Figu­ren­ana­lyse: „The Break­fast Club“ von John Hughes

Figu­ren­ana­lyse: „The Break­fast Club“ von John Hughes

Schon seit Jahr­zehnten erfreut sich The Break­fast Club von John Hughes, eine Geschichte über fünf Teen­ager, die aus ihren Ste­reo­typen aus­bre­chen, großer Beliebt­heit. Doch wie funk­tio­niert hier die Ent­wick­lung der Haupt­fi­guren genau? In diesem Artikel nehmen wir die Arcs von Claire, Brian, Andrew, Bender und Allison ein­zeln aus­ein­ander und ordnen sie in den Gesamt­kon­text des Films ein.

Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abon­nenten und Kanal­mitglieder auf You­Tube als PDF zum Down­load.

In einem frü­heren Artikel habe ich die Mög­lich­keit ange­spro­chen, eine Figur am Anfang in eine Kli­schee-Schub­lade zu packen, sie im wei­teren Ver­lauf der Geschichte aber aus­bre­chen zu lassen. Und genau das ist, was mit den fünf Haupt­fi­guren im Film The Break­fast Club von John Hughes pas­siert:

Begegnen sie sich am Anfang als Prin­zessin, Mus­kel­protz, Freak, Schlau­kopf und Aus­ge­flippte, haben sie am Ende ein­ge­sehen, dass sie alle kom­plexe Per­sön­lich­keiten haben und sich zugleich doch ähn­lich sind: Dass in jedem von ihnen eine Prin­zessin, ein Mus­kel­protz, ein Freak, ein Schlau­kopf und eine Aus­ge­flippte steckt.

Wie funk­tio­niert das also genau? Wie helfen die Haupt­fi­guren sich gegen­seitig, sich zu ent­falten? Und was bedeutet das für die Gesamt­aus­sage des Films? – Das schauen wir uns heute an.

The Break­fast Club: Worum geht es?

The Break­fast Club han­delt von fünf scheinbar sehr unter­schied­li­chen Schü­lern einer US-ame­ri­ka­ni­schen High­school, die aus sehr unter­schied­li­chen Gründen an einem Samstag nach­sitzen müssen. Ihr „Auf­seher“, der stell­vers­t­re­tende Schul­leiter Richard Vernon, gibt ihnen dabei eine Auf­gabe: Jeder von ihnen soll einen Auf­satz dar­über schreiben, wer er bzw. sie ist.

Obwohl die fünf Schüler sich selbst und vor allem die jeweils anderen anfangs als Ste­reo­typen wahr­nehmen, inter­agieren sie im Ver­lauf des Tages mit­ein­ander, lernen sich gegen­seitig als ein­zig­ar­tige Indi­vi­duen mit den­noch sehr ähn­li­chen Pro­blemen und Sehn­süchten kennen und ver­lassen die Schule am Ende als Freunde. Ob sie am nächsten Montag dem Druck ihrer jewei­ligen Cli­quen trotzen und sich zu ihrer Freund­schaft öffent­lich bekennen werden, bleibt aller­dings offen.

Die fünf Ste­reo­typen und der Aus­bruch aus der Schub­lade

Die Ent­fal­tung der fünf Per­sön­lich­keiten ver­läuft nach dem glei­chen Schema:

  • Am Anfang sehen wir, wie sie zur Schule kommen und wel­ches Ver­hältnis sie zu ihren Eltern haben und wie und wo sie sich in der Biblio­thek, wo sie nach­sitzen müssen, plat­zieren. Auch ihre Out­fits sind sehr aus­sa­ge­kräftig. Auf diese Weise wird dem Zuschauer in wenigen Minuten gezeigt, wer in welche Schub­lade gehört, aber es werden auch ihre tief­sit­zenden Pro­bleme ange­deutet.
  • Im Mit­tel­teil ent­wi­ckeln sich Inter­ak­tionen, die Figuren for­dern sich gegen­seitig heraus und ent­de­cken neue Facetten an sich selbst und anderen. Es gibt dra­ma­ti­sche Szenen, Strei­te­reien, Tränen, aber auch fröh­li­ches Mit­ein­ander und tiefe, the­ra­peu­ti­sche Gespräche.
  • Am Ende sind die Fünf ein Ganzes, sie sehen sich gegen­seitig als gleich­be­rech­tigte Indi­vi­duen und neben einer Freund­schaft, die sie alle ver­bindet, haben sich auch zwei Paare gebildet.

