Wie schreibt man einen Bestseller? Gibt es etwas wie einen Bestseller-Code? Jodie Archer und Matthew L. Jockers meinen, diesen Code „geknackt“ zu haben. In diesem Artikel schauen wir uns an, was die beiden zur Themenwahl eines Buches sagen: Welche Themen und welches Themenverhältnis steigern die Bestsellertauglichkeit eines Romans?
Die Folien für dieses Video gibt es für Steady-Abonnenten und Kanalmitglieder auf YouTube als PDF zum Download.
Wenn man Schreibtipps durchstöbert, stößt man oft auf die Aussage, es gäbe keinen Bestseller-Code. Man könne nicht im Voraus kalkulieren, wie erfolgreich ein Buch wird.
Auch ich habe jahrelang daran geglaubt.
Bis mir das Buch Der Bestseller-Code von Jodie Archer und Matthew L. Jockers in die Hände fiel. Die beiden Wissenschaftler beweisen nämlich:
Einen Bestseller-Code gibt es doch!
Und weil man gerade als Autor dadurch sehr viel lernen kann, habe ich beschlossen, eine kleine Reihe daraus zu machen.
Ein „bahnbrechender Algorithmus“
Die Autoren vom Bestseller-Code haben einen Computer-Algorithmus entwickelt, der Bücher lesen, analysieren und vergleichen kann. Sie haben ca. 5000 Bestseller und Nicht-Bestseller an ihn „verfüttert“ und tatsächlich bestimmte Regelmäßigkeiten festgestellt, die Bestseller von Nicht-Bestsellern unterscheiden.
Der Haken ist hier natürlich: Ein Bestseller ist ein Buch, das sich gut verkauft. Nicht mehr und nicht weniger.
Und was sich gut verkauft, ist nicht immer qualitativ gut.
Damit ist Der Bestseller-Code keine Anleitung, wie man ein gutes Buch schreibt. Aber er kann durchaus als Hilfe dienen, um den eigenen – hoffentlich guten – Roman einem breiteren Publikum schmackhaft zu machen.
Heute geht es, wie gesagt, um die Wahl eines bestsellertauglichen Themas und wir stürzen und jetzt endlich ins Gefecht!
Genre vs. Thema
Bin ich eigentlich die Einzige, die Genres für ziemlich überflüssig hält? Klar könnte ich sagen, dass ich tendenziell Bücher mit historischem und gerne auch fantastischem Setting bevorzuge; aber ich lese kein Buch, einfach weil es Schwerter und Elben beinhaltet. Im Gegenteil, meistens lege ich solche Bücher sofort wieder aus der Hand, weil viele davon mir eher wie Herr der Ringe-Abklatsch vorkommen. Und Herr der Ringe kann ich mittlerweile fast auswendig.
Was mir bei einem Buch wichtig ist, ist der – sagen wir mal – „langfristige Nutzen“. Wenn ich tatsächlich ein einziges Lieblingsgenre nennen müsste, wären das in meinem Fall wohl Klassiker. – Einfach, weil ich nach deren Lektüre selten Leere spüre und mich frage, warum das Buch überhaupt existiert.
Es gibt immer einen Grund, warum ein Klassiker zum Klassiker geworden ist. Denn es sind in der Regel Bücher, durch die man auf bahnbrechende neue Gedanken kommt, durch die man eine völlig neue Perspektive auf sich und die Welt erhält und die einem das Leben verändern.
Und das ist es, was ich persönlich von einem guten Buch erwarte. Das Genre ist da herzlich irrelevant.
Nach der Lektüre des Bestseller-Codes weiß ich, dass zumindest der Computer auf meiner Seite ist. Klar gibt es zu jeder Zeit in Bezug auf das Genre bestimmte Modeerscheinungen, aber diese sind vergänglich und laut dem Computer-Algorithmus eher irrelevant für den Verkaufserfolg.
Relevant sind eher Themen – und grundsätzlich kann jedes Thema in jedem Genre vorkommen.
Ein Liebesroman kann von Verbrechen handeln und in einem Krimi kann es auch um Liebe gehen. Beim Genre geht es nur um den Anteil bestimmter Themen, aber das ändert nichts daran, dass bestimmte Themen genreunabhängig zum Verkaufserfolg beitragen.
Top und Flop
Top-Themen sind:
- zwischenmenschliche Interaktionen und Beziehungen
- Alltägliches: Zuhause, Arbeit, Familie
- moderne Technologien
- außerdem: Waffen, Schmerzen, Ärzte, Tod, Medien …
Flop-Themen sind:
- Fantastisches und Außerirdisches
- Sex
„In Nicht-Bestsellern erscheint es im Durchschnitt zwölfmal so häufig wie in Bestsellern.“
S. 61.
- heikle Themen: Religion, Drogen …
- außerdem: (zu) große Emotionen, Revolutionen, Geschäftemachen, existenzialistische und philosophische Abhandlungen, …
Na? Überrascht?
Klar fallen einem bei jedem der Flop-Themen sofort Bestseller ein, die genau davon handeln. Jedoch werden bei diesen Bestsellern die Flop-Themen von anderen Themen und/oder anderen Bestseller-Faktoren ausbalanciert.
Was wollen Leser?
Archer und Jockers werfen berechtigterweise die Frage auf, ob Menschen (zumindest der bücherlesende Teil der amerikanischen Bevölkerung) „am liebsten mehr oder weniger über sich selbst lesen möchte“ (S. 75). Bzw. über „ihre eigenen möglichen Realitäten in einer dramatisierten Form“.
