am Anfang des Films von ihrem Vater in einem fet­ten BMW her­beikutsch­iert und beklagt sich, dass der reiche und mächtige Papi sie aus dem Schla­mas­sel mit dem Nach­sitzen nicht her­aus­ge­holt hat. Es wird schnell klar, wie ver­wöh­nt sie ist. Die Strafe hat sie sich einge­han­delt, weil sie während des Unter­richts beim Shop­pen war.

In der High­school-Hier­ar­chie gehört sie qua­si zum “Adel”. Sie ist beliebt, wird benei­det und alle denken, sie hätte keine Sor­gen im Leben. In Wirk­lichkeit jedoch wirkt ihre Inter­ak­tion mit dem sie materiell ver­wöh­nen­den Papi eher kühl und später geste­ht sie den anderen Fig­uren, dass ihre Eltern ihre Stre­it­ereien auf ihrem Rück­en aus­tra­gen und dass sie sich in der Schule einem mas­siv­en Grup­pen­zwang aus­ge­set­zt sieht. Sie hat einen hohen sozialen Sta­tus, aber sie hat auch viel zu ver­lieren und traut sich daher nicht zu tun, was sie tun möchte, aus Angst, was ihre Fre­unde dazu sagen wür­den.

Somit ist sie gar nicht so glück­lich, wie alle denken:

Zu Hause bekommt sie nicht die Liebe und Anerken­nung, nach der sie sich sehnt, und in der Schule muss sie sich dafür ver­stellen.

Im Ver­lauf des ganzen Films wird sie vom “Rebell” John Ben­der belästigt. Zwar provoziert er auch die anderen Fig­uren, aber Claire ist sein Liebling­sopfer. Den­noch wer­den Claire und Ben­der am Ende ein Paar. Das sorgt in der heuti­gen Zeit — vor allem nach #MeToo — für Kri­tik: Immer­hin sind Ben­ders Beläs­ti­gun­gen in Claires Fall auch sex­ueller Natur und er hätte dafür nicht mit ihrer Zunei­gung belohnt wer­den dür­fen.

Vor dem Hin­ter­grund von Claires Prob­le­men und Äng­sten ergibt diese Kon­stel­la­tion aber — für mich zumin­d­est — dur­chaus Sinn: Tief in ihrem Inneren will Claire rebel­lieren — gegen ihre Eltern, die sich gegen­seit­ig nicht mehr lieben und ihre Liebe zu ihr anscheinend nur mit Geld aus­drück­en kön­nen, und auch gegen ihre Fre­unde, die sie sofort verurteilen wür­den, wenn sie jeman­den wie Ben­der auch nur anschauen würde. Ben­der, die per­son­ifizierte Rebel­lion, ist daher sehr inter­es­sant für sie, auch wenn sie sich selb­st zunächst nicht die Erlaub­nis erteilen kann, sich mit ihm abzugeben. Wenn sie auf seine plumpen Avan­cen ablehnend reagiert, tut sie in erster Lin­ie das, was von ihr erwartet wird, und nicht das, was sie will. Schließlich rebel­liert sie aber doch gegen die Erwartun­gen ihres Umfelds, als sie die Beziehung mit Ben­der ini­ti­iert. Dieser Moment stellt für sie eine Befreiung dar, zu der sie nur fähig ist, als ihre vier anderen Mit­nach­sitzer sie so akzep­tiert haben, wie sie ist. Außer­dem hat auch sie Ben­der als Indi­vidu­um mit Sor­gen und Äng­sten ken­nen­gel­ernt, hat gese­hen, dass seine Beläs­ti­gun­gen von sein­er inneren Ver­let­zlichkeit her­rühren, und ist daher in der Lage, ihm zu verzei­hen.