Mit diesem Schema als Werk­zeug können wir uns nun jeden der fünf Schüler genauer ansehen:

Claire Stan­dish

Die „Prin­zessin“ Claire Stan­dish wird am Anfang des Films von ihrem Vater in einem fetten BMW her­bei­kut­schiert und beklagt sich, dass der reiche und mäch­tige Papi sie aus dem Schla­massel mit dem Nach­sitzen nicht her­aus­ge­holt hat. Es wird schnell klar, wie ver­wöhnt sie ist. Die Strafe hat sie sich ein­ge­han­delt, weil sie wäh­rend des Unter­richts beim Shoppen war.

In der High­school-Hier­ar­chie gehört sie quasi zum „Adel“. Sie ist beliebt, wird beneidet und alle denken, sie hätte keine Sorgen im Leben. In Wirk­lich­keit jedoch wirkt ihre Inter­ak­tion mit dem sie mate­riell ver­wöh­nenden Papi eher kühl und später gesteht sie den anderen Figuren, dass ihre Eltern ihre Strei­te­reien auf ihrem Rücken aus­tragen und dass sie sich in der Schule einem mas­siven Grup­pen­zwang aus­ge­setzt sieht. Sie hat einen hohen sozialen Status, aber sie hat auch viel zu ver­lieren und traut sich daher nicht zu tun, was sie tun möchte, aus Angst, was ihre Freunde dazu sagen würden.

Somit ist sie gar nicht so glück­lich, wie alle denken:

Zu Hause bekommt sie nicht die Liebe und Aner­ken­nung, nach der sie sich sehnt, und in der Schule muss sie sich dafür ver­stellen.

Im Ver­lauf des ganzen Films wird sie vom „Rebell“ John Bender beläs­tigt. Zwar pro­vo­ziert er auch die anderen Figuren, aber Claire ist sein Lieb­lings­opfer. Den­noch werden Claire und Bender am Ende ein Paar. Das sorgt in der heu­tigen Zeit – vor allem nach #MeToo – für Kritik: Immerhin sind Ben­ders Beläs­ti­gungen in Claires Fall auch sexu­eller Natur und er hätte dafür nicht mit ihrer Zunei­gung belohnt werden dürfen.

Vor dem Hin­ter­grund von Claires Pro­blemen und Ängsten ergibt diese Kon­stel­la­tion aber – für mich zumin­dest – durchaus Sinn: Tief in ihrem Inneren will Claire rebel­lieren – gegen ihre Eltern, die sich gegen­seitig nicht mehr lieben und ihre Liebe zu ihr anschei­nend nur mit Geld aus­drü­cken können, und auch gegen ihre Freunde, die sie sofort ver­ur­teilen würden, wenn sie jemanden wie Bender auch nur anschauen würde. Bender, die per­so­ni­fi­zierte Rebel­lion, ist daher sehr inter­es­sant für sie, auch wenn sie sich selbst zunächst nicht die Erlaubnis erteilen kann, sich mit ihm abzu­geben. Wenn sie auf seine plumpen Avancen ableh­nend reagiert, tut sie in erster Linie das, was von ihr erwartet wird, und nicht das, was sie will. Schließ­lich rebel­liert sie aber doch gegen die Erwar­tungen ihres Umfelds, als sie die Bezie­hung mit Bender initi­iert. Dieser Moment stellt für sie eine Befreiung dar, zu der sie nur fähig ist, als ihre vier anderen Mit­nach­sitzer sie so akzep­tiert haben, wie sie ist. Außerdem hat auch sie Bender als Indi­vi­duum mit Sorgen und Ängsten ken­nen­ge­lernt, hat gesehen, dass seine Beläs­ti­gungen von seiner inneren Ver­letz­lich­keit her­rühren, und ist daher in der Lage, ihm zu ver­zeihen.

Aller­dings gebe ich zu, dass der Film – ober­fläch­lich betrachtet – in diesem Punkt eine sehr fal­sche Bot­schaft sendet: Claire und Bender sind ein indi­vi­du­eller Fall und man darf ihre Geschichte nicht auf andere Bezie­hungen über­tragen. Doch es gibt die Gefahr, dass naive Zuschauer genau das tun – und sich dann wun­dern, warum ihr Schwarm sie nach all den sexu­ellen Beläs­ti­gungen meidet oder sogar anzeigt. Auf keinen Fall darf über­sehen werden, dass die Inter­ak­tionen zwi­schen Claire und Bender am Anfang und in der Mitte zwar toxisch sind, eine Bezie­hung sich aber erst ent­wi­ckelt, als die beiden die ver­wund­bare Seite des jeweils anderen ken­nen­lernen und sich gegen­seitig in erster Linie als Men­schen wahr­nehmen. Ein Mäd­chen stun­den­lang beläs­tigen und dann erwarten, dass sie die eigenen Gefühle plötz­lich erwi­dert, funk­tio­niert auch in The Break­fast Club nicht.