Ich kann diese Frage natürlich nicht für alle Leser beantworten, aber nur für mich selbst sprechend würde ich sagen: Ja, schon. Natürlich habe ich meine ganz eigenen, individuellen Ansprüche, aber unterm Strich geht es mir darum, dass ein Roman irgendwie mein Leben beeinflussen muss, damit ich ihn interessant finde. Und das schafft ein Roman nicht, wenn er von Dingen handelt, die zu meinem Leben keinen Bezug haben oder schlicht und ergreifend nicht relevant genug sind.
Und damit macht der abschließende Ratschlag von Archer und Jockers sehr viel Sinn:
„Nehmen Sie Ihre Leser nicht weiter mit, als Sie selbst jemals gekommen sind – und wenn Sie weiter gekommen sind als die meisten von uns, dann heben Sie sich das für Ihre Memoiren auf.“
S. 77.
Die richtige Themen-Mischung
Doch die Wahl des richtigen Themas allein ist nicht genug. Entscheidend ist auch die richtige Mischung. Denn jeder Roman hat mehrere Themen – und jedes gute Rezept enthält genaue Angaben über die benötigte Menge der jeweiligen Zutaten.
Was Bestseller von Nicht-Bestsellern hier vor allem unterscheidet, ist, dass in Bestsellern klare Schwerpunkte gesetzt werden: Das Schwerpunktthema kann dabei tief ergründet werden, während die Geschichte trotzdem noch leicht zu verstehen ist. Und wenn man als Autor von Roman zu Roman ein bestimmtes Schwerpunktthema immer wieder aufgreift, das einfach nur mit unterschiedlichen anderen Themen kombiniert wird, dann trägt das zur Markenbildung bei und die Leser wissen, was sie von einem erwarten können.
Wie ist aber nun die perfekte Mischung?
- 30% des Romans sollten aus drei oder vier Hauptthemen bestehen.
Mehr Hauptthemen „verwässern“ den Inhalt. – Und ganz ehrlich? Wer mag schon Romane, bei denen nicht klar ist, worum es geht? - Idealerweise steht das wichtigste Thema im Konflikt mit den nächstwichtigsten Themen.
Denn: Was ist eine spannende Geschichte ohne einen guten Konflikt, der sich wie ein roter Faden durch die komplette Handlung zieht? - Viele kleine Nebenthemen sind sehr gut und wichtig zum „Würzen“ (denn jede gute Geschichte braucht „Atempausen“), aber auf unnötige Nebenhandlungen sollte verzichtet werden.
Diese Beobachtungen decken sich durchaus mit grundlegenden Schreibtipps: Setze Schwerpunkte, formuliere eine Prämisse, entwickle einen Konflikt. Mit anderen Worten: Schreibe eine gut durchdachte und strukturierte Geschichte. Viele Bestseller mögen Müll sein, aber zumindest in diesem Punkt ist im Hinblick auf Verkaufstauglichkeit Qualität gefragt. Und anscheinend ist dieser Punkt sehr wohl in der Lage, andere ästhetische Patzer „auszubalancieren“.
Zum Schluss …
Wie sieht das also nun bei Deinem aktuellen Romanprojekt aus?
Schreibst Du gerade den nächsten Bestseller oder einen Flop?
Ich selbst bin mir da überhaupt sich sicher und schwanke zwischen den Extremen. Mein einziger Trost ist:
Notfalls gibt es immer eine Nachfrage nach Nischenthemen. Bloß sollte man dann nicht mit übermäßigem Verkaufserfolg rechnen.
Wenn Du bei der Einschätzung Deiner Romanthemen ganz sicher gehen und/oder mehr Details willst, empfehle ich Dir die Lektüre des Bestseller-Code-Buches: Hier kannst Du Dein eigenes Exemplar bestellen. Denn unabhängig davon, ob man die Tipps in Der Bestseller-Code für seine eigenen Geschichten verwenden will: Das Buch bietet äußerst interessante Erkenntnisse über das Lesen und Schreiben.
Bilde ich mir es nur ein, oder werden nur Romane zu Bestsellern, in denen möglichst wenig Fantasie steckt? Jetzt nichts gegen Liebhaber des Generes „Alltagsleben“, aber wenn man solche Geschichten will, kann man auch den Nachbarn zwei Türen weiter um seine Memorien bitten. Und wenn religiöse und politische Themen sich schwer verkaufen, wie soll man die Welt dann anders als aus seiner eigenen beschränkten Perspektive wahrnehmen? Fördert das Schreiben über solche Sachen denn nicht die Solitarität und den Zusammenhalt?
Dass eher „fantasielose“ Romane zu Bestsellern werden, ist eine Tendenz, ja, aber keine Regel. In Harry Potter gibt es zum Beispiel sehr viel Fantasie – wobei sie aber natürlich mit dem Alltagsthema Schule kombiniert wird. Also ja, diese Beobachtung machen Archer und Jockers auch, die Leute wollen offenbar vor allem über sich selbst bzw. über das Alltagsleben lesen, wenn auch vielleicht mit dem ein oder anderen ungewöhnlichen Twist. Das zeigt im Übrigen auch der Erfolg von trashingen (Scripted-)Reality-Shows – bloß auf einem deutlich weniger niveauvollen Level als bei Alltagsromanen. Und generell werden anscheinend eher die Romane zu Bestsellern, die vor allem unterhalten, nicht zum Nachdenken anregen. Aber als Autor kann man ja versuchen, anspruchsvoll zu unterhalten bzw. in einen Unterhaltungsroman religiöse, politische und anderweitig perspektiverweiternde Themen hineinzuschmuggeln. Wenn man denn unbedingt möchte, natürlich. Ein guter Roman muss ja nicht unbedingt ein Bestseller werden. Solange er seine Leserschaft findet, ist doch alles in Butter.