Allerd­ings gebe ich zu, dass der Film — ober­fläch­lich betra­chtet — in diesem Punkt eine sehr falsche Botschaft sendet: Claire und Ben­der sind ein indi­vidu­eller Fall und man darf ihre Geschichte nicht auf andere Beziehun­gen über­tra­gen. Doch es gibt die Gefahr, dass naive Zuschauer genau das tun — und sich dann wun­dern, warum ihr Schwarm sie nach all den sex­uellen Beläs­ti­gun­gen mei­det oder sog­ar anzeigt. Auf keinen Fall darf überse­hen wer­den, dass die Inter­ak­tio­nen zwis­chen Claire und Ben­der am Anfang und in der Mitte zwar tox­isch sind, eine Beziehung sich aber erst entwick­elt, als die bei­den die ver­wund­bare Seite des jew­eils anderen ken­nen­ler­nen und sich gegen­seit­ig in erster Lin­ie als Men­schen wahrnehmen. Ein Mäd­chen stun­den­lang belästi­gen und dann erwarten, dass sie die eige­nen Gefüh­le plöt­zlich erwidert, funk­tion­iert auch in The Break­fast Club nicht.

Brian Johnson

Der “Schlaukopf” Bri­an John­son wirkt in viel­er­lei Hin­sicht wie eine Rand­fig­ur. Bei seinem ersten Auf­tauchen sitzt er im Auto sein­er Mut­ter, einge­quetscht neben sein­er kleinen Schwest­er, visuell an den Rand gedrückt. Dabei übt seine Mut­ter auch ver­bal Druck auf ihn aus, damit er sich nie wieder Nach­sitzen ein­han­delt und die Zeit in der Schul­bib­lio­thek zum Ler­nen nutzt, und auch die kleine Schwest­er gibt eins drauf, während Bri­an nur klein bei­gibt.

Später, wenn die fünf Haupt­fig­uren inter­agieren, wirkt er oft wie das fün­fte Rad am Wagen. Er lässt sich von Ben­der herum­scheuchen, ver­mei­det Kon­flik­te und ist gehor­sam. Während die anderen bei­den Jun­gen um die Posi­tion des “Alphamän­nchens” konkur­ri­eren, ver­sucht er, sich mit bei­den gut zu stellen. Und er ist willig, den Auf­satz für Ver­non zu schreiben. Kurzum: Er ist ein chro­nis­ch­er Ja-Sager.

Nichts­destotrotz entwick­elt er sich dur­chaus zu einem voll­w­er­ti­gen Mit­glied der Gruppe und nimmt an all ihren Unternehmungen teil. Als er mehr und mehr von sich zeigt, wird er mehr und mehr respek­tiert. Geste­ht er in der ersten Hälfte nur wider­willig, dass er noch Jungfrau ist, und reagiert etwas erle­ichtert, als Claire sagt, dass sie es okay find­et, enthüllt er in der zweit­en Hälfte von sich aus den drama­tis­chen Grund, warum er nach­sitzen muss:

Ja, er kommt aus ein­er lieben­den Fam­i­lie, die ihm fürs Nach­sitzen reich­lich nahrhaftes Pro­viant eingepackt hat und sich um ihn sorgt. Aber wie am Anfang des Films bere­its angedeutet wurde, übt diese liebende Fam­i­lie auch einen enor­men Druck auf ihn aus. Er soll ein guter Junge sein, keinen Mist bauen und — vor allem — gute Schul­noten haben. Als er in Werken eine Sechs (ein F) bekom­men hat, die erste Sechs in seinem Leben, kon­nte er das nicht ertra­gen und besorgte sich eine Pis­tole, um Selb­st­mord zu bege­hen. Diese Pis­tole wurde in seinem Schließ­fach gefun­den und so hat er sich die Strafe einge­han­delt. Dabei war sowohl für die Schule als auch für seine Eltern offen­bar nur rel­e­vant, dass er eine Pis­tole in seinem Schließ­fach hat­te. Warum sie dort gelandet ist, scheint nie­man­den ern­sthaft geküm­mert zu haben, denn dann hätte er doch eher psy­chother­a­peutis­che Hil­fe bekom­men und kein Nach­sitzen.

Somit wirkt Bri­an so erdrückt von der “Liebe” und “Sorge” sein­er Fam­i­lie, dass er keine eigene Stimme besitzt und seine Per­sön­lichkeit nicht aus­drück­en kann.