Brian Johnson

Der „Schlau­kopf“ Brian Johnson wirkt in vie­lerlei Hin­sicht wie eine Rand­figur. Bei seinem ersten Auf­tau­chen sitzt er im Auto seiner Mutter, ein­ge­quetscht neben seiner kleinen Schwester, visuell an den Rand gedrückt. Dabei übt seine Mutter auch verbal Druck auf ihn aus, damit er sich nie wieder Nach­sitzen ein­han­delt und die Zeit in der Schul­bi­blio­thek zum Lernen nutzt, und auch die kleine Schwester gibt eins drauf, wäh­rend Brian nur klein bei­gibt.

Später, wenn die fünf Haupt­fi­guren inter­agieren, wirkt er oft wie das fünfte Rad am Wagen. Er lässt sich von Bender her­um­scheu­chen, ver­meidet Kon­flikte und ist gehorsam. Wäh­rend die anderen beiden Jungen um die Posi­tion des „Alpha­männ­chens“ kon­kur­rieren, ver­sucht er, sich mit beiden gut zu stellen. Und er ist willig, den Auf­satz für Vernon zu schreiben. Kurzum: Er ist ein chro­ni­scher Ja-Sager.

Nichts­des­to­trotz ent­wi­ckelt er sich durchaus zu einem voll­wer­tigen Mit­glied der Gruppe und nimmt an all ihren Unter­neh­mungen teil. Als er mehr und mehr von sich zeigt, wird er mehr und mehr respek­tiert. Gesteht er in der ersten Hälfte nur wider­willig, dass er noch Jung­frau ist, und reagiert etwas erleich­tert, als Claire sagt, dass sie es okay findet, ent­hüllt er in der zweiten Hälfte von sich aus den dra­ma­ti­schen Grund, warum er nach­sitzen muss:

Ja, er kommt aus einer lie­benden Familie, die ihm fürs Nach­sitzen reich­lich nahr­haftes Pro­viant ein­ge­packt hat und sich um ihn sorgt. Aber wie am Anfang des Films bereits ange­deutet wurde, übt diese lie­bende Familie auch einen enormen Druck auf ihn aus. Er soll ein guter Junge sein, keinen Mist bauen und – vor allem – gute Schul­noten haben. Als er in Werken eine Sechs (ein F) bekommen hat, die erste Sechs in seinem Leben, konnte er das nicht ertragen und besorgte sich eine Pis­tole, um Selbst­mord zu begehen. Diese Pis­tole wurde in seinem Schließ­fach gefunden und so hat er sich die Strafe ein­ge­han­delt. Dabei war sowohl für die Schule als auch für seine Eltern offenbar nur rele­vant, dass er eine Pis­tole in seinem Schließ­fach hatte. Warum sie dort gelandet ist, scheint nie­manden ernst­haft geküm­mert zu haben, denn dann hätte er doch eher psy­cho­the­ra­peu­ti­sche Hilfe bekommen und kein Nach­sitzen.

Somit wirkt Brian so erdrückt von der „Liebe“ und „Sorge“ seiner Familie, dass er keine eigene Stimme besitzt und seine Per­sön­lich­keit nicht aus­drü­cken kann.

Daher ist es sehr bemer­kens­wert, dass Brian am Ende als Stimme der Gruppe fun­giert. Oft wird gesagt, dass er auch am Ende eher der arme Loser ist, der im Namen aller den Auf­satz schreibt, wäh­rend die anderen sich ihren Romanzen widmen. Und ja, er wird von Claire durchaus in diese Rolle mani­pu­liert, weil die anderen keine Lust auf diesen Auf­satz haben. Aber wir dürfen dabei nicht ver­gessen, dass er im Ver­lauf des Films durchaus gelernt hat, aus sich her­aus­zu­gehen, seine eigenen Gedanken und Gefühle zu äußern. Und vor allem: Der Film beginnt und endet mit seinem Auf­satz und seiner Stimme. Und wäh­rend Bender Vernon nur pro­vo­ziert und die anderen nur unter­schwellig gegen den stell­vers­t­re­tenden Schul­leiter rebel­lieren, ist es aus­ge­rechnet der ursprüng­lich stimm­lose Ja-Sager Brian, der Vernon tat­säch­lich besiegt: Zwar spielt er sein Spiel mit und schreibt den Auf­satz, aber er führt darin aus, dass alle fünf Nach­sitzer viel­schich­tige Indi­vi­duen sind, so sehr Vernon sie auch als Prin­zessin, Mus­kel­protz, Freak, Schlau­kopf und Aus­ge­flippte abstem­peln mag. Dabei ist Brian sicht­lich zufrieden mit seinem Meis­ter­werk und wäh­rend die anderen mit­ein­ander knut­schen, küsst er seinen Auf­satz, seine Stimme, seinen Selbst­aus­druck gegen­über dem Haupt­ant­ago­nisten des Films.