Daher ist es sehr bemerkenswert, dass Bri­an am Ende als Stimme der Gruppe fungiert. Oft wird gesagt, dass er auch am Ende eher der arme Los­er ist, der im Namen aller den Auf­satz schreibt, während die anderen sich ihren Romanzen wid­men. Und ja, er wird von Claire dur­chaus in diese Rolle manip­uliert, weil die anderen keine Lust auf diesen Auf­satz haben. Aber wir dür­fen dabei nicht vergessen, dass er im Ver­lauf des Films dur­chaus gel­ernt hat, aus sich her­auszuge­hen, seine eige­nen Gedanken und Gefüh­le zu äußern. Und vor allem: Der Film begin­nt und endet mit seinem Auf­satz und sein­er Stimme. Und während Ben­der Ver­non nur provoziert und die anderen nur unter­schwellig gegen den stel­lver­stre­tenden Schulleit­er rebel­lieren, ist es aus­gerech­net der ursprünglich stimm­lose Ja-Sager Bri­an, der Ver­non tat­säch­lich besiegt: Zwar spielt er sein Spiel mit und schreibt den Auf­satz, aber er führt darin aus, dass alle fünf Nach­sitzer vielschichtige Indi­viduen sind, so sehr Ver­non sie auch als Prinzessin, Muskel­protz, Freak, Schlaukopf und Aus­ge­flippte abstem­peln mag. Dabei ist Bri­an sichtlich zufrieden mit seinem Meis­ter­w­erk und während die anderen miteinan­der knutschen, küsst er seinen Auf­satz, seine Stimme, seinen Selb­staus­druck gegenüber dem Haup­tan­ta­g­o­nis­ten des Films.

Andrew Clark

Der “Muskel­protz” Andrew Clark gehört als Sport­skanone, eben­so wie Claire, zum “Schu­ladel” und hat, wenn es nach seinem Vater geht, eine glo­r­re­iche Zukun­ft vor sich. Mr. Clark meint, dass Andys Verge­hen an sich nicht schlimm ist, weil Jungs nun mal Mist bauen; das Prob­lem sei eher, dass Andy sich hat erwis­chen lassen, weil er später vielle­icht kein Stipendi­um kriegt. Damit ist schnell klar: Eben­so wie Bri­an wird Andy von seinen Eltern unter Druck geset­zt.

Anders als Bri­an jedoch gilt Andy in der High­school-Hier­ar­chie als Respek­t­per­son, ben­immt sich dementsprechend und wird auch von Ver­non so wahrgenom­men. Der stel­lvertre­tende Schulleit­er instru­men­tal­isiert ihn als rechte Hand, beispiel­sweise als er nach ein­er Lösung sucht, um die von Ben­der sabotierte Tür offen­zuhal­ten, oder als für die Nach­sitzen­den Getränke besorgt wer­den sollen. Und auch in Ver­nons Abwe­sen­heit ver­hält Andy sich als Sprachrohr der Lehrer, indem er die anderen — speziell Ben­der — immer wieder zurechtweist.

Andy tut, was von ihm erwartet wird, aber im Ver­lauf des Films stellt sich her­aus, dass er das gar nicht möchte:

Er enthüllt, dass er sich als Ren­npferd wahrn­immt, gehet­zt von den Erwartun­gen seines Vaters, der die Welt in starke Sieger und schwache Ver­lier­er aufteilt. Andy soll dabei natür­lich ein stark­er Sieger sein, nicht mehr und nicht weniger.

Seinen Frust über den Druck, stark und cool zu sein, hat er an einem anderen Schüler aus­ge­lassen, indem er ihm die Poback­en zusam­mengek­lebt hat. Und obwohl sein Vater meint, das an sich wäre ja nicht schlimm und er habe in sein­er Schulzeit auch Mist gebaut, schämt sich Andy für seine Tat. Denn in Wirk­lichkeit ist er eine sen­si­ble, ein­fühlsame Natur.

Das wird vor allem an seinen Inter­ak­tio­nen mit Alli­son deut­lich. Anfangs zeigt er zwar ein Inter­esse an Claire, beispiel­sweise, als er sich neben sie set­zt, sie zu ein­er Par­ty ein­lädt und Ver­non gegenüber andeutet, dass er sie als Beglei­t­erin beim Getränke­holen haben möchte; aber als Alli­son auf recht aggres­sive Weise ihren Gesprächs­be­darf sig­nal­isiert, kommt er auf sie zu und lei­ht ihr sein Ohr. Dabei ist es nicht ihre erste Inter­ak­tion, denn als Alli­son Andy als Beglei­t­erin beim Getränke­holen zugeteilt wird, bemüht er sich um Smalltalk und das Gespräch entwick­elt sich schnell in eine per­sön­liche Rich­tung: In dieser Szene und später beim ther­a­peutis­chen Grup­penge­spräch lässt Alli­son durch­blitzen, dass sie ihn durch­schaut. Das dürfte der Grund sein, warum er ein spezielles Inter­esse an ihr entwick­elt und ihr geduldig zuhört, so anstren­gend es auch sein mag.

Als die Nach­sitzer sich gegen­seit­ig mehr und mehr akzep­tieren, wirft Andy den elter­lichen Druck schließlich ab, lässt die Zügel los und akzep­tiert Ben­der als Anführer. Seine Rebel­lion beste­ht darin, sich zu entspan­nen und seine empfind­same Seite zu zeigen, ohne sich dabei als schwach­er Ver­lier­er zu fühlen. Und er kommt mit Alli­son zusam­men, die als “Aus­ge­flippte” eigentlich am anderen Ende der Schul­hier­ar­chie ste­ht. Auch das repräsen­tiert seine Rebel­lion, denn statt seinem Stereo­typ entsprechend die Schul­prinzessin zu hofieren, wen­det er sich einem Mäd­chen zu, das in sein Inneres schauen kann.

John Bender

Der krim­inelle “Freak” John Ben­der scheint am Anfang des Films nur zu existieren, um anderen Men­schen auf die Ner­ven zu gehen. Denn ange­blich küm­mert es ihn nicht, was um ihn herum passiert und was andere von ihm denken. Zur Schule kommt er allein zu Fuß, was auf eine nicht-exis­tente Beziehung zu seinen Eltern und auf deren niedriges Einkom­men hin­deutet. Dabei spaziert er ganz acht­los über die Straße, sodass das Auto von Allisons Eltern scharf brem­sen muss. Und die Frage, warum er nach­sitzen soll, stellt sich bei all seinen Pro­voka­tio­nen gar nicht erst: Mit größter Wahrschein­lichkeit ist dieser Unruh­es­tifter sam­stags ein Dauer­gast. Aber der Voll­ständigkeit hal­ber: Er hat einen falschen Feuer­alarm aus­gelöst.

Wie sich in der Mitte des Films jedoch her­ausstellt, hat Ben­der es von allen Nach­sitzern am schw­er­sten. Nicht nur kommt er aus der sozialen Unter­schicht, son­dern er hat auch einen gewalt­täti­gen Vater. Während Claire, Bri­an und Andy gute Gründe haben, auf ihre Eltern wütend zu sein, erfahren sie von ihnen den­noch in der ein oder anderen — noch so per­fi­den Form — Liebe. Ben­der bekommt nur Belei­di­gun­gen, Dro­hun­gen und Schläge und hat auch kaum Aus­sicht­en, irgend­wann aus seinem Milieu auszubrechen. Er rebel­liert, trotzt und provoziert — und wird von seinem Umfeld dafür nur noch mehr stig­ma­tisiert, wodurch seine Per­spek­tiv­en im Leben weit­er schwinden.

Wenn Ben­der die anderen Fig­uren ärg­ert, mobbt und belästigt, dann tut er das vor allem, weil sie Dinge verkör­pern, die ihn frus­tri­eren: Claire mit ihren Dia­man­tohrsteck­ern repräsen­tiert soziale Ungerechtigkeit, Bri­an hat eine Fam­i­lie, die sich um ihn sorgt, und Andy bekommt über­all automa­tisch Respekt und Anerken­nung. Ver­non als Repräsen­tant der Erwach­se­nen­welt, die pausen­los auf ihm herumhackt, ist ohne­hin das ulti­ma­tive Böse. Die einzige Per­son, die er in Ruhe lässt, ist Alli­son, die in der Schul­hier­ar­chie ganz unten ste­ht. Somit muss man Ben­der wenig­stens zugute­hal­ten, dass er offen­bar nur Men­schen provoziert, die er als eben­bür­tig oder in irgen­dein­er Hin­sicht als priv­i­legiert­er wahrn­immt. Schwächere fasst er nicht an.