Andrew Clark

Der „Mus­kel­protz“ Andrew Clark gehört als Sports­ka­none, ebenso wie Claire, zum „Schul­adel“ und hat, wenn es nach seinem Vater geht, eine glor­reiche Zukunft vor sich. Mr. Clark meint, dass Andys Ver­gehen an sich nicht schlimm ist, weil Jungs nun mal Mist bauen; das Pro­blem sei eher, dass Andy sich hat erwi­schen lassen, weil er später viel­leicht kein Sti­pen­dium kriegt. Damit ist schnell klar: Ebenso wie Brian wird Andy von seinen Eltern unter Druck gesetzt.

Anders als Brian jedoch gilt Andy in der High­school-Hier­ar­chie als Respekt­person, benimmt sich dem­entspre­chend und wird auch von Vernon so wahr­ge­nommen. Der stell­ver­tre­tende Schul­leiter instru­men­ta­li­siert ihn als rechte Hand, bei­spiels­weise als er nach einer Lösung sucht, um die von Bender sabo­tierte Tür offen­zu­halten, oder als für die Nach­sit­zenden Getränke besorgt werden sollen. Und auch in Ver­nons Abwe­sen­heit ver­hält Andy sich als Sprach­rohr der Lehrer, indem er die anderen – spe­ziell Bender – immer wieder zurecht­weist.

Andy tut, was von ihm erwartet wird, aber im Ver­lauf des Films stellt sich heraus, dass er das gar nicht möchte:

Er ent­hüllt, dass er sich als Renn­pferd wahr­nimmt, gehetzt von den Erwar­tungen seines Vaters, der die Welt in starke Sieger und schwache Ver­lierer auf­teilt. Andy soll dabei natür­lich ein starker Sieger sein, nicht mehr und nicht weniger.

Seinen Frust über den Druck, stark und cool zu sein, hat er an einem anderen Schüler aus­ge­lassen, indem er ihm die Poba­cken zusam­men­ge­klebt hat. Und obwohl sein Vater meint, das an sich wäre ja nicht schlimm und er habe in seiner Schul­zeit auch Mist gebaut, schämt sich Andy für seine Tat. Denn in Wirk­lich­keit ist er eine sen­sible, ein­fühl­same Natur.

Das wird vor allem an seinen Inter­ak­tionen mit Allison deut­lich. Anfangs zeigt er zwar ein Inter­esse an Claire, bei­spiels­weise, als er sich neben sie setzt, sie zu einer Party ein­lädt und Vernon gegen­über andeutet, dass er sie als Beglei­terin beim Geträn­ke­holen haben möchte; aber als Allison auf recht aggres­sive Weise ihren Gesprächs­be­darf signa­li­siert, kommt er auf sie zu und leiht ihr sein Ohr. Dabei ist es nicht ihre erste Inter­ak­tion, denn als Allison Andy als Beglei­terin beim Geträn­ke­holen zuge­teilt wird, bemüht er sich um Small­talk und das Gespräch ent­wi­ckelt sich schnell in eine per­sön­liche Rich­tung: In dieser Szene und später beim the­ra­peu­ti­schen Grup­pen­ge­spräch lässt Allison durch­blitzen, dass sie ihn durch­schaut. Das dürfte der Grund sein, warum er ein spe­zi­elles Inter­esse an ihr ent­wi­ckelt und ihr geduldig zuhört, so anstren­gend es auch sein mag.

Als die Nach­sitzer sich gegen­seitig mehr und mehr akzep­tieren, wirft Andy den elter­li­chen Druck schließ­lich ab, lässt die Zügel los und akzep­tiert Bender als Anführer. Seine Rebel­lion besteht darin, sich zu ent­spannen und seine emp­find­same Seite zu zeigen, ohne sich dabei als schwa­cher Ver­lierer zu fühlen. Und er kommt mit Allison zusammen, die als „Aus­ge­flippte“ eigent­lich am anderen Ende der Schul­hier­ar­chie steht. Auch das reprä­sen­tiert seine Rebel­lion, denn statt seinem Ste­reotyp ent­spre­chend die Schul­prin­zessin zu hofieren, wendet er sich einem Mäd­chen zu, das in sein Inneres schauen kann.