Damit ist Ben­der vor allem ein Opfer sein­er Abstam­mung, tagtäglich mit all­ge­gen­wär­tiger Ungerechtigkeit und Gehäs­sigkeit ihm gegenüber kon­fron­tiert, und er über­spielt seine Äng­ste, seine Min­der­w­er­tigkeits­ge­füh­le und seine Ver­let­zlichkeit durch Aggres­sion. Er ver­sucht, sich Aufmerk­samkeit und Anerken­nung zu erkämpfen, fol­gt dabei aber offen­bar auch ein­er Art von Ehrenkodex.

Let­zteres lässt ihn ein wenig wie Robin Hood wirken: Er ist zwar ein Schurke, aber ein fair­er Schurke. Er kämpft auf seine Weise gegen Ungerechtigkeit und bringt dafür Opfer allein aus Prinzip. So han­delt er sich zwei zusät­zliche Monate Nach­sitzen ein, weil er sich weigert, Ver­non gegenüber klein beizugeben. Auch ist er es, der die Nach­sitzer über­haupt erst zusam­men­bringt, indem er die Tür, durch die Ver­non die Schüler beobachtet, sabotiert und der Gruppe dadurch ein ungestörtes Miteinan­der ermöglicht. Später, als die Gruppe ver­boten­er­weise die Bib­lio­thek ver­lässt, lenkt er Ver­non ab und lässt sich zur Strafe in eine Abstel­lka­m­mer sper­ren, damit die anderen unge­se­hen wieder in die Bib­lio­thek kom­men kön­nen. Nach seinem Aus­bruch aus der Besenkam­mer teilt er sein Mar­i­jua­na großzügig mit den anderen. Man kann also sagen: Weil Ben­der nichts hat, hat er auch nichts zu ver­lieren und ist dadurch freier als die anderen. Und er lehrt sie indi­rekt, eben­falls frei zu sein.

Zum Ende des Films erken­nt er, wie auch die anderen, dass jed­er von ihnen ein Indi­vidu­um ist. Wohl zum ersten Mal wird er von Men­schen, die auf ihn nor­maler­weise her­ab­se­hen wür­den, nicht nur akzep­tiert, son­dern auch als Anführer anerkan­nt. Denn auch wenn er Schwierigkeit­en hat, seine Gefüh­le auszu­drück­en, ver­mut­lich weil er das von Haus aus nie gel­ernt hat, wird spätestens zum Ende hin deut­lich, dass hin­ter sein­er explo­siv­en Fas­sade viel Zunei­gung für seine vier neuen Fre­unde steckt. Son­st hätte er ja nicht seinen Kopf für sie hinge­hal­ten.

Das ist es wohl auch, was ihn in den Augen seines Liebling­sopfers Claire reha­bil­i­tiert. Er hat ein­deutig von Anfang an Inter­esse an ihr und sucht ihre Aufmerk­samkeit, wenn auch auf sehr plumpe, sex­is­tis­che Weise. Ein­er­seits weiß er es, wie gesagt, nicht bess­er, aber ander­er­seits ist er sich auch dessen bewusst, dass die Prinzessin mit ihren Dia­man­tohrsteck­ern für ihn ohne­hin unerr­e­ich­bar ist. Erst als Claire seine Gefüh­le ein­deutig erwidert … Man schaue sich nur an, wie zärtlich und brav er plöt­zlich ist und wie bere­itwillig er zugibt, dass er ihren Lip­pen­s­tift-Trick, den er vorhin ins Lächer­liche gezo­gen hat, in Wirk­lichkeit gar nicht eklig fand. Durch die Gruppe und speziell durch Claire hat er eine Aufw­er­tung erfahren, die schließlich mit dem Dia­man­tohrsteck­er, den Claire ihm schenkt, auch eine materielle Aus­prä­gung bekommt. Als er nicht mehr die Notwendigkeit ver­spürt, andere — und speziell Claire — zu provozieren, unter­lässt er das auch.

Allison Reynolds

Die “Aus­ge­flippte” Alli­son Reynolds unter­schei­det sich von den anderen Nach­sitzern insofern, als dass sie nichts ver­brochen hat und gekom­men ist, weil sie son­st nichts zu tun hat­te. Als sie das gegen Ende des Films enthüllt, ist es bei ihrer exzen­trischen Art nicht mehr ver­wun­der­lich. Und bere­its die Art und Weise, wie sie zur Schule erscheint, unter­schei­det sich von der der anderen: Während Claire, Bri­an und Andy noch ein let­ztes Gespräch mit ihren Eltern haben und Ben­der selb­st­be­wusst über die Straße marschiert, wird Alli­son wie ein Stück Müll ein­fach abge­laden und als sie sich zum Aut­ofen­ster beugt, um sich zu ver­ab­schieden, fährt das Auto ein­fach weg. Das ist eine sehr herzzer­reißende Andeu­tung für den Grund, warum sie so exzen­trisch ist.

Während des Nach­sitzens fällt Alli­son vor allem dadurch auf, dass sie weitest­ge­hend unauf­fäl­lig ist. Sie sitzt allein in der ent­fer­n­testen Ecke, spricht die ersten zwei Drit­tel des Films über kaum, beobachtet die anderen und macht ihr eigenes Ding. Den­noch ist sie bei allen Unternehmungen der Gruppe mit von der Par­tie, stiehlt kleine Andenken und lenkt durch exzen­trische Aktio­nen die all­ge­meine Aufmerk­samkeit auf sich, beispiel­sweise als sie sich ein Corn­flakes-Sand­wich zubere­it­et und es geräuschvoll ver­speist.

Alli­son sendet wider­sprüch­liche Botschaften aus: Ein­er­seits hält sie sich strikt im Hin­ter­grund und ver­weigert weitest­ge­hend direk­te Kom­mu­nika­tion, ander­er­seits aber drängt sie sich in Momenten, in denen man es am wenig­sten erwartet, plump und exzen­trisch in den Vorder­grund. Das erste Mal, dass sie aktiv auf andere zuge­ht, kippt sie vor Bri­an und Andy den Inhalt ihrer Tasche aus. Sie möchte dabei geheimnisvoll und edgy wirken und sagt, dass sie ihre Fam­i­lie “unbe­friedi­gend” find­et und weglaufen möchte. Als Andy aber ern­sthaft wis­sen will, was mit ihr los ist, faucht sie ihn an und läuft weg. Sie hat offen­sichtlich Redebe­darf, aber sie traut sich nicht.

Andy durch­schaut ihre Fas­sade. Seinen ersten Dia­log mit ihr hat­te er während des Getränke­holens und war der­jenige, der ihn ini­ti­iert hat. Damals war wohl eine Mis­chung aus Smalltalk und Neugierde seine Moti­va­tion, aber nach der Taschen­szene scheint er ern­sthaft wis­sen zu wollen, was hin­ter ihrer Art steckt. Let­z­tendlich schafft er es, dass sie sich ihm anver­traut und geste­ht, dass ihre Eltern sie ignori­eren. Dabei wirkt Alli­son erschüt­tert, dass jemand sie tat­säch­lich wahrn­immt, ihr zuhört und mit ihr mit­fühlt.

Dadurch wird klar, dass Alli­son sich durch die Kälte ihrer Eltern als min­der­w­er­tig empfind­et. In ihrem Inneren will sie Aufmerk­samkeit und Bestä­ti­gung, aber aus Angst vor Ablehnung hat sie sich einen dick­en Panz­er der Exzen­trik zugelegt, um andere Men­schen auf Abstand zu hal­ten.