John Bender

Der kri­mi­nelle „Freak“ John Bender scheint am Anfang des Films nur zu exis­tieren, um anderen Men­schen auf die Nerven zu gehen. Denn angeb­lich küm­mert es ihn nicht, was um ihn herum pas­siert und was andere von ihm denken. Zur Schule kommt er allein zu Fuß, was auf eine nicht-exis­tente Bezie­hung zu seinen Eltern und auf deren nied­riges Ein­kommen hin­deutet. Dabei spa­ziert er ganz achtlos über die Straße, sodass das Auto von Alli­sons Eltern scharf bremsen muss. Und die Frage, warum er nach­sitzen soll, stellt sich bei all seinen Pro­vo­ka­tionen gar nicht erst: Mit größter Wahr­schein­lich­keit ist dieser Unru­he­stifter sams­tags ein Dau­er­gast. Aber der Voll­stän­dig­keit halber: Er hat einen fal­schen Feu­er­alarm aus­ge­löst.

Wie sich in der Mitte des Films jedoch her­aus­stellt, hat Bender es von allen Nach­sit­zern am schwersten. Nicht nur kommt er aus der sozialen Unter­schicht, son­dern er hat auch einen gewalt­tä­tigen Vater. Wäh­rend Claire, Brian und Andy gute Gründe haben, auf ihre Eltern wütend zu sein, erfahren sie von ihnen den­noch in der ein oder anderen – noch so per­fiden Form – Liebe. Bender bekommt nur Belei­di­gungen, Dro­hungen und Schläge und hat auch kaum Aus­sichten, irgend­wann aus seinem Milieu aus­zu­bre­chen. Er rebel­liert, trotzt und pro­vo­ziert – und wird von seinem Umfeld dafür nur noch mehr stig­ma­ti­siert, wodurch seine Per­spek­tiven im Leben weiter schwinden.

Wenn Bender die anderen Figuren ärgert, mobbt und beläs­tigt, dann tut er das vor allem, weil sie Dinge ver­kör­pern, die ihn frus­trieren: Claire mit ihren Dia­mant­ohr­ste­ckern reprä­sen­tiert soziale Unge­rech­tig­keit, Brian hat eine Familie, die sich um ihn sorgt, und Andy bekommt überall auto­ma­tisch Respekt und Aner­ken­nung. Vernon als Reprä­sen­tant der Erwach­se­nen­welt, die pau­senlos auf ihm her­um­hackt, ist ohnehin das ulti­ma­tive Böse. Die ein­zige Person, die er in Ruhe lässt, ist Allison, die in der Schul­hier­ar­chie ganz unten steht. Somit muss man Bender wenigs­tens zugu­te­halten, dass er offenbar nur Men­schen pro­vo­ziert, die er als eben­bürtig oder in irgend­einer Hin­sicht als pri­vi­le­gierter wahr­nimmt. Schwä­chere fasst er nicht an.

Damit ist Bender vor allem ein Opfer seiner Abstam­mung, tag­täg­lich mit all­ge­gen­wär­tiger Unge­rech­tig­keit und Gehäs­sig­keit ihm gegen­über kon­fron­tiert, und er über­spielt seine Ängste, seine Min­der­wer­tig­keits­ge­fühle und seine Ver­letz­lich­keit durch Aggres­sion. Er ver­sucht, sich Auf­merk­sam­keit und Aner­ken­nung zu erkämpfen, folgt dabei aber offenbar auch einer Art von Ehren­kodex.

Letz­teres lässt ihn ein wenig wie Robin Hood wirken: Er ist zwar ein Schurke, aber ein fairer Schurke. Er kämpft auf seine Weise gegen Unge­rech­tig­keit und bringt dafür Opfer allein aus Prinzip. So han­delt er sich zwei zusätz­liche Monate Nach­sitzen ein, weil er sich wei­gert, Vernon gegen­über klein bei­zu­geben. Auch ist er es, der die Nach­sitzer über­haupt erst zusam­men­bringt, indem er die Tür, durch die Vernon die Schüler beob­achtet, sabo­tiert und der Gruppe dadurch ein unge­störtes Mit­ein­ander ermög­licht. Später, als die Gruppe ver­bo­te­ner­weise die Biblio­thek ver­lässt, lenkt er Vernon ab und lässt sich zur Strafe in eine Abstell­kammer sperren, damit die anderen unge­sehen wieder in die Biblio­thek kommen können. Nach seinem Aus­bruch aus der Besen­kammer teilt er sein Mari­juana groß­zügig mit den anderen. Man kann also sagen: Weil Bender nichts hat, hat er auch nichts zu ver­lieren und ist dadurch freier als die anderen. Und er lehrt sie indi­rekt, eben­falls frei zu sein.