Diesen Panz­er baut sie ab, als sie von den anderen Nach­sitzern und speziell Andy Akzep­tanz erfährt. Und als sie sich den anderen öffnet, öff­nen sie sich auch ihr. Schließlich nimmt dieser Wan­del auch eine physis­che Form an, als sie zulässt, dass Claire ihr ein kleines Makeover ver­passt: Am Ende des Films ist Alli­son eine Prinzessin und wirkt wie ein gewöhn­lich­er Teenag­er. Außer dass sie es sich nicht nehmen lässt, einen Aufnäher von Andys Jacke zu stib­itzen.

Eben­so wie die Beziehung von Claire und Ben­der wird dieser Punkt jedoch kon­tro­vers disku­tiert: Es wird vorge­wor­fen, das Makeover beraube sie ihrer Per­sön­lichkeit und sende die Botschaft, dass man sich einem ober­fläch­lichen Schön­heit­side­al beu­gen muss, um einen Mann zu erobern. Und ich muss sagen, als ich den Film im Teenag­er-Alter gese­hen habe und Allisons exzen­trische Art sehr mochte, war ich von dem Makeover eben­falls ent­täuscht. Allerd­ings bin ich, während mein­er Schulzeit auch eine Alli­son, seit­dem älter gewor­den und hat­te auch einen ähn­lichen Moment. Und mit­tler­weile finde ich, dass Kri­tik dieser Art Allisons Gefüh­le ignori­ert. Denn ihre Exzen­trik ist kein indi­vidu­eller Stil und kein Aus­druck ihrer Per­sön­lichkeit, son­dern, wie gesagt, ein Panz­er, eine Gefäng­niszelle, in die sie sich selb­st ges­per­rt hat. Das Makeover drückt ihre Befreiung aus und das Ent­deck­en neuer Facetten an sich. Aus Erfahrung würde ich sagen, dass Alli­son nach diesem Makeover exper­i­men­tieren und neue Aus­drucks­for­men für ihre Per­sön­lichkeit find­en wird. Was Andy ange­ht, so hat er sich auch vor dem Makeover für sie inter­essiert und dass sie nun aussieht wie eine Prinzessin, ist da nur das Sah­ne­häubchen.

Gemeinsame Rebellion gegen die Erwachsenen

Bei all ihren Unter­schieden haben die fünf Haupt­fig­uren eine entschei­dende Gemein­samkeit:

Sie wer­den von Erwach­se­nen unter­drückt, speziell von ihren Eltern, sie wer­den stig­ma­tisiert und auf einen bes­timmten Leben­sp­fad gedrängt, den sie sich nicht aus­ge­sucht haben. Sie alle sind am Anfang des Films auf direk­tem Wege, so zu wer­den wie ihre Eltern, und als sie das erken­nen, macht es ihnen Angst.

Diese Unter­drück­ung wird im Film haupt­säch­lich durch den Antag­o­nis­ten Richard Ver­non repräsen­tiert und alle fünf Haupt­fig­uren rebel­lieren gegen ihn auf die ein oder andere Weise. Zwar zeigt nur Ben­der seinen Wider­stand offen, aber die anderen Nach­sitzer deck­en ihn äußerst bere­itwillig, wenn er mal wieder etwas angestellt hat, auch wenn sie ihn nach­her kri­tisieren und sich für die Befol­gung von Ver­nons Anweisun­gen aussprechen.

Die Abnei­gung gegen Ver­non eint sie also von Anfang an und im Laufe des Tages ent­deck­en sie auch all die anderen Gemein­samkeit­en. Und ihr tat­säch­lich­er Wider­stand gegen Ver­non, die Erwach­se­nen und die Gesellschaft generell beste­ht darin, die stereo­typen Vorstel­lun­gen voneinan­der zu begraben und sich gegen­seit­ig als liebenswürdi­ge Indi­viduen anzuerken­nen:

Haben sie am Anfang noch eine hier­ar­chis­che Sit­zord­nung mit dem “Schu­ladel” in der ersten Rei­he, dem Rebell, der dem “Adel” buch­stäblich im Nack­en sitzt, in der zweit­en, dem nerdi­gen Schlaukopf etwas abseits, aber immer noch in der zweit­en Rei­he und der exzen­trischen Außen­sei­t­erin in der ent­fer­n­testen Ecke, ver­lassen sie die Schule am Ende mehr oder weniger in ein­er Rei­he, auf ein­er Höhe.