Zum Ende des Films erkennt er, wie auch die anderen, dass jeder von ihnen ein Indi­vi­duum ist. Wohl zum ersten Mal wird er von Men­schen, die auf ihn nor­ma­ler­weise her­ab­sehen würden, nicht nur akzep­tiert, son­dern auch als Anführer aner­kannt. Denn auch wenn er Schwie­rig­keiten hat, seine Gefühle aus­zu­drü­cken, ver­mut­lich weil er das von Haus aus nie gelernt hat, wird spä­tes­tens zum Ende hin deut­lich, dass hinter seiner explo­siven Fas­sade viel Zunei­gung für seine vier neuen Freunde steckt. Sonst hätte er ja nicht seinen Kopf für sie hin­ge­halten.

Das ist es wohl auch, was ihn in den Augen seines Lieb­lings­op­fers Claire reha­bi­li­tiert. Er hat ein­deutig von Anfang an Inter­esse an ihr und sucht ihre Auf­merk­sam­keit, wenn auch auf sehr plumpe, sexis­ti­sche Weise. Einer­seits weiß er es, wie gesagt, nicht besser, aber ande­rer­seits ist er sich auch dessen bewusst, dass die Prin­zessin mit ihren Dia­mant­ohr­ste­ckern für ihn ohnehin uner­reichbar ist. Erst als Claire seine Gefühle ein­deutig erwi­dert … Man schaue sich nur an, wie zärt­lich und brav er plötz­lich ist und wie bereit­willig er zugibt, dass er ihren Lip­pen­stift-Trick, den er vorhin ins Lächer­liche gezogen hat, in Wirk­lich­keit gar nicht eklig fand. Durch die Gruppe und spe­ziell durch Claire hat er eine Auf­wer­tung erfahren, die schließ­lich mit dem Dia­mant­ohr­ste­cker, den Claire ihm schenkt, auch eine mate­ri­elle Aus­prä­gung bekommt. Als er nicht mehr die Not­wen­dig­keit ver­spürt, andere – und spe­ziell Claire – zu pro­vo­zieren, unter­lässt er das auch.

Allison Rey­nolds

Die „Aus­ge­flippte“ Allison Rey­nolds unter­scheidet sich von den anderen Nach­sit­zern inso­fern, als dass sie nichts ver­bro­chen hat und gekommen ist, weil sie sonst nichts zu tun hatte. Als sie das gegen Ende des Films ent­hüllt, ist es bei ihrer exzen­tri­schen Art nicht mehr ver­wun­der­lich. Und bereits die Art und Weise, wie sie zur Schule erscheint, unter­scheidet sich von der der anderen: Wäh­rend Claire, Brian und Andy noch ein letztes Gespräch mit ihren Eltern haben und Bender selbst­be­wusst über die Straße mar­schiert, wird Allison wie ein Stück Müll ein­fach abge­laden und als sie sich zum Auto­fenster beugt, um sich zu ver­ab­schieden, fährt das Auto ein­fach weg. Das ist eine sehr herz­zer­rei­ßende Andeu­tung für den Grund, warum sie so exzen­trisch ist.

Wäh­rend des Nach­sit­zens fällt Allison vor allem dadurch auf, dass sie wei­test­ge­hend unauf­fällig ist. Sie sitzt allein in der ent­fern­testen Ecke, spricht die ersten zwei Drittel des Films über kaum, beob­achtet die anderen und macht ihr eigenes Ding. Den­noch ist sie bei allen Unter­neh­mungen der Gruppe mit von der Partie, stiehlt kleine Andenken und lenkt durch exzen­tri­sche Aktionen die all­ge­meine Auf­merk­sam­keit auf sich, bei­spiels­weise als sie sich ein Corn­flakes-Sand­wich zube­reitet und es geräusch­voll ver­speist.

Allison sendet wider­sprüch­liche Bot­schaften aus: Einer­seits hält sie sich strikt im Hin­ter­grund und ver­wei­gert wei­test­ge­hend direkte Kom­mu­ni­ka­tion, ande­rer­seits aber drängt sie sich in Momenten, in denen man es am wenigsten erwartet, plump und exzen­trisch in den Vor­der­grund. Das erste Mal, dass sie aktiv auf andere zugeht, kippt sie vor Brian und Andy den Inhalt ihrer Tasche aus. Sie möchte dabei geheim­nis­voll und edgy wirken und sagt, dass sie ihre Familie „unbe­frie­di­gend“ findet und weg­laufen möchte. Als Andy aber ernst­haft wissen will, was mit ihr los ist, faucht sie ihn an und läuft weg. Sie hat offen­sicht­lich Rede­be­darf, aber sie traut sich nicht.