Sie haben sich von den Stereo­typen und Stig­ma­ta der Erwach­se­nen gelöst und diese Werkzeuge der Unter­drück­ung kön­nen ihnen nichts mehr anhab­en. Sie haben sich gegen­seit­ig befre­it.

… Oder nicht?

Fazit: Was passiert am Montag?

Gegen Ende des Films stellt Bri­an die Frage, ob die Fünf am Mon­tag, wenn sie wieder in Gesellschaft ihrer jew­eili­gen Cliquen sind, immer noch Fre­unde sein wer­den. Die Mei­n­un­gen gehen dabei auseinan­der und das Ende des Films lässt die Frage eben­falls offen. Dementsprechend disku­tieren die Zuschauer bis an den heuti­gen Tag, wie die Sit­u­a­tion am Mon­tag ausse­hen wird.

Ich per­sön­lich war dabei schon in bei­den Lagern, sowohl im real­is­tisch-pes­simistis­chen mit der Ansicht, dass sie am Mon­tag so tun wer­den, als wür­den sie sich nicht ken­nen, als auch im roman­tisch-opti­mistis­chen, wo man an den Erhalt der Fre­und­schaft glaubt.

Nach dieser Analyse tendiere ich mehr zur opti­mistis­cheren Seite. Ich kann ein­fach nicht abweisen, dass die Fünf eine Intim­ität erlebt haben wie wohl noch nie zuvor in ihren Cliquen, und ein so inten­sives Erleb­nis muss ein­fach Spuren hin­ter­lassen. Immer­hin haben die Fünf durch ihr Miteinan­der eine Möglichkeit gefun­den, sich ihren tief­sten Äng­sten zu stellen. Sie haben Frei­heit gekostet und sie sind noch jung genug für einen Kur­swech­sel, um eben nicht so zu wer­den wie ihre Eltern. Ich denke zwar nicht, dass sie öffentlich als Clique auftreten wer­den, aber ich kann mir vorstellen, dass sie auch weit­er­hin füreinan­der da sein wer­den. Son­st hätte das kathar­tis­che Miteinan­der im Film doch keine Bedeu­tung.

Unterm Strich jedoch muss wohl jed­er Zuschauer selb­st entschei­den, wie es am Mon­tag weit­erge­ht. Und diese Entschei­dung sagt wiederum sehr viel über einen selb­st aus und über die eigene Sit­u­a­tion zum jew­eili­gen Zeit­punkt.

Daher will ich nie­man­dem vorschreiben, was die richtige Antwort ist, und wäre sehr ges­pan­nt auf Deine Gedanken zu dem The­ma.

2 Kommentare

  1. Hi!

    Ich find deine Analyse super span­nend und stimme grund­sät­zlich auch zu.
    Zum The­ma wie geht es am Mon­tag weit­er denke ich auch nicht, dass sie als Clique auftreten wür­den. Ich kann mir aber vorstellen, dass sie sich im Flur wis­send anlächeln und am näch­sten Sam­stag wieder tre­f­fen — schließlich haben sie ja qua­si am Ende einen “Club” gegrün­det und wenn ich mich richtig erin­nere, sagt ein­er der Charak­tere “See you next Sat­ur­day”. Vielle­icht hab ich es mir aber auch falsch gemerkt und es ist nicht an die Gruppe gerichtet son­dern von Ben­der an Ver­non. Als let­ztes kann ich mir auch vorstellen, dass ein weit­er­er Grund warum Ben­der immer mehr sam­stags nach­sitzen provoziert ist, um nicht zu Hause sein zu müssen. Aber vielle­icht ist das auch etwas weit herge­holt. Lg!

    Yuna
    1. Ich glaube, das “See you next Sat­ur­day” war zwis­chen Ben­der und dem Haus­meis­ter, weil Ben­der ja gefühlt bis zum Rest seines Lebens nach­sitzen muss. Und dass er das provoziert, kön­nte vielle­icht sog­ar sein. Ist zumin­d­est eine inter­es­sante The­o­rie.
      Jeden­falls kann ich mir das mit mit dem Wis­send-Anlächeln auch gut vorstellen.

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