Andy durch­schaut ihre Fas­sade. Seinen ersten Dialog mit ihr hatte er wäh­rend des Geträn­ke­holens und war der­je­nige, der ihn initi­iert hat. Damals war wohl eine Mischung aus Small­talk und Neu­gierde seine Moti­va­tion, aber nach der Taschen­szene scheint er ernst­haft wissen zu wollen, was hinter ihrer Art steckt. Letzt­end­lich schafft er es, dass sie sich ihm anver­traut und gesteht, dass ihre Eltern sie igno­rieren. Dabei wirkt Allison erschüt­tert, dass jemand sie tat­säch­lich wahr­nimmt, ihr zuhört und mit ihr mit­fühlt.

Dadurch wird klar, dass Allison sich durch die Kälte ihrer Eltern als min­der­wertig emp­findet. In ihrem Inneren will sie Auf­merk­sam­keit und Bestä­ti­gung, aber aus Angst vor Ableh­nung hat sie sich einen dicken Panzer der Exzen­trik zuge­legt, um andere Men­schen auf Abstand zu halten.

Diesen Panzer baut sie ab, als sie von den anderen Nach­sit­zern und spe­ziell Andy Akzep­tanz erfährt. Und als sie sich den anderen öffnet, öffnen sie sich auch ihr. Schließ­lich nimmt dieser Wandel auch eine phy­si­sche Form an, als sie zulässt, dass Claire ihr ein kleines Make­over ver­passt: Am Ende des Films ist Allison eine Prin­zessin und wirkt wie ein gewöhn­li­cher Teen­ager. Außer dass sie es sich nicht nehmen lässt, einen Auf­näher von Andys Jacke zu sti­bitzen.

Ebenso wie die Bezie­hung von Claire und Bender wird dieser Punkt jedoch kon­tro­vers dis­ku­tiert: Es wird vor­ge­worfen, das Make­over beraube sie ihrer Per­sön­lich­keit und sende die Bot­schaft, dass man sich einem ober­fläch­li­chen Schön­heits­ideal beugen muss, um einen Mann zu erobern. Und ich muss sagen, als ich den Film im Teen­ager-Alter gesehen habe und Alli­sons exzen­tri­sche Art sehr mochte, war ich von dem Make­over eben­falls ent­täuscht. Aller­dings bin ich, wäh­rend meiner Schul­zeit auch eine Allison, seitdem älter geworden und hatte auch einen ähn­li­chen Moment. Und mitt­ler­weile finde ich, dass Kritik dieser Art Alli­sons Gefühle igno­riert. Denn ihre Exzen­trik ist kein indi­vi­du­eller Stil und kein Aus­druck ihrer Per­sön­lich­keit, son­dern, wie gesagt, ein Panzer, eine Gefäng­nis­zelle, in die sie sich selbst gesperrt hat. Das Make­over drückt ihre Befreiung aus und das Ent­de­cken neuer Facetten an sich. Aus Erfah­rung würde ich sagen, dass Allison nach diesem Make­over expe­ri­men­tieren und neue Aus­drucks­formen für ihre Per­sön­lich­keit finden wird. Was Andy angeht, so hat er sich auch vor dem Make­over für sie inter­es­siert und dass sie nun aus­sieht wie eine Prin­zessin, ist da nur das Sah­ne­häub­chen.

Gemein­same Rebel­lion gegen die Erwach­senen

Bei all ihren Unter­schieden haben die fünf Haupt­fi­guren eine ent­schei­dende Gemein­sam­keit:

Sie werden von Erwach­senen unter­drückt, spe­ziell von ihren Eltern, sie werden stig­ma­ti­siert und auf einen bestimmten Lebens­pfad gedrängt, den sie sich nicht aus­ge­sucht haben. Sie alle sind am Anfang des Films auf direktem Wege, so zu werden wie ihre Eltern, und als sie das erkennen, macht es ihnen Angst.

Diese Unter­drü­ckung wird im Film haupt­säch­lich durch den Ant­ago­nisten Richard Vernon reprä­sen­tiert und alle fünf Haupt­fi­guren rebel­lieren gegen ihn auf die ein oder andere Weise. Zwar zeigt nur Bender seinen Wider­stand offen, aber die anderen Nach­sitzer decken ihn äußerst bereit­willig, wenn er mal wieder etwas ange­stellt hat, auch wenn sie ihn nachher kri­ti­sieren und sich für die Befol­gung von Ver­nons Anwei­sungen aus­spre­chen.

Die Abnei­gung gegen Vernon eint sie also von Anfang an und im Laufe des Tages ent­de­cken sie auch all die anderen Gemein­sam­keiten. Und ihr tat­säch­li­cher Wider­stand gegen Vernon, die Erwach­senen und die Gesell­schaft gene­rell besteht darin, die ste­reo­typen Vor­stel­lungen von­ein­ander zu begraben und sich gegen­seitig als lie­bens­wür­dige Indi­vi­duen anzu­er­kennen:

Haben sie am Anfang noch eine hier­ar­chi­sche Sitz­ord­nung mit dem „Schul­adel“ in der ersten Reihe, dem Rebell, der dem „Adel“ buch­stäb­lich im Nacken sitzt, in der zweiten, dem nerdigen Schlau­kopf etwas abseits, aber immer noch in der zweiten Reihe und der exzen­tri­schen Außen­sei­terin in der ent­fern­testen Ecke, ver­lassen sie die Schule am Ende mehr oder weniger in einer Reihe, auf einer Höhe.

Sie haben sich von den Ste­reo­typen und Stig­mata der Erwach­senen gelöst und diese Werk­zeuge der Unter­drü­ckung können ihnen nichts mehr anhaben. Sie haben sich gegen­seitig befreit.

… Oder nicht?

Fazit: Was pas­siert am Montag?

Gegen Ende des Films stellt Brian die Frage, ob die Fünf am Montag, wenn sie wieder in Gesell­schaft ihrer jewei­ligen Cli­quen sind, immer noch Freunde sein werden. Die Mei­nungen gehen dabei aus­ein­ander und das Ende des Films lässt die Frage eben­falls offen. Dem­entspre­chend dis­ku­tieren die Zuschauer bis an den heu­tigen Tag, wie die Situa­tion am Montag aus­sehen wird.

Ich per­sön­lich war dabei schon in beiden Lagern, sowohl im rea­lis­tisch-pes­si­mis­ti­schen mit der Ansicht, dass sie am Montag so tun werden, als würden sie sich nicht kennen, als auch im roman­tisch-opti­mis­ti­schen, wo man an den Erhalt der Freund­schaft glaubt.

Nach dieser Ana­lyse ten­diere ich mehr zur opti­mis­ti­scheren Seite. Ich kann ein­fach nicht abweisen, dass die Fünf eine Inti­mität erlebt haben wie wohl noch nie zuvor in ihren Cli­quen, und ein so inten­sives Erlebnis muss ein­fach Spuren hin­ter­lassen. Immerhin haben die Fünf durch ihr Mit­ein­ander eine Mög­lich­keit gefunden, sich ihren tiefsten Ängsten zu stellen. Sie haben Frei­heit gekostet und sie sind noch jung genug für einen Kurs­wechsel, um eben nicht so zu werden wie ihre Eltern. Ich denke zwar nicht, dass sie öffent­lich als Clique auf­treten werden, aber ich kann mir vor­stellen, dass sie auch wei­terhin für­ein­ander da sein werden. Sonst hätte das kathar­ti­sche Mit­ein­ander im Film doch keine Bedeu­tung.

Unterm Strich jedoch muss wohl jeder Zuschauer selbst ent­scheiden, wie es am Montag wei­ter­geht. Und diese Ent­schei­dung sagt wie­derum sehr viel über einen selbst aus und über die eigene Situa­tion zum jewei­ligen Zeit­punkt.

Daher will ich nie­mandem vor­schreiben, was die rich­tige Ant­wort ist, und wäre sehr gespannt auf Deine Gedanken zu dem Thema.

2 Kommentare

  1. Hi!

    Ich find deine Ana­lyse super span­nend und stimme grund­sätz­lich auch zu.
    Zum Thema wie geht es am Montag weiter denke ich auch nicht, dass sie als Clique auf­treten würden. Ich kann mir aber vor­stellen, dass sie sich im Flur wis­send anlä­cheln und am nächsten Samstag wieder treffen – schließ­lich haben sie ja quasi am Ende einen „Club“ gegründet und wenn ich mich richtig erin­nere, sagt einer der Cha­rak­tere „See you next Saturday“. Viel­leicht hab ich es mir aber auch falsch gemerkt und es ist nicht an die Gruppe gerichtet son­dern von Bender an Vernon. Als letztes kann ich mir auch vor­stellen, dass ein wei­terer Grund warum Bender immer mehr sams­tags nach­sitzen pro­vo­ziert ist, um nicht zu Hause sein zu müssen. Aber viel­leicht ist das auch etwas weit her­ge­holt. Lg!

    Yuna
    1. Ich glaube, das „See you next Saturday“ war zwi­schen Bender und dem Haus­meister, weil Bender ja gefühlt bis zum Rest seines Lebens nach­sitzen muss. Und dass er das pro­vo­ziert, könnte viel­leicht sogar sein. Ist zumin­dest eine inter­es­sante Theorie.
      Jeden­falls kann ich mir das mit mit dem Wis­send-Anlä­cheln auch gut vor­stellen